Leon Neschle 4 (11. Woche 2007)

Elterngeld – Sozial oder wirksam?

Never have children, only grandchildren. (Gore Vidal)

Seit Anfang des Jahres gibt es das Elterngeld. Die „Anspruchssozialen“[1] bekämpfen dieses Gesetz nach wie vor. Ungerecht sei es. Es benachteilige sozial Bedürftige. Mit diesem Thema befasst sich Neschle, weil es ein Musterbeispiel für ökonomisches Denken ist im Kampf gegen ökonomischen Anti-Verstand.

A. Warum hat Hinz und Kunz nicht Kind und Hund? – Hunde als Fehlinvestition, Kinder als Verkehrsunfälle?

Neschle ist Ökonomieprofessor. Für einige des radikalen Ökonomismus verdächtig. Er hat zwei Kinder und hätte sicher mehr, wenn nicht jede weitere Geburt für seine Frau ein Lebensrisiko gewesen wäre. Er hat einen Hund, genauer eine Hündin, lebt also zusammen mit vier weiblichen Wesen, weil die Kinder Töchter sind.

Kinder und Hund kosten Geld im Laufe ihres Lebens. Der Hund etwa einen Kleinwagen, die Töchter ein kleines Einfamilienhaus. Sogar mehr, wenn Neschle berücksichtigt, dass die Einkünfte seiner Frau fehlen, weil sie bereits beim ersten Kind gezwungen war, ihren einträglichen Einkommenserwerb aufzugeben. Warum, tut hier nichts zur Sache. Der Leser möge das glauben!

Lucy ist ein Mischling aus Podenco Ibicenco und Schäferhund[2]. Angeblich steckt noch ein Dobermann drin. Lucy ist ein schlanker, aber großer Hund. Sie ist rassig, doch kein Rassehund. Sie war preiswert im Wortsinn! Hundertfünfzig Euro. Dann kam es: Tierarzt; Kastration nach Scheinschwangerschaft; Impfungen; regelmäßige Kontrolle; zusätzliche Fahrtkosten, Hundesteuer; Ausstattung; Mehrausgaben für Reinigung von Haus und Auto; erhöhte Urlaubskosten; Futter und Hundeleckereien; Schäden an Haus und Hof; ab und zu eine Hundepension, Hundeschule, weil ein nicht ausgebildeter Großhund eine Gefahr ist. Es fehlen noch Schuhe und Kleidung, die bei täglichen Hundespaziergängen leiden, weil Lucy auf das Wetter keine Rücksicht nimmt. Jedenfalls fast nicht, weil sie eine vornehme Dame ist, die jede Pfütze meidet. Lucy ist gut sechs Jahre alt und wird dreizehn bis fünfzehn alt werden. Voraussichtlich!

Trotz dieser beachtlichen Kosten sieht Neschle immer mehr Leute mit Hund, doch immer weniger mit Kind in seinem sonst so gebärfreudigen „Kaff der guten Hoffnung“. Selbst Singles kommen auf den Hund, nicht nur weil es billiger ist, sich einen Hund zu halten als eine Frau. Oder einen Mann! Es ist wohl die gestiegene Unfähigkeit, menschliche Beziehungen anzuknüpfen und zu halten und der Wunsch nach treuevoller Geborgenheit, den Hunde manchen Menschen vermitteln. –

Was kosten Kinder? Wem erzählt Neschle das? Allein den Kinderlosen oder manches auch weniger gut Verdienenden, die anders als ich keine Kindergartenbeiträge oder nicht den Höchstbetrag zu zahlen hatten? Neschle beklagt sich nicht, schon weil er Hund und Kinder aus freiem Entschluss hat. Er erklärt. Und will nicht langweilen mit Fakten, die jedem bekannt und vielleicht sogar bewusst sind. Doch ein Beispiel sei erlaubt:

Ein kinderloses Ehepaar empfahl ihm ein Hotel für einen dreiwöchigen Urlaub in Südtirol. Familienfreundlich sei es. Das Ehepaar war eine Woche vorher dort gewesen. Hörte sich ausgezeichnet an: gute Atmosphäre, prima Wetter! Neschle musste noch eine Woche warten. Auf die Ferien. Doch dann die Preise! Das kinderlose Ehepaar hatte in der Vorsaison – das ist leider immer die Vor-Feriensaison – jeweils sechzig Prozent des Hochsaisonpreises gezahlt. Zusammen also hundertzwanzig Prozent. Was sollte Neschle zahlen? Ferien sind Hochsaison. Erst die gute Nachricht: Seine schulpflichtigen Kinder bekamen Ermäßigung. Sie sollten jeweils nur achtzig Prozent des Preises zahlen. Zusammen nur hundertsechzig Prozent und trotzdem bereits mehr als das kinderlose Ehepaar insgesamt gezahlt hatte nur für seine Kinder. Seine Frau und er zahlten hundert Prozent, zusammen also zweihundert Prozent.

Mit dreihundertsechzig gegen hundertzwanzig Prozent zahlte Neschle dreimal so viel für nur doppelt so viele Personen. Und das trotz Kinderermäßigung! Hätten er mit seinen Kindern in der Vorsaison Urlaub machen können, wären er mit Kindernachlass bei zweihundert Prozent gelandet. Nun, in Ferien, zahlte er hundertsechzig Prozent mehr. Also fast das Doppelte. Absolut bedeutete das so viel, wie er an Kindergeld für das ganze Jahr bezog und mehr als die gesamten Urlaubskosten für das kinderlose Paar. Er entschied sich folglich gegen diesen Urlaub.

Es ist müßig noch zu sagen, dass beide Ehepartner des kinderlosen Paares ohne Störung durch die Kleinen bequem Vollzeit arbeiten konnten, also auch auf der Einkommensseite relativ besser gestellt waren.

Was will uns der Dichter damit sagen? Zunächst einmal: Es ist nicht erklärlich, warum ein Ökonomist Kinder hat, wenn er sich allein nach den Kosten richtet. Schon gar keinen Hund! Kinder sind für ihn nur als Unfälle im ehe- oder nichtehelichen Freiverkehr denkbar. Einen Hund kauft er nur in geistiger Umnachtung. So scheint es zumindest. Doch ein richtiger Ökonom ist nicht zwingend auch ein Zyniker, der von allem den Preis, aber von nichts den Wert kennt.

Neschle will nicht alle Motive ausbreiten, die ihn zum überzeugten Vater machen, obwohl er es unter Kostenaspekten nicht sein dürfte. Kinder zu haben, hat einen hohen Wert. Es erfüllt Leben mit Sinn. Man wirft sein Geld nicht für nichtswürdige Ersatzbefriedigungen wie das dritte Auto hinaus, mit denen man mangels kindlicher Elemente die eigene Verkindschung zelebriert, sondern investiert in Menschen, in Humankapital. Welches Hobby, welche Liebhaberei, gibt schon die Liebe zurück, die man hineinsteckt. Ein höheres Tier, ein Hund vielleicht oder ein Pferd. Sonst sind es nur Menschen: Gleichgesinnte, die mit uns etwas teilen.

B. Wer es sich leisten kann, hat keine Kinder. Wer nicht, hat welche.

Aber es geht nicht um Neschle, sondern um die Kinderlosigkeit dieser Gesellschaft. Die ist besonders ausgeprägt bei Akademikern, bei männlichen stärker noch als bei weiblichen. Doch bei Kindern ist es wie immer in der Ökonomie. Wer nur die Kosten betrachtet, kennt nur die eine Hälfte der Medaille, manchmal weniger. Aber auch wer nur den Nutzen sieht, verkennt einen Teil der menschlichen Realität: Kosten und Opportunitätskosten. Man muss halt beides betrachten!

Nicht nur Einkommen, sondern auch Kinderlosigkeit ist in Deutschland ungleich verteilt. Scheinbar paradoxerweise haben gerade diejenigen keine Kinder, die es sich finanziell leisten könnten. Daher findet im Ergebnis auch eine Negativauslese von Akademikergenen statt. Mit ihren Talkshows am Nachmittag haben sich die privaten Fernsehanstalten schon bestens auf diese Situation eingestellt. Es ist so, als würde sich die Ideologie des Arbeiter- und Bauernstaates auf diese Weise rächen.

Akademikererbgut nimmt kaum noch teil an der Entwicklung unserer Bevölkerung. Es fehlt zudem mangels ihrer Verkinderung daher auch das, was Akademiker an Vorstellungen und Inspirationen ihren Kindern weitergeben könnten. En passant in der Erziehung. Wir glauben offenbar – das zeigt jedenfalls unser Handeln -, uns das leisten zu können im Wettbewerb der Köpfe und Ideen mit anderen Gesellschaften in dieser Welt.

Es haben dagegen diejenigen genügend Kinder, die es sich finanziell nicht leisten können. Das belegt auch die zunehmende Kinderarmut. Die sozialen Brennpunkte sind fast überkindert. Auch beim moslemischen Teil der Bevölkerung gibt es genügend Kinder. Aus vielerlei Gründen!

Auf den ersten Blick scheint die Ökonomie also bei der Kinderentscheidung ausgehebelt. Müsste es denn nicht umgekehrt sein, wenn das Finanzielle entscheidet? Wer sich finanziell leisten kann, Kinder zu haben, hat welche; wer nicht, hat keine.

So denkt der Sozial-Deutsche. Doch zu kurz gedacht! Wer so denkt ist eben kein Ökonom. Der ökonomische Verstand denkt nicht in absoluten Positionen, sondern in Änderungen. Er denkt verursachungsorientiert: Es kommt allein darauf an, wie sich die ökonomische Position einer Familie durch ein zusätzliches Kind auf Einnahme- und Ausgabeseite verändert. Da liegt die Henne im Ei und der Hahn im Korb, da holt der Mostl das Wachs und der Wastl den Most:

Gut ausgebildete, gut verdienende Menschen haben durch Kinder erhebliche Einbußen, während schlecht ausgebildete, schlecht verdienende Menschen vom Kindersegen sogar ökonomisch profitieren. Genau das führt in die Schieflage, die wir gegenwärtig beobachten. Kinder lohnen sich aus dieser Sicht für Schlechtverdiener. Für gutverdienende Akademiker sind sie eine hohe Belastung, weil sie deren finanziellen Status am stärksten beeinträchtigen.

Der Sozialforscher Miegel sieht in der zunehmenden Kinderlosigkeit einen Beleg für Ökonomismus. Kinder betrachte man nur noch als Kostenfaktor. In seinem Buch Epochenwende macht er steigenden Ökonomismus für das Ende des Wohlstands verantwortlich. Er fordert Rückbesinnung auf das kulturelle Erbe.

Der Entkinderung begegnen durch „Rückbesinnung auf das Kulturelle“? Gab es damals in Deutschland oder gibt es in Afrika weniger Ökonomismus und mehr Kultur? Ja, und Kinder gibt es dann von der „Rückbesinnung auf das Kulturelle“? Da ist sogar die Sache mit dem Storch glaubwürdiger!

Doch sehen wir einmal allein auf die ökonomischen Kräfte. Kinder waren hier in Deutschland und sind in Afrika Rentenversicherung ihrer Mütter und Väter. Ohne allgemeine Versorgungssysteme braucht man also viele Kinder. Mit Rentenversicherungen ist dagegen der Kinderlose im Vorteil. Unentwegtes und ungestörtes „Doppelverdienen“ verschafft ihm die größere Rentenbasis. Am besten gestellt sind hier die DINKs (Double Income No Kids). Das ist aus individueller Sicht wirklich kein Anreiz, mit mehr Kindern die Zukunft der Gesellschaft zu bauen. Das Ziel der Kindergestörten scheint heute allein: „Reich ins Heim!“.

Apropos! Das Ganze ist dann am Ende so angelegt wie bei dem Herrn aus der braunen Schmierentragödie „Heim ins Reich!“. Der hatte selbst auch keine Kinder. Er wollte aber, dass die anderen möglichst viele Kinder hatten. Die brauchte er für die Verwirklichung seiner angeblich ger- aber doch egomanischen Ziele!

Das ist nicht zwingend, weil nicht alles Ökonomie ist und Ökonomie auch nicht alles. Aber die ökonomischen An-Reize wirken dahin! Und den Kampf gegen diese Reize verlieren halt viele. Das muss man erkennen und nicht die Augen davor verschließen. Danach kann man auch überlegen, ob man es auch so haben will oder ob man die „Kinderökonomie“ von Grund auf verändert. –

Und die „Rückbesinnung auf das Kulturelle“ beim Sozialforscher Miegel? Da Miegel vermutlich nicht vorhat, anonyme Rentenversorgungsysteme und Verhütungsmöglichkeiten zu beseitigen, genügt wohl auch nicht die Rückbesinnung auf das Kulturelle. Die Beseitigung ökonomischer Nachteile für Menschen mit Kindern aus der oben beschriebenen Lage ist unausweichlich. Dieses Problem ist schwierig genug, um es nicht mit Kulturgefasel neben der Kapp zu erledigen.

Man kann zwar ein kulturelles Lamento über Ökonomismus anstimmen und sich einreihen in die Phalanx christlicher, sozialistischer und philanthropischer Schriftsteller, die vom Menschen – und das ist vor allem der andere Mensch! – fordern, allen Eigennutz fahren zu lassen und sich nach dem Bild der jeweiligen Religion oder Ersatzphilosophie zu ändern. Und man kann darauf warten, bis es mit dieser Änderung soweit ist. Erfolg bringt das selten.

Erfolg hat aber nur, wer etwas tut, während er darauf wartet. Also bleibt nicht anderes, als den Menschen so zu nehmen, wie er ist. Und er ist, wenn es um seine materielle Basis geht, nun einmal mehr ichbezogener homo oeconomicus als alle Moralschreiberlinge das wahrhaben wollen.

Die meisten moralisierenden Anspruchssozialen können es sich zudem leisten, Moralininjektionen zu fordern. Aber erst kommt auch bei ihnen das Fressen, wie Bert Brecht erkannte. Das ist eine der wenigen Ideen, die ich sogar mit Karl Marx[3] teile. Ansonsten ergeben sich bei ihm mehr Fragen als Antworten: Marx-Questions. Die folgenden Überlegungen gelten dagegen die Question Marks.

C. Question Marks. Ausweg aus der Kinderkrise.

Eines der politischen Probleme bei der Lösung der Kinderfrage ist der Konflikt zwischen der Ökonomie des einzelnen (erwünschter Kinderlosigkeit) und der Ökonomie des Ganzen (verhinderter Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft), zwischen individueller und kollektiver Rationalität. Ein Konflikt, wie man ihn in jedem Fußballstadion beobachten kann: Wenn einer aufsteht, kann er besser sehen; wenn alle aufstehen, wären sie besser sitzen geblieben.

Wie sieht die Lage für die Gesamtheit aus? Eine Parallele zum Generationenmodell der betriebswirtschaftlichen Produktpolitik kann das verdeutlichen. Nach dem von der Boston Consulting Group entwickelten Modell werden aus dem Erlös der reifen Produkte (Cash Cows) junge Markteinführungen mit noch fraglichem Markerfolg (Question Marks), zum Teil auch dynamische Aufsteigerprodukte (Rising Stars) gefördert. Selbst ältere Produkte, die nicht mehr ihren früheren Markterfolg erbringen (Poor Dogs), werden durch die Cash Cows unterstützt.

Die Parallele ist einfach: Kinder sind Question Marks, Jugendliche und junge Erwachsene Rising Stars, erwachsene Erwerbstätige Cash Cows und nicht (mehr) Erwerbstätige Poor Dogs. Mit dem gravierenden Unterschied: Die Poor Dogs werden von den Unternehmungen meist schnell vom Markt genommen. Rentner dagegen überleben das fixierte Rentenalter immer länger.

Dennoch ist dies kein Plädoyer dafür, das Rentenproblem auf die Weise der Unternehmungen in Form sozialverträglichen Frühablebens zu lösen. Das sollte man Neschle schon deshalb glauben, weil er in Zukunft selbst davon betroffen wäre.

Jeder Mensch hat einen Lebenszyklus, bei dem der gesunde Mensch zweimal in eine Ausbeuterposition gerät gegenüber seiner Familie oder gegenüber der Allgemeinheit. Als Kind fällt er seinen Eltern finanziell zur Last oder der Allgemeinheit, sofern diese die Lasten der Eltern ganz oder teilweise übernimmt. Am Ende des Lebens braucht der Mensch finanzielle Unterstützung seiner Kinder und/oder staatlicher Sozialsysteme. In der Mitte des Lebens lässt er sich selbst ausbeuten. Er zahlt an seine Kinder, seine Eltern und die staatlichen Versorgungssysteme mehr als er von ihnen zurückerhält in diesem Lebensabschnitt. Diese finanzielle Beziehung zwischen den Generationen nennt man fälschlicherweise Generationenvertrag[4].

Dieser gerät in Schwierigkeiten, wenn zwischen Netto-Zahlern und Netto-Empfängern gravierende Ungleichgewichte entstehen. Ein Musterbeispiel ist China: Hier wurde durch die Ein-Kind-Verordnung Überkinderung durch Überrentnerung abgelöst (Man sehe Neschle seine Wortkreationen nach, etwas muss noch kommen nach der Rentnerschwemme!). Probleme entstehen auch, wenn die Netto-Zahler zu stark ausdünnen: durch die Geißel Aids in Afrika oder Arbeitslosigkeit in Deutschland. Paart sich Arbeitslosigkeit mit dem geringen Zuwachs der Netto-Zahler durch geburtenschwache Jahrgänge, wird das soziale System hecklastig. Die Gefahr besteht, dass es die längste Zeit ein soziales System war.

Dann stellt sich nicht nur die egoistische Frage der lebenden Generationen, wie ihre Rente durch die arbeitende Bevölkerung zu finanzieren ist, sondern auch wie man die Ausbildung künftiger Generationen sicherstellt. Für die fühlt sich kaum einer der Lebenden verantwortlich nach dem Motto: Was hat die Nachwelt denn je für mich getan?

Obwohl die Ausbildung der nachwachsenden Generation zusätzlicher Aufwendungen bedarf, gibt es auf Dauer nur einen Weg: Mehr Kinder, auch und gerade bei Akademikern! Doch wie fördern, ohne anzuecken am sozial-ideologischen Bauchgefühl der Mehrheit? Theoretisch müsste man Akademiker am meisten kinderfördern. Denn ihnen entstehen die größten Einbußen durch Kinder. Bei Sozialhilfeempfängern müsste man dagegen reduzieren.

Das 2006 beschlossene und ab 1. Januar 2007 eingeführte Elterngeld tut das erste, vermeidet aber das zweite. Das zweite für Altfälle zu tun, verstieße ohnehin gegen den Vertrauensschutz und käme der Förderung der Kinderarmut gleich. Das Elterngeld stößt aber bei den Anspruchssozialen auf Widerstand, weil nicht verständlich sei, dass diejenigen mehr erhalten, die es sich scheinbar leisten können.

Doch ökonomisch entscheidet eben nicht das „Es-sich-leisten-Können“ über den Kinderwunsch sondern, ob man es sich angesichts der hohen Opportunitätskosten leisten will.

Es ist nämlich die ernüchternde Erkenntnis, dass die Karrierewelt jede längere Pause mit erheblichen Einbußen bei Aufstieg und Einkommen beantwortet, egal ob bei Mann oder Frau. Nur weil Frauen öfter die Last längerer Babypausen tragen, ist das auch eine geschlechtsspezifische Benachteiligung. Wer sich dieser Realität nicht stellt, wird das Problem der Akademikerkinderlosigkeit nicht lösen:

Der ungelernte Lagerarbeiter und die ungelernte Reinigungskraft kommen nach der Babypause in die gleiche Karrierestufe zurück, treffen diejenigen wieder, die sie seit langem kennen. Akademiker steigen nach Pausen dagegen in aller Regel ab, bestenfalls bleiben sie auf derselben Stufe. Dort treffen sie nur neue, jüngere Leute. Ihre Kohorte ist derweil weitergezogen, hat höhere Stufen der Karriereleiter erklommen, während sie sich um die Brutpflege verdient machten, ohne dass ihnen das als Verdienst zugerechnet wird.

Wie kann man diesen gordischen Knoten durchhauen, den Knoten zwischen einer „anspruchssozial“ nicht goutierten Zusatzförderung von Akademikern und ihrer angesichts spezifischer Opportunitäts-Nachteile sogar gebotenen Zusatzförderung? Am Baum der Erkenntnis hängen manchmal wirklich harte Nüsse!

Knacken kann man diese Nuss nur, wenn man akademischen Karrieristen wegen des urdeutschen Neidsyndroms nicht(!!!) mehr gibt als anderen Kinderern, also auch kein höheres Elterngeld (anspruchssozialer Fehler!!!), aber zugleich etwas überlässt, das für sie mehr wert ist (wirkungssoziales Muss!!!). Ist das nicht ein Widerspruch? Nicht mehr und doch mehr wert? Eine dialektische Lösung muss her, eine nichtdiskriminierende Diskriminierung. Ist diese Lösungsidee klar, ist die Lösung einfach:

Die Abwesenheit von der Tretmühle Arbeitsplatz über längere Zeit ist die Karrierebremse. Also muss es etwas sein, das die Anwesenheit dort ermöglicht. Die Kinder müssen gut betreut und versorgt sein. Diese Betreuung muss zu Hause anfangen(!!!) und nicht erst in den öffentlichen Einrichtungen wie Kinderkrippen und auch zu Hause enden. Und sie muss individuell vereinbart werden können wie in den Großfamilien früherer Tage. Diese Leistung muss der Staat kostenlos zur Verfügung stellen, nur auf Wunsch natürlich.

Wie viele ältere Frauen und Männer stünden für die individuelle Kinderbetreuung zur Verfügung, wenn sie nach einem Ausbildungsprogramm dafür ein angemessenes Entgelt erhielten? Karrieretriebtäterinnen und –triebtäter könnten auf deren Leistungen schon morgens vor ihrem Weg in die Tretmühle zurückgreifen. Bis zu einem gewissen Lebensalter würden sie Concierge und kalte Mamsell im Hotel Mama hergeben, den Chauffeur oder den Animateur. Multifunktionale, soziokulturelle Schlüsselfiguren. Kurz: Ersatzmütter und Ersatzväter!

Sie stünden in gleicher Weise in sozialen Brennpunkten zur Verfügung, könnten helfen, die Folgen der Kinderarmut bei den Kinderreichen zu bewältigen[5]. Sie wären Schutz bei Gewalt gegen Kinder: körperlicher und seelischer in sozialen Brennpunkten, meist ausgeprägt seelischer bei Karrieresüchtigen. In einem Zug und Flug hätten wir drei Klappen geschlagen: die erste auf die Arbeitslosigkeit älterer Frauen und Männer, deren Kinder aus dem Haus sind[6]; die zweite auf das Kind als Karrierehemmnis junger Akademikerinnen und Akademiker; die dritte auf die Kinderbetreuung in sozialen Brennpunkten. Diese Betreuung müsste jenseits der kollektiven Bildungseinrichtungen Kindergarten und Schule greifen, vorher, nachher und individuell. Es darf statt kalter Kinderkrippe auch mal die warme Wickelwohnung sein!

Die Rendite würden wir alle einfahren: mehr sozialversicherungsfähige Beschäftigungen, bessere soziale Betreuung von Kindern in schwierigen Verhältnissen und bessere Allokation des Humanvermögens insbesondere bei karrierefähigen und –willigen Frauen. Es geht ohnehin ein Rock durch Deutschland. Würde man hier aufmerkeln, könnten es bald viele fähige Röcke mit Karriere sein, die heute noch frustriert in der Betreuung ihrer Kinder dilettieren. Schauen wir doch mal nach Frankreich! Das machen die Franzosen jedenfalls deutlich besser. Und das Ergebnis zeigt es!

Und was fällt unseren Politikern zuerst ein? Umverteilung von den Kinderreichen zu den Kinderreichen, um die Reiche der Kinder zu erweitern! Ein „geistreicher“ Vorschlag, jüngst noch vom Deutschen Städte- und Gemeindebund: Die Kürzung des Kindergeldes, um Kindergärten zu fördern und kostenlos anzubieten. Ich höre sie schon, die Zukunftsmusik: Kinderlachen und Kinderkreischen! Deutschland wird jung, Deutschland kriegt Schwung! Jetzt hat jeder wieder Lust auf Kinder. Ha, ha, ha!

Danach endlich etwas Sinnvolles: das Elterngeld. Das ist in der Wirkung ein Schritt in die richtige Richtung, beißt sich aber mit der Systemlogik unseres Steuer- und Sozialsystems und natürlich mit der Neidkultur der „Anspruchssozialen“. Einkommensabhängiges Elterngeld ist daher nur eine gute, aber eben nicht die beste Lösung.

Die Wirksamkeit beim Nachwuchs von Akademikern wird sich bald zeigen. Das wird aber diejenigen nicht verstummen lassen, die im Elterngeld eine a-soziale Maßnahme sehen, weil sie ihren Blick auf gleiche Ansprüche richten und nicht auf gleiche Opportunitäten. Freuen wir uns: Das ist einer der ersten Siege seit langem, welche die ökonomische Vernunft feiert gegenüber einem anspruchsorientierten Sozialgedusel, das zwar die eigene gute Gesinnung feiert, aber die „Folgenethik“ vernachlässigt. Doch es wäre auch geschickter gegangen, ohne einen echten Ansatzpunkt für die Kritik der Anspruchssozialen.

Darauf hätte man doch kommen können! Wir waren mal das Volk der Denker! Aber sind wir es auch künftig? Ohne Akademikerkinder?! Na, dann das letzte Wort für den Angeklagten:

Wer viel verdient, der kriegt jetzt mehr,

das Elterngeld es ist nicht fair.

„Fair“ aber ist, das sollt man wissen,

für Kinder mehr einbüßen müssen!

So steigert man, ganz still und leise:

die „Akademikerkinderpreise“!


[1] „Anspruchssoziale“ sind solche, die immer als erste fragen, was sie von der Gemeinschaft bekommen, weil sie „ein Recht dazu haben“. Das Gegenteil davon sind „Leistungssoziale“, die immer als erstes die Verpflichtung fühlen, etwas für die Gemeinschaft zu tun. Schau Dich um in Deiner Gegend und in der Politik: Du wirst sie erkennen! Seit den 68ern haben die Anspruchssozialen dabei deutlich die Oberhand gewonnen.

[2] Der Name Lucy wurde in einem langen Namensfindungsprozess aus ihren Eigenschaften entwickelt. Aus Lucky Lucifer. Wäre Lucy ein Cocker-Rüde, hätte Neschle ihn natürlich Joe genannt.

[3] Der ist Teilen der heutigen Jugend so unbekannt, dass die auf einen der Marx-Brothers tippen oder Karl Marx mit Camargue für einen Landstrich in Südfrankreich halten: Letzten Sommer war ich in der Karlmarx.

[4] Mit einer solchen Redeweise hat Neschle keinen Vertrag. Von vertraglichen Beziehungen gibt es hier allenfalls Spuren, etwa wenn der Vater seinen Kindern eine Unternehmung überschreibt und dafür weiterhin Nießbraucher oder Nutznießer der Erträge ist. Gewöhnlich liegt aber ebenso wenig ein Vertrag vor, wie eine Vereinbarung bei den sogenannten Leistungsvereinbarungen in Unternehmungen und neuerdings auch in Universitäten. Bei diesen Sollvorgaben für Abteilungen oder Bereiche der Unternehmungen sucht man trotz des Namens eine Vereinbarung vergebens. Mit freiwilligen Vereinbarungen in Marktverträgen hat das nicht einmal entfernt etwas zu tun. Eine solche beschönigende Sprechweise desensibilisiert gegen die Fakten, wie bei Entsorgungspark oder Begrüßungszentrum.

[5] In den USA hat sich der Geburtenüberhang in sozielen Brennpunkten als wesentlicher Faktor der Kriminalitätsförderderung erwiesen, wie Levitt/Dubner in Freakonomics (Kapitel 4) schildern. Hier dürften die steuerlichen Bedingungen in Deutschland ähnliche Wirkungen haben wie das Abtreibungsverbot in den USA. Soziale Brennpunkte sind übrigens da, wo Haupt- oder Sonderschullehrer Kinder unterrichten, mit denen sie früher nie spielen durften.

[6] Das ist in der Regel sinnreicher, als solche Menschen in überfüllten Universitäten hobbystudieren zu lassen.

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