Leon Neschle 55 (11. Woche 2009)

Schon wieder eine Vertreibung?

Ich habe mich nie meiner polnischen Wurzeln geschämt. Jetzt ja! (Neschle)

Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen(BdV), Erika Steinbach, ist zurückgetreten von ihrer Mitgliedschaft im Stiftungsrat des „Zentrums gegen Vertreibungen“. Aber sie hat nicht zurückgetreten. Zum Glück! Dass die Erika nach der Hetzkampagne aus Polen nicht zurückgetreten hat, sollte (die) Polen zum Nachdenken bringen. Zum Vordenken sind polnische Politiker und Presse nämlich nicht gekommen:

Weder Wort- und Bildwahl noch Tonlage der Kommentare waren einer Kulturnation würdig. Kein entehrendes Klischee über die „blonde Bestie“ wurde ausgelassen, auch nicht das der SS-Domina, die lächelnd auf dem deutschen Kanzler reitet:

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Das war (2003) nicht nur eine Diffamierung von Frau Steinbach (und Gerhard Schröder), sondern ist auch noch heute eine völlige Überschätzung des („möglicherweise bösartigen“) Einflusses von Frau Steinbach auf die deutsche Politik.

Frau Steinbach zeigt sich mittlerweile verletzt von der endlosen Folge polnischer Diffamierungen, die, obwohl voll daneben, nach ihrem Rücktritt noch nicht vorbei sind. Wladyslaw Bartoszewski, polnischer Deutschlandbeauftragter, meinte noch im Nachtrag sagen zu müssen, Steinbach eigne sich für Verhandlungen mit Polen wie ein entschlossener Antisemit für Verhandlungen mit Jerusalem. Dagegen nehmen sich die Äußerungen von Frau Steinbach richtig harmlos aus: „Ich streue Zucker auf das Brot, und dann sagen sie: Das ist aber Salz.“ Die Polen sollten sich langsam beruhigen und nicht bestimmen wollen, „wie wir unserer Opfer gedenken“.

A. „Was uns fremde Übermacht nahm, werden wir uns mit dem Säbel zurückholen!“

Der Satz in der Überschrift stammt nicht etwa von Erika Steinbach. Oder von Leuten, die „Mitteldeutschland“ in bestimmtem Sinne wörtlich nehmen. Oder von solchen, die anders als Frau Steinbach die ehemals Ostgebiete zurückhaben und Deutschland wieder einverleiben wollen. Die Polen selbst (!) singen diesen Satz gleich in der zweiten Zeile ihrer Nationalhymne und bezeugen so ihre Unversöhnlichkeit mit allen, die ihnen etwas weggenommen haben. Was die räumlichen Verhältnisse angeht, waren das nach dem zweiten Weltkrieg allerdings eher Russen als Deutsche.

Befürchten gerade (die) Polen die von ihnen selbst sanglich angekündigte Politik des Säbelrasselns von Frau Steinbach? Man überträgt ja gern das eigene Denken auf andere, weil einem die eigenen Vorstellungen vertraut sind! Oder ist da mehr dran:

Vor 18 (AH[1]!) Jahren hat Erika Steinbach sich gegen die endgültige Anerkennung der Oder-Neiße-Linie gewandt. Aus ihrem Mund erhielte da auch die erste Zeile der polnischen Nationalhymne „Noch ist Polen nicht verloren“ eine bedrohliche Bedeutung für die Polen, obwohl die sich ihrerseits damit trösten. Später hat sie mit der Blockade des polnischen EU-Beitritts „gedroht“. Selbst wenn beides aus meiner Sicht nicht richtig und auch nicht richtig klug war, rechtfertigt das nicht solch bösartige Unterstellungen wie die einer SS-Domina, welche die heutige deutsche Politik fest im Schenkeldruck hat.

Frau Steinbach räumt ein: „Die Polen waren das gebeutelteste Volk unter Hitler. Hinterher mussten viele Polen aus dem ostpolnischen Bereich ihre Heimat verlassen, ….“ Das ist in beiden Fällen richtig beobachtet. Dennoch kennt fast in Polen jeder sie als die Intim-Feindin der Polen, der augenscheinlich ein riesiges Machtpotential zugeschrieben wird. Anders lässt sich kaum die gigantische Aufmerksamkeit für eine Politikerin erklären, die hierzulande den meisten unbekannt ist.

In Polen dagegen ist Erika Steinbach eine der bekanntesten und zugleich verkanntesten Deutschen. Sie wird in einem Atemzug mit dem nicht verkannten Hitler genannt: „Sie kam mit Hitler (ihr Vater war Soldat) und ging mit Hitler“. Ihr werden unglaubliche Kräfte bei der negativen Beeinflussung der deutschen Politik gegenüber Polen unterstellt, die sie nicht einmal annähernd hat.

Polnische Politiker und polnische Presse können sich jedoch mit einer solchen Fehleinschätzung nicht hinter Nichtwissen verstecken! Das ist mittlerweile reine Hetzjagd und reiner Herdentrieb (Leon Neschle 54), der in einer wilden Stampede alles zu zertreten sucht, was schon an deutsch-polnischen Beziehungen aufgebaut wurde. Eine solche Stampede dreht sich beständig im Kreis. Da geht nichts mehr durchs Hirn, sondern alles durch Bauch und durchs Herz. Passend dazu folgt die polnische Argumentation zur Vertreibung der Deutschen einem Kreislauf:

§ 1: Die Deutschen sind durch Hitler immer im Unrecht!

§ 2: Sollten die Deutschen im Recht sein, tritt § 1 in Kraft!

So verweilt man nie lange bei der Frage, wo Deutsche einmal im Recht (gewesen) sein könnten. Der AH-Effekt macht’s möglich: Denkst Du an Deutsche, denke nur an den Beutedeutschen Adolf Hitler, dessen krankes Regime und dessen Untaten!

B. „Der hat angefangen!“ und die harte Bestrafung von Revanchefouls

Mich erinnert die polnische Haltung an meine Kindheit als blondgelockter(!) Raufbold. Ganz egal, was ich selbst dem anderen angetan hatte, ich kannte nur eine Antwort: „Der hat angefangen!“ Damit beantwortete ich jede Schuldzuweisung an mich und damit klärte und erklärte sich für mich die gesamte Schuldfrage. Merkwürdigerweise aber nicht für die anderen. Denen war es nicht egal, dass ich hart und unfair zurückgeschlagen hatte.

Das stellte ich besonders beim Fußball fest. Ich selbst wurde schon für ein kleines Revanchefoul vom Platz gestellt und nicht derjenige, der mir den ersten harten Tritt versetzte. Dahinter sah ich fast die fast biblische Anforderung: „Tritt Dir einer auf die eine Wade, halte ihm die andere Wade hin!“

Solch biblische Haltung fordert heute niemand von (den) Polen. Bis auf ein paar Verrückte, denkt auch niemand hierzulande daran, die ehemals deutschen Ost- und heutigen polnischen West-Gebiete wieder Deutschland einzuverleiben. Wo will man da anfangen, wo aufhören? Die Russen dürfte man dabei nicht vergessen und (die) Polen führen ihrerseits an, dass diese Gebiete irgendwann schon vorher einmal „polnisch“ waren. Nur die Dummen auf allen Seiten haben da keine Zweifel, nur die Engstirnigen keine Skrupel! Die wollen sich, wie in der polnischen Nationalhymne, am liebsten alles mit dem Säbel zurückholen. – Doch für wen und für was?

Mir reicht es, wenn ich die ehemals (auch) deutschen Stätten mit Respekt besuchen darf. In Passau verstehe ich die Leute doch ebenfalls nicht und vergesse, dass ich in Deutschland bin. Welchen Vorteil sollte ich davon haben, dass etwas zu Deutschland gehört? Man muss irgendwann einen Schlusspunkt setzen: Die Leute, die jetzt(!!!) dort leben, sollten das entscheiden, wie die Saarländer nach dem Krieg. Ich stelle mir vor, Hitler-Deutschland hätte den Krieg gewonnen! Nicht auszudenken, wie groß Deutschland wäre! Mein Vater hätte jedoch zeitlebens eine Grenze hinter dem Ural bewacht. Für den Preis, dass etwas zu Deutschland gehört??? Was hätte er und was hätten wir denn davon? –

Unterhalb der Ebene von Politik und Presse tut sich rund um die deutschen Kulturgüter Erstaunliches in Polen. Ich selbst war da. In Schlesien! Nach der Bilderstürmerei der Nachkriegszeit, in der viele Zeugnisse deutscher Kultur zum Teil gnadenlos beseitigt wurden, sieht man sie nun überall wiedererstehen. Mit den alten deutschen Inschriften. Und sie werden wieder gepflegt! Respekt! Auch wenn manche unwiederbringlich zerstörte Denkmäler nie zurückkehren werden, am Ring in Breslau[2] und anderswo. Denn an ihrer Stelle stehen nun neue da. In Breslau erinnert z.B. das Denkmal eines polnischen Dichter aus Ostpolen an die ehemalige Heimat der neuen Bewohner von Breslau. Letztlich ist das auch ein Mahnmal der Vertreibung! Dieser Polen hier in Breslau durch Russen.

Doch es gibt gerade in Schlesien viele Zeichen der Rückbesinnung auf eine Kultur, die dieses Land einst geprägt hat. Und sogar so etwas wie eine stolze Identifikation damit. Pflegen Polen so einst fremdes deutsches Kulturgut nach all ihren eigenen Schmerzen, darf die offenbar schwer unterbelichtete Presse auch mal rumpöbeln! – § 2 (siehe oben) hat im Geist und im Herzen von vielen Polen längst seinen Platz, ohne dass immer auf § 1 verwiesen wird.

Den Verweis auf § 1 brauchen wir auch von (den) Polen nicht mehr! § 1 ist auch für mich gesetzt! Kein Volk der Erde kennt § 1 besser als wir selbst. Kein Volk weiß besser, dass es dazu stehen muss, wenn es großen Mist gebaut hat, selbst wenn der einzelne nicht daran beteiligt war. Da benötigen wir weniger Nachhilfe als Österreicher, die sich den Haider-Rabatt nehmen (Leon Neschle 17). Offenbar sogar weniger Nachhilfe als Polens Presse und Politiker. – Nur gut dass es auch andere Polen gibt!

C. Vertreibung einer „Scheinvertriebenen“ durch polnische Politiker und Presse

(Die) Polen werfen Erika Steinbach auch vor, sie maße sich an, für die Vertriebenen zu sprechen. Sie sei selbst nur eine Scheinvertriebene, weil sie erst mit ihrem Vater nach Polen kam. Und der war Soldat.

Liebe Polen! Was ist denn das für ein Argument? Ich kann mich doch für die Rechte von Kindern einsetzen, ohne selbst noch ein Kind zu sein. Oder für die von Afrikanern., ohne selbst einer zu sein. Dadurch werde ich doch nicht zum „Scheinkind“ oder zum „Scheinschwarzen“! Und spreche ich mich für Tierschutz aus, werde ich erst recht nicht zum „Scheintier“. Eure ganze Abneigung offenbar ist nur noch gegen die Person gerichtet. Ihr achtet weder darauf, was sie sagt noch wie sie es tut. Noch darauf, was ihr selbst tut.

Bedenkt man es genauer, ist Erika Steinbach nämlich in einem Sinne nun keine Scheinvertriebene mehr. Sie ist tatsächlich vertrieben worden aus dem Stiftungsrat des „Zentrums gegen Vertreibungen“. Vertrieben von der polnischen Presse und Politik, die partout nicht an die Vertreibung der Deutschen aus den polnischen (man achte drauf!) Westgebieten erinnert werden wollen. Und wir lassen heute noch solche „Vertreibungen“ zu? In Deutschland? Durch Polen?

Ganz so will sich Frau Steinbach dann doch nicht vertreiben lassen. Ihre Position im Stiftungsrat bleibt demonstrativ frei. Sie will sich die Option offen halten: „Drei Wochen, drei Monate, drei Jahre – je nachdem. Das ist ein wunderbares Damoklesschwert“.

Solange bis polnische Politiker und polnische Presse Vernunft angenommen haben? So lange wird niemand warten können! Solange bis sich bei uns die Ansicht durchgesetzt hat, dass nicht Polen, sondern Deutsche darüber entscheiden, wie sie ihrer Opfer gedenken? Ja, solange! Denn auch die Polen selbst entscheiden souverän, wie sie ihrer Opfer gedenken. Und die polnischen Opfer des Hitlerschen Unwesen machen (den) Deutschen schließlich seit langem ein schlechtes Gewissen! Warum verweigern sich die Polen nur so hartnäckig ihrem eigenen schlechten Gewissen?

Frau Steinbach will auch weiter Spenden sammeln für das „Zentrum gegen Vertreibungen“ ihres Verbands und es nicht in die Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ einbringen. Zusätzlich zum BdV-Projekt halte sie es für erforderlich, dass der Staat „diese Teile deutscher Geschichte und Schicksale dauerhaft ins Bewusstsein der eigenen Nation“ einpflanzt.

Die nationalsozialistische Expansions- und Vernichtungspolitik soll in jedem Fall als Ursache der Vertreibung der Deutschen dargestellt werden. (Die) Polen aber befürchten, dass nur die Deutschen dort nur als Opfer von Vertreibung dargestellt werden, obwohl sie den Krieg als Täter begonnen haben.

Vielleicht wäre es daher besser, wir hätten nur ein einziges Zentrum gegen alle Vertreibungen. Dann jedoch haben wir wohl alle Völker gegen uns, nicht nur die Polen! – Welche Hysterie löst eine solche Erinnerung etwa in der Türkei aus!

Vertreibungen von Völkern beginnen vor der Vertreibung der Juden aus Ägypten und werden nicht mit den Vertreibungen in Jugoslawien beendet sein. Auch die Vertreibung der Polen aus ihren Ostgebieten wäre in einem „Zentrum gegen jegliche Völkervertreibung“ vertreten. Glaubt man ihrer Nationalhymne, dürften (die) Polen da ihrerseits nicht zimperlich sein. Wir erinnern uns: „Noch ist Polen nicht verloren, solange wir leben. Was uns fremde Übermacht nahm, werden wir uns mit dem Säbel zurückholen.“ Dagegen ist jede Aussage von Frau Steinbach ein absolutes Friedensangebot, selbst soweit sie (sicher ohne Wirkung!) Entschädigung für die deutschen Vertreibungs-Opfer (Ja, dazu stehe ich!) einfordert.

Von Mutter hab ich polnisch Blut[3]

und finde es daher nicht gut,

wenn jemand mit demselben Saft

nicht einmal nachzudenken schafft.

Und in mir selbst da ist vereint,

was Polen nicht zu passen scheint.

(Man achte auf den „feinen“ Doppelsinn!)

Und Polen drohen unverhohlen,

zurückzuholen was gestohlen.

Mit Säbel oder mit dem Schwert[4],

doch wehe, wenn dann umgekehrt

ein anderer einen Anspruch macht,

der wird verspottet und verlacht.

Und wenn die Presse ständig hetzt

und wütend ihre Messer wetzt,

kann’s selbst der kleine Mann nicht lassen,

das Presseopfer auch zu hassen,

wobei die eigene Vernunft

reiskörnchengroß zusammenschrumpft.

Verleumderisches wird geschrieben,

Erika aus dem Amt vertrieben.

Polnische Hetzjagd, die spricht Hohn,

dem Titel als Kulturnation.

Und damit wird zu guter Letzt

Frau Steinbachs Einfluss überschätzt.

Die Messe, die ist längst gelesen,

doch Deutschland ist es einst gewesen.

In Schlesien[5] man kann’s es noch beäugen,

davon sehr viele Bauten zeugen.

Einfache Polen längst bekennen,

wo sich Politiker verrennen.


[1]: Zwischen 18 und den Initialen Hitlers (AH) stellen manche eine Verbindung her, weil A und H der erste und der achte Buchstabe im Alphabet sind. Der FDP versuchte man etwa bei ihrer Kampagne um 18 Prozent Wählerstimmen einen nationalistischen Ruck zu unterstellen.

[2] Sollte sich ein Pole über „Breslau“ erregen, wie das zuweilen vorkommt, kann ich nur sagen. Liebe Polen: Ihr dürft zu dieser Stadt sagen, was ihr wollt. Ich sage „Breslau“. Denn ich kenne genügend Angelsachsen, die sagen „Cologne“ statt „Köln“, und Italiener, die sagen „Monaco“ statt „München“ und die mit „Franco-Forte“ witzeln über den italienischen Namen von Frankfurt. Selbst die Niederländer regen sich nicht auf, wenn ich „Nimwegen“ statt „Nijmegen“ sage oder „Arnheim“ statt „Arnhem“. Niemand nimmt dabei an, dass mit der eigenen Bezeichnung auch ein gebietsrechtlicher Anspruch erhoben wird. Nun seid doch mal so gelassen, wie ansonsten alle Welt.

[3] Meine Großeltern mütterlicherseits sind dereinst aus der Gegend von Thorn, der Heimatstadt von Kopernikus, ins Ruhgebiet eingewandert. Aus den Erzählungen meiner Verwandten weiß ich, dass sie sich schon in Thorn trotz des Nachnamens „Sadowski“ stets als Deutsche fühlten. Doch ein Teil ihrer Vettern und Nichten betrachteten sich als Polen. – Was ist da eigentlich ein Pole oder ein Deutscher? Und was ein Amerikaner, der deutsche, polnische oder irische Wurzeln hat?

[4] In der alten Fassung der Nationalhymne hieß es ausdrücklich: „Der Deutsche und der Moskauer werden sich nicht ansiedeln, denn wir nehmen unseren Palasch (säbelartiges Schwert), unsere Devise ist der Einklang sowie unser Vaterland.“ Oder auf polnisch: „Niemiec, Moskal nieosiędzie, gdy iąwszy pałasza, hasłem wszystkich zgoda będzie jak ojczyzna nasza.“

[5] Die Familie meiner Frau wurde aus Glatz in Schlesien vertrieben. Das meiste Unrecht wurde ihr dabei nicht von Polen, sondern von Russen zugefügt. Die machten Platz für ihre Okkupation des polnischen Ostens. Wir vergessen das nicht, aber haben es längst vergeben und uns mit den Folgen abgefunden.

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