Leon Neschle 11 (18. Woche 2007)

Was kann man an einer Universität für das Management lernen?

How is it that little children are so intelligent and men so stupid? It must be education that does it. (Alexandre Dumas)

Natürlich hat Leon Neschle nicht das Evangelium. Hätte er es, würde er Anbietern einzigartiger Bildungs-Events (Neschle 2 – 9. Woche 2007) nicht den Kopf waschen, sondern die Füße[1]. Wo es um Ausbildung von Managern geht, hat die akademische Betriebswirtschaftslehre sicherlich Lücken und Schwächen. Doch man sollte nicht übertreiben. Sie kann und konnte nicht heute schon Medizin für Krankheiten erfinden, die es noch nicht gibt[2].

Aber es stellt sich die grundlegende Frage: Kann man Management überhaupt lehren? Hier gehen die Auffassungen von „gar nicht“ bis „ganz exakt“. Schauen wir die Sache näher an!

A. Management: Magie, Kunst, Politik oder Wissenschaft?

Ist gutes Management nicht wie Magie, die einen zufällig anfliegt? Manche glauben das und sehen die Sache in etwa so:

Niemand weiß, wie große Unternehmungen funktionieren. Erfolgreiche Manager wie der legendäre Lee Iacocca verstehen das. Sie merken, dass mit Rationalität wenig zu bewirken ist. Führen muss man mit seinem magischen Einfluss auf andere. Basis dafür ist das Charisma, also fehlende Sachkenntnis und die Fähigkeit, bei unbekanntem Ziel als erster dort zu sein. Erfolgreiche Manager erfahren ihr Charisma indirekt: durch Wirkung auf andere. Deshalb kann man Management und Führung nicht lernen oder lehren. Man muss geboren sein, andere zu managen und sie zu Höchstleistungen zu motivieren.

Auf der Grundlage des persönlichen Charismas werden dann mit Zauberformeln und Ritualen zauberhafte Wirkungen erzeugt. Modeströmungen und Trends im Management unterstützen dabei: Lean Management, Total Quality Management, Corporate Identity etc. Sie halten die aktuellen Zauberformeln bereit. Diese Strömungen haben mehr oder minder lange Lebenszyklen: Letztlich ist es „heiße Luft“, die zu den Managementeffekten führt. Schließlich weiß jedes Schulkind: Heiße Luft bringt nach oben!

Heiße Luft, gut verpackt, kann sicher hilfreich sein. Kurzfristig zumindest. Doch heiße Luft kühlt schnell ab, spätestens wenn die Ergebnisse nicht mehr stimmen. Sie kann Sinnstiftung auf Dauer nicht ersetzen. Mit reinem Charisma geht es nicht, erst recht nicht, wenn man das fehlende eigene durch das gekaufter Seminarredner ersetzt.

Gutes Management ist daher mehr als reine Magie. Vielleicht sind erfolgreiche Manager eher so etwas wie Künstler[3]. Ohne ihr angeborenes Talent und ihre Persönlichkeit könnten sie erfolgreiches Management nicht erlernen und hätten keinen Erfolg. Dennoch brauchen sie Wissen und Erfahrung.

Wissenschaftliche Ausbildung kann helfen, das eigene Talent zu entdecken, den eigenen Stil zu finden und die eigene Kunstfertigkeit zu entwickeln. Talent schaffen kann sie hingegen nicht. Genie liegt in den Genen. Das macht auch den Weg frei für Autodidakten, die durchaus erfolgreicher agieren können als ihre Kollegen von der „Kunsthochschule“ des Managements. Doch Talent allein genügt nicht. Es muss auch in die Tat umgesetzt werden. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

Dies lenkt den Blick auf politische Aspekte des Managements. Ein erfolgreicher Manager muss die ungeschriebenen Gesetze und Machtkonstellationen im Dschungel der Unternehmung kennen. Er muss männliche Machtpolitik (Politics) beherrschen und weibliches Verhandlungsgeschick und Diplomatie (Policy) besitzen: Wahre Diplomaten sprechen auch offen aus, was sie gar nicht denken.

Wissenschaftliche Ausbildung kann dabei helfen, Alternativen zu sehen und zu formulieren, Methoden zu beherrschen und ein Gespür für gangbare Wege zu entwickeln. Das heißt auch: die Interessen der Mächtigen zu artikulieren. Dabei muss man klug genug sein, das Spiel zu verstehen, und dumm genug, es für wichtig zu halten und sich nicht mit Vorbehalten ein Bein zu stellen. Wissenschaft spielt dabei auch die Karte des Opportunisten, der bei den Mächtigen wie ein Zäpfchen ein- und ausgeht. Jedes gute Mittel kann halt in schlechte Hände geraten.

Fredrik Winslow Taylor hat den wissenschaftlichen Anspruch des Managements noch höher gesetzt. Folgt man seiner Wissenschaftlichen Betriebsführung beruht der Erfolg eines Managers allein auf seinem hervorragenden Fach- und Sachwissen. Das ist ohne besonderes Talent nur mit Fleiß und einer Intelligenz erlernbar. Dabei kommt es auf exakte Methoden und Techniken und ihre genaue, vollständige Umsetzung an. Die Wissenschaft bietet unmittelbar umsetzbare Optimallösungen.

Diese Auffassung steht dem Lernen in und von der Praxis freilich im Weg. Wenn Manager vor diesem geistigen Hintergrund Optimallösungen installieren, bleibt kein Platz für Verbesserungen. Ein betriebliches Vorschlagwesen oder die Philosophie der lernenden Organisation wären abwegig. Managemententscheidungen sind nachträglich nicht weiter optimierbar. Sie sind wie Konstruktionsentscheidungen eines göttlichen Ingenieurs.

Eine solch mechanistische Auffassung ist fragwürdig in Bezug auf das Funktionieren menschlicher Organisationen. Sie verhindert jede Weiterentwicklung, die nicht aus der Wissenschaft und von oben angestoßen wird. Sie übertreibt die Erlernbarkeit von Management durch wissenschaftliche Ausbildung so, wie die Vorstellung vom Management als Magie sie untertreibt.

Wirkliches Management hat etwas von allem. Das erst ergibt die ausgewogene Diät des Geistes. Kurzfristig können Charisma und die Magie der Symbole und Rituale wirken. Nachhaltig wirkt nur, was sich in die Einsstellung der Mitarbeiter einprägt. Der gestalterische, innovative Aspekt des Managements kommt im Manager als Künstler zum Ausdruck. Aber der Manager ist auch (Macht-)Politiker und Diplomat. Und er ist in gewissem Ausmaß auch Echt-Zeit Wissenschaftler und Feldexperimentator. Er wendet systematische Erkenntnisse an und systematisiert seine Erfahrungen.

B. Was sie Dir nicht beibringen an Deiner Universität.

Das Schwergewicht einer wissenschaftlichen Ausbildung liegt in der Vermittlung von systematisierter Methodenkenntnis. Methoden sind einfach und exakt zu lehren. Aber sie werden nur selten Teil unserer selbst. Erweisen sie sich als unbrauchbar, werden sie durch neue, erfolgreichere Methoden ersetzt.

Bis zu einem gewissen Grad kann Wissenschaft auch Organisationsverständnis vermitteln. Das geht schon schwerer und langsamer in die Köpfe und ist weniger exakt zu lehren.

Die Schwierigkeiten wissenschaftlicher Ausbildung liegen in der Beeinflussung von Verhalten und Einstellung. Hier ist mit plattem Wissen kein Blumentopf zu gewinnen. Unterschwellige zum Teil sogar emotionale Ansprache wird notwendig. Gelingt es, Einstellungen zu beeinflussen, so ist die Wirkung tiefer verwurzelt und dauerhafter in den Köpfen verankert. Der Lehrende muss dazu mehr tun als eine Oberfläche neuen Methodenwissens aufzutünchen. Er muss den Lernenden zu einer eigenständigen Kernsanierung seiner Einstellung ermutigen.

Gerade hierzu benötigt man die persönliche Beziehung. Die Massenuniversität ist dazu nicht geeignet. Die Beziehungen zu den Studierenden sind zu unpersönlich. Selbst mündliche Prüfungen sind dort weitgehend abgeschafft. Doch es wäre auch bei engeren Beziehungen nicht möglich, alles zu lehren, was man für erfolgreiches Management benötigt.

Den konkreten Umgang mit Einzelfällen, die erst später zur Herausforderung im Management werden, kann niemand im Vorhinein lehren. Das zu fordern, wäre abwegig. Der Amerikaner Mark H. McCormack hat zwei erfolgreiche Bücher darüber geschrieben: What they don’t teach you at Harvard Business School und What they still don’t teach you at Harvard Business School. Im ersten Buch auf S. 25 hat er dieses Phänomen dargestellt: Ego makes the difference – the difference between theory and practice, between wishful thinking and real life, between the way things work and the way you would like them to work, between what they can teach you at Harvard Business School an what they can’t. In a company of 2.500 people there are 2.500 egos runnning around, each with his or her unique view of reality.

Von der Blässe des Gedankens they don’t teach you what they can’t teach you ist man ziemlich angekränkelt. Die Erkenntnis, dass jede Person und Situation in irgendeiner Art einzigartig ist und wissenschaftlicher Antizipation dadurch Grenzen gesetzt sind, ist so prickelnd nicht. Die Weise, wie McCormack hier Abhilfe schaffen will, erinnert fatal an amerikanische Juristerei. McCormack verwendet Präzedenzfälle, die er aus nicht erfindlichen und nicht nachvollziehbaren Gründen für bezeichnend hält und in anekdotischer Form vorträgt. Daraus soll der Leser lernen, seine eigenen Probleme zu beherrschen. Das ist auch der Stil der Managementredner, die eine wilde Ansammlung anschaulicher Anekdoten systematischen Analysen in der europäischen Tradition vorziehen.

McCormack entblödet sich dabei nicht, seine Aussagen zur Einzigartigkeit jedes Einzelfalls mit allgemeinen Lehrsätzen zu flankieren, von denen er ebenfalls glaubt, dass sie in Harvard nicht gelehrt werden. Hier nur zwei aus dem ersten Buch (S. 245). Die meint McCormack ernst, weil er glaubt, mit diesen Handlungsmaximen reich geworden zu sein[4]:

  1. Don’t have partners!
  2. Don’t take equity!

Die anderen Maximen sind nicht besser. Da ist man sogar froh, dass diese Grundsätze nicht in Harvard gelehrt werden. Würden sich Unternehmer daran halten, wären die meisten Unternehmungen nie gegründet worden und bestehende längst vor die Hunde gegangen. Da wird aus dem vorwurfsvollen what they don’t teach you ein beruhigendes they don’t teach you what they shouldn’t teach you.

Die anklagenden Bücher von McCormack an die Adresse Harvards und aller Hochschulen dieser Welt machen einen sogar stolz auf die Qualität der akademischen Betriebswirtschaftslehre. Sie geben Selbstbewusstsein. Schon aus diesem Grund sollten sie Pflichtlektüre jedes Hochschullehrers werden. Über McCormack erhebt sich nicht nur die deutsche Betriebswirtschaftslehre meilenweit. McCormack mag wirtschaftlich erfolgreich gewesen sein. In einer Marktwirtschaft kann Erfolg jedoch auf reinem Glück beruhen. Davon muss er jede Menge gehabt haben.

Bedenklich ist nur, dass es dieser Unsinn gleich zweimal ganz nach vorn auf die Bestsellerliste gebracht hat. Es scheint ein Bedürfnis im amerikanischen Management zu geben, sich für dumm verkaufen zu lassen. Doch in Treue fest, den Blick nach West und nur nicht selber denken, eifert das deutsche Publikum dem nach. Und weil wir Deutschen gern und alles übertreiben, werden wir die Amerikaner bald überholt haben. Doch erst, wenn die am Abgrund stehen.

An einer Stelle muss sich die Betriebswirtschaftslehre, so leid ich mir tue, in die eigene Nase fassen. Nicht beim systematischen Unterricht, der mit Strukturmerkmalen praktischer Entscheidungssituationen vertraut macht. Hier liegen deutsche Stärken. Doch der Anwendungsbezug über Fallstudien (Case-Studies) hat in Deutschland erst jüngst ausreichendes Gewicht bekommen. So kann es gelingen, theoretisches Wissen an Beispielsfällen anzuwenden, Orientierung mit Hilfe von Theorien zu erlernen.

Studierende müssen hier Eigeninitiative entwickeln, sich als Unternehmer ihrer Arbeitskraft verstehen. Das Lesen und Verstehen wissenschaftlicher Orientierungshilfen genügt nicht (Economists do it with models!). Man muss sich damit im Gelände des Managements bewegen können. Das erbringt die Fallstudie oder wie man heute sagt: die Case-Study schon für den Einzelnen.

Arbeiten in Arbeitsgruppen, Meetings und Workshops ist in der Praxis gewöhnlich angesagt, wenn beim einzelnen Manager die Lust sinkt, etwas Sinnvolles zu tun. Da dies nicht selten der Fall ist, wäre es wünschenswert, gehörte derartiges Arbeiten zur Ausbildungsgarnitur der Studenten. Wie man Wissen in einem Team vernetzt, lässt sich jedoch nur bedingt lehren. Teamfähigkeit ist aber sicher eine wichtige Anforderung für praktisches Handeln.

Das (sozial-) psychische Defizit in dieser Fähigkeit nimmt zu in der Ära von Einkind-Familie und Scheidungs-Boom. Über mehrere Jahre zusammen in Projektgruppen arbeiten, dabei Konflikte erfolgreich handhaben und für positive Synergien nutzen, wird schwieriger. Es ist gleichwohl in der Unternehmenspraxis häufiger gefordert.

Durch praxisnahe Situationen in Fallstudien (Case Studies), die von Teams zu bearbeiten sind, kann man Studierenden Anstöße geben, Teamfähigkeit bei sich selbst herzustellen und einzuüben. Letztlich prüfen und kontrollieren die Teammitglieder sich selbst. Der Lehrende kann sich bei der gemeinsamen Präsentation der Ergebnisse ein Bild von der Teamarbeit und vom einheitlichen Auftritt des Teams machen. Ein Tagebuch (Diary), das parallel zur Teamarbeit erstellt wird und den Gruppenprozess schildert, kann wichtige Anhaltspunkte über das Making-of liefern. Friktionen im Gruppenprozess, mangelnde Koordination der Gruppenmitglieder werden darin und in ihrer Wirkung auf das Ergebnis deutlich.

C. Tradition, Blauäugigkeit und Ängstlichkeit: Lücken in der BWL.

Es gibt Dinge, die eine akademische Betriebswirtschaftslehre durchaus lehren könnte, aber nicht lehrt:

– weil Tradition zu einer anderen Schwerpunktsetzung geführt hat,

– weil Fragestellungen nicht erlaubt oder mit einem Verdikt versehen sind und

– weil die Verfasser der Aufnahme neuen Lehrstoffs zögerlich gegenüberstehen und noch abwarten, ob sich die Ideen längerfristig durchsetzen.

Nach wie vor konzentrieren sich die Lehrbücher der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre auf die moderat wachsende große Industrieunternehmung in der Rechtsform der Aktiengesellschaft und in der Cash Cow-Phase ihrer Unternehmensentwicklung. Das ist durchaus verständlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg war dort das „Hauptabsatzgebiet“ für die Absolventen der Hochschulen. Schierenbeck begründete das so:

„Dort, wo der Bezug auf bestimmte Betriebstypen sachlich notwendig ist, wird vom Modell der größeren Industrieunternehmung ausgegangen. Diese Sichtweise hat sich nicht nur didaktisch bewährt, es darf auch nicht vergessen werden, dass das Wesen der modernen Wirtschaft entscheidend durch die Industrie und ihre Unternehmungen geprägt wird.“

Nun mag man darüber streiten, ob heute nicht längst die Dienstleistungsunternehmungen der Industrie den Rang abgelaufen haben, auch was die Aufnahme von Absolventen angeht. Außerdem nehmen längst kleinere Unternehmungen viele Absolventen ab. Horizontale Karrieren[5], die Wechsel in derselben Hierarchieebene zu aussichtsreicheren Klein-Unternehmungen, sind vor allem seit der Entwicklung des Neuen Marktes attraktiv geworden. Trotz heutiger Rückschläge gilt nicht mehr allein der vertikale Aufstieg in der industriellen Groß-Unternehmung als die Karriere.

Es gibt nicht nur gutgehende Unternehmungen mit langer Unternehmensgeschichte wie in den meisten Lehrbüchern. Kleine und schnell wachsende Unternehmungen haben zum großen Teil andere Probleme als große Industrieunternehmungen. Start-up, Verlust, Sanierung und Turn-around verlangen die Hilfestellung von Betriebswirten. Hier weist deren Ausbildung jedoch beträchtliche Lücken auf.

Es ist fatal, die Wiedererweckung scheintoter Unternehmungen nach der neuen Insolvenzordnung in die Hände von Juristen zu legen, die lieber Beerdigungsunternehmer spielen als Notarzt. Doch Betriebswirte haben sich auf diesem Markt bislang nicht recht bewiesen. Ursache dafür sind auch die fehlenden Ausbildungsschwerpunkte in diesen Fragen. Hier ist der Unternehmensfocus einfach zu eng.

Die betriebswirtschaftliche Ausbildung weist zudem auffällige Verzerrungen auf:

Die Stoffauswahl zeigt einen Home Bias, eine Verschiebung hin zu deutschen Themen, die weltweit zum Teil nicht oder nicht so thematisiert werden, etwa weil dort andere Rahmenbedingungen herrschen. Die Betriebswirtschaftliche Steuerlehre ist ein Musterbeispiel dafür, zumal Steuerfragen hierzulande einer Regulierungsmanie und vor allem behördlicherseits einer Streitsucht unterliegen, die nirgendwo in der Welt auch nur annähernd ihresgleichen kennt.

Es dominiert die Betrachtung aus Anteilseignersicht, in der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre auch die Managementsicht. Man geht in der Regel von einem Unternehmensziel aus, als sei es selbstverständlich, dass Kollektive gemeinsame Interessen und Ziele haben. Die individuellen Ziele der Stakeholder und ihre Spannungen bleiben meist ausgespart. Jüngst wurde das Problem allerdings intensiv abgehandelt: im Sammel- und Modethema Corporate Governance.

Wissenschaftliche Erklärungsansätze haben meist einen intellektuellen Schwerpunkt, versagen jedoch bei emotionalen Beziehungen. Marketing-Lehrbücher begründen den persönlichen Verkauf häufig über die Erklärungsbedürftigkeit der Leistungen. So versteht man freilich den Erlebniskauf nicht: Die Barfrau muss mir mein Bier nicht erklären, wenn ich in ihren tiefen Ausschnitt schauen darf. Diese Schau erklärt den hohen Bierpreis an und in der Bar schon eher.

Moralische Aspekte und ethische Fragen werden selten angesprochen, rechtsverletzende Alternativen fast nie diskutiert, selbst dort nicht, wo sie ein Problem von gesellschaftlicher Dimension sind. Bestechung als Maßnahme der Verkaufsförderung erscheint im Marketing ebenso selten wie Steuerhinterziehung in der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre. Das verhindert die Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen. Ignorieren macht dumm und blind für die Wirklichkeit. Auch hier!

Das vorläufige Auslassen aktueller Entwicklungen erklärt sich aus den Sicherheitsüberlegungen der Autoren. Ein deutsches Lehrbuch ist gewöhnlich solide, aber nicht aktuell. Es wird durchweg von Männern geschrieben und Männer sind die handelnden Personen. Die Frau im Management kommt darin selten vor.

Dagegen ist ein anderes Defizit früherer Tage behoben: die Ausblendung von Umweltfragen. Hier lässt sich eine fast ökochondrische Überbetonung in manchen Lehrbüchern der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre feststellen. Auch Internationale und Gründungsbezogene Betriebswirtschaftslehre sind als Reaktion auf empfundene Defizite entstanden so wie die gewerkschaftsgetriebene Arbeitnehmerorientierte Einzelwirtschaftslehre. Doch alle blieben bislang ohne echte Resonanz. Ob es künftig eine Frauenorientierte Betriebswirtschaftslehre geben wird, bleibt abzuwarten.

Die Existenz dieser Fächer zeugt davon, dass Lehrinhalte mit internationalen, Umwelt- oder Gründungs-Bezügen noch nicht selbstverständlicher Bestandteil der Betriebswirtschaftslehre sind. Doch Lehrstühle für diese Lückenfächer bilden eine Gefahr. Angesichts knapper Kassen gehen sie zu Lasten der klassischen Lehrstühle.

Lücken sind nicht selten Übergangsphänomene. Dieser Übergang wird zementiert durch die Art ihrer Schließung. Patchwork-Fakultäten entstehen. Steuerlehre, Marketing, Finanzwirtschaft, Organisation kümmern sich nicht mehr um internationale Fragen mit dem simplen Verweis: Dafür haben wir oder das macht jetzt der Lehrstuhl Internationales Management. Würden die klassischen Lehrstühle die internationalen Fragen ihrer Fächer integrieren, stellte sich umgekehrt die Frage nach der Existenzberechtigung eines Lehrstuhls für Internationales Management. Bei einem solchen Lehrstuhl findet man meist ohnehin eine Spezialisierung in einer dieser Richtungen.

Die Betriebswirtschaftslehre hat ihre Spezialisierung fortgesetzt, nicht aber die Suche nach gemeinsamen Strukturen und Theorieansätzen. So driften die Teilgebiete auseinander. Das gemeinsame Fundament geht verloren. Genau hier ist der Nährboden für die Allgemeinplätze selbsternannter „Bildungs“-Referenten (Leon Neschle 2 – 2007).

Jeder Guru bietet ein anderes Terrain. Auf dem kann er sich erfolgreich bewegen, wenn er nahe am Wind segelt und sich und seine Zuhörer vom herrschenden Trend forttragen lässt. Man lacht über die alte Mode und folgt sklavisch einer neuen. Selbst alte Laster werden zu neuen Tugenden, wenn sie Mode geworden sind.

Die Unis hätten längst verloren

wär’ Management schon angeboren.

Doch falls es ist nicht reines Glück

kann selbst der Genius mit Geschick

ein wenig zusätzlich noch lernen

und darauf greift er nach den Sternen!


[1] Angesichts schwindenden Bibelwissens, muss Neschle den „Witz“ erklären, was ihn für bekennende und kennende Schmunzler leider „abtörnt“: Jesus hat seinen Jüngern nicht Kopf oder Hände gewaschen, sondern die Füße. Das müsste ich bei den Bildungs-Eventies auch machen. Manchmal muss man eben ganz unten anfangen. Bei den Grundlagen, auf denen wir alle stehen.

[2] Von einer IHK wurde Neschles Hochschule um Hilfe gebeten bei der Ausbildung in Umweltökonomie. In der öffentlichen Auftaktveranstaltung vor Unternehmern erklärte der IHK-Präsident den Grund für das Ausbildungsangebot: An der Universität gäbe es leider keine Veranstaltungen zur Umweltökonomie. Daher seien Diplom-Kaufleute in Umweltökonomie schlecht ausgebildet.

Noch in der Veranstaltung hat Neschle ihn dafür öffentlich kritisiert: Diese Aussage sei vor zwanzig Jahren noch richtig gewesen, doch heute längst nicht mehr. Es mache zudem keinen Sinn, Lehrpersonal von der Uni anzuheuern, dem dieser Stoff fremd sei. Meine Aufzählung der Veranstaltungen des Semesters überzeugte den letzten Zweifler von der intensiven Ausbildung in Umweltfragen. Nachdem die IHK den Professoren die Vorlesungsinhalte exakt vorschreiben wollte, lehnten wir ab.

[3] Die Betriebswirtschaftslehre wurde sehr früh schon als Kunstlehre bezeichnet, was ihr auch den Platz an der Universität streitig machen sollte. Denn dahin gehören nur Wissenschaften.

[4] Er hätte nicht zwingend beweisen müssen, dass man trotz Dummheit reich werden und trotz Intelligenz arm bleiben kann.

[5] Die nachfolgende Erläuterung war angesichts des lockeren Sprachgebrauchs in diesem Essay dringend erforderlich.

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2 Antworten auf „Leon Neschle 11 (18. Woche 2007)“

  1. Laut der neuen Studie der Uni Oldenburg, ist es nicht die Bildung, die kleine Kinder zu “so stupid men” macht, sondern Lärm!!!

    Die Oldenburger Forscher haben bewiesen, dass die Unterrichtsräume für gute Leistungen zu laut sind. Darin liegen also die Pisa-Probleme!

    (siehe Rhein Bote Düsseldorf vom 25.04.07, S. 1.)

  2. Kinder lernen viel mehr und viel schneller als Erwachsene. Warum?
    “Weil sie offen sind. Weil sie lernen wollen. Erwachsene denken meistens, sie wissen schon alles. Sie vergessen so leicht, und statt ihr Gehirn zu öffnen und zu entwickeln, wählen sie sich einfach irgendetwas aus, was sie glauben und was sie nicht glauben. Aber man kann sich nicht einfach aussuchen, was man glauben will – entweder man glaubt es oder man glaubt es nicht. Deshalb lernen die Erwachsenen viel langsamer. Sie sind zynisch, verlieren ihren Glauben und wollen nur noch die Dinge wissen, die ihnen dabei helfen, einen Tag nach dem anderen zu überstehen.” Nicht besonders wissenschaftlich, aber mit einem denkbar wahren Kern aus dem “magischen” Buch “Zwischen Himmel und Liebe” von Cecilia Ahern.

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