Neschle-Depeschle 5

Nichtstun oder Derivate –
Wer bezahlt die höchste Rate?
Gemeiner Umgang mit Gemein(de)eigentum!

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Für den kleinen Hunger zwischendurch: Der schnelle Einwurf in den Strafraum

Vorhersagen sind besonders riskant, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen. ( Mark Twain)

„Spekulation“, das machten früher nur ganz wenige und ganz, ganz böse Menschen: die Spekulanten. Das Fatale daran: Sie gewannen manchmal horrende Summe auf Kosten anderer, ganz ohne zu arbeiten. Wie im Lotto! Doch wer Mut hat, muss bereit sein, ab und zu Wermutstropfen zu schlucken. Daher verloren diese Spekulanten auch horrende Summen in derselben Höhe. Anders als im Lotto!

Der Malocher aus dem Ruhrgebiet spielt zwar auch im Lotto, zwei Reihen samstäg- oder mittwöchlich[1]. Das hält in aber nicht davon ab, über „böse Spekulanten“ zu schimpfen, wenn irgendeiner in der Wirtschaft spekuliert und dabei gewinnt. Über Verluste schimpft er nicht. Dreisten Spekulanten geschieht es ganz Recht, wenn sie versuchen, sich auf diese Tour zu bereichern. Der gemeine Bürger empfindet dann nicht selten „klammheimliche Freude“. Was aber ist, wenn Gemeinden zu Spekulanten werden und Steuergelder verzocken? Darüber geht dieses Depeschle!

A. Die dümmsten Kälber suchen sich ihre Metzger selber!

Neschle hat sein Alter Ego (Ich werd’ ihn mal „Altego“ nennen.) neulich im Fernsehen gesehen[2]. Bei Monitor! Dabei ging es um Lotto für Kommunen. Verschiedene Kämmerer, das sind die Finanzvorstände der „kommunalen Konzerne“, und andere Kommunale haben spekuliert. – Oder waren es Kommunisten? Nee! Die waren ja immer gegen Spekulanten. Die spekulieren nicht!? –

Mit der „Hilfe“ und unter der (Ver-)Führung von Banken haben sie Zinsderivate gekauft. Das sind im Grunde Wetten auf die Zinsentwicklung. Damit kann man sich absichern, wenn die Gewinnausschüttung genau zu dem Zeitpunkt kommt, wo man die Verluste hat. Wie bei der Autoversicherung! Da gewinnt man genau dann, wenn man verliert, also wenn man einen Unfall mit hohen Kosten hat.

Na ja! Ein wenig anders ist es schon. Versicherung ist eher wie Lotto! Man zahlt überschaubare Beträge und erhält bei „Gewinn“ einen höheren Betrag, der eben genau mit dem Verlust auf der Straße einhergeht. Unvorhersehbare, hohe Verluste gibt es nicht. Genau da, bei den Verlusten, da sind manche Derivate nicht wie Lotto und auch nicht wie Versicherung.

Neschle war dabei als Altego das Interview in einem Kölner Cafe gab. Weil dem Altego das Licht Dellen auf die Glatze machte und der Klebestreifen, der die Abdeckung an der Lampe hielt, dauernd herunterfiel, mussten Einstellungen wiederholt werden. Und dann ging es zu wie bei Erwin Lindemann in dem Sketch von Loriot, der am Ende nicht einmal mehr seinen Namen kannte. Der Altego war nahe dran.

Er hat noch mehr gesagt. Im Fernsehbericht haben sie ihn nämlich geschnitten. Das machen die. Ein Journalist so, dass der Interviewte sich erkennt; ein Journaillist so, als wäre ein ganz anderer da gewesen. Da war ein Journalist, aber er konnte ja nicht alles von Altego bringen.

Die Derivate, die viele deutsche Gemeinden mit Banken abgeschlossen haben, kann man mit einem Gegenfeuer vergleichen, mit dem im Wilden Westen Präriebrände gelöscht wurden. Das funktionierte gut, außer, ja außer wenn sich der Wind drehte. Dann schaffte das Gegenfeuer zusätzliche Gefahr. Genau das ist bei einigen Gemeinden passiert, weil der Passat der Börse auch mal unerwartet die Richtung ändert.

Da gab es eine Gemeinde, die nicht ein einfaches Derivat nahm. Nein! Es musste ein Spread Ladder Swap sein. Dabei wettet man auf die Zinsdifferenz (Spread) zwischen lang- und kurzfristigen Anleihen. Die lag jahrelang etwa bei einem Prozent zwischen zwei- und zehnjährigen Anleihen, auch wenn sich das Zinsniveau insgesamt änderte. Diese Gemeinde wettete nun darauf, dass dieser Spread auch künftig konstant blieb.

Der Spread hat sich aber in jüngster Zeit verkleinert. Lang- und kurzfristige Zinsen küssen sich, finden sich also etwa auf demselben Niveau ein. Die Zinsstruktur könnte sogar invers werden, kurzfristige Zinsen könnten höher werden als langfristige. Das ist in etwa so wie eine inverse Wetterlage. Normal ist: Im Tal ist die Temperatur höher als auf den Bergen. Im Herbst aber kann das Tal im kalten Nebel liegen und der Berg sich in der warmen Sonne aalen.

Für die wettfreudige Gemeinde brachte die tiefgreifende Veränderung der Zinsstruktur mit jeder Leiterstufe, mit der sie bei ihrer Prognose falsch lag, exponentiell steigende Verluste. Für diese Verluste gab es ausdrücklich keinerlei Verlustbegrenzung. Die Gemeinde hatte sich nicht einmal beraten lassen.

Das kann man einer anderen Gemeinde nicht vorwerfen. Die machte mit einem Derivat erhebliche Verluste, obwohl sie sich besonders intensiv hatte beraten lassen. Allerdings war der Berater zugleich der Vertragspartner. Wenn der nun auch noch der direkte Wettgegner war – das wusste Altego nicht ganz genau – dann stimmt der Spruch von Kalb und Metzger in der Überschrift zu diesem Kapitel exakt.

B. Profis gegen Amateure: Ohne Handikap beim Einlochen.

Beratung durch den Gegenspieler bei einem Glückspiel mit gleichen Chancen ist gar nicht schlimm! Erstens braucht man da eigentlich gar keine Beratung, zweitens hilft sie nicht und drittens kann keiner die Zukunft beeinflussen.

Das Verhältnis von Gemeinde und Bank bei Derivatgeschäften ist aber durchaus anders. Heißt es bei diesem Roulette für die Gemeinde schon „Nichts geht mehr!“, bleiben der Bank immer noch zwei Möglichkeiten: Als Player im Markt ist die Bank Croupier und beeinflusst den Lauf der Kugel. Als Profi platziert sie schnell und laufend ihre Chips um, während die Kugel schon läuft. Oder sie platziert durch neue Chips Gegenwetten, wenn die Kugel dennoch eine unerwartete Richtung nimmt.

Solche Gegenwetten könnte auch die Gemeinde noch machen. Doch dazu braucht sie 1. jemanden, der laufend Zinsen und Zinsstruktur überwacht, und der 2. handelt, wenn es nötig ist. Dann braucht die Gemeinde 3. einen Wettpartner, der dagegen hält und der 4. die Wette gegen die Gemeinde verliert.

Das erste scheitert schon am mangelnden Know-how der meisten Kämmerer. Obwohl Gemeinden heute so aufgestellt sind wie kommunale Konzerne werden sie meist nicht gemanagt, sondern verwaltet. Juristische Rechtmäßigkeit hat hier weiterhin die Oberhand über eine auch deshalb recht mäßige Effizienz. Denn wer kennt nicht die Drohung der Beamten, ganz konsequent Dienst nach Vorschrift zu machen.

Beim zweiten Punkt ist erstaunlich, dass die Kämmerer bei Derivatgeschäften anderes als bei der Kreditaufnahme überhaupt so leicht handeln können. Für das ungefährlichere Kreditgeschäft müssen sie auf den langen gemeindlichen Instanzenzug warten, während dieser Zug bei den toxischen Derivatgeschäften mit der Entscheidung des Kämmerers bereits abgefahren ist. Das Umgekehrte wäre eher verständlich: Scharfe Gemeindeaufsicht bei Derivaten, laxere bei Krediten.

Gefährlicher sind Derivatgeschäfte deshalb, weil es bei ihnen „Geldverstärker“ gibt, durch die man mit weniger Geldeinsatz viel mehr Verluste einfahren kann! „Finanzhebel“ oder „Finanzierungshebel“ nennt man diese „Geldverstärker“. Als würde man beim Roulette auf eine Zahl statt nur auf die Farbe setzen.

Doch am Ruder bei der Gemeinde sind meist ökonomische Laien, die politische oder juristische Profis sind. Dennoch glauben sie offenbar, die Banken nähmen aus Fairness beim gemeindlichen Schnupperkurs im Derivate-Golf freiwillig ein Handikap. Doch Golf ist Golf, Geschäft ist Geschäft. Auch wenn sich ein Geschäftsmann angeblich dadurch auszeichnet, dass er morgens im Geschäft vom Golf und nachmittags beim Golf vom Geschäft redet.

Das dritte Punkt, das Finden eines Wettpartners, ist umso schwieriger, je weniger man sich mit börsengehandelter Konfektionsware zufriedengibt und je mehr es die Kämmerer nach maßgefertigten Derivaten verlangt. Diese Maßanfertigungen werden „exotische Optionen“ genannt und sind meist erheblich komplexer als die Konfektions- und Massenware der Börse. Maßanfertigungen lohnen sich für Banken, wenn es um viel Geld geht, wie bei den Steuergeldern der Gemeinden.

Der vierte Punkt, der Sieg des Gemeindekämmerers über den Wettpartner, kann hier bereits als abgehakt gelten. Hier gibt es keine Gleichheit der Waffen. Nach dem Monitor-Bericht fragt sich Neschle sogar, ob manche Bank nicht mit ihren geistigen Waffen nicht sogar gegen Kommunalisten antrat, die völlig unbewaffnet daherkamen. Es scheint sogar so, als hätte man einigen Gemeinden in den Rücken geschossen.

Im Wilden Westen taten das nur die Schufte. Das rief den Sheriff oder den Marshall auf den Plan! Der legte die Schufte um und stellte die Ordnung wieder her.

C. Nichtstun ist auch Spekulation!

Bei Altego war neulich ein Student in der Sprechstunde. Der war zum dritten Mal durch die Klausur „Investition und Finanzierung“ gefallen und musste nun sein Studium beenden. Er gab zu, er habe bei den beiden ersten Versuchen nichts getan und sich leider verspekuliert bei seiner Bestehenserwartung.

Nichtstun war hier die Spekulation. Nichtstun ist auch Spekulation bei den Kämmerern, wenn die Welt da draußen sich dreht. Durch Nichtstun wettet man nämlich auf den Status quo. Doch wenn man weiß, dass dieser Status sich nicht hält. Dann kann Nichtstun das Risiko erhöhen! Also müsste man etwas unternehmen, damit es anders kommt, wenn es anders kommt. Genau das haben sich die Kämmerer bei ihren Derivatgeschäften gedacht.

Entgegen dem, was früher vor allem auf er Herzseite des Politspektrums gedacht wurde, sind wir alle Spekulanten. Explizites Spekulieren ist nämlich, Erwartungen über die Zukunft bilden und danach handeln; implizites Spekulieren sogar, gar nicht über die Zukunft nachdenken und auch nicht handeln. Können wir also die Kämmerer verstehen? Ja und nein!

Will man nur Risiken absichern, wählt man andere Derivate als viele Gemeinden das getan haben. Da war Zockermentalität, Großmannssucht, Gutgläubigkeit gegenüber den Banken oder Unwissenheit im Spiel, um nicht ein härteres Wort zu gebrauchen.

Neschle will mal einen Vergleich mit Roulette wagen: Man hat ein Risiko, wenn zehn dicke Chips auf Schwarz liegen und die Kugel droht, auf Rot zu rollen. Man könnte zum Ausgleich zehn Chips auf Rot setzen und hätte dann bis auf die „Null“ kein Risiko mehr, leider aber auch keine Chance. Man könnte auch auf die Idee kommen, zum „Teilausgleich“ einen Chip auf eine rote Zahl zu setzen. Käme diese rote Zahl, hätte man nicht nur den Verlust ausgeglichen, sondern noch einen stattlichen Gewinn erzielt. Käme aber weder Schwarz noch die rote Zahl, hätte man nur den Verlust erhöht. – Dabei hinkt der Vergleich mit dem Roulette ein wenig. Kommt die rote Zahl, gibt es zwar auch bei Derivaten das 35-fache des Gewinns, bei manchen Derivaten aber auch einen Verlust in dieser Höhe und nicht nur in Höhe des Einsatzes. –

Auf ähnliche Weise zocken nicht nur Gemeinden, sondern auch andere staatliche Institutionen. Welche das sind, wird dem Steuerzahler ebenso wenig bekannt gemacht wie die Tatsache, wer bei dieser Zockerei wie viel Gewinne oder – was für Neschle schlimmer ist – wer wie viel Verluste macht. Neschle hat daher folgende Forderungen:

  1. Die Gemeinden sollten auch mal mit ihm wetten. Wenn die Banken die Chance bekommen, auf diese Weise ihre Netto-Steuerzahlung zu senken, möchte das Neschle auch.
  2. Mit welcher Stirn wollen unsere Finanzbehörden bei der nächsten Steuerprüfung gegenüber mittelständischen Unternehmen auftreten. Bei der Gewerbesteuer geht das doch nur noch mit tiefer Schamröte.
  3. Man sagt „Spielschulden sind Ehrenschulden!“. Wenn man mit eigenem Geld spielt ja. Aber mit fremdem Geld, mit dem Geld aller Bürger? Das sind eher „unehrenhafte Schulden“ und ihre Eintreibung bei den Bürgern ist es auch.

Aber „politische Verantwortung“ ist eben keine Verantwortung. Deshalb wird auch mal wieder keiner Verantwortung tragen.

Der größte Schuft im ganzen Land

ist und bleibt der Spekulant!

Doch, liebe Leut’, es geht nicht blöder:

Spekulant und Schuft ist nämlich jeder.

Doch manches unserer dummen Kälber,

das sucht sich seinen Metzger selber.


[1] Früher war das mal der Wotanstag wie heute noch der Wednesday. Aber die Kirche verstand sich nicht so gut mit dem Götterchef! Da blieben nur noch Thiu (oder Saxnot) für den Dienstag oder Tuesday, Thor (oder Donar) für den Donnerstag oder Thursday und Freia (oder Frija), die „Venus“ der Germanen, für den Freitag oder Fryday. Die romanischen Länder haben ja am Freitag auch den Tag der Venus (Venerdi …). … Ja und der Samstag? – Da kommt für alle Kinder das Sams!

[2] Neschle hat seinen Zwilling Altego dort erwartet und sich vorher schon ein Glas Wein genehmigt. Oh, Gott! Völlig übernächtigt war der Altego nach einer Geburtstagsfeier in Köln. Und wie er aussah? Nee! Zwölf Kilo zugenommen in einem Jahr. Wie eine dreifach unersättliche Fettsau! Nur das Funkeln in den Augen

Neschle hat hinterher gleich noch ein Glas Rotwein getrunken. Er weiß jetzt auch, warum Robby Williams und Britney Spears den Drogen verfallen sind. Die müssen sich noch viel, viel öfter im Fernsehen sehen. Diese Form der Autoerotik wird sich Neschles Alter Ego demnächst ersparen. Dann schaltet er um und lässt sich das Programm von anderen machen.

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Eine Antwort auf „Neschle-Depeschle 5“

  1. Hi Neschle-Leser!
    Warum wird dieser Artikel denn so selten gelesen?

    Ich finde ihn ganz toll! Er klärt eigentlich den Hintergrund für den “Favoritenartikel”! Witzig formuliert ist er auch!

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