Leon Neschle 49 (39. Woche 2008)

Gierig bei Einnahmen, prassend bei Ausgaben!

Weiß der Himmel, ich war nie der Meinung, dass Geld, prächtige Häuser, Reichtum, Macht und Vergnügungen – auf all das sind die Menschen am meisten versessen – zu den erstrebenswerten Dingen gehörten. Denn ich sah ja, dass die Leute, die von solchen Dingen umgeben waren, trotzdem ganz besonders danach gierten, woran sie Überfluss hatten. (Marcus Tullius Cicero)

„Für eine Mark, die Du mehr ausgibst, musst Du zwei Mark mehr verdienen!“, sagte mein Vater. Denn für jede ausgegebene Mark wären ja Steuern und Sozialausgaben zusätzlich zu erwirtschaften. So mahnte er Ausgabendisziplin an.

Vielleicht hatte mein Vater Recht! Doch Menschen und Staat verhalten sich tatsächlich strikt anders! Sie werfen das Geld spielend und prassend hinaus, das sie sich mit äußerster Strenge oder gar geifernder Gier aneignen: Da werden etwa jüngst vom deutschen Zoll in einer groß angelegten Aktion „Athena“ mit einem Riesenaufwand 5,5 Millionen Euro unangemeldetes Geld beschlagnahmt.

5,5 Millionen? Und was blieb netto? Dazu waren hunderte Beamte an 17 deutschen Flughäfen eine Woche lang (10. -17. September 2008) im Einsatz. Allein an der Grenze zu den „Steuerparadiesen“ Schweiz und Liechtenstein beschäftigte diese Aktion 800(!) Zöllner. Wenig später fand man außerhalb dieser Aktion(!) bei einem einzelnen Studenten 8,5 Millionen Euro.

Derweil zahlt die Kreditanstalt für Wiederaufbau jedoch eine fast HUNDERTFACH so große Summe an die insolventen Lehman Brüder als „verlorenen Zuschuss“. Sie wird von einem politisch besetzten Verwaltungsrat „kontrolliert“, in dem das Finanzministerium von Herrn Steinbrück die Rechts- und Fachaufsicht hat.

A. Brutal in der Geldbeschaffung, banal in der Geldausgabe

Nicht anders nehmen sich die paar Millionen im Liechtensteiner Steuerskandal gegen die Milliarden aus, die während der Subprime-Krise an staatlichen Geldern in den Bankenbereich geleitet wurden, ganz zu schweigen von den hohen Bürgschaftssummen, die bei späterer Fälligkeit wohl niemanden mehr aufregen werden.

Wie unterschiedlich ist da das Auftreten der Staatsgewaltigen bei der Einnahmenbeschaffung? Schon bei Verdacht auf größere Steuerhinterziehung dringen die Steuerfahnder martialisch und unangemeldet beim Verdächtigten ein, stellen sein Wohnumfeld auf den Kopf und gehen mit gezielter Gewalt gegen den (dann immerhin noch) „vermeintlichen“ Steuersünder vor. Da sind die Behörden meist sogar bei Gewalttätern zimperlicher. Der Staat und seine Gewaltigen fühlen sich betrogen und ausgenutzt von Steuersündern, schreien Zeter und Mordio. Dafür hat Neschle sogar Verständnis. – Aber auf der Ausgabenseite?

Bei IKB und KfW oder bei den betroffenen Landesbanken wird als Strafe eine Sondersitzung (so wie ein Straftraining beim Fußball) anberaumt, vermeintlich Verantwortliche werden unter Fortzahlung ihrer stattlichen Bezüge (immerhin doppelt so viel wie die Bundeskanzlerin!) vorläufig vom Dienst suspendiert. Selbst wenn sie danach entlassen werden: Was geschieht dagegen mit den Steuersündern? Die verlieren nicht nur ihren Job!

Derzeit hat die Staatsanwaltschaft Rostock wieder etwa 1.000 „ehrbare“ Bürger im Visier, die ihr Geld in Liechtenstein „geparkt“ haben. Auch da waren die Daten gestohlen. Sie wurden allerdings nicht gegen Hehlerknete herausgegeben, sondern aus den Datendieben herausgenötigt mit deren Erwartung „mildernder Umschläge“ bzw. im Tausch gegen Knastjahre.

Die nun aufgefallenen 1.000 „ehrbaren“ Bürger haben im Durchschnitt eine Mio. in Liechtenstein geparkt, denn es sollen insgesamt eine Milliarde Euro sein. Davon stehen dem Staat nur Teile der Zinsen zu, sofern das geparkte Geld nicht „schwarz“ ist. Zusätzlich wird es aber Bußgelder hageln und Bewährungsstrafen (im Fall Zumwinkel jetzt erwartet) oder sogar Haftstrafen. Das wird kollateral Arbeitsfähigkeit und Ertragskraft der 1.000 betroffenen und ihrer unmittelbaren Angehörigen lähmen. Doch um diesen Kollateralschaden kümmert sich niemand beim Finanzministerium und bei der Steuerfahndung, wenn man im Auftrag der Steuergerechtigkeit unterwegs ist. Er wird weder als Schaden wahrgenommen noch als solcher in Rechnung gestellt.

Sogar der hierbei in den Mühlen geratene Unschuldige bleibt auf einem großen Teil seiner Kosten und auf sämtlichen Ertragsausfällen hängen, denn so pflegen die Beamten zu sagen: „Wir machen ja nur unsere Arbeit!“. Und die rechtfertigt all diese Schäden.

Nehmen wir nun aber großzügig und frei geschätzt an, von den Zinsen (ca. 400 Mio.) auf die eine Milliarde Anlagevolumen stünden unserem Staat 200 Mio. zu. Hinzu kommt dieselbe Summe an Bußgeldern, also noch einmal 200 Mio. sowie die nachträgliche Versteuerung enttarnten Schwarzgeldes mit ebenfalls 200 Mio. Das ergibt unter dem Strich 600 Mio. Euro. Hätte es nicht diese verfluchte Subprime-Krise gegeben, hielte jeder dies für eine beträchtliche Summe.

Aber wir haben vergessen, die Aufwendungen davon abzuziehen, die diese Aktion auf staatlicher Seite verursachte, für Ermittlung, Strafverfolgung und Strafvollzug. Da es sich um komplexe Fälle handelt, bei denen sich die nicht ganz finanzschwache Gegenseite anwaltlich zum Teil mächtig ins Zeug legen wird, sind 100.000 Euro Kosten beim Staat pro Verfahren sicher nicht zu hoch gegriffen. Da waren es dann nur noch 500 Mio. Euro.

Den größten Schaden aber verursachen die Ertragsausfälle bei den betroffenen Steuerpflichtigen, denn die Prozesse ziehen sich oft über Jahre hin und alle Gedanken auf sich. Sie lähmen die wirtschaftliche Tatkraft über Jahre und führen bis hin zur totalen Verweigerung durch Wegzug oder Leistungsminderung, vor allem wenn der Bürger sich im Grunde selbst für „redlich“ hält.

„Der redliche Bürger erlebt seine Krise mit diesem Staat nicht bei der Polizei, sondern beim Finanzamt“, sagt Paul Kirchhoff. Er erlebt sie gerade dann, wenn er ein „redlicher Bürger“ ist, denn er tritt einer Finanzverwaltung gegenüber, die fast generell vom Gegenteil ausgeht.

Nicht dass man Neschle missversteht: Steuerhinterziehung ist eine Straftat wie Diebstahl auch. Denn sie ist indirekter Diebstahl bei denjenigen, die sich an die Gesetze halten. Aber der verschwenderische Umgang mit Steuermitteln entfaltet dieselben Wirkungen, hat aber in keiner Weise vergleichbare Handlungsfolgen in diesem Staat.

Finanzminister Steinbrück, der bei der Geldbeschaffung von Steuersündern nicht einmal vor der Unterstützung der Straftat „Hehlerei“ zurückschreckt, stimmt nach Pressemeldungen einem vierten Rettungspaket für die angeschlagene Industriekreditbank (IKB) zu, ohne das Parlament zu informieren oder es gar zu fragen. Zehn Milliarden Euro für die Rettung der IKB aufs Spiel gesetzt, ganz zu schweigen von den jüngsten Bürgschaften für die Hypo Real. Einfach so! Man hört dabei jedenfalls wenig von Verhaftungen, Razzien oder Festnahmen. Nicht einmal der Finanzminister selbst wurde dafür festgenommen.

Wäre so etwas auf der Einnahmenseite geschehen, hätte es Verhaftungen gehagelt und einen Riesenaufwand gegeben, den Sachverhalt aufzuklären und so etwas für alle Zukunft zu verhindern. Auf der Ausgabenseite gibt es das nicht in einem irgendwie vergleichbaren Umfang. Die Relationen sind hier aus allen Fugen: Scharf und gierig bei den Einnahmen, lax und prassend bei den Ausgaben.

Natürlich sind Argumente dafür eilfertig bei der Hand. Rettung des Finanzsystems! Selbst wenn das richtig ist, was Neschle gar nicht bestreitet oder bestreiten muss: Wo sind denn die Razzien, Haftstrafen und Bußgelder gegen diejenigen, die solche staatlichen Rettungsaktionen zu Lasten aller Steuerzahler erst notwendig gemacht haben?

Bei Staatsausgaben und gelten offenbar andere Maßstäbe als für Steuereinnahmen. Stellen wir uns nur einen Moment vor, dieselbe Summe, die Herr Steinbrück als Folge der Subprime-Krise an die Banken gezahlt oder als Bürgschaft versprochen hat, wäre auf Konten in Liechtenstein oder auf den Cayman Islands entdeckt worden, hinterzogen vor dem deutschen Fiskus. Es würde ein Aufschrei durch Land gehen, eine Verhaftungswelle würde rollen und die Frontseiten der Gazetten sprengen. Zehntausende Steuerzahler während entsprechend betroffen und es müssten extra Gefängnisse für sie gebaut werden.

Angesichts der staatlichen Ausgabenpraxis kann sich hierzulande heute sogar schon der entdeckte Steuerhinterzieher fragen, was ihm dieser Staat auf der Einnahmenseite antut, wenn seine Steuer(nach)zahlung auf der Ausgabenseite so verprasst wird. Wie ist das dann erst beim ordentlichen Steuerzahler? Wie kann ein Herr Steinbrück noch vor den ehrlichen Steuerzahler treten und nur mit dem Verweis auf die Finanzlage des Staates die Erhöhung der Pendlerpauschale verweigern?

Es gab mal so etwas wie eine „politische Verantwortung“. Da haben Minister noch ihren Hut genommen, wenn Unregelmäßigkeiten in einem Bereich geschahen, der unter ihrer „Rechts- und Fachaufsicht“ stand. Dabei war es ganz gleich, ob die Minister diese selbst veranlasst hatten oder davon wussten. Diese Zeiten sind offenbar vorbei. Denn unangefochten von den schweren Verfehlungen bei der KfW bleiben die Politiker Steinbrück und Glos in ihren Positionen und werfen sich gegenseitig mit Wattebäuschchen. Das ist schon peinlich, wenn man zugleich sieht, wie von Herrn Steinbrück auf der Seite der Staatseinnahmen vorgegangen wird.

B. Wie beim Staat so auch privat

Wer zwei Häuser hat, kann nur eins davon bewohnen. Das ändert sich nicht bei drei oder vier Häusern. Die Folge für das gerade unbewohnte Haus ist: Es steht leer.

Egal wann man durch die Viertel der Reichen und Superreichen fährt: Sie bieten ein elendes Bild von Einsamkeit, wo man mitten im üppigen Wohlstand den Blues der Slums singen könnte. In den meisten Ländern wird diese Einsamkeit sogar bewacht von der Security, wie man die Wachmannschaft heute nennt.

Im Durchschnitt sind dort maximal ein Viertel der Häuser von ihrem Eigentümer oder Mietern bewohnt (Deswegen heißen sie wohl auch „Viertel“!?). Die wirklich Reichen lassen ihre Häuser nämlich nicht von anderen bewohnen. Sie vermieten sie nicht in ihrer Abwesenheit (Das tun nur „Mittelreiche“!). Das haben sie nicht nötig. So haben sie auch stets das Gefühl, Privatsphäre und persönliche Anonymität zu wahren. Namensschilder findet man dort nie. Das ist durchaus wichtig, denn für neidgetriebene Zeitgenossen sind die Superreichen immer das Ziel von Aggressionen. Herr Hopp von Hoffenheim 1899 (Woher 1899?) kennt das mittlerweile zur Genüge, spätestens seit der Konfrontation mit dem zehn Jahre jüngeren Verein aus Lüdenscheid-Nord.

Nun steht auch hier der „Man gönnt sich ja sonst nichts“-Ansatz bei den privaten Ausgaben in auffälligem Gegensatz zur Einkünftebeschaffung, die bis zum Exzess und zur äußersten Effizienz sparsam be- und getrieben wird. Dort, wo das Geld herkommt, ist man extrem bescheiden in den Ausgaben, oder „großzügig“ darin, was man Lieferanten, Arbeitnehmern oder auch Kunden an Mindereinnahmen zumutet. Obwohl man diese Ausgaben im Unterschied zu den Privatausgaben steuerlich absetzen kann! Aber man ist längst nicht mehr (nur) in Deutschland, weder privat noch unternehmerisch!

Es wird ausgelagert, was das Zeug hält, nach China oder Indien, um auch noch beim letzten Lohnkostencent einzusparen. Derweil langweilen sich zwei Villen und drei Ferienhäuser wegen Nichtbenutzung dem Verfall entgegen und die Segelyacht dümpelt einsam vor sich hin im dennoch überfüllten Yachthafen der Karibik. Dabei wird allein für deren Liegplatz mehr Miete fällig als für die Familien-Wohnung eines Arbeitnehmers, die der das ganze Jahr lang bewohnt. Aber bei dem hat man die ja eingespart.

Keine Sorge: Neschle wird weder in Neid zerfließen noch irgendjemandem das Recht absprechen, nach Belieben das Geld hinauszuwerfen, dass ihm rechtmäßig gehört[*]. Es geht hier allein um die Tatsache, die man auch beim Staatshandeln beobachtet: Während die Einnahmenseite mit äußerster Strenge gehandhabt wird, trägt die Ausgabenseite Züge barocker Üppigkeit. Angesichts dessen ist es eher erstaunlich, was sich Steuerzahler oder die „Kostenfaktoren“ manchmal bieten lassen (müssen).

Der Finanzminister wird jedenfalls weiter lächelnd die Strenge bei der Verfolgung von Steuersündern und die Aufrechterhaltung der gekürzten Pendlerpauschale verteidigen und ebenso seine Opulenz im Umgang mit Steuergeldern in der Subprime-Krise und sonst wo. So lange, wie sich die Steuerzahler das gefallen lassen!?

Man kann es drehen und auch wenden,

der Mensch ist üppig beim Verschwenden

von Geld, das mühsam er beschaffte,

das er erpresste und erraffte.

So findet man’s bei unserm Staat

und wenn man hinsieht auch privat.


[*] Der rechtmäßige Erwerb wird ja bei reichen Leuten gern generell ohne jede spezifische Begründung in Frage gestellt. Oskar Lafontaine macht es uns ja vor (Neschle-Depeschle 19). Weil nicht sein kann, was man selbst nicht könnte. Ein schöner Beleg dafür ist auch der folgende Witz: „Alles, was Sie hier sehen, ist ehrlich erworben“, sagt der reiche Mann stolz zu seinem Besucher. „Das glaube ich“, ant-wortet der. „Es fragt sich nur von wem.“

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