Leon Neschle 48 (38. Woche 2008)

Nur ein schlechter Berater kann sein Honorar erklären!

When you counsel someone, you should appear to be reminding him of something he had forgotten, not of the light he was unable to see. (Baltasar Gracián)

Wie soll ich es erklären? Am besten ich fange an mit einem Aha-Erlebnis. Vor Jahren schon erzählte mir ein Wirtschaftsprüfer, dass er sich viel Zeit für seine Mandanten nehme und diese Zeit dann in Rechnung stelle. Häufig kenne er jedoch bereits recht früh die Lösung des Mandantenproblems. Die verrate er jedoch dem Mandanten nicht, sondern schreibe sehr, sehr viele Stunden und verdiene auch sehr, sehr gut daran. –

Ist das nicht die Höhe? Statt auf den Mandanten und seine Kosten Rücksicht zu nehmen, nimmt der ihn aus wie eine Weihnachtsgans?! – Das war mein Schluss in dieser Sache. Ich war schnell dabei, dieses Verhalten des Wirtschaftsprüfers als stille Abzocke zu geißeln. Doch der erklärte es mir. Und ich verstand!

A. Das Paradoxon guter Unternehmensberatung

Eigentlich ist es wie bei Hans und den Kondomen, einem Fall den mir noch jüngst eine Psychologiestudentin erklärte: Da war Hans die HWG*-Person (*HWG für „häufig wechselnder Geschlechtsverkehr“), der derzeit auf drei Beinen stand, weil er genau so viele Freundinnen gleichzeitig „betreute“. Und der war weder der Bock noch hatte er einen solchen mit dieser promiskuitätischen Version von „variatio delectat“ (Vielfalt –oder Veränderung – erfreut) Schluss zu machen oder seine Chancen zu verpassen wie ein Kuranyi (der Schalker Chancentod). Hans mochte aber keine Kondome und hatte zu allem Überfluss eine Latex-Allergie, die ihm die Pusteln ins entzückende Antlitz zauberte.

Die junge Psychologin war nun aufgefordert, Hans von seinem variantenreichen Tun abzubringen. Da hätte es wenig genutzt, wenn sie ihm erklärt hätte, wie schlecht er doch an seiner gegenwärtigen Praxis tut. Denn Hans, der kann’s, und er schien sich daran zu ergötzen. Bislang war ja auch noch alles „in Dortmund“, wie manche im Ruhrgebiet sagen, wenn es gut läuft und alles „in Ordnung“ ist. Warum etwas ändern, wenn der GAU weit entfernt und unwahrscheinlich scheint?

In diesem Fall gab es nur eine wirksame Strategie, die Selbsteinsicht von „Hans mit dem Schwanz“ zu fördern, ihm den Eindruck zu geben, er allein habe sich zum verantwortungsvolleren Leben entschieden. Darin lag die ganze Kunst der Psychologin. Und so war es auch bei Neschles Wirtschaftsprüfer:

„Sage ich dem Mandanten schlicht meine Lösung für sein Problem, dann verwirklicht er die Lösung in seinem Unternehmen nicht. Zu seinem eigenen Nachteil! – Er setzt die Lösung nur dann effektiv um, wenn er den Eindruck hat, selbst auf die Lösung gekommen zu sein. Dahin muss ich ihn bringen und das dauert seine Zeit. An dieser Zeit verdiene ich, weil ich sie dem Mandanten in Rechnung stelle. Dafür aber verzichte ich auch stillschweigend auf meine geistige Urheberschaft. Ich übereigne ihm meine Idee, indem ich ihm den Eindruck vermittle, es wäre seine eigene gewesen.“

„So unrecht hat er nicht“, dachte ich, und machte es fortan ähnlich. Statt Leuten gut gemeinte Ratschläge (das Gegenteil von „gut“ ist meist nicht „schlecht“, sondern „gut gemeint“) zu geben, führte ich sie durch meine Gesprächsführung und gezielte Fragen dazu, die Lösung für ihr Problem selbst zu finden, vorausgesetzt natürlich ich wusste selbst eine. Hatte ich diese Selbsterkenntnis bewirkt, konnte ich davon ausgehen, dass die Leute auch danach handelten. Selbsterkenntnis ist halt immer der erste Schritt zur Besserung.

So wurde umgesetzt, was ich mir ausgedacht hatte. der Beratene dachte jedoch, er selbst habe die Lösung gefunden. Daher ging er auch völlig arglos mit dieser „seiner“ Lösung prahlen. Denn gestohlen hatte er sie nicht: Ich hatte sie ihm auf dem Silbertablett serviert und geschenkt, ohne dass er es merkte. So wie ein geschickter Taschendieb, nur anders herum.

Doch einen Haken hat dieses Vorgehen bei aller praktizierten Raffinesse: Warum sollte mein Gesprächspartner mir ein Honorar für seine eigene Erkenntnis zahlen??? Nicht einmal dankbar musste er für die eigene Erkenntnis sein, es sei denn sich selbst. Oder freilich dem Herrgott, der ihn so genial und feinsinnig in diese Welt gestellt hat, so dass ihm selbst neunmalkluge Berater nicht einmal das Wasser reichen können geschweige denn den Champagner.

Das ist ein wirklicher Unterschied zu der oben zitierten Psychologin, die ihr Honorar von dritter Stelle bezieht, aber nicht vom Beratenen Hans. Auch Hans wird mit „seiner“ Lösung sicher nachhaltig glücklicher, aber bezahlen würde er die Psychologin auch nicht dafür.

Ein wirklich guter Berater in diesem Sinne, muss sich also in den Augen des Mandanten am Ende für sein Honorar schämen. Je effektiver und effizienter der Berater ist, umso weniger kann er sein Honorar erklären. Denn er überträgt seine Leistung virtuell vollständig auf seinen Mandanten. Der hat alle Ehre, nicht der Berater. Der Mandant kann und will selber scheinen und wird darum nicht erleuchtet. Jedenfalls nicht, was die Verdienste und der Verdienst seines Beraters angeht!

Verdient haben ihr Honorar dagegen scheinbar die schlechten Berater: Sie kurieren immer und direkt am Symptom und bringen es zeitweise zum Verschwinden. Wie das Ungeheuer von Loch Ness taucht das aber in einiger Zeit wieder auf. Und weil sie es schon zuvor zauberhaft zum Verschwinden brachten, werden sie auch beim nächsten Mal wieder mit der vorläufigen „Endlösung“ beauftragt.

Wichtig ist, dass sie sich dann immer wieder auf neue Zauberworte zu berufen, die von guruhaften Erkenntnissen zeugen. Früher war es mal „Total Quality Management“, dann „Six Sigma“ oder irgendeine andere Beratungsmode, die große Beratungsgesellschaften auch mit einem eingekreisten R (®) schmücken, um ihre USP (Unique Selling Proposition) zu demonstrieren. Dennoch machen alle anderen unter anderem Namen dem Zeitgeist entsprechend faktisch dasselbe. Und die Namen imponieren sogar dort, wo die Berater selbst nicht oder nicht mehr beeindrucken können.

Der größte Fehler schlechter Berater wäre es, an die Ursachen zu gehen und die zu beseitigen oder beim Kunden selbst ein tieferes Verständnis seiner Probleme zu erzeugen. Dann erhielten sie keinen Anschlussauftrag mehr, den der „gute Berater“ sich ja selbst versaut. Hinzu kommt, dass der gute Berater sich selbst freiwillig entwertet und erniedrigt, indem er dem Kunden das „Heureka!“ der Lösungsfindung überlässt. Aber wie heißt es in der Bibel? Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden. Vielleicht heißt das ja, dass gute Berater wenigstens nach ihrem Dahinscheiden wegen ihrer Leistungen gewürdigt werden. Im geldwerten Diesseits verdienen aber die schlechten das Geld.

Einen kleinen Test kann auch der Mandant machen. Glaubt der Mandant nach der Beratung, eine geniale Lösung selbst gefunden zu haben, ist sein Berater sicher unterbezahlt. Glaubt er dagegen, der Berater hätte die Lösung geliefert, ist der Berater 1. überbezahlt und 2. ist es vermutlich keine dauerhafte Lösung, sondern ein Kurieren am Symptom, das diesem Berater den Folgeauftrag sichern soll.

Das machen sie dann meist auch die blöden Mandanten: Sie geben ihm den Folgeauftrag, weil er eine tolle Lösung gefunden hat. Der gute Berater hat sich der Urheberschaft seiner Ideen zugunsten seines Mandanten entledigt. Er wartet vergeblich auf den Folgeauftrag. Denn eigentlich hat er ja nichts geleistet. Oder???

Das Paradoxe ist: Gewinnt der Mandant, verliert der Berater. Verliert der Mandant, gewinnt der Berater. Das ist das Musterbeispiel eines völlig missglückten Anreizsystems.

B. Wer braucht schon externe Berater und warum?

Berater haben heute vor allem zwei Funktionen: Sündenbock und Wirtschaftsspion. Warum sonst sollte man jemanden ins eigene Boot holen, der sich erst mit erheblicher Mühe die Grundkenntnisse von der kritischen Lage erwerben muss, aus der seine Beratung herausführen soll:

  1. Gehen wir zunächst den Sündenbock an, der vor allem dann hochbegehrt ist, wenn es um Rationalisierung geht. Da müssen meist Leute entlassen werden und schon wegen des Trägheitsgesetzes, dessen Wirkung mit zunehmendem Alter steigt, wollen das die betroffenen Arbeitnehmer nicht. Geht nun ein Unternehmer oder Manager allein hin ohne die Hilfe eines Beraters, hat er allein auch den Schwarzen Peter. Denn der Erfolg hat immer viele Väter, der Misserfolg nur einen einzigen.Hat er aber einen Berater, so kann er alles auf dessen „Expertenmeinung“ schieben. Die Konkurrenz der Berater lässt es auch meist zu, den Berater gezielt nach dem gewünschten Ergebnis zu wählen.So wird der Berater zum „Sündenbock“, auf den sich alle Last der Verantwortung abwälzen lässt und der sich danach wie der biblische Sündenbock in die Wüste schicken lässt (Levitikus 16, 8 -21). Dazu braucht man nicht einmal den Jom Kippur als Datum und muss den Berater auch nicht dem Wüstendämon Azazel opfern. Das Ganze ist vielmehr ein Riesenspiel, für das man auch den Namen „Scapegoating“ hernehmen könnte, wo wir doch für fast alles sonst englische Namen haben.

    Vor allem für die künftige Karriere von Managers, die nichts falsch machen dürfen und selten danach gefragt werden, ob sie etwas richtig oder was Richtiges gemacht haben, ist das Scapegoating attraktiv. Der Berater ist sozusagen die Serviette, die seine Weste weiß hält. Und mit Berater klappt sogar, was sonst für unmöglich gehalten wird: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.“

    Weil die von Entlassung oder Veränderung Betroffenen jedoch diese Rolle des Beraters antizipieren und zugleich wissen, dass diesem die Insiderkenntnisse fehlen, greifen sie zu Gegenmaßnahmen. Kurz: Sie lügen ihm die Hucke voll, was ihre eigene Rolle als Rädchen im Getriebe der Unternehmung ist. Sie sind und bleiben unverzichtbar für den Erfolg der Unternehmung.

    Das aber weiß wiederum der Berater, so dass er sich selten auf die Informationen der Betroffenen verlässt, auch nicht auf richtige. Er macht sich sein eigenes Zerrbild, das er auf seine extern eingebrachten Vorurteile stützt, durch die er in den Gesprächen mit dem Auftraggeber seinen Auftrag erst erlangt hat. So steuert seine Entscheidungen nicht die Realität, sondern was der externe Berater über diese Realität denkt. Und das ist häufig nicht dasselbe. Der Manager hütet sich davor, hier öffentlich und zu stark einzugreifen. Denn das würde die Funktion des Beraters als Sündenbock in Frage stellen.

  2. Große Unternehmungen wählen auch gern große Beratungsgesellschaften mit Branchenerfahrung. Die haben auch bereits die Konkurrenz beraten und wissen, was da los ist. Selbst wenn sie das nicht direkt verraten (würden), so bringen sie doch den impliziten Vergleichsmaßstab von dort mit oder die „Benchmark“, wie die Klugscheißer von heute das gern nennen.Nun wird dabei gerne vergessen – auch weil man die Berater zugleich als Sündenböcke benötigt –, dass die eigenen Geschäftsgeheimnisse dadurch für die Wettbewerber zum offenen Buch werden. Weltweit bei den weltweit agierenden Beratungsgesellschaften! Und so geschieht genau das im großen Stil, vor dem bereits ein Heroe der deutschen Betriebswirtschaftslehre gewarnt hatte mit den Worten: „Da vergleicht sich Schlendrian mit Schlendrian“ (Schmalenbach). Das Ergebnis ist der Verlust jeder Einzigartigkeit und aller USPs im Einheitsbrei der internationalen Wirtschaft.Und so kann es kommen wie bei den Banken in der Subprime-Krise und beim Investmanager Ricci, der ans Himmelstor klopft und um Einlass bittet (Die Geschichte verdanke ich Werner Böhnke, Vorstandsvorsitzender der WGZ Bank):

    Dem Ricci muss Petrus sagen: „Lieber Herr Ricci, leider ist die Abteilung für Investmentmanager so voll, dass da kein Platz mehr für Sie ist.“ „Lieber Petrus“, erwidert der arme Ricci da, „lasst mich den Investmentmanagern dort nur einen Satz sagen.“ Der mitleidige Petrus weiß nicht, warum er Ricci diesen Wunsch versagen sollte. Also legt Ricci los: „In der Hölle wurden gerade äußert ergiebige Ölquellen gefunden.“ Die Investmentmanager, die sich auf Riccis Expertise schon zu Lebzeiten zu verlassen können glaubten, verließen nun kollektiv den Himmel und machten sich gemeinsam auf den Weg zur Hölle.

    „Nun, mein lieber Ricci, Du hast es geschafft. Es ist alles frei im Himmel. Mach es Dir gemütlich!“, sagte Petrus zu erfolgsverwöhnten Ricci. Doch plötzlich zögerte Ricci merklich. „Weißt Du was, Petrus: Ich überleg es mir noch mal. Es könnte ja doch was dran sein an dem Gerücht mit den Ölquellen.“ Und schon folgte auch Ricci den anderen Investmentmanagern auf dem Weg in die Hölle.

Und da trafen sie vermutlich auf alle, die sich zugleich von einer internationalen Beratungsgesellschaft beraten ließen.

Kleine Berater können zwar schlechter sein, aber auch anders und besser. Da gibt es ein differenziertes Portfolio, in dem der wirklich gute Berater freilich oft verkannt wird. Setzt man aber auf den großen internationalen Berater allein, so tut man alle Eierköpfe in einen Korb und haut sich selber in die Pfanne, in der sich alles zu internationalem Rührei vermengt und die Qualität der eigenen Eier verschwindet.

Hat unsere Wirtschaft mal ’nen Kater –

Wer ist dran schuld? Klar der Berater!

Und werden Leute dann entlassen,

werden sie den Berater hassen.

Als Sündenbock er hier fungiert,

weil nie das Management verliert.

Ist international sein Rat,

kennt der Berater in der Tat,

auch was die Konkurrenten machen,

erzählt es uns mit einem Lachen.

Denn er weiß schon ganz bestimmt,

dass er auch uns den Vorteil nimmt.

Nur der Berater, der ist gut,

der freudig und mit frischem Mut,

seinem Mandanten lässt die Ehr,

der Lösungsfindung, auch wenn’s schwer.

Denn will er seinen Sold einklagen,

hört er schon den Mandanten fragen:

„Die Lösung fand ich ganz alleine,

Du bist zu dumm, ich mach Dir Beine!“

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2 Antworten auf „Leon Neschle 48 (38. Woche 2008)“

  1. EIn schöner Artikel.
    Mir sei jedoch die Anmerkung gestattet, dass der wirklich gute Berater ergebnisoffen ist und nicht mit der Annahme daherkommt, er habe die Lösung und der Klient müsse nur noch dahin gebracht werden, selbst darauf zu kommen…

    Grüße aus Rödermark

  2. Liebe Sylvia,

    ich lasse mir gerne sagen, dass ich für ein Problem, das ich mir gar nicht gestellt habe, die falsche Lösung geliefert habe ;-)):

    Natürlich ist ein guter Berater anfangs(!!!) ergebnisoffen. Wenn es das am Ende auch noch ist, fällt mir allerdings nur noch der Satz ein: Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein. Ich wüsste aber nicht, dass das im Widerspruch zu meinem Essay steht.

    Ich wollte keinen Beraterkurs geben, in dem Sinne: Kommt der Berater zum Mandanten … ! Dann hätte ich schon mit der Vorbereitung beginnen müssen. Mich hat allein der Fall interessiert, dass (!!!) ihm bereits (nach langen Vorbereitung und langer Diskussion mit dem Mandanten oder ganz spontan) eine gute Lösung eingefallen ist: Was macht er dann mit dieser „fertigen Lösung“? Vermittelt er diese Lösung als seine eigene oder lässt der dem Beratenen bei mehr Zeitaufwand den Erfolg mit der höheren Gewissheit, dass diese dann auch umgesetzt wird. Aber auch mit dem Gefühl beim Beratenen, seinen Berater für etwas zu bezahlen, was er selbst geleistet hat.

    Liebe Grüße
    Neschle

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