Leon Neschle 18 (25. Woche 2007)

Welche Gerechtigkeit darf es denn sein?

Jeder liebt die Gerechtigkeit – auf Kosten anderer! Ansonsten ist Gerechtigkeit nur schwer zu ertragen! (Neschles bester Bekannter)

Fast jede Religion, jede Ideologie, jede Reliologie oder Ideoligion kennt ihre eigene Gerechtigkeit. Das ist dann die Gerechtigkeit für alle und ihre Verfechter wissen sich allein als Inhaber des Schlüssels dazu. Dabei haben sie mit ihrer Gerechtigkeit nur eine von vielen Gerechtigkeiten gewählt, die „im Handel sind“. Doch für sie ist ihre die „einzig wahre Gerechtigkeit“ unter all den „Lügen-(Un)Gerechtigkeiten“. Ihre Gerechtigkeit wollen sie durchzusetzen, dafür lohnt es sich zu kämpfen, mit welchen Mitteln auch immer. Auf dem Markt für Gerechtigkeit sind sie Angebotsmonopolisten, so glauben sie und so wollen sie alle glauben machen!

Doch wehe uns, wenn das Gerechtigkeits-Monopol da ist! Dann hamas (bayerisch für: „dann haben wir es“) aktuell und alle. Es läuft nur noch ein Programm auf allen Rechnern. Alle Menschen sind von dessen zentraler Entwicklung abhängig! Gegen diese „Gerechtigkeit“ waren sogar die alten Ungerechtigkeiten harmlos: „Summum ius, summa iniuria!“ Neschles befreite Übersetzung: „Wenn nur eine Gerechtigkeit herrscht, herrscht die Ungerechtigkeit.“ –

Neschle las kürzlich eine Buchbesprechung zu „Maximum – wie der Papst Deutschland verändert“. Die Rezensentin zitierte aus dem Werk den Satz: „Wer den Frieden will, muss für Gerechtigkeit kämpfen!“. Für Neschle stellten sich da zwei Fragen:

  1. Für welche Gerechtigkeit? Und:
  2. Ist es nicht umgekehrt? Wer für die eine Gerechtigkeit kämpft, will keinen Frieden, bis diese Gerechtigkeit den Kampf gewonnen hat! Danach wollen die anderen keinen Frieden mehr, die diese Gerechtigkeit nicht wollen und die nicht eher ruhen, bis sich am Ende ihre Gerechtigkeit durchgesetzt hat.

Wurden nicht viele Kriege im Namen der Gerechtigkeit geführt und war es am Ende nicht nur irgendeine der vielen Gerechtigkeiten, von denen nur ihr Anbieter verkündete, sie sei die einzig richtige, wahre, gute, gottgewollte.

Doch gibt es die Gerechtigkeit oder ein fast unüberschaubares Angebot von Gerechtigkeiten bis hin zu Deiner und meiner Gerechtigkeit? Ist es nicht dummes Geschwätz zu behaupten, man kämpfe für die Gerechtigkeit, wie immer sie heißt: „soziale“, „göttliche“ oder „Leistungs-Gerechtigkeit“?

Und ein Kampf für diese Gerechtigkeit: Ist der gerecht? Oder enthält er als „heiliger Krieg“ nicht bereits den Widerspruch in sich selbst? Ist jeder „Kampf für die Gerechtigkeit“ nicht schon deshalb ein Aberwitz, weil es allzu viele Gerechtigkeiten gibt?

A. Im Kaufhaus der Gerechtigkeiten! Die Auswahl ist groß, die Einfalt auch!

Ein Kaufhaus hat mindestens zwei „Abteilungen“: Food und Non-Food. Im Trend liegt das Category-Management, das diese Trennung aufhebt. Früher standen die Grill-Würstchen bei den anderen Würstchen, das Grillbesteck fand sich bei den Haushaltswaren und die Holzkohle beim Heimwerkerbedarf. Heute führt man die Grillbedarf-Category zusammen am Point of Sale, wo der Client seine needs convenient abfetchen kann. All das gibt es auch im Kaufhaus der Gerechtigkeiten:

Im „Kaufhaus der Gerechtigkeiten“ gibt es zwei große Abteilungen mit vielen Einzelprodukten. Und es gibt Category-Management, z.B. unter dem Stichwort „Soziale Gerechtigkeit“. Derzeit nachdrücklich promoted: „Geschlechter-Gerechtigkeit“ mit dem neuesten Angebot von der Grünen-Woche: „Steuersenkung nur für Frauen“. Da dies ein schönes neues Gerechtigkeitsprodukt ist, widmen wir ihm hier, jetzt, gleich, dann und wann ein paar liebevolle Zeilen!

Wie bei allen Produkten spielt auch hier der „Kundennutzen“ die wichtigste Rolle. Hören wir dazu die Kundin Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen: „Ich finde es richtig, die Steuern für Frauen zu senken. Das ist ein cleverer Ansatz, der zu mehr Gleichberechtigung führt. Natürlich würde ich mich auch über mehr netto freuen“.

Ja, liebe Frau Traud, wer nicht? Darauf kommt es allein an bei der Gerechtigkeit: den Kundennutzen. Nur was einem selbst nützt, kann man als „gerecht“ empfinden. Gerechtigkeit muss „mehr netto“ in die eigene Kasse spülen, nur dann ist es eine gerechte Gerechtigkeit.

Dass aber diese „Steuervergünstigung“ ein „cleverer Ansatz“ sein soll! Frau Traud!? Da macht sich Neschle Sorgen um ihre Phantasie. Mit Steuern gesellschaftliche Ziele anzusteuern, hat spätestens seit der Bartsteuer Peter des Großen einen langen Rasputin (Leon Neschle 15).

Neschle könnte sich vorstellen, Menschen ohne Schweißfüße steuerlich zu begünstigen. Schweißfüße stinken seinem Näschen nämlich gewaltig. Alternativ kämen Steuervergünstigungen für Medikamente gegen Schweißfüße in Frage. Das wäre aus Neschles Sicht gerecht besteuert, wenn auch recht bescheuert, aber nur genau so!

Doch gehen wir durch das Grundsortiment, ehe wir uns allzu sehr in das anmutige Neuprodukt der „gekürzten Damensteuer“ verlieben und uns an den alten Schaustellertrick „Dame ohne Unterleib“ erinnern!

Im Kaufhaus der Gerechtigkeiten ist fast alles „als gerecht“ zu haben, vom Grundbedarf bis zum modischen Accessoire mit der Halbwertszeit einer Pressemeldung. Die beiden großen Abteilungen umfassen:

  1. „Sportliche Gerechtigkeiten“, die jedes Ergebnis als gerecht anerkennen, wenn die Spielregeln für dessen Zustandekommen gerecht waren. „Der gerechte Weg ist hier das Ziel!“ und das Leben ein Gesellschaftsspiel!
  2. „Nicht-sportliche Gerechtigkeiten“, die das Ergebnis nach einem vorgegebenen Maßstab beurteilen und es nur als „gerecht“ akzeptieren, wenn es diesem Maßstab entspricht. „Das gerechte Ziel ist hier der Weg!“ und das Leben besteht aus pflichtgemäßem Verwirklichen des vorbestimmten Ergebnisses. Ein Gesellschaftsspiel macht hier keinen Spaß mehr.

B. Gerechte Regeln für das Gesellschaftsspiel: der „sportliche“ Ansatz!

Beginnen wir bei den „Sportartikeln“. Im Angebot sind hier verschiedene Regeln für das Gesellschaftsspiel: Wer darf wann und wo mitspielen? Was geschieht bei Fouls? Wer darf in den Spielverlauf eingreifen? Und, und, und …., von verbotenen Monopolstellungen bis zur unlauteren Werbung.

Diese Regeln richten sich vor allem darauf, den Spielfluss möglichst wenig zu stören und das Spiel in Gang zu halten bei allen Bemühungen, gleichzeitig die Fairness der Spieler zu überprüfen und Regelverstöße zu ahnden.

„Sportliche Gerechtigkeiten“ ergäben keinen Sinn, würde man mit den „gerechten„ Spielregeln am Ende nicht auch die Ergebnisse „als gerecht“ anerkennen. Das Gesellschaftsspiel würde keinem Spaß machen, wenn alle Ergebnisse im Vorhinein festgelegt oder manipuliert wären: Am „grünen Tisch“ fixiert von einem Verfechter nichtsportlicher Gerechtigkeit, der nur zufrieden ist, wenn er sein Ergebnis erreicht. Wie sagte Werner Hansch: „Nicht der Beste soll gewinnen, sondern immer nur Schalke!“ Doch damit wären wir schon bei der „unsportlichen Gerechtigkeit“. Da braucht man nicht mehr zu spielen, weil das „gerechte Ergebnis“ schon vorher feststeht. Natürlich wären auch „gerechte Spielregeln“ entbehrlich.

Dagegen flexibeln Marktwirtschaft und Demokratie mit dem „sportlichen Gerechtigkeitsverständnis“ bei nicht festgelegtem Ergebnis. Beide sind Gesellschaftsspiele nach gerechten Regeln. Bei der „sozialen Marktwirtschaft“ werden am Ende die Ergebnisse ein wenig korrigiert. Sollte das Ergebnis allzu klar ausfallen, wird es moderater umgestaltet. Aus einem 9:0 wird durch Umverteilung ein 7:2 gemacht, weil es ja noch weitere spannende Spiele geben soll. Beim Golf gibt es dafür das Handikap!

So etwas gibt es auch in der Demokratie. Da nennt es sich „Minderheitenschutz“. Trotz hohen Sieges verpflichtet man die Mehrheit, ihren Sieg im politischen Spiel nicht gnadenlos auszukosten. Minderheitenschutz gehört zu den „gerechten Regeln“ der Gesellschaft, obwohl politische Mehrheiten dazu neigen, ihn zu ignorieren.

In dieser Abteilung gibt es unterschiedlichste Gerechtigkeitsregeln schon bei der Zulassung zum Spiel: Ab welchen Alter (16, 18, 21) gilt das aktive (passive) Wahlrecht für welche Gremien? Dürfen Männer noch wählen oder mit über 80 noch gewählt werden? Sollten wir schon Nichtgeborene teilnehmen lassen über Ombudsleute, die als ihre Anwälte auftreten (Aufschrei 10). Warum sollen nur große Kapitalgesellschaften mitbestimmt sein oder warum soll es überhaupt Mitbestimmung geben, wenn die Rechte der Beschäftigten in Arbeitsverträgen geregelt sind? Was ist mit dem Staatseinfluss auf Investitionen?

Fragen über Fragen; jede Antwort ergibt eine „andere Gerechtigkeit“. So wird es heute in den meisten Ländern nicht mehr als „gerecht“ angesehen, Frauen das Wahlrecht zu versagen; bald ist das vielleicht auch so bei den Regeln, unter denen Niedriglöhne (Leon Neschle 16) und Top-Gehälter (Leon Neschle 9) zustande kommen.

Was aber ist, wenn sich die Regeln ändern und Verträge schon geschrieben sind oder jemand sogar schon mit Aktionen begonnen hat? Kann er darauf vertrauen, dass die Regeln, unter denen er ins Spiel ging, Gültigkeit haben, bis das Ergebnis eintritt? Oder muss er auf Vertrauensschutz verzichten? Können Neuregelungen sogar rückwirkend gelten, so dass er nachträglich ins Unrecht gesetzt wird?

Ohne klare Auswahlprinzipien kann man nur willkürlich zwischen den Trillionen von Gerechtigkeiten und Ungerechtigkeiten wählen. Dass uns heute dafür die Auswahlprinzipien ausgegangen sind, zeigt der fesche Vorschlag der „knappen Damenbesteuerung“. Aber wir waren ja noch nicht bei den „Nichtsportlichen Gerechtigkeiten“. Dahin gehört dieser Vorschlag und dahin kommen wir nun.

C. Gerechtigkeit als vorherbestimmtes Ergebnis: der bürokratische Ansatz.

Im „nichtsportlichen“ Bereich hält man nichts von Unsicherheit und Flexibilität der Ergebnisse. Man will Gerechtigkeit von einem feststehenden Ergebnis her schon am grünen Tisch planen. Dabei gibt es drei „klassische“ Bereiche:

  1. Jedem nach seiner Leistung!
  2. Jedem nach seinem Bedarf!
  3. Jedem so, dass er mehr oder minder sanft gezwungen ist, ein „kollektiv erwünschtes“ Ergebnis herzustellen! Das ist auch der Grundgedanke einer „gefälligen Damenbesteuerung“.

Im ergebnisbezogenen Gerechtigkeitsverständnis vegetieren Zentralverwaltungswirtschaft und ideologische Diktatur ganz unspielerisch, aber voll bürokratisch dahin. Alle Aktivitäten werden in den Dienst des „gerechten Ergebnisses“ gestellt. Menschen beteiligen sich, weil sie ihre ideologische Pflicht erfüllen wollen (die Parteigänger) oder sollen und müssen. Für ein Gesellschaftsspiel mit offenem Ausgang gibt es hier keine Toleranz. Die liefe dem Primat „gerechter Ergebnisse“ zuwider.

Die Behauptung, die Marktwirtschaft erbringe leistungsgerechte Ergebnisse, ist Nonsens. Sie vermengt beide Gerechtigkeitsprinzipien. Marktwirtschaftliche Erfolge können auch auf „reinem Glück“ beruhen, selbst wenn dies auf Dauer nur der Tüchtige hat. Die Marktwirtschaft zu befürworten, heißt Ja zum Gesellschaftsspiel, Ja zur Freiheit, Ja zur Flexibilität, aber auch Ja zum Risiko. Hier werden konkrete Ergebnisse nur angestrebt, wenn sie „gerechte Bedingungen“ für die Spielteilnahme betreffen.

Die „soziale Gerechtigkeit“ gehört jedoch in die „unsportliche“ Abteilung, da sie auf Ergebnisse und nicht auf gleiche Spielchancen zielt, wie etwa das Golf-Handicap. Weil der Markt und die Marktwirtschaft nicht die erwünschte „Bedarfsgerechtigkeit“ hervorzaubern, wird man sie ausschalten müssen und damit zugleich deren Flexibilität und Unsicherheit. Auch die Demokratie könnte überraschende Ergebnisse bringen, die vorgefertigten Ergebnisvorstellungen zuwiderlaufen. Daher!?

Wie sagte jüngst ein deutscher Politiker: „Demokratischer Sozialismus“: das ist wie ein „vegetarischer Schlachthof“. Da liegt er leider nicht ganz falsch! Denn die spielregelbezogene Gerechtigkeit der Demokratie und die ergebnisbezogene des Sozialismus beißen sich wie zwei eigenwillige Stuten. Hier die flexible und offene Form, bei der nur die „gerechten“ Spielregeln stehen; dort die vordeterminierte und geschlossene Form, bei der Gerechtigkeit im vorgegebenen Ergebnis gesehen wird. –

Die ersten beiden Fächer in dieser Abteilung, Leistungs- und Bedarfsgerechtigkeit, verlangen nach Maßstäben, an denen wir Leistung oder Bedarf messen. Wenn zwei mit gleicher Leistung/gleichem Bedarf dasselbe erhalten oder zahlen sollen, muss man festlegen, was „gleiche Leistung“/„gleicher Bedarf“ ist. Ein Beispiel zur Leistung:

Erweitert man den Steuerbegriff über Geldleistungen an den Staat hinaus auf „geldwerte“ Arbeitsleistungen, vom Bürokratismus bei der Steuererhebung bis zum Wehr- oder Ersatzdienst, hat das Folgen für die Beurteilung „steuerlicher Gerechtigkeit“: Durch Wehr- oder Ersatzdienst sind nun viele Männer höher besteuert als Frauen. Vor allem früher schlug das zu Buche, wenn sie erst 18 Monate später ihre Berufsarbeit aufnehmen konnten. Wer diesen „Blutzoll“ in Form von Hand- und Spanndiensten für den Staat nicht leistet, müsste aus dieser Sicht z.B. höhere Steuern abführen, damit der Leistungsgerechtigkeit genüge getan ist.

Wie bemisst man nun Leistungen, nach denen man „gerecht“ entlohnen oder „steuerlich belasten“ will? Nach dem Marktpreis (Den gibt es bei durchgängiger Anwendung dieses Gerechtigkeitsprinzips gar nicht mehr!), nach „gesellschaftlich determinierten Werten“, wer immer diese festlegt? Bemisst man die Leistung absolut oder relativ, nach Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand? Was geschieht, wenn jemand etwas geschenkt bekommt? Oder ist es eine Leistung, die Gunst des Schenkers zu erringen? Was ist mit Erbschaften? Darf es die noch geben oder erbt alles der Staat? Der Staat ist ohnehin der einzige, der die Maßstäbe für Leistung oder Bedarf verbindlich und aus dieser Sicht zugleich „gerecht“ festlegen könnte.

Hier gibt es eine Fülle von Kriterien, die der eine für gerecht, der andere für ungerecht hält! Wo also ist die Gerechtigkeit? Neschle kann nur seine Gerechtigkeit benennen, was er für Leistung hält oder nicht. Für ihn sind „die Ersten“ meist überbezahlt. Presseunterstützt, denn dort werden Helden und Heldenmythen der Neuzeit gemacht, geformt und popularisiert, um dann zerstört, verformt und entpopularisiert zu werden. Britney Spears und Jan Ullrich lassen grüßen. Die vermeintlich besten Fußballer, Rennfahrer, Künstler, die Vorstandsmitglieder – „die besten Manager“? – erhalten relativ zu viel. Verdienen Top-Manager das Zwanzigfache derjenigen, die auf der nächsten Stufe stehen, oder mehr als das Zweihundertfache ihrer Arbeiter, ist ihre Entlohnungsfunktion recht „progressiv“. Meist zu progressiv sagt Neschle und er ist sicher, dass hier der Markt außer Kraft ist, solange das „Persönlichkeitsmonopol“ der Stars gut vermarktet wird. – Das klingt nur wie ein Widerspruch!

Ein älterer Herr fragte Neschle einmal: „Wenn ein Wein doppelt so viel kostet, schmeckt er dann auch doppelt so gut? Und wenn er nicht doppelt so gut schmeckt, warum kostet er dann doppelt so viel?“ Und wenn einer zweihundert Mal so viel verdient, leistet er auch dann zweihundert Mal mehr?

Da kann Neschle nur sagen: Das kann niemand sagen! – Und hätte ein anderer es nicht billiger gemacht! Vielleicht! Aber wäre es dasselbe gewesen? Welche Leistung ist überhaupt einem Top-Manager zuzurechnen? Da gibt es unlösbare Probleme und Neschle plaudert dazu mal aus dem Leben:

Ein Wirtschaftsprüfer erklärte Neschle, er spreche so lange mit den Mandanten, bis die davon überzeugt seien, seine Ideen wären ihre eigenen. Natürlich „schreibe er dabei Stunden“, aber nur so sei die Umsetzung seiner Ideen zum Wohle des Mandanten gewährleistet. Präsentiere er seine Lösung sofort auf einem Silbertablett, sei die Sache für den Mandanten zwar zunächst billiger, aber seine Lösung würde nicht oder nicht so umgesetzt wie unter der von ihm vermittelten Illusion, die Lösung sei tatsächlich vom Mandanten selbst gekommen. Am Ende kommt es dem Mandanten sogar zugute, dass er ein höheres Beratungshonorar zahlen musste.

Kurz darauf hatte Neschle selbst dieses Erlebnis: Er war von einem Unternehmer zum Mittagessen eingeladen. Dessen Unternehmen war in der Krise. Neschle stellte gezielte und zum Teil auch suggestive Fragen dazu und wies in die Richtung der Lösung. Die Lösung selbst benannte der Unternehmer mit seinen Antworten. Er sanierte dann das Unternehmen und verkaufte seine Beteiligung für einen Millionenbetrag.

Neschle ist sicher: Dieser Unternehmer ist heute noch fest davon überzeugt, die Lösung selbst gefunden zu haben. Er hat „seine“ Lösung umgesetzt und das Tor gemacht. Neschle als Passgeber ist vergessen und durch seine „Dummheit“ zum Tor gemacht. Immerhin hatte Neschle sein Essen kostenlos, für seinen Gesprächspartner war es jedoch Millionen wert. Neschle hat mit keinem Cent am Ergebnis partizipiert. Er kann dafür nichts einfordern, weil er sein „geistiges Eigentum“ mit seinen Fragen gezielt und freiwillig abgegeben hat.

Es geht Neschle nicht um Larmoyanz über die eigene „Dummheit“ – das ist abgehakt –, sondern darum, wie schwer Leistungstrennung ist und die individuelle Zuweisung bei Gemeinschaftsprodukten. Da ist es möglich, dass einer die „eigentliche“ Leistung erbringt, der andere kassiert. Nichts ist leichter „gestohlen“ als Informationen. Manchmal bemerkt der Dieb den Diebstahl nicht einmal selbst, so selbstverständlich ist Ideendiebstahl, so schnell gehen gute Ideen in unser Eigentum über. Doch auch sonst ist Leistungstrennung schwierig:

Eine Unternehmung strich Stellen in Sechser-Teams ihres Außendienstes und stellte diese neu zusammen. Leistungsmaßstab war der Wert der beschafften Aufträge. Die neuen Teams zeigten jedoch einen starken Leistungsabfall. Der Grund:

In den alten Teams hatten sich Spezialisten gebildet. Neben „Knipsern“, die den Auftrag „schrieben“ und das Tor machten, gab es Leute, die ihn anbahnten, die Bedingungen aus- oder die Reklamationen bearbeiteten. Diese Leute wurden entlassen, weil die Leistung allein in den beschafften Aufträgen gemessen wurde. Das war so, als würden allein die Torjäger das Spiel entscheiden. Dass dies anders war, merkte man erst, als man die neuen Teams nur aus Torjägern bildete, ohne Torwart, Verteidiger oder Spielmacher, und damit die eigene Vorstellung von „Leistungsgerechtigkeit“ ad absurdum führte. Denn Misserfolg stellte sich zwangsläufig ein! –

Und wie ist es bei Bedarfsgerechtigkeit? Ist jeder Jeck anders wie nach dem ersten Hauptsatz des Kölschen Karnevals, dann ist jeder Bedarf individuell und zeitbedingt. Wie soll da eine generelle Zuteilungsregel „Jedem nach seinem Bedarf!“ verwirklicht werden? Bei Grundbedürfnissen geht das vielleicht noch! Das ist ja auch das einzige, wozu die sozialistischen Zuteilungsstaaten in der Lage waren. Aber von da an?

Die 68er erkühnten sich sogar die „wahren Bedürfnisse“ der Menschen zu kennen, die Bedürfnisse jenseits des Zerrspiegels politischer Propaganda und Werbung der kapitalistischen Unternehmungen, von denen die Menschen verdummt wurden. Sie verstiegen sich sogar zu der Hybris, sie würden den Menschen beibringen, was „sie wirklich wollten“.

Ombudsleute sollten Verbraucherbedürfnisse im Aufsichtsrat der Unternehmungen artikulieren oder das, was sie dafür hielten. Das war der 68er-Weg zu „mehr“ Gerechtigkeit. Heute lachen darüber die ältesten Hühner, damals nicht einmal die jüngsten!

Kaum einer lacht aber heute darüber, wenn mit „gerechten“ Geldanreizen die merkwürdigsten Politziele erreicht werden sollen. Ein charmantes Beispiel liefert uns Antje Hermenau, Fraktionschefin der Grünen in Sachsen. Typisch für „grüne“ Politiker – die gibt es nicht nur bei den Grünen – liefert sie uns als „Gerechtigkeitsflittchen“ eine hirnlose Eintagsfliege der Gerechtigkeit. Also alles was (ge)recht ist!

D. Wer zahlt denn als Frau heute noch Steuern, wo wir viel wichtigere Probleme haben!

Dafür ist Frau Hermenau: Steuersenkung nur für Frauen. Das wäre ein „großer Beitrag zu mehr Gleichberechtigung“. Dann kommt der Sack aus der Katze: „Endlich würden mehr Frauen arbeiten. Endlich würden viele Frauen zum Hauptverdiener in der Familie und viele Männer die weibliche Lebenssituation kennen lernen [die dann keine solche mehr wäre, Anmerkung: Neschle]. Dann würde sich auch das Problem der Kinderbetreuung lösen.“

Aber die allermeisten Frauen arbeiten doch schon. Wenn nicht in der „Lohnknechtschaft“, so in der „Eheknechtschaft“. Also geht es A.H. nur darum, mehr Frauen von der „Eheknechtschaft“ in die „Lohnknechtschaft“ zu überführen. Ohne sie einzeln zu fragen, ob sie das auch wollen! Es ist eben ein „Kollektivziel“, dem A.H. nun mit der Steuerpolitik nachhelfen will.

Aber warum nur kann „Lohnknechtschaft“ für eine wirtschaftskritische Grüne so schön sein? Und was ist mit den Frauen, die das Arbeiten in „Ehe- und Kindsknechtschaft“ vorziehen? Ihre Familien würden nach A.H. steuerlich benachteiligt!

Moment, das kann nicht sein! Laut A.H. gibt es nur Steuerbegünstigungen für Frauen: „Lieber eine positive Diskriminierung als eine negative. Wenn Frauen finanziell besser gestellt werden, ermutigt das mehr Paare, Kinder zu bekommen.“

Da hat A.H. offenbar etwas Hirnspeck angesetzt. Das macht sie gedanklich unbeweglich. Neschle weiß dagegen nach jahrelanger Klein(hirn)arbeit: In der Ökonomie kommt es auf die relativen Preise an. Positive Diskriminierung des einen ist dann zwingend negative Diskriminierung des anderen.

Und das mit dem Kinderkriegen muss sie mal erklären: Vor allem die Paare werden es nicht verstehen, bei denen die Frau sich der Kinderbetreuung widmen will. Doch genau das sollte sie nach A.H. ja nicht tun! Diese Frau soll sich nicht beschweren, wenn sie sich A.H. widersetzt. Die Steuer wird bei ihr so wie bei den Männern erzieherisch eingesetzt, die entgegen dem Willen von A.H. noch berufstätig sind. Denn Antje ist eine strenge Grundschullehrerin mit dem Fach „Gesellschaftserziehung“. –

Leistet eine Frau, die sich der Kinderbetreuung widmet, aber weniger für die Gesellschaft als ihr Mann, wenn er diese Aufgabe übernimmt? Können Männer es besser und sind Frauen hier nur zweite Wahl? Nein?! Warum werden solche Frauen und ihre Familien dann von A.H. steuerlich diskriminiert? Weil sie nicht helfen wollen, ihre „Endlichlösung“ zu verwirklichen! – Keine Irritationen! A.H. ist hier Antje Hermenau.

Warum sollte es das „gesellschaftliche Ziel“ sein, Frauen „endlich“ zu den Hauptverdienern zu machen? Bei den Männern war es noch keines, sondern nur ein gesellschaftliches Faktum mit verschiedenen Ursachen. Was also soll dieses „endlich“?

Freudlich entlarvend ist bei A.H. vor allem „das Problem der Kinderbetreuung“. Damit definiert sie Kinder über das „Problem“ ihrer Betreuung. Über Lästiges, nicht über eine schöne „Aufgabe“, die auch für Frau erstrebenswerter sein könnte als die „Lohnknechtschaft“. Bei einer solchen Betrachtung wundert es Neschle nicht, dass die Deutschen auszusterben drohen.

Und warum, liebe A.H. soll sich das „Problem der Betreuung“ über die Steuerbegünstigung von Frauen lösen? – Da hat Neschle wohl die Frage falsch gestellt: Für wen soll sich das „Problem“ lösen, hätte er besser gefragt. Die „Aufgabe der Kinderbereuung“ gäbe es ja nach wie vor, nur nicht für Frauen, welche die „Lohnknechtschaft“ vorzögen. Das „Problem der Kinderbetreuung“ wäre folglich nicht generell gelöst, sondern nur für diese Frauen – was A.H. offenbar schon reicht – und das nur scheinbar. Denn es ist dasselbe „Drücken vor der Verantwortung“ gegenüber Kindern, das heute nicht ganz zu Unrecht vielen Männern vorgeworfen wird. Nur tun es nun diese Frauen (auch). So platt – so schlecht!

Warum ist dies nun eine „gerechte Besteuerung“, obwohl sie Männer und Frauen diskriminiert, die nicht der Berufstätigkeit der Frau Vorrang einräumen? Warum soll hier kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes vorliegen?

„Gerecht“ soll diese „Steuervergünstigung nur für berufstätige Frauen“ sein, weil sie für A.H. ein „gerechtes“ Ergebnis bringt. Weil Männer allzu sehr an ihrem Job hängen und ihn dadurch angeblich für Frauen versperren, sollen sie relativ härter besteuert werden. Dadurch bringen sie netto weniger nach Hause oder sie werden für ihre Arbeitgeber teurer. Das erstere schafft den privaten Anreiz, die Lohnarbeit des Mannes durch die der Frau zu ersetzen, dass zweite den Anreiz bei den Arbeitgebern, Männerarbeit durch Frauenarbeit auszutauschen.

Auf die Idee gekommen sind zwei italienische Wirtschaftswissenschaftler Alberto Alesina und Andrea (das ist ein Mann!) Ichino. Die juristische Begleitmusik dazu spielt der Verfassungsrechtler Christian Pestalozza (klingt auch italienisch!). Der beweist uns, dass Juristen alles erklären und begründen können und sei es noch so dämlich: Der Gleichheitsgrundsatz fordere eben keine generelle Gleichbehandlung, sondern lasse Ungleichbehandlung zu, bis eine Benachteiligung ausgeglichen sei.

Jetzt wird es Neschle schlecht! Benachteiligt ist die oder der einzelne, die pauschale Diskriminierung über die Steuern geht über Durchschnitte. Individuelle Benachteiligungen kann man aber nicht mit Regeln bekämpfen, die am Durchschnitt ansetzen.

Im öffentlichen Dienst kann man heute eher von einer Benachteiligung junger Männer sprechen. Dort haben Berufsanfängerinnen größere Chancen als ihre männlichen Pendants. Die Einstellung von Bewerberinnen geht problemlos vonstatten, während jede Einstellung eines Bewerbers einer intensiven „Rechtfertigung“ und jeder Menge Bürokram bedarf, falls es auch Bewerberinnen gibt. Manchmal schaltet sich noch die Frauenbeauftragte ein. Wer schnell einstellen möchte, Ärger und Bürokram vermeiden will, der wählt sogar dann die Frau, wenn sie weniger qualifiziert ist.

Beim Richterberuf stellen wir heute eine intensive Verweiblichung fest. Antjes Steuerbegünstigung für Frauen gilt auch dort, wo die bereits die Mehrheit im Beruf stellen, und bei Frauen, deren Männer schon jetzt häusliche Aufgaben und die Kinderbetreuung übernehmen. Dort würde aber die Steuerbegünstigung keine Entscheidungswirkung mehr entfalten, sondern zum „Mitnahmeeffekt“ führen. Über geschenkte Vergünstigungen, für die sie nichts mehr tun müssen, freuen sie sich natürlich besonders, wie Gertrud Traud zu Beginn dieses Essays. Sie werden dadurch nachträglich für ihr A.H.-konformes Verhalten belohnt.

Sind die gewählten Berufe bei Männern und Frauen verschieden, würde allerdings die pauschale Begünstigung der Frauen zu Brancheneffekten führen. Bei Ingenieuren und Computerfachleuten, die männlich dominiert sind, käme es zu einer Mehrbelastung, bei Richtern oder im Lehrerberuf zu einer Entlastung.

Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf den Zukunftsmärkten des Maschinenbau, der Elektrotechnik und der Software-Entwicklung würde darunter leiden. Denn mangels Masse würden sich hier gar keine Frauen finden, so dass die verbleibenden Männer teurer würden. Da würden sich z.B. die Italiener freuen, denn endlich würde FIAT (Bösartiges Akronym: Für Italiener Ausreichende Technik) international konkurrenzfähiger. Steckt dahinter nur ein Komplott von Alberto und Andrea. – Achtung Neschle-Anfänger: Das ist ein Scherz!

Man könnte darüber lamentieren, warum es so wenige Ingenieurinnen gibt. Selbst wenn man dafür keine Erklärung hat oder nicht haben will, ist das Fakt, ebenso die Tatsache, dass BWL-Frauen in der Personalwirtschaft und im Marketing in der Überzahl sind, in Ökonometrie, Statistik und in der Finanzwirtschaft in der Minderzahl.

Ergebnis: Da in einigen Bereichen überwiegend männlich besetzte Funktionen ausgefüllt werden müssen, die mangels Masse nicht durch Frauen ersetzbar sind, käme es dort durch die steuerliche Benachteiligung zu Lohnsteigerungen für Männer. Das wäre ergebnisbezogen wieder eine „Ungleichbehandlung“. Für A.H. erforderte dies einen erneuten „Gleichstellungseingriff“, den sie durch ihren ersten Eingriff selbst provoziert hat. Gleichzeitig sinken die Gehälter in den frauendominierten Berufen, weil sie einen Teil ihrer Steuerbegünstigung an die Arbeitgeber „überwälzen“ würden. So funktioniert nämlich der Markt, Frau Hermenau!

Beispiele dafür gibt es mengenweise. Oder glaubt jemand, die Steuervergünstigungen in Ostdeutschland seien den Bauherren zugute gekommen. Im Gegenteil: Viele davon haben heute ernste Schwierigkeiten bei steigendem Leerstand und sinkenden Mieten. Die Vorteile der Bauherren haben zum größten Teil die Bau- und Handwerkbetriebe abgeschöpft, die ihre überhöhten Preise durchsetzen konnten, welche bauwütigen steuerbegünstigten Investoren akzeptierten.

Folge: A.H. sollte mit ihrem grünen Verstand noch ein wenig überlegen. Es gibt andere und bessere Lösungen für ihr Problem! Doch das wäre ein anderes Essay.

Noch etwas! Auch für ParlamentarierInnen gilt das Wort von Dieter Nuhr: „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Klappe halten!“ So und jetzt tut das auch der Neschle, weil er keine Ahnung hat, wie er das solchen Leuten wie Frau Hermenau beibringen soll. Das können nur die WählerInnen! Neschle hat ansonsten nichts gegen Frau Hermenau. Leider! Ihm fallen da keine anderen Mittel ein.

Neschle redet jetzt mit einem Freund über das Schweigen. Das geht!

Es gab um die Gerechtigkeit

seit alters her schon sehr viel Streit.

Ein jeder wollte nur die seine

und nahm den andren an die Leine.

Doch gäb’ es viel Gerechtigkeiten,

worüber sollt man dann noch streiten.

Durchs Dorf gejagt wurd’ manche Sau,

dann kam auch die Frau Hermenau:

Die wollte Männer als Betreuer

der Kinder über unsre Steuer

erzwingen. Doch Gerechtigkeit

ist das wohl kaum, es tut mir leid.

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Eine Antwort auf „Leon Neschle 18 (25. Woche 2007)“

  1. Gerechtigkeit ist ein schöner Schein,
    der Hörer ist bei dem Schlagwort so verblendet,
    dass so mancher denkt: es soll so sein.

    Mit Gerechtigkeit verhält es sich wie mit Solidarität:
    Forderst Du sie ein, ist es längst zu spät.
    Dann stellst Du fest: es gibt Gerechtigkeiten vieler,
    genauso viele wie Wünsche, – des guten Nutzens lieber.

    Forderst Du die Grundsatzdiskussion
    wirst Du sehen: was ihre Gerechtigkeit ist,
    das wissen die anderen schon.

    Und so forscht auch Neschle weiter
    … und der Leser dieses Blogs bleibt heiter!
    😉

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