Au … Aufschrei 11

Bau Dir (D)einen Türken!

Gewaltenteilung, aber richtig: Gewalten-Teilung statt Gewalt-Enteilung!

Der siebzehnjährige Marco W. aus Deutschland ist inhaftiert! In der Türkei! Nach der Anzeige einer Britin, Mutter einer dreizehnjährigen Tochter. Sein angebliches Delikt: „Verführung Minderjähriger“! Verurteilt ist er noch nicht! Schon deshalb gilt er (noch) als unschuldig. Bis zu einem denkbaren Urteil, das von seiner Schuld ausgeht.

Das wartet aber weder die deutsche Presse ab noch die deutschen Politiker. Gestern am 26. Juni 2007 sprach Außenminister Steinmeier darüber mit seinem türkischen Amtkollegen Gül. Zuvor hatte sich bereits Niedersachsens Ministerpräsident Wulff an den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan gewandt. Auch das einzige, was von Rot-Grün blieb, hat sich gemeldet: Claudia Roth, Grüne. Sie verlangte die Freilassung von Marco und sie erwarte von der türkischen Seite, dass dies „in aller Schnelligkeit passiert“. Also: Macht es, aber dalli!

Neschle überlässt es der gelben Regenbogenpresse, über die delikaten Details dieser Jugendveranstaltung zu reden. Die deutsche Presse überschlägt sich hier in widersprüchlichen Meldungen und Spekulationen. Da gibt es alle möglichen Ergüsse: von der Behauptung, die Beteiligten selbst hätten von einem „harmlosen Urlaubsflirt“ gesprochen, über den vorzeitigen Samenerguss bei Marco W. bis zu der Behauptung, es gäbe ein belastendes Gutachten über den vollzogenen und erzwungenen Geschlechtsverkehr.

Ein derart wildes Wechselbad von kalten und heißen (Er)Güssen ist nicht untypisch für die eigentlich erste Gewalt im Staate : „die Plakative“ (in Leon Neschle 3 fehlerhaft als „vierte Gewalt“ bezeichnet). Die wird auch „die Presse“ genannt, weil sie alle unter Druck setzt. Wer horizontal zwischen die Presse gerät und am Boden liegt, wird platt gemacht; wer vertikal hineinkommt, wird über seine eigentliche Größe hinaus ausgedehnt. Die anderen Gewalten sind: die Legislative (Gesetzgebende Gewalt), die Exekutive (Ausführende Gewalt) und die Judikative (Rechtsprechende Gewalt).

Die Trennung dieser letzten drei Gewalten ist eine der Errungenschaften demokratischer Staaten. Vor allem die Unabhängigkeit der Justiz gilt als bedeutendes Merkmal der Gewalten-Teilung.

Was deutsche Politiker von der Türkei fordern, ist nun, diese Gewalten-Teilung im Fall von Marco W. aus Uelzen aufzuheben und eine politische Entscheidung zu treffen. Der deutsche Anwaltsverein hat sogar vorgeschlagen, darauf hinzuwirken, dass der Fall in die Zuständigkeit deutscher Behörden übergeht.

Völlig unabhängig davon, dass ein vergleichbares türkisches Ansinnen in Deutschland eine Welle der Empörung auslösen würde, und unabhängig davon, dass manches am türkischen Strafvollzug verbesserungswürdig sein könnte (wie am deutschen auch!): Wer von den Türken eine Aufhebung der Gewalten-Teilung fordert, macht sich der eigenen Gewalt-Enteilung schuldig. Denn welche Folgen hätte das?

Nehmen wir an, der Einfluss der türkischen Exekutive auf die eigene Judikative sei –anders als in Deutschland – so groß, dass sie das von den deutschen Politikern erwünschte Ergebnis herstellen könnten. Was würde geschehen? Wir würden die Türkei wegen fehlender Gewaltenteilung als „nichteuropafähig“ hinstellen! Denn von den Staaten in Europa verlangt man auch eine unabhängige Rechtsprechung. Man würde die Türkei also gerade dafür tadeln, was man nun im Fall Marco von ihr fordert. –Wieder einer dieser Widersprüche in der politischen Denkkiste, die Neschle als Anstoßpunkt seine Essays so liebt.

Wer sich über den Umgang der türkischen Behörden mit diesem Fall erregt, dem empfiehlt Neschle zum Ausgleich etwas über einen vergleichbaren Fall in den USA zu lesen, nach dem hierzulande kein Hahn kräht, weil kein Deutscher darin verwickelt ist: http://www.nytimes.com/2007/06/11/us/11cnd-consent.html?hp .
Da stehen Neschle sogar die nicht mehr vorhandenen Haare zu Berge!

Man versucht zudem an den Symptomen zu kurieren und nicht an der Ursache anzusetzen. Die liegt nun mal in der Anzeige der Mutter der Dreizehnjährigen. Man weiß zwar, dass in der Lebensphase der Tochter die Phantasie manchmal mit den Jugendlichen durchgeht, aber das zu entscheiden wird Aufgabe des Gerichts sein, wenn Mutter (und Tochter) ihre Klage nicht zurückziehen. Dass sie es offenbar bis jetzt noch nicht getan haben, lässt an den Pressemeldungen zweifeln, die von einer gemeinsamen Aussage „Urlaubsflirt“ der beiden Akteure sprachen. Dann gäbe es in der Tat keinen Grund mehr, die Anklage aufrecht zu erhalten. Dann hätte die Anzeige sogar schon zurückgezogen sein müssen!

Das Hineinreden deutscher Politiker in die türkische Gewalten-Teilung ist jedoch eine Gewalt-Enteilung ersten Ranges. Man sollte diese Politiker dringend einfangen und ihnen erklären, wie wichtig Gewalten-Teilung ist: auch und gerade für die Türkei! Und wenn die Türken das schon selbst einsehen, müssen wir ihnen das lassen! Ja, das muss man ihnen lassen!

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