Leon Neschle 16 (23. Woche 2007)

Akademische Ludenknechtschaft

When a man tells you that he got rich through hard work, ask him: „Whose?“ (Don Marquis)

„Meine Ausbildung war kostenlos, Deine war umsonst!“, sagte Neschle vor einigen Jahren im Scherz zu seinem Bruder. Heute ist man weiter: Die akademische Ausbildung ist schon wegen der Studiengebühren nicht mehr kostenlos, aber immer häufiger umsonst. Und die Guten bezahlt man nach dem Examen und beim Studium oft schlechter als die Schlechten: Gut ausgebildet, gut ausgebeutet. Bei den Guten lohnt sich Ausbeutung eben mehr als bei den Schlechten!

Es ist wie beim Luden, beim Zuhälter der „Gaunersprache“ (so der Duden!): Der wählt gerade die attraktivsten Mädel, um sie seinem Regiment zu unterwerfen und diese als „Luder“, also als Köder, einzusetzen. Die hübschen Mädel landen daher in der „Ludenknechtschaft“, während weniger attraktive von ihm unbehelligt bleiben.

Die guten Leute werden nicht mehr gekauft, sondern nur noch verkauft, für dumm und manchmal für Geld. Frei nach Francis Bacon: “Great riches have sold more men than they have bought.” Unser Reichster, der Vater Staat, ist mal wieder dabei!

A. Betteldozenten: Lehraufträge und Prüfungen gehen leer aus!

Neulich ging es durch die Gazetten: In der Putzkolonne des Deutschen Bundestages wird mit unter sechs Euro pro Stunde weniger verdient als das, was sich viele in der Politik als Mindestlohn vorstellen. Um dieses Gehaltsniveau zu erreichen, muss man aber gar nicht putzen. Man kann auch eine akademische Ausbildung machen und im Dienste des Staates lehren, z.B. an einer Universität. Da wird nämlich der geringe Verdienst locker aufgewogen durch die hohe Ehre, dort überhaupt lehren zu dürfen. Lehren darf man dort übrigens nur, wenn man bereits überdurchschnittliche Qualität bei Studium und Promotion bewiesen hat.

Neschle ist ein wenig beschämt, erst durch einen Zeitungsartikel im Mai 2007 zu diesem Essay inspiriert worden zu sein; denn er kennt den Sachverhalt seit Jahren aus nächster Anschauung. „Der Betteldozent“ war der Artikel überschrieben. Darin stand über Lehrveranstaltungen eines Dozenten zu lesen: „Er tat das unentgeltlich. Für manche Lehraufträge gab es weniger als 20 Euro pro Stunde, für andere nichts und auch für die Prüfungen nichts.“ Zu all dem bekleckerte man ihn noch ein wenig mit „Ehre“ als zynisches Sahnehäubchen. Nach fünf Jahren Lehre wurde der Dozent „außerplanmäßiger Professor“. Doch für diesen Titel konnte er sich buchstäblich „nichts kaufen“. Er war nach Promotion und Habilitation mit deutlich über 30 Jahren und weniger als Hartz-IV auf die Unterstützung seiner Mutter angewiesen.

So könnte der „Betteldozent“ von heute zusammen mit dem operettenhaften Bettelstudenten früherer Zeiten singen: „Ich hab’ kein Geld, bin vogelfrei, will aber nicht verzagen. Du, Jugendleichtsinn, steh’ mir bei, mein Schicksal zu ertragen.“ Der „Jugendleichtsinn“ würde bei ihm allerdings durch die „Gelassenheit des Alters“ ersetzt.

Nimmt man unbezahlte Lehraufträge, Vorbereitungen und Prüfungen hinzu, dann können sich die Reinigungskräfte im Bundestag fast „glücklich schätzen“: Sie verdienen mehr als unser „außerplanmäßiger Professor“. Und das mit viel geringeren Investitionen in ihr Humankapital.

Das ist für sich genommen perfide genug. Das Perfideste ist aber die schräge Begleitmusik etwa zu den heute ohne Zusatzentgelt durchgeführten Prüfungen:

Denn die Prüfungsentgelte wurden gerade zu einer Zeit gestrichen, als man „mehr Leistungsorientierung und mehr Leistungsgerechtigkeit“ an den Hochschulen propagierte. Neschle hat damals das Gerücht gehört, ein Bielefelder Professor hätte dem Ministerium zuvor die Steilvorlage geliefert. Er fragte dort an, was die Überweisung dieser Kleckerbeträge für Prüfungen sollte. Die Korrekturen seien doch Bestandteil seines Jobs und mit seinem Gehalt bereits abgegolten. Das ließ sich das Ministerium nicht zweimal sagen.

Es deutet allerdings auch darauf hin, dass der Bielefelder Professor in der komfortablen Lage war, nur wenige Studenten bedienen zu müssen. In Massenfächern wie der Betriebswirtschaftslehre kamen aber im Jahr schnell über 1.000 Klausuren zusammen, daneben Diplomarbeiten und Dissertationen. Soweit die Mitarbeiter mit Vorkorrekturen befasst waren, ließen viele Professoren diesen das Geld zukommen. Nun sitzen die Mitarbeiter unmotiviert vor Bergen von Klausuren, zumal der Abbau der Prüfungsentgelte auch die Abschaffung der zeitfressenden mündlichen Prüfungen durch die Professoren beschleunigt und sie durch schriftliche ersetzt hat.

Heute verdienen Professoren und Mitarbeiter ihr Geld unabhängig davon, wie viele Klausuren, Diplomarbeiten und Dissertationen sie korrigieren oder wie viele mündliche Prüfungen sie abnehmen. Die Prüfung war für Professoren zwar immer schon ein „Quasi-Ehrenamt“, für das man eine „Prüfungsberechtigung“ brauchte, das separate Entgelt war jedoch von wichtiger Symbolik. Nur bei Lehramtsprüfungen gibt es jetzt noch diese ohnehin mageren Zusatzentgelte.

Selbst innerhalb einzelner Fakultäten unterscheidet sich allerdings die Prüfungsbelastung enorm. Zwischen den Fakultäten sind die Unterschiede noch ärger: Als Neschles Alter Ego in einem Jahr mit der Rekordzahl von 5500 Klausuren (mit Vor- und Nachklausuren im Grundstudium) konfrontiert war, sagte ihm eine Kollegin aus einer anderen Fakultät, sie habe in diesem Jahr 5 Klausuren zur Korrektur gehabt. In einer Fakultät, der Neschles Alter Ego einmal angehörte, hatte ein Lehrstuhl jahrelang keine einzige Diplomarbeit, ein anderer in derselben Zeit im Durchschnitt 80 pro Jahr. Zusatzarbeit ohne Zusatzentgelt. Beide Lehrstühle hatten dieselbe Zahl von Mitarbeitern.

Im Sommer 2006 flackerte kurz ein Protest an einer Münchener Universität auf: Für Lehraufträge gab es 9 Euro pro Stunde, Vorbereitung und Sprechstunden wurden nicht gesondert bezahlt. Geht man davon aus, dass beide dieselbe Zeit beanspruchen wie die Lehrveranstaltung, bedeutet das nicht einmal 5 Euro pro Arbeitsstunde. Und was bekommen die Reinigungskräfte im Bundestag? Immerhin ein wenig mehr! Was kostet heute eine Meisterstunde? Ein Vielfaches. Was hatten die Dozenten? Einen akademischen Grad, der mehr war als „akademischer Meister“! Sie waren promoviert und habilitiert, wofür der „Master“ nur die notwendige Voraussetzung ist.

In Randy Newmans Hit „It’s Money that Matters heißt es: “Of all of the people that I used to know most never adjusted to the great big world … All of those people are much brighter than I. In any fair system they would flourish and thrive. But they barely survive they eke out a living and they barely survive.”

Wenn die Leute in diesem System nicht mehr überleben, besteht die Gefahr, dass dieses System selbst nicht überlebt, zugleich jedoch die Hoffnung auf Weisheit bei den Entscheidungsträgern, dass es so nicht überlebt. Denn wie sollen wir damit überleben in der internationalen Konkurrenz des Wissens. Wer ergreift hierzulande noch den Beruf des Wissenschaftlers, gerade bei gut vermarktbaren Fähigkeiten und Fertigkeiten? Die Besten gehen schon heute in die Praxis, bleiben nicht an der Universität. Aber an der Universität finden die Multiplikatorwirkungen auf unseren akademischen Nachwuchs statt. Dafür brauchen wir die Besten an dieser Stelle. Durch massive Besoldungskürzungen versteckt hinter einer „leistungsorientierteren Umstellung“ von der C- auf eine W-Besoldung ist unser Staat derzeit dabei, genau dies zu verhindern. Neschle empfiehlt derzeit keinem seiner Mitarbeiter mehr, auf eine Universitätskarriere in Deutschland zu setzen. Das kurzfristige, aber recht hohe Ziel der Haushaltssanierung verstellt hier den Blick auf den künftigen Bildungshorizont.

Unser Bildungsakku hat bereits an Ladung verloren und der Brain Drain wird enorm sein in den nächsten Jahren. Über die langfristigen Wirkungen der jetzigen Verbildungspolitik vermag Neschle gar nicht nachzudenken. Da muss er als Ausgleich sofort ein wenig Kabarett hören, sonst werden Schmerzen und Trauer zu groß. Neschle prognostiziert: Es wird wieder ein massives Umsteuern geben müssen!

Und wie ist es auf der „Propaganda-Seite“? Wie eh und je! Dort wird das Gegenteil verkündet und eine Bildungsoffensive verfolgt die nächste. Die vielen „Qualitätspakte“, für die man kaum mehr Namen findet, hießen indes besser „Quantitätspakte“. Denn hier geht es vor allem um zwei Dinge: Wie billig und wie viel? Für wie wenig Geld bekomme ich möglichst viele Studenten ausgebildet? – Doch der Staat ist nicht einmal allein bei der Ausbeutung der besonders Qualifizierten.

B. Praktisches Projekt-Praktikum produziert problemlos potenzierten Profit!

Junge Ärzte in Krankenhäusern sind nur das auffälligste Beispiel für die Überstundengesellschaft akademischer Frischlinge. Man findet diese unentschädigte Überstundenklopferei in der Industrie, bei Banken, Versicherungen, in der Unternehmensberatung. Immer mit der Folge: Die effektive Stunden-Entlohnung der Qualifizierten sinkt auf die von Unqualifizierten, manchmal darunter. Alles wird propagandistisch „geschönt“ durch die normal nominell zu leistenden Stunden.

Die Ausnutzung und Ausbeutung der Qualifizierten nimmt zu. Junge Akademiker hungern sich von Praktikum zu Praktikum. Billige Arbeitskräfte werden geliebt. Manchmal so sehr, dass sie kaputtgeliebt werden. Das gilt heute vor allem für solche, die den wichtigsten „Produktionsfaktor“ mitbringen: neues und junges Wissen. Können die billigen Arbeitkräfte das auch noch dynamisch umsetzen, können die Unternehmen gar nicht genug von ihnen kriegen. Sie wollen mehr davon! Und mehr!

Der Arbeitsmarkt für junge Akademiker ist eng an einigen Stellen, an anderen weiter, aber fast immer so unübersichtlich wie ein orientalischer Markt: Gerade große und als „seriös“ geltende Firmen übernehmen auf diesen Markt heute spielend und bislang weitgehend unerkannt die Rolle des betrügerischen Händlers. Die lässt sich besonders leicht unter ihrem (noch) guten Ruf spielen.

Praktikantinnen und Praktikanten einzustellen, das war – wie bei manchen Auszubildenden noch heute – einmal eine soziale, beinahe altruistische Tat. Nun gibt man es meist nur noch dafür aus. So kann Neschle von einer als sehr seriös geltenden Bank nur Pharisäerhaftes berichten. Sie versuchte das, was Neschle „Übers-Ohr-Heucheln“ genannt hat. Weil er selbst betroffen ist, ist er hier auch beleidigt:

Neschle hatte seit längerem Hinweise darauf, dass diese Bank gern Praktikanten nahm und empfahl ihr einen besonders guten Studenten, einen glatten Einser-Kandidaten. Der hatte bereits praktische Erfahrungen und erstklassige Zeugnisse. Obwohl diese Bank – Neschle wiederholt sich, weil er sich nicht mehr einkriegt – sehr gern und sehr viele Praktikanten nahm, erhielt der dieser junge Mann eine Absage von der Personalabteilung. Überraschend?!

Neschle rief daher einen seiner Ehemaligen an, der bei dieser Bank ein ansehnliches Amt bekleidete. Dieser war über die Ablehnung nicht überrascht und erklärte:

Das mit den Praktikanten und der Werbung der Bank dafür stimme. Aber man bekomme so viele Angebote, dass man wählen könne. Daher habe man sich entschieden, nur Praktikanten mit guten Noten und abgeschlossenem Examen anzunehmen. Die könnten flexibler eingesetzt werden. Vor allem im Projektgeschäft ergäben sich manchmal Verzögerungen, etwa bei M & As (Mergers and Acquisitions, Zusammenschlüssen und Unternehmenskäufen). Studenten mit unfertiger Ausbildung müssten wegen der Wiederaufnahme des Studiums häufig das Projekt verlassen, während man über die „Fertigen“ weiter verfügen könne.

Außerdem – so fügte er mit einem von Neschle gehörten Lächeln und Augenzwinkern hinzu – könne man für Praktikanten mit abgeschlossenem Examen den Kunden ‚guten Gewissens’ (Ist da ein Loch, wo andere Gewissen haben?) höhere Stundensätze in Anrechnung stellen. Durch die Leistung sei das gerechtfertigt.

Natürlich – gestand er auf Neschles Nachfrage – arbeiteten die Praktikanten immer nur in einem Projekt. Beim nächsten Projekt würden sie durch neue ersetzt. – „Übernommen?“ Nein, übernommen würde fast keiner. Die Praktikanten deckten vor allem das Spitzengeschäft ab, wodurch man sich teure und schlechte Mietarbeit erspart habe. – „Arbeitszeit?“ Ja, das sei so eine Sache! Vor allem M & A-Projekte liefen immer unter Zeitdruck ab. Da seien 60 Stunden und mehr pro Woche eher die Regel als die Ausnahme. Mit 40 Stunden käme jedenfalls keiner hin.

„Entgelt?“ Ja, sicher gibt es! (Erstaunlich bei den geringen Anforderungen und bei der Ehre, für diese Bank arbeiten zu dürfen!). – „Wie hoch?“ Dürfe er eigentlich nicht sagen, aber so zwischen 600 und 1.200 Euro. – „Ob man den Praktikanten Hoffnung auf Übernahme mache?“ Ja klar, es wird ja auch manchmal einer übernommen. – „Wie oft?“ Ja, so einer von fünfzig! – „Wie oft?“ Einer von fünfzig. Die sollen ja keine Dauerarbeiter werden, sondern die Leistungsspitzen abdecken!

Neschle legte auf und war verdammt schlecht aufgelegt. Und er rechnete, denn bei so etwas ist immer mit ihm zu rechnen. Nehmen wir die „Normalarbeitszeit“ von 60 Stunden bei diesen Praktikanten als Basis und tun wir großzügig so, als sei jeder Monat ein schaltjahrfreier Februar und bestehe aus exakt 4 Wochen. Dann lässt sich bei dieser einfachen Zahlenlage schon mit einem halben Auge erkennen: Die vollakademischen Praktikanten dieser Bank verdienen zwischen 2,50 und 5 Euro in der Stunde brutal, sorry: brutto.

Neschle will hier nicht an die Verrechnungspreise denken, die man den Kunden „richtigerweise“ für die qualifizierte Arbeit dieser PraktikantInnen in Rechnung stellte, oder an den Rekordgewinn erinnern, den diese Bank jüngst auswies. Er vergleicht das einmal mit dem Aushilfsjob einer Studentin in einem Sonnenstudio, die Neschle von 5 Euro und ein wenig Trinkgeld erzählte. „Nicht zu wenig?“, fragte Neschle. – Dafür sitze sie ja die meiste Zeit nur herum und könne häufig nebenbei noch lernen. Das sei nicht üppig, aber O.K. für sie. Neschle will dieser Studentin nichts Böses, aber für den niedriger bezahlten und viel härteren Job bei der Bank wäre sie nicht qualifiziert genug gewesen.

Weniger also für voll ausgebildete Praktikanten, die auch noch das tun, was sie jahrelang gelernt haben. Das Perfide: Man verkauft es ihnen bankseitig als „Investition in ihre Zukunft“. Natürlich mit Risiko! „Alle übernehmen wir natürlich nicht!“ – Nee, 2 Prozent! Manche haben dabei nicht einmal gelernt, sich nicht wieder auf so etwas einzulassen. Sie hangeln sich von einem sogenannten Praktikum zum nächsten.

Was sich hier am Ende der Ausbildungskette abspielt ist perfide genug, kann aber gesteigert werden durch die neuen „Kinderfänger“. Gegen deren Flötentöne, die sie arglosen Studienanfängern verführerisch vorgeigen (Perverse Dinge verlangen auch nach Sprachentartung!), sind die des Rattenfängers von Hameln Kinderkram. Ihr Ansatz: Sie fangen die Studenten gleich zu Beginn ihrer Ausbildung und fesseln sie durch Knebelverträge oder knebeln sie durch Fesselverträge. Diese Studenten arbeiten für ein „großzügiges Stipendium“ billiger als jeder Auszubildende. Wollen sie aussteigen aus dem Vertrag, werden von ihnen Unsummen verlangt. Gerade die Besten stehen dabei am schlechtesten da, während die Schlechten besser davonkommen. Vom „Kaputtlieben“ der Guten handelt das nächste Kapitel.

C. Seven A: Anfänglich abgeschlossener Arbeitsteilzeitvertrag als arglos aussehende Ausbeutung!

Eine ländlich gelegene Bank links des Rheins (Der Leser verwechsele das nicht mit einer Landesbank!) will einmal partizipieren an dem großen Geschäft mit Jungakademikern. Sie liebt besonders die guten unter ihnen. Also zieht sie einen dick scheinenden Förderschafspelz an und heckt dann als Wölfin einen bösen Streich aus. Dabei zeigt sie zunächst eine harmlos geweißte Pfote, aus der jedoch schon bald ihre widerborstigen Wolfshaare hervorstechen, wenn der Braten gar zu fett scheint:

Für junge Mitarbeiter, die nach der Ausbildung studieren wollen, bietet die Bank für die Dauer des Studiums einen „Teilzeitjob“. Zwei Tage volle Arbeitszeit für das Gehalt eines Azubis. Dafür werden die Studienschwerpunkte an den (gerade aktuellen) Wünschen der Bank ausgerichtet. Während des Studiums steigt der Student von der Kundenberatung (Grundstudium) in die Fachabteilungen (Hauptstudium) auf, in denen er sein Wissen unmittelbar einsetzen und für die Bank nutzbar machen kann.

Doch damit ändern sich die Spielregeln: Um in der Fachabteilung „arbeiten zu dürfen“, muss der Student einen Zusatzvertrag unterschreiben. Der verpflichtet ihn, nach Ende seines Studiums mindestens zwei Jahre für die Bank zu arbeiten oder die Hälfte seines Gehaltes zurückzuzahlen. Unterschreibt er nicht, ist das Förderprogramm beendet.

Nach dem Studium wird schlechten und durchschnittlichen Studenten von der Bank nahegelegt, sich um eine andere Arbeitsstelle zu bewerben. Sie kommen ohne Probleme aus ihrer Verpflichtung heraus und brauchen auch nichts zurückzahlen. Ein schlechter Student verdient also während seiner Tätigkeit für zwei volle Arbeitstage das Entgelt eines Azubis. Bedenkt man, dass der normale Azubi nicht viel länger zur Verfügung steht, ist das nicht üppig. Nach seinem Studium ist er dann aber immerhin frei zu tun und zu lassen, was er möchte. Die Bank lässt ihn gehen, ohne „Ablöse“ zu verlangen.

Guten Studierenden weist die Bank dagegen eine Stelle im eigenen Haus zu, allerdings zu einer Vergütung die deutlich unter dem Gehalt liegt, zu dem Berufseinsteiger ansonsten entlohnt werden, selbst ohne Praktika und darüber hinausgehende Berufserfahrungen. Nimmt der gute Student den ihm zugewiesenen Job nicht an, zeigt die Wölfin Bank die Zähne und sich nachtragend. Sie pocht auf vertragsgemäße Rückerstattung von 50% der Ausbildungskosten.

Der gute Student hätte dann im Effekt nur die Hälfte dessen verdient, was der schlechte Student erhielt, wohlgemerkt für eine von der Bank anerkannt bessere Arbeit. Entschließt sich der gute Student dagegen, noch zumindest die zwei Jahre zu bleiben, ergeht es ihm auch nicht besser. Dann zahlt er diese 50% und mehr über seinen Gehaltsverzicht zurück: Während seine schlechteren Kommilitonen ihren Job zu arbeitsmarktüblichen Konditionen antreten, bleibt der gute deutlich darunter, geknebelt durch den Zusatzvertrag bei seinem Übergang in die Fachabteilung. Den Vertrag nutzt die Bank nur in seinem Fall optional zu seinem Nachteil, während sie bei den schlechten auf die Ausübung der vertraglichen Option verzichtet. Ausbeutung lohnt sich halt nur bei den guten Studenten wirklich. Denn was soll man ausbeuten, wenn wenig kommt?

Neschle sagt seinen Studenten immer: „Überlegen Sie es sich gut, ob Sie studieren und dabei gut sein wollen! Die Gewerkschaft ist nicht mehr für Sie da: Keine 40 Stunden-Woche, erst recht keine 35. Und je besser Sie ausgebildet sind, umso mehr wird versucht, Sie auszubeuten. Die „ganz Seriösen“ gehören da heute häufig zu den Schlimmsten!“

Neschle nennt das „akademische Ludenknechtschaft“! Denn auch Zuhälter arbeiten nach diesem Prinzip: Sie beuten gerade die attraktivsten Mädel am stärksten aus und legen ihrem Weggang die meisten Foltern in den Weg. Weniger attraktive haben dagegen weit weniger Probleme. Sie dürfen gehen, ja müssen es zu ihrem Glück sogar manchmal.

Während diese alte „Ludenknechtschaft“ in Mitteleuropa eher zurückgeht, wächst eine neue akademische Ludenknechtschaft auf dem höheren Niveau des Kopfes heran. Je besser und intelligenter die Studenten sind, umso mehr lohnt es sich, sie auszubeuten. Je stärker diese Studenten auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind, umso leichter ist es. Studiengebühren machen das auf keinen Fall schwerer. Gute Studierende in finanzieller Notlage werden auch künftig die beliebtesten Opfer in diesem bösen Spiel sein.

Diejenigen, denen es gelingt, sich zu befreien von ihren seriös auftretenden neuen Luden – die früheren fuhren schon Mercedes, um ihre Seriosität zu unterstreichen, waren aber an Tätowierung und Muskelshirt leichter zu erkennen als die neuen – , verdienen dann freilich mehr als ihre schlechteren Kommilitonen. Auch das ist wie bei der Prostitution und der Lösung der Prostituierten aus der „Ludenknechtschaft“. Gelingt dies den besonders Attraktiven macht sich das in einem großen „Gehaltssprung“ deutlich und die Differenz verweist auf die besonders hohen Kosten ihrer Ludenknechtschaft. So ist das auch beim guten Akademikernachwuchs.

Der größte Depp im ganzen Land

Das ist und bleibt der Praktikant

Denn wird er stets qualifizierter,

wird ganz besonders malträtiert er.

Je mehr er hat von neuem Wissen,

umso mehr wird er beschissen!

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Eine Antwort auf „Leon Neschle 16 (23. Woche 2007)“

  1. Hallo Herr Neschle,

    ich möchte Ihnen auch diesmal wieder vollkommen zustimmen. Ich habe in meiner Praktikantenzeit an einem Projekt mitgearbeitet, welches den Kunden ca. 120.000 € gekostet hat. Über lange Phasen des Bearbeitungszeitraumes war ich vollkommen alleine Tätig, so dass knapp 50% des gesamten Projektes durch mich erarbeitet wurden. Mein Stundenlohn betrug knapp 1,50 €, so dass ich am Ende meiner Praktikantenzeit für das Unternehmen mit insgesamt ca 1500 € zu Buche schlug. Vermarktet wurden meine 50% jedoch professionell zu 60.000 € . Veranschlagt man die Vertragsanbahnungskosten, Büroraumkosten, Verwaltung etc., die für die 50% des Auftrags vielleicht noch angefallen sind mit 30.000 € ,fielen für das Unternehmen Gesamtkosten von 31500 € an. Eine gute Rendite!!

    Sicherlich gibt es hier branchenspezifische Unterschiede. Insbesondere das Projektgeschäft ist sehr wechselhaft und heterogen. Je nach Auftrag sind andere Kenntnisse gefragt, wodurch Praktikanten durchaus die „normalen“ Arbeitskräfte „Outperformen“ können.

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