Steuerrecht: Nicht „System“ – „Chaos“!
Government’s view of the economy could be summed up in a few short phrases: if it moves, tax it; if it keeps moving, regulate it; and if it stops moving, subsidize it. (Ronald Reagan)
Unverbesserliche sprechen noch vom „Steuersystem“ in Deutschland, so als lägen der Besteuerung hierzulande systematische Gedanken zugrunde. In unserem Steuerchaos ist allein der Wunsch nach System der Vater dieser Vorstellung. Verwirklicht ist ein „System“ allenfalls auf kleinen Steuerinseln, an deren Küsten bereits die Wellen des Ozeans politisch motivierter Beliebigkeit nagen (siehe Leon Neschle 8 ). Die Deiche der Verfassungsgerichte halten diesen Wellen kaum Stand, denn sie wollen angerufen sein, ehe sie tätig werden (Eine „schöne“ Metapher: Ein Deich, der angerufen sein will: „Kein Schwein ruft mich an! Keine Sau interessiert sich für mich!“). Doch die Gründe für ihr Tätigwerden haben sich vervielfacht. Selbst da, wo man früher recht festen Boden unter den Füßen hatte (z.B. bei den Fahrtkosten), wogt heute die hohe See politischer Beliebigkeit. Und auf dieser hohen See ist man bekanntlich ebenso in Gottes Hand wie vor einem Pilz-Gericht. (So war es doch: Oder?)
A: Einstein versteht die Steuerwelt nicht!
Dass Einstein viel vom System der Himmelskörper verstand, ist bekannt. Auch dass er die damalige Einkommensteuer als die am schwersten verständliche Sache der Welt empfand. Wahrscheinlich hat auch er da nach einem System gesucht und keines gefunden, so wie einige Unverbesserliche noch heute. Denen muss man einfach sagen: Es ist kein System da, wenn der Mensch sich weigert, eines zu machen oder sich an eines zu halten, das schon gemacht ist.
Den Wunsch nach einem „Steuersystem“ findet man nicht allein bei Einstein und bei Hochschullehrern. Die Gründe dafür sind keinesfalls nur geistige Hygiene und Ästhetik. „Steuersystematik“ ist nicht nur eine formale Frage. Denn: Sie kann und soll die Beliebigkeit steuerpolitischer Eingriffe be- und verhindern, die allein dem Prinzip folgen: „Nimm, was Du kriegen und wo Du es kriegen kannst!.“ Diese Eingriffe haben das Steuerrecht so komplex gemacht, dass bei einem Test von sechs Steuerprogrammen jüngst nur eines richtig rechnete und ausgerechnet das Programm des Steuersparpapstes sich völlig in Phantasiezahlen vergeigte.
In Neschles eigener Steuererklärung gibt es sogar Abweichungen zwischen dem Programm der Finanzverwaltung und dem Programm der DATEV, das sein Steuerberater verwendet. Bislang musste immer die Finanzverwaltung zurückstecken. Die verrechnete sich sogar bei der Korrektur ihrer Korrektur des Steuerbescheides in zwei verschiedenen Jahren. Irgendwelche Fragen zur Verlässlichkeit von Steuerbescheiden, die immerhin Zwangsgelder erheben.
Die fehlende Systematik erschwert zudem einen gleichmäßigen Vollzug der Steuergesetze in Deutschland. Vor Jahren traf Neschle einen Nordrhein-Vandalen am Ammersee. Der Unternehmer vom Niederrhein begründete seinen Umzug nach Bayern damit, dass mit Konstanz und Verlässlichkeit der Steuergesetze in Deutschland ohnehin nicht mehr zu rechnen sei. Auf die Unterschiede in den Erhebungsmentalitäten könne man dagegen ganz fest bauen. Sie seien die zentralen Eckpfeiler im sumpfigen Grund der Steuerrechtslandschaft. („Zentrale Eckpfeiler“ scheinen eigentlich unmöglich. Doch bei der Steuererhebung gibt es eben auch das „eigentlich Unmögliche“.) Diese Pfeiler seien in Bayern eben deutlich gefestigter als am Niederrhein, wo man die Dinge buchstaben- und nicht sachorientiert anginge. Das mache sowohl bei den Steuerzahlungen als auch beim Erhebungsaufwand und den Steuerberatungskosten für ihn so viele Tausender aus, dass er die höheren Grundstückspreise in Bayern locker verkrafte.
Was der Unternehmer hier in der Praxis realisierte, hatte Armin Dittmann schon ein paar Jahre davor wissenschaftlich untermauert: den ungleichen Vollzug der Steuergesetze im Bundesstaat. Seitdem gibt es zwar Bemühungen der Finanzverwaltung, eine Angleichung der Erhebungspraxis herbeizuführen, seitdem kamen aber auch die neuen Bundesländer hinzu. Und da sich die Steuererhebung erst bei der Prüfung entscheidet, müsste man auch das Prüferverhalten vereinheitlichen. Schon da gibt es nämlich himmelweite Unterschiede zwischen neutralen, leistungsanerkennenden Prüfern mit dem Problemzugang eines „fairen Schiedsrichters“ und vorurteilsbeladenen, sozialneidgeplagten Prüfern mit der Mentalität eines preußischen Robin Hood-Verschnitts (siehe auch Depeschle 11). Fehlende Systematik schafft auch exklusive Entscheidungsspielräume und Machtfelder für die „kleinen Steuerprüfer“, auf denen sie es den großen Herren mal so richtig zeigen können, wo sie sich im Dunkel des Steuergeheimnisses und einseitiger Machtverhältnisse austoben können. „Die kleinsten Unteroffiziere sind die stolzesten“, wusste schon Lichtenberg zu berichten.
Die Systematik der Besteuerung engt sogar den Spielraum der Politiker bei der Gesetzgebung ein, damit nicht Zustände eintreten wie bei Hägar dem Schrecklichen: „Ich komme, um die Schwimmbadsteuer zu kassieren.- Ich hab doch gar kein Schwimmbad! – Der König hat eins!“ Doch eigentlich sind wir ja fast schon da.
Gerade weil Systematik einengt und die Macht beschneidet, haben sich Politiker in allen Zeiten und Ländern darüber hinweggesetzt, in diktatorischen Staaten bis zur beliebigen Enteignung. Umso bedenklicher, wenn auch in demokratischen Staaten zugunsten beliebiger Politik die steuerrechtliche Systematik ausgehöhlt wird und damit die gleichmäßige Behandlung von Personen und Sachverhalten in Frage steht.
B. Unsystematik, Willkür, Kriminalität. Teile eines Steuerkrimis.
Jeder Steuerrechtler quält sich in der Lehre ein Steuersystem heraus. Doch im Recht und in der Praxis überwiegen die Ausnahmen schon bei weitem die Regeln. Strittige Einzelfälle werden trotz römischer Rechtstradition in Deutschland längst so gelöst wie bei den Angelsachsen: durch Rückgriff auf Einzelfallentscheidungen der Finanzgerichte. Mangels systemtragender Gedanken in der gegenwärtigen Steuerrechtsordnung ist etwas anderes kaum mehr möglich. Das macht unser Steuerrecht in der juristischen Ausbildung zum Exoten.
Jeder Fall ist einzig und muss trotzdem einer Regel unterworfen werden, die Vergleichbares gleich behandelt. Was vergleichbar ist, kann man ohne Systematik beliebig entscheiden. Wer nur die Dinge des Alltags nimmt, kann sehen, wie schwierig es ist, Vergleichbarkeit festzustellen: Ist ein weicher gelber Ball besser mit einem harten roten Ball oder mit einem mittelharten gelben Würfel vergleichbar. Das Ergebnis fällt je nach Vergleichsmerkmal verschieden aus.
Bei der Komplexität heutiger Verträge kann man ahnen, wie viele Vergleichsdimensionen es gibt und wie beliebig der Bezug auf eine davon ist, wenn die Systematik des Steuerrechts fehlt: Gehört eine überzogene Zahlung zum Einkommen und löst Einkommensteuer aus? Oder ist sie verdeckte Schenkung, für die man Schenkungsteuer zahlen müsste? Hier ist der Beliebigkeit keine Grenze gesetzt. Denn Schenkungen sind Einkommenszuflüsse, die unsystematisch nicht im Rahmen der Einkommensbesteuerung behandelt werden. Sie genießen einen privilegierten Status, den man sich schon in alten Zeiten gern zugunsten der eigenen Geldkatze erschlich.
„Schenkkreise“, die als Schneeballsysteme gestaltet sind, machten sich die Tatsache zunutze, dass es nicht zählt, was bei mehreren Schenkern an Schenkungssumme beim Empfänger ankommt. Was der vom einzelnen Schenker empfängt, bestimmt den Freibetrag. Im Rahmen dessen ist die einzelne Schenkung dann steuerfrei.
Wie bei jedem Schneeballsystem beißen zwar auch beim Schenkkreis den Letzten die Hunde. Aber die Initiatoren verdienten ausgezeichnet mit dem Segen des unsystematischen Steuerrechts. Das begünstigt diese Machenschaft nicht bloß, es heizt die kriminelle Phantasie an, lässt die Idee erst wirtschaftlich reizvoll erscheinen, auch wenn das heute nicht mehr funktioniert (siehe z.B. den Artikel zum Schenkkreis bei Wikipedia).
Unsystematik des Steuerrechts kann allerdings auch erzwungen sein, um Kriminalität zu verhindern. Bestechungsgelder im Zusammenhang mit dem Einkommenserwerb waren lange Zeit abzugsfähig. Steuersystematisch korrekt! Ebenso Geldbußen und Bußgelder. Die Folge: Wer im Rahmen seiner Unternehmenstätigkeit damit belegt wurde, zahlte netto weniger als bei privaten Vergehen. Die Regelung wurde nach und nach abgeschafft, am Ende auch für Bestechungsgelder im Ausland.
Unsystematische Steuerregeln leisten ansonsten jedoch der Kriminalität eher Vorschub, der steuerlichen und außersteuerlichen. Sie machen den Steuerdschungel undurchschaubar und beschäftigen die Finanzgerichtsbarkeit. Es ist die Regel, dass Steuerbehörden und Steuerfahndung sich dabei auf einen Präzedenzfall berufen, Steueranwälte auf einen anderen. Beide sind vom Bundesfinanzhof in unterschiedlichen Senaten entschieden; beide mit kontroversem Ergebnis. Bei so viel praktischer Unvernunft verkommt Steuerzahlen zum Pechspiel, Nicht-Zahlen avanciert zum Glücksspiel. Steuerchaos und Beliebigkeit drohen winkend und winken drohend.
War das schon immer so? Oder ist das eine Erscheinung der Jetztzeit? Eine kurze Geschichte der Besteuerung soll Aufschluss geben!
C. Historisches und Hysterisches: Früher war (auch nicht) alles (viel) schlechter.
Die Geschichte der Besteuerung ist voll von Willkür. Thomas von Aquin behandelte die Steuern unter der Überschrift „Kann Raub geschehen ohne Sünde?“. Er beantwortete die Frage deutlich: Besteuerung ist immer Raub und fast immer Sünde! Raub über Steuern kann(!) jedoch ohne Sünde sein; aber nur, allein und allenfalls dann, wenn und falls die Besteuerung über ein System erfolgt, das der distributiven Gerechtigkeit genügt. Anderenfalls ist Besteuerung „Sünde“, staatliche und häufig genug auch stattliche, die einen Mangel an „Staatsmoral“ belegt.
Solch „sündige“ Besteuerung ist ein durch das Gewaltmonopol des Staates legitimierter, aber kein legitimer Raub. Denn eine konkrete Gegenleistung des Staates gibt es nicht. Benutzt der Staat seine Macht zur Durchsetzung solcher Steuerforderungen, unterscheidet die Besteuerung kaum mehr etwas von Schutzgelderpressermethoden der Mafia.
Diesen „Raub“ mag man bei Diktaturen begreifen, wenn auch nicht begrüßen. In einer Demokratie wird man Steuergesetzen folgen und deren Verletzungen verfolgen, wenn man die Gesetze als Ergebnis demokratischer Entscheidungen versteht, deren Spielregeln man respektiert und akzeptiert. Nicht selten hat jedoch der Demokrat das Gefühl, die Politik stellt ihn hier auf eine besonders harte Probe seiner „Demokratiefähigkeit“: Wer selbst dieses Steuerrecht als Ausfluss eines demokratischen Verfahrens akzeptiert und ihm folgt, der muss schon ein wahrer Demokrat sein. Doch warum machen wir es den Demokraten hier so schwer, sich vor anderen und vor sich selbst zu rechtfertigen? Denn:
Zu einem demokratischen System vermag Steuerwillkür nicht passen, gerade weil uns das die despotische Vergangenheit hätte lehren müssen. Tauchen wir nun ein wenig in diese ein:
„Mit dem Zehnten fing es an“ heißt eine „Kulturgeschichte der Steuer“. Den Titel straft schon der erste Beitrag Lügen. Denn Steuern sind staatliche Zwangsabgaben. Doch dort werden eine Reihe von Abgaben, Gaben, Diensten und Opfern, die von den Bürgern ihren Göttern und Herrschern freiwillig(!) dargebracht wurden zu Frühformen der Besteuerung erklärt. Daneben richtigerweise auch erzwungene Tribute an Sieger eines Krieges und Zölle auf importierte Waren und Leistungen.
Erzwungene Abgaben waren anfangs fast allein für fremde und nicht für die eigenen Staatsbürger gedacht. Zum freien Bürger gehörte die Steuerfreiheit bei Einkommen- und Vermögensteuern. Mag der Übergang zwischen Freiwilligkeit und Zwang bei den Opfern an Götter oder Herrscher fließend gewesen sein (man wollte sich ihre Gunst sichern und nicht ihren Zorn erregen), als Vorläufer der Steuern können solche Opfer nur gelten, soweit sie erzwungen waren (§ 3 Abgabenordnung).
Die Zeit ist vorbei, da vor allem Fremde solchen Zwängen unterlagen. Je stärker „der banal-anarchische Trieb des Menschen, ohne Gegenleistung an das Geld des Mitmenschen zu gelangen, um die eigene Herrschaft und so die Abhängigkeit des anderen mit dessen Geld zu finanzieren“[1], sich auf und gegen die eigenen Staatsbürger richtete und je angreifbarer eine Herrschaft wurde, desto mehr bedurfte es einer Steuerpsychologie genannten Beschönigung und Verschleierung der Abgaben.
Der Steuerdespot Le Bon empfiehlt sogar, die ungerechteste(!) Steuer zu wählen, „wenn sie am unauffälligsten und leichtesten in Erscheinung tritt“. Dann meint der Bürger zwar, er sei von der Steuer ausgenommen, wird es aber von ihr: Unmerklich! Weil das Verhalten der Steuerpflichtigen durch solche Steuern kaum beeinflusst wird, haben manche das Prinzip der Unmerklichkeit sogar positiv beurteilt. Doch um welches Verhalten geht es hier?
Das apathische Verhalten der Bürger gegenüber ihren Regierungen, weil diese durch die Steuergestaltung arglistig hintergangen werden. Längst vor der Erfindung des Kohlepfennigs waren Beschönigung, Verschleierung und Unmerklichkeit stilles Leitprinzip der Besteuerung. Abgaben wurden noch lange Zeit als der Zehnte bezeichnet, nachdem die Zehnprozent-Grenze bereits merklich überschritten war.
Man könnte nun vermuten, Regierungen demokratischer Staaten zeigten den größten Hang zur Beschönigung, weil sie vom Herrschaftsverlust durch Wahlen bedroht sind. Aber hier gibt es eine freie Presse. Die erzählt zwar die Steuerwitze der Regierung, versteht sie aber selbst nur allzu selten. Diese freie Presse gibt es nicht in der Diktatur, wo die öffentliche Meinung sich nicht in Gesetzen niederschlägt, sondern damit niedergeschlagen wird. Die Diktatur wird nicht zu Unrecht als Staatsform bezeichnet, in der sich alle vor einem fürchten und einer vor allen.
Das Steuervertuschungssystem sozialistischer Staaten ging und geht weit über Beschönigung und Verschleierung hinaus, die wir auch in demokratischen Staaten antreffen. Die Steuerzahlungen in der ehemaligen DDR übertrafen bei weitem das, was als „Steuer“ bezeichnet wurde. Die Wegsteuerung von über hundert Prozent der Erträge in die Substanz der Betriebe war am Ende die Regel. Für Ersatzinvestitionen blieb da nichts: „Aber Steuern? Nee, hatten wir ja kaum. Dett ist Fakt!“
Noch heute behaupten „witzige“ Ex-DDR-Bürger, sie hätten unter der Herrschaft der SED fast keine Steuern gezahlt. Und das, wo faktisch alles dem Staat zufiel. Doch gerade weil hier viel verschleiert wird, ist Steuer manchmal auch, wo nicht „Steuer“ draufsteht, heute etwa auch bei der einträglichen LKW-Maut.
Im Falle der DDR könnte man die Steuer auch „Versicherungsbeitrag“ nennen, weil dieser Staat ein „Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit“ war, der daran zugrunde ging, dass die Versicherungsleistungen auf Dauer höher waren als die Beitragszahlungen, von denen den Bürgern die meisten unmerklich entwendet wurden.
Verschleiert und beschönigt wird immer auch bei den Diensten, die der steuerpflichtige Untertan für seinen Souverän zu leisten hat. Zwar ist das „ius primae noctis“ abgeschafft: das Recht der ersten Nacht, das ursprünglich Vermählungssteuer war und später als erste sexuelle Hingabe der jungen Ehefrau an den Lehnsherrn die Phantasie beflügelte. Eine Phantasie, die manche sich nicht einmal vorstellen können.
Der Umfang außerfinanzieller Dienste für den Souverän hat seitdem zugenommen, wenn auch nicht mehr mit direktem Ziel auf die Menschenwürde. Das fängt beim Militär- oder Zivildienst an und endet nicht bei Nachweispflichten im Besteuerungsverfahren. Der Leser stelle sich zwei Personen mit demselben Einkommen vor, wovon der eine durch mehrere Einkunftsarten und komplexeren Lebens- und Arbeitsstil größere Nachweisprobleme hat. Eigentlich sollen bei gleichem Einkommen beide gleich behandelt werden und gleich hoch belastet sein.
Aber davon kann keine Rede sein, wenn der eine seine Erklärung im Handumdrehen erledigt und der andere tausende von Euro beim Steuerberater lässt und zwanzig Tage im Jahr kostenlos die Informationsgier seines Finanzamtes befriedigt, weil er dort bei engstirnigen Sachbearbeitern auf einen Schwamm von Neugier und eine Mauer von Unverständnis stößt:
So wollte ein Sachbearbeiter eines Finanzamtes einem Professor Dienstreisekosten streichen, weil er ja Erstattungen dafür bekomme. Der Sachbearbeiter bekomme vom Finanzamt auch alle Fahrtkosten erstattet. Schön für ihn! Aber die kleine Welt des Finanzamtes ist eben nicht die große da draußen. Trotzdem wurde der Professor vorgeführt, indem er einen Nachweis dafür erbringen musste, dass es an Hochschulen auch Dienstreisen ohne Reisekostenerstattung gibt. Das wollte der Finanzbeamte eben wissen, weil es in seiner engen Welt nicht vorkam und er es nicht glauben wollte. Und auf seinen Willen kommt es an! In einer solch „verkehrten Welt“ wird selbst ein König vom allerkleinsten Narren zum Diener gemacht!
Eine Sonderrolle bei Dienern und Zwangshelfern des Finanzamts nehmen heute die Mineralölgesellschaften ein. Trotz kräftig gestiegener Ölpreise liegen ihre Umsatzanteile als Helfer der Finanzämter weit über denen als Wirtschaftsunternehmen. Simple Mineralölsteuererhöhungen werden willigen Steuerlämmern seit Jahren unter zarten Klängen der ökologischen Pan-Flöte als x-ter Einstieg in die ökologische Steuerreform untergeschoben. Mit diesen Steuermitteln werden dann Flughäfen subventioniert, damit Billigflieger, die ihr „ökologisch sauberes“ Kerosin in die Luft blasen.
Über die erste Ölkrise wird derweil der Mantel des Schweigens gebreitet. Dort wurden wesentlich geringere Preiserhöhungen von dröhnenden Trommelschlägen des Wirtschaftsuntergangsgetöses begleitet: Zapfsäulen waren schließlich die Säulen unseres Wohlstands, der massiv in Gefahr war, wenn jemand auf diese Säulen zugriff! Macht der Fiskus heutzutage dasselbe wie damals der Scheich, macht das nicht nur nichts, es wird sogar ökologisch motiviert begrüßt. Der steuerliche Zwang geht auch hier gern maskiert und entblößt nur ungern seine gierige Fratze. Daran hat sich seit ältester Zeit nichts geändert.
Dagegen ist von historischen Kuriosa der Besteuerung, etwa der Bartsteuer oder der Fenstersteuer, auf den ersten Blick wenig übrig. Zwar hat sich die Sektsteuer lange gehalten, obwohl mit ihr dereinst nur die kaiserliche Flotte finanziert werden sollte. – Eine launige Idee, jedes Korkenknallen ein geistiger Stapellauf mit Sekt vor den Bug. – Aber lustige Steuern wie Essigsäure- und Leuchtmittelsteuer sind schon geraume Zeit abgeschafft. Für die Kuriosa unserer Altvorderen scheint in der modernen Welt kein Platz mehr. Wir leben in einer aufgeklärten Zeit, in der solche Dinge nicht mehr vorkommen!?
Doch neue Kuriosa wie Zweitwohnungsteuern mit den verwegensten Bemessungsgrundlagen und „McDonald-Steuer“ auf Wegwerfverpackungen, -besteck und -geschirr sind längst erfunden. 1%-Prozent-Grenze für wesentliche Beteiligungen oder fünfzigprozentige Hinzurechnung von Dauerschuldzinsen bei der Gewerbeertragsteuer bleiben kurios, weil sachlich völlig unbegründbar und damit willkürlich.
Ihre Erklärung und Begründung finden solche Steuerblüten im Kompromiss politischer Machtinteressen. Werden sie über eine „Theorie der Politik“ erklärt, verlieren unverständliche Lösungen ihre Kuriosität. Dann nehmen die politischen Entscheidungsgründe diese Kuriosität an. So war die Bartsteuer der Versuch von Peter dem Großen, Rasputine mit der europäischen Zivilisation zu assimilieren.
Beschönigungen, Verschleierungen, Verharmlosungen und der Entdeckergeist für Steuerkuriosa sind nicht das einzige, was aus der Geschichte der Besteuerung geblieben ist. Ob wir uns aber dem biblischen Zehnten jemals wieder annähern? Unsere Politiker zeigen schon mit steten Fragen nach „Gegenfinanzierung“, dass ihnen nicht an Steuerabbau gelegen ist, sondern allein am kosmetischen Umbau.
D. Besteuerung, land- und länderfein: Steuerkosmetik kann helfen.
Ob eine kosmetische Operation der deutschen Besteuerung ausreicht, um in der internationalen Entsteuerungskonkurrenz attraktiver zu erscheinen? Diese Konkurrenz wird angeheizt durch Doppelbesteuerungsabkommen. Wer Steuern im Ausland zahlt, wird im Inland davon freigestellt (oder sie werden ihm auf die deutsche Steuer angerechnet). Angesichts der Nutzung dieser Regelung durch internationale Konzerne darf man bezweifeln, ob Steuerkosmetik genügt. Ganz wirkungslos wären Schönheitsoperationen aber nicht, um die „Braut Deutschland“ investitionsfein zu machen.
Die deutsche Einkommen- und Körperschaftsteuer hat bislang eine recht enge und gut gestaltbare Bemessungsgrundlage bei hohen Steuersätzen. Diese hohen Steuersätze erweisen sich als ein entscheidender Makel. Sie ziehen enttäuschte Blicke auf sich und schrecken ab, weil sie das erste sind, was der unbedarfte Betrachter ohne Vertiefung in Details sieht. Beim Unkundigen endet hier sogar die Recherche. Er weiß genug, meint er. Ihm ist die deutsche Steuer zu hoch: Satzmäßig! Doch auch in anderem Sinne. Denn:
Einfache Steuerbelastungsvergleiche zielen allein auf die gesetzlich deklarierte Steuersatzhöhe. Dabei wird fälschlich angenommen: Was in Land A als Einkommen oder Gewinn besteuert wird, liegt in Land B in derselben Höhe der Besteuerung zugrunde. Das potthässliche Bild der Besteuerung in Deutschland wird von seinen hohen Steuersätzen geprägt, während sich die „Lieblichkeit“ seiner qualligen Bemessungsgrundlagen nur dem Blick des Experten zeigt.
Verbreiterung und Härtung der Bemessungsgrundlagen durch verminderte Gestaltbarkeit bei sinkenden Steuersätzen sind bei gleichbleibender Steuerbelastung zwar nur ein „kosmetischer Umbau“, machen die „Braut Deutschland“ aber dennoch attraktiver. Auf die Darbietung kommt es eben manchmal an. Die macht begehrenswerter für die vielen, die nicht hinter eine Fassade schauen können oder wollen. Verschönerung ist eben nicht dasselbe wie Beschönigung. Sie bringt die wahren Reize erst zur Geltung, statt wie Beschönigung die Gebrechen zu vertuschen. –
E. Der Niedergang der Einkommensteuer – Steuern zahlen die Armen.
Die Entwicklung beim Steuersatz der Einkommen- und Körperschaftsteuer geht wieder in Richtung des Zehnten. Auch die Struktur des „Steuersystems“ zeigt rückwärts. Die einstige Krone der Besteuerung in einem zivilisierten Land, die Einkommensteuer, verliert an Bedeutung. Ursache dafür sind nicht etwa Theoretiker, die eine Konsumsteuer einfordern, welche in Form einer zinsbereinigten Einkommensbesteuerung in Kroatien praktisch umgesetzt wurde. Es sind vielmehr Politiker, die aufgrund geringerer Steuerwiderstände gern Mineralöl- oder Umsatzsteuer erhöhen.
Die Mineralölsteuer, erhoben von Tankstellen als Inkassobüros des Fiskus, gleicht den Wege- und Warenzöllen, welche Raubritter Passanten aufzuerlegen pflegten. Wegelagerei, die in der LKW-Maut den vorläufigen Höhepunkt fand. Allzu häufige Dementis bei der PKW-Maut zeigen: Dieser Gedanke liegt nahe, zumal er in Nachbarländern verwirklicht ist. Sie kommt! Und wie einträglich solche Geschäfte sind, lässt sich gut an der Rheinschiene beobachten, wo die Burgen-Finanzämter noch heute zu bestaunen sind, während die Häuser der Untertanen längst untergingen.
Die Steuerstruktur spiegelte einst den Stand einer Zivilisation wieder: Je mehr personenbezogene Steuern umso höher die Kulturstufe. Je höherer Anteil der Steuern, die nicht am Einkommen oder Vermögen einer Person anknüpfen, umso „bananiger“ die Republik. Gegenwärtig beobachten wir also ein „Zurück in den Bananenwald“.
Die Entwicklung „Weg von der Einkommensteuer!“ ist höchst bedenklich. Dadurch wird das Leitprinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit in den Hintergrund gedrängt: Es zahlt nicht mehr derjenige die meisten Steuern, der das höchste Einkommen, Vermögen oder den höchsten Konsum hat, sondern der, der am meisten Benzin oder Heizöl verbraucht oder das älteste Auto mit den höchsten Schadstoffwerten hat. Es zahlen am Ende sogar die weniger Steuern, die sich aufgrund ihres Einkommens oder Vermögens problemlos an den Stand der Technik anpassen können. Das aber ist das Gegenteil einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit:
Unter den grünen Fahnen mit den Armen kein Erbarmen!
Man kann bei Gestaltung der Einkommensteuer noch so viel von „sozialer Gerechtigkeit“ erzählen. Einkommensteuer zahlt erst jemand, der ein Mindesteinkommen hat. Ökosteuern zahlt jeder (mit). Was kann es für Reiche Besseres geben als eine Verlagerung des Besteuerungsschwerpunkts auf Öko-Steuern? Liegt deshalb das Durchschnitts-Einkommen der Grünen-WählerInnen so hoch?
Auch bei den „Gewinnsteuern“ der Unternehmungen liegt einiges im Argen. Ein besonderer Akt ökonomischen Unfugs war jüngst die Förderung der Gewinneinbehaltung durch das Halbeinkünfteverfahren bei der Körperschaftsteuer. Die Begründung lautete im Einklang mit allen Steuerlemmingen: Einbehaltene Gewinne schaffen Arbeitsplätze, ausgeschüttete wandern in den Konsum.
Beide Annahmen sind strunzdoof: Einbehaltene Gewinne können verwendet werden, arbeitsplatzvernichtende Rationalisierungsinvestitionen zu tätigen oder Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. Ausgeschüttete können in den Konsum gehen und indirekt Arbeitsplätze schaffen. Sie können es sogar direkt, falls sie in wachstumsträchtige Unternehmungen reinvestiert werden. Genau dies wird aber steuerlich bestraft.
Durch die höhere Belastung der Ausschüttungen wird der Strukturwandel beeinträchtigt. Investitionen in Unternehmungsgründungen und deren Wachstum müssen mit höher besteuertem Kapital finanziert werden als Investitionen der bestehenden Unternehmungen.
Intelligenter könnte ein Steuersystem („System“ nur weil der Wahnsinn hier Methode hat) Investitionen in zukunftsträchtige Branchen kaum be- und verhindern, wenn man es denn auch so gewollt hätte. Hat man aber angeblich nicht! Mit viel Mühe, Bürokratie und Geld subventioniert man nämlich genau gegen diesen Effekt an mit Sonderdarlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau und anderer Sonderbanken. Wie bei Reagans Besteuerung nach Schauspielerart: Government’s view of the economy could be summed up in a few short phrases: if it moves, tax it; if it keeps moving, regulate it; and if it stops moving, subsidize it. Das ist die fortgeschrittene ökonomische Unvernunft. Stupor oeconomicus exaggeratus!
Doch die wirtschaftliche Unvernunft bei der Besteuerung in Deutschland ist nicht zu bremsen. Auch durch Millionen von Steuer-„Erklärungen“ jährlich ist es den Bürgern hierzulande nicht gelungen, ihr „Steuersystem“ verständlicher zu machen. Ihnen selbst kann man das schon lange nicht mehr, denn dieses „System“ liegt längst auf dem Kirchhof begraben. Und dem Paulus gebührt das Verdienst, darauf bislang am wirksamsten hingewiesen zu haben.
In geistiger Umnachtung empfinden aber manche Politiker bei der Besteuerung auch das Dümmste noch als Erleuchtung wie etwa steuerfreie Nacht- oder Feiertagszuschläge ( Leon Neschle 8 ). Doch da die Nacht nun schon über Neschle hereingebrochen ist und er keine steuerfreien Zuschläge bekommt, sagt er: Gute Nacht! Feierabend! Es gibt keinen Zuschlag mehr von ihm! ….. Na gut, aber nur ein kleines Gedicht:
Für ein gepflegtes Steuerchaos,
da braucht man heute nicht nach Laos
oder in den Kongo reisen,
kriegt man auch hier – zu höh’ren Preisen
und mit’ner Menge Bürokratie!
Oh, Steuerdeutschland! Lernst es nie!
– Die beiden letzten Zeilen sind zu negativ. Sagen wir es positiv:
Dafür hat man hier alle Jahre
den Genuss der Formulare!
[1] Neschle nimmt es nicht so genau mit Fußnoten, zumal er seit langem unter einer Fußnotenphobie leidet. Doch diese starken Worte stammen von Uwe Schultz aus dem Vorwort seiner „Kulturgeschichte der Steuern“. Das musste mal erwähnt werden!
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