Leon Neschle 14 (21. Woche 2007)

Schlechter Staats-Rat! Der schafft Arbeit für einen!

Unverantwortlich ist, wenn Verantwortliche keine Sachkunde und Sachkundige keine Verantwortung haben. (Arno Söltner)

Die Gesundheit ist ein zu wichtiges Gut, um es der Privatwirtschaft zu überlassen.[1] Welche Politikerin das gesagt hat, ist klar. Tut aber nichts zur Sache. Und um die geht es hier. Gesagt haben, könnten das viele. Genau so viele wie die, die so denken in diesem Land. Das ist wahrscheinlich die Mehrheit. Ob man das Denken nennen kann? Schaunwermal!

A. Kranken- und Hungerversicherung, Kranken- und Hungerhäuser.

Die Ernährung ist ebenfalls ein sehr wichtiges Gut, vielleicht sogar wichtiger. Wer würde sich noch um seine Gesundheit kümmern wollen, wenn er verdurstet oder verhungert wäre? Zum Glück hat die Versorgung mit Nahrungsmitteln immer recht gut funktioniert. Jedenfalls da, wo sie der Privatwirtschaft überlassen war. Wo der Staat oder der Überstaat EG ein- und übergreift, lässt sich das nicht behaupten. Über die deutsche Politik ist da allerdings längst der Stabreim gebrochen: Brüsseler Bürokraten brauchen Berliner Bolidicker berhauptnichmehr.

Treiben wir das obige Argument zur Gesundheitspolitik auf die Spitze: An der Bedeutung der Ernährung gemessen ist das Ernährungswesen in Deutschland bei weitem nicht genug verstaatlicht. Ja, im Reichsnährstand des Dritten Reichs oder in der DDR, da hatte das Ernährungswesen noch die richtige Bedeutung. 😉

Und wie könnte es in einem Bundesnährstand aussehen? Darin erhielte die Ernährung die ihr zustehende Bedeutung. Sie fiele nicht mehr dem unkontrollierten Dahinwursteln privater Bauern und sonstiger Lebensmittelproduzenten anheim. Falls der Bundesnährstand preußisch-staatlich sauber organisiert wäre. Wie gelingt das? Ganz einfach: Wir müssen nur alles übertragen, was schon im staatlich organisierten Gesundheitswesen nicht klappt und wir erhalten das, was auch bei der Ernährung der DDR-Bevölkerung schon damals nicht geklappt hat.

Zum Zwecke der gesicherten Ernährung sollten sich daher alle Staatsbürger pflichtversichern. Sie sollten gezwungen werden, in eine Hungerkasse einzuzahlen, die im Falle erwiesener Hungerattacken die Hungerversicherungssumme auszahlen oder gleich Essen und Trinken austeilen würde. Nach Vorlage eines Hungerscheins natürlich. Und nach pflichtgemäßer Prüfung wegen etwaiger Verstöße gegen die Hungerversicherungsklauseln. Über die staatliche Kontrolle wäre dann gesichert, dass immer richtig gehungert wird und nicht irgendeiner bloß „hungerfeiert“.

In krassen Fällen des Hungers und der grassierenden Magersucht würde über einen Hungerbeauftragten in ein Hungerhaus eingewiesen, in dem der Versicherte zu Lasten der staatlichen Hungerversicherung wieder verdickt, gesättigt und entdürstet würde. Betreutes Essen und Trinken unter Aufsicht wären selbstverständlich hoher Standard. Wichtig ist natürlich die permanente staatliche Kontrolle.

Wir haben sie doch satt: die Lebensmittelskandale mit Schadstoffen und Gammelfleisch, Schandstoffen und Kamelfleisch? Wenn der Bundesnährstand künftig das Fleischwesen in der Hand hat, wird man nichts mehr davon hören. Denn natürlich ist dann auch die Presse viel zu wichtig! Informationen sind ein viel zu wichtiges Gut, um sie der Privatwirtschaft zu überlassen. Man denke nur an die Fehlinformationen, denen wir täglich ausgesetzt sind. Die könnten Paniken auslösen. Diese Probleme wären wir mit einem Schlag los, wenn alle Informationen in staatlicher Hand wären. Nur noch richtige Informationen, auf die wir uns verlassen können, sämtlich staatlich geprüft! Wie Gesundheit und Lebensmittel. Das gäbe Sicherheit an der Nachrichtenfront ebenso wie im staatlichen Ernährungs- und Gesundheitswesen.

Schöne Neue Welt! Schöne alte DDR! Wahre Nachrichten des CIA!

B. Qualität und Fortschritt im Lipsi-Schritt: Staatstanz, weil der Tanz zu wichtig ist!

Wahrscheinlich steckte die private Presse hinter den Falschinformationen, die Bush dazu geführt haben, den Irak anzugreifen. Beim CIA käme das niemals vor. Ein staatlicher und stattlicher Nachrichtendienst eben. Da sind alle Informationen central, intelligent und agentengeprüft. Informationen sind eben viel zu wichtig, um sie über die private Presse zu erlangen! Sie dürfen nur in der Hand des Staates sein. Erst da werden sie richtig, selbst wenn sie falsch sind. Und Kranke werden gesund im staatlichen Gesundheitswesen, schlechtes Essen wird gut im Bundesnährstand!?

Oder hat jemand schon einmal von Gammelfleisch in Nordkorea gehört? Da hört man gegenwärtig nur etwas von „Fortschritt“ und überhaupt nichts mehr von „Fleisch“, nur dass die Leute von demselben fallen. Oder in der DDR? Das Gammelfleisch wurde doch mit Paketen in den Westen geschickt. Zur Unterminierung des imperialistischen westdeutschen Bundesnährstandes. Kontaminierte Nahrungsmittel in der DDR? Die Giftgurke aus dem Spreewald, die Gammelwurst von Rügen? Niemals! Wirklich nicht! Zumindest nicht, dass man es wüsste. Die Gurken hat sogar Neschle gegessen (Siehe das Buch „Will(l)der Osten!“). Sehr gut! Aber wer isst heutzutage noch Gurken, wo wir so viel wichtigere Probleme haben. Eines ganz wichtiges ist der Tanz, der mit Musik.

In der DDR war die Tanzmusik selbstverständlich zu wichtig, um sie Privaten zu überlassen. Die Staatsführung hat in Leipzig (lat. Lipsiens) den Lipsi entwickeln und später patentieren lassen. Jawohl! Gegen die perversen, unpatenten und drittklassigen Privatentwicklungen des Westens, Twist und Rock ’n’ Roll, von denen man danach zum Glück nie wieder etwas hörte. Umso mehr natürlich vom Lipsi, den heute jeder kennt.

Der wüste Beckenschwenker Elvis the Pelvis hatte mit seinem Presley-Hüftschwung den Unterleib des jungen Werktätigennachwuchses ins Schwanken gebracht und mit ihm die Moralvorstellungen des regierenden Rentnerclubs. Davon musste man dem Nachwuchs abhelfen. Wegen der großen Internationalität der DDR machten Ulbricht, der kleine Che Guevara, und seine Mannschaft eine Anleihe beim revolutionären Tanz Südamerikas. Dazu mischte man gehörige Prisen sozia-listiger deutscher Biederkeit. Fertig war die Tanzrevolution, an der die Welt genesen sollte. Im Taumel des staatsverordneten Fortschrittglaubens erlagen alle DDR-Kulturpolitiker dem Lipsi-Tanzschrittwahn. Hier zeigte sich wieder die Überlegenheit des Sozialmuses.

Die Staatsführung verglaubte sich sogar an die Weltsensation. Der Lipsi war für sie von so hoher Importanz, dass er Exporttanz(!) werden sollte. Er werde in den USA den Durchbruch schaffen!!! Das hatten sich die Gehirne staatlicher Organe im Osten wirklich zusammengebraut und von ihrem geistigen Gebräu waren sie schon immer überzeugt. Sie ließen eine Helga Brauer den Lipsi besingen: Heute tanzen alle jungen Leute im Lipsi-Schritt, nur noch im Lipsi-Schritt. Allen hat der Tanz sofort gefallen. Sie tanzen mit im Lipsi-Schritt. – Eine wirklich tolle Musik für jeden, der nicht weiß, was das ist.

Mit dem Lipsi-Schritt gegen den Hüftschwung von Elvis. Das Dumme war nur: Die unverständige Jugend wollte den Lipsi nicht wollen. Sie war nicht be-, sie war entgeistert. Das hatte die Partei nicht mögen gemocht. Sie hatte da halt das falsche Volk und die falsche Jugend.

Den Tanz dem privaten Geschmack des Volkes zu überlassen, wo der so wichtig ist, das wäre falsch gewesen. Eben! Daher gilt auch: Das Gesundheitswesen ist so wichtig, dass es der Staat übernehmen muss und es nicht den Privaten überlassen kann. Alles in staatliche Hände! Lipsi-Schritt für Lipsi-Schritt. Meinen Lipsi lob ich mir!

C. Wir trauen dem Staat alles, Beamten nichts zu! Oder umgekehrt?

Aber Moment! Ist das nicht staatliche Wichtigtuerei? Die Privaten, denen man nichts mehr überlassen will, das sind wir. Wir alle! Warum vertraut man uns nicht? Ach ja, Lenins Kontrolle ist besser! Wenn man uns nicht traut, warum lässt man einzelne von uns alles kontrollieren, wenn sie staatliche Funktionen haben. Wir sind zwar das Volk, aber die sind dann der Staat!

Warum richtet sich das Misstrauen gegen den Menschen in Deutschland meist nur gegen ihn als privat wirtschaftendes Individuum oder schlimmer noch als Mitglied eines Großkonzerns? Warum nicht gegen den Menschen als Mitglied einer fast allmächtigen Regierung oder staatlichen Verwaltung? Eine solche Regierung bekommt man, wenn man alles verstaatlicht, was irgendwer für wichtig hält. Beamten trauen wir Deutschen doch sonst nichts zu, halten sie für faul und dumm.

Doch Beamten ist alles zuzutrauen! Geben wir ihnen nur die richtigen Kontrollinstrumente in die Hand: Sie werden ein Marionetten-Theater mit uns aufziehen. In der Steuerverwaltung und anderswo. Schauen wir uns an, was die im Lipsi-Schritt fortschreitende Verstaatlichung des Gesundheitswesens gebracht hat: Unzufriedene und demotivierte Ärzte bei schlechteren Leistungen. Die werden immer zickiger, weil sie immer weniger Bock haben. Bei ihren Fehlern haben die Ärzte freilich den Vorteil, dass schnell Gras darüber wächst. –

In der betriebswirtschaftlichen Personalführungslehre würde man von Impoverished Management sprechen. Die Ärzte zeigen fortan weder Lust noch Leistung. Impoverished, also verarmt, vor allem was ihren Willen und ihr Engagement angeht. Ärzte verwalten heute ein zur Staatssache erklärtes, weil viel zu bedeutsames Gesundheitsproblem. Das Problem ist so wichtig für den Staat, dass es mittlerweile fast nicht mehr wichtig ist für den Arzt. Der behandelt das Gesundheitsproblem und den Patienten nicht mehr verantwortlich und darum nicht mehr engagiert, außer in England, früher oft von deutschen Politikern für sein Gesundheitssystem gescholten, wo er sich mittlerweile ein Mehrfaches hinzuverdienen kann. Und warum? Weil England kaum mehr Ärzte hat. Die sind in den USA und von unten wachsen keine nach. Und in Deutschland? Da brauchen wir schon kaum mehr warten, bis die Ärzte aus Tschechien, Polen oder Ungarn hier das Regiment übernehmen.

Das Ganze läuft unter dem politischen Banner der Effizienz im Gesundheitswesen. Wenn der Staat etwas macht, ist Effizienz oder Fortschritt verbal immer im Spiel, faktisch eher selten. Hat man je aus den Verlautbarungen der DDR-Staatsführung gehört, dass es nicht bergauf ging und nicht effizienter wurde? Das wäre der Gipfel gewesen. Doch da kam man nie an. Es musste ja weiter bergauf gehen!

Die Gestaltungsfreude der staatlichen Macher ist den Freunden der Lipsi-Schritte wichtiger als die Gestaltungsfreude der Staatsbürger. Diese Bürger kann man dann tausendmal auffordern, mehr zu tun und mehr zu rennen. Sie werden es nicht tun, weil es nicht mehr ihre Sache ist, und sie werden es nicht können, weil man ihnen die Luft zum Atmen und den Raum zum Leben nimmt. Legebatteriehaltung! Die sollen nun sogar mehr Freude an ihrer Entwicklung und der Entwicklung ihrer Umwelt haben. Und ein Ei des Kolumbus nach dem anderen legen. Aber warum nur?

Den DDR-Oberen hat es doch auch schon gereicht, den Fortschritt täglich zu verkünden. Aber den staatlichen Lipsi tanzt man eben auf der Stelle!

Was wichtig für uns alle wäre,

stets in des Staates Hand gehöre.

so reden viele hierzulande,

trotz der Beamten „fauler Bande“!

Doch damit sind wir in der Falle:

Aus mit der Freiheit für uns alle!

(Version fürs Ruhrgebiet: Aus mitti Freiheit von uns alle!)


[1] Diesen Hinweis und die nachfolgende Idee verdankt Neschle einem ungewöhnlich schlanken Freund Er nennt ihn mal den „Printenkönig“. Danke dafür! Viel Spaß! Sapienti sat!

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Eine Antwort auf „Leon Neschle 14 (21. Woche 2007)“

  1. Sehr geehrter Herr Neschle,

    das ist ein sehr schwierigs Thema. Privatwirtschaft allein, macht es nicht! Staatswirtschaft erst recht nicht! Der Widerspruch ist da: “Unfähige Beamte” und “der Staat soll beaufsichtigen”! Sie habenRecht, dass die meisten beids denken und nicht eimal den Widerspruch bemerken!

    Auch für mich war diese Einsicht schon das Lesen wert!

    Ihr Erpel 1

    P.S.: Was ist denn der “Robin Hood” bei Aufschrei 2 für ein selbstgerechter Heini? Weiß der mehr als Sie und warum?

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