Steuer-Dieb oder Steuerdaten-Dieb?
Die Unfähigkeit der Journaille treibt Neschle in den Wahnsinn
Oh, Gott! So schnell wollte Neschle gar nicht wieder in Aktion treten. Aber da machen Leute Meinung in Deutschland, die beherrschen nicht die Sprache, sondern die werden von ihr beherrscht. Gestern, am 27. August 2012, las Neschle im Internet bei t-online „Schweiz: Steuer-Dieb festgenommen“. Heute, am 28. August 2012, liest er zum selben Thema auf der Titelseite seines lokalen Frühstücksblatts „Rheinische Post“ „Steuerdaten-Dieb drohen fünf Jahre Haft in der Schweiz“.
Was ist dieser Dieb (darin ist man sich ja zum Glück einig!)? Steuer-Dieb oder Steuerdaten-Dieb? Neschle meint: Gar nichts von beiden! Deshalb hier ein kleines Glossar für unsere unfähige Presse:
1. Der gemeine und der hundsgemeine „Steuer-Dieb“
Ein „Steuer-Dieb“ oder einfacher ein „Steuerdieb“ begeht, wie der Name sagt, Steuerdiebstahl und nicht allein Steuerdatendiebstahl. Da aber auch Geld außer Bargeld heute nur noch aus Daten besteht, ist die Unterscheidung hier schwieriger geworden, aber immer noch möglich:
Ein Steuerdieb wäre daher zum Beispiel ein Hacker, der in die Rechner des Finanzamtes eindringt und dort die Steuer-Daten zu seinen Gunsten (oder zugunsten anderer Steuerpflichtiger) verändert, so dass die Steuerzahlung vermindert wird. Das Kopieren und Entwenden von Daten allein reicht dazu nicht. Das wäre eben nur ein Diebstahl von Steuerdaten.
Steuerdiebe sind auch die „echten Steuerhinterzieher“, die gegen das Gesetz zu Lasten anderer Steuerpflichtiger ihre Steuern wissentlich und bewusst verkürzen. Leider verwechseln die Finanzbehörden aber viele „unechte“ Steuerhinterzieher mit diesen „echten“ Hinterziehern, auf drei unterschiedlichen Wegen:
1. Unbewusste Fehler haben für das Finanzamt schon aus manchem unbescholten Bürger ohne jegliche Hinterziehungsabsicht einen vermeintlich „echten“ Hinterzieher gemacht mit entsprechenden strafrechtlichen Folgen. Fehler zu den eigenen Gunsten, die sich das Finanzamt selbst immer gern zugesteht, werden beim Steuerpflichtigen häufig als pure Absicht hingestellt. Das gilt sogar, wenn die Fehler von anderen stammen und der Steuerpflichtige deren Belege nur in gutem Glauben an deren Richtigkeit einreicht. Selbst Fehler des Beraters bleiben häufig am Steuerpflichtigen hängen.
Bei Fehlern zu Ungunsten des Steuerpflichtingen macht das Finanzamt dagegen nicht immer darauf aufmerksam. Das würde statt zum Mehrergebnis ja zum Minderergebnis führen und die schöne Bilanz des Finanzministers kaputtmachen (Aufschrei 58). Oder wie eine Finanzbeamtin es formulierte: Man dürfe ja den Steuerberatern nicht die Arbeit wegnehmen und ihnen auch nicht ins Handwerk pfuschen.
2. Steuerpflichtige interpretieren die häufig sehr komplexe steuerrechtliche Lage anders als das Finanzamt. Vor allem, wenn kein Berater eingeschaltet wurde, kann es geschehen, dass trotz strittiger Rechtslage nur wegen einer anderen Rechtsauslegung Hinterziehungsabsicht unterstellt wird. Das Einschalten eines Beraters zieht solche Fälle dagegen eher in den Bereich „strittiger Rechtsausfassungen“. Das ist einer der Gründe, auf denen die Steuerberatung ihre Existenz gründet.
3. Fehler des Finanzamtes und seiner Mitarbeiter. Über ihre extrem hohe Dunkelziffer bei Prüfungen und –fahndungen hat Neschle schon berichtet (Aufschrei 58). In dem ganz oben erwähnten Internetartikel über den angeblichen „Steuer-Dieb“ schrieb einer der Kommentatoren über ein solches Problem und erhielt (bis zu Neschles Einsicht) nur zustimmende Kommentare:
„Hero schrieb: am 27. August 2012 um 11:41:47
Zustimmen (18) Ablehnen (0) Steuerhinterziehung
Ich wurde vom Finanzamt bei einer Betriebsprüfung der Steuerhinterziehung beschuldigt. Dies ging bis zur Androhung der Zwangsvollstreckung. Nach 4 Monaten Streit habe ich mich beim Chef des Finanzamtes 4 Stunden vor die Tür gesetzt bis es ihm zuviel wurde und er meine Einwände angeschaut hat. „Da hat unsere junger Betriebsprüfer wohl brutto und netto verwechselt, wir werden das berichtigen“. Eine Entschudigung für den Ärger? Fehlanzeige! So schnell wird man Steuerhinterzieher…“ (http://wirtschaft.t-online.de/schweiz-steuer-dieb-festgenommen/id_59035428/index)
(Das wäre eine schöne Ergänzung zu Fußnote 3 in Aufschrei 58 gewesen.)
Neben den „echten“ Steuerhinterziehern werden auch diese drei „unechten“ „Hinterzieher“ von unserem Fiskus als „Steuerdiebe“ behandelt. Das fiskalische Unrecht an ihnen belastet sie häufig ihr ganzes Leben, finanziell sowieso, aber auch seelisch. Es ist schließlich „Ihr Staat“, der sich da an ihnen vergangen hat. Umso schlimmer ist es, wenn unser Staat in Kauf nimmt, mehr von ihnen zu „produzieren“.
Die Statistik kennt hierbei den α- und den β-Fehler. Der α-Fehler beschreibt das Problem, einen „echten“ Steuerhinterzieher nicht zu identifizieren oder als „unechten“ einzustufen und ihn daher laufen zu lassen. Das akzeptiert der NRW-Finanzminister mit seiner Kaufphilosophie für sogenannte „Steuer-CDs“, wenn der CD-Preis über dem erwarteten Mehrergebnis liegt. Gerechtigkeit ist damit zu einer Sache des Preises verkommen, wie moralinhaltig auch immer die Begleitmusik sein mag.
Der β-Fehler umfasst alle Fälle, bei denen „unechte Hinterzieher“ der Kategorien 1 – 3 fälschlich als „echte Hinterzieher“ eingestuft werden und die für diese geschaffenen Rechtfolgen erwarten müssen. Das „Mehrergebnis“ als Zielgröße von Fahndern und Prüfern erhöht diesen β-Fehler und produziert zwangsläufig mehr Fälle „unechter Hinterzieher“, weil dadurch die Prüfung zugunsten des Steuerpflichtigen bewusst und gezielt unterbleibt, weil sie dem höheren Mehrergebnis schaden könnte. Als würde der Mörder schon feststehen, wird nur noch nach Belastungsmaterial gesucht. Da ist es kein Wunder, wenn man öfter den Falschen hängt oder gar henkt.
Das „Mehrergebnis“ als zentrale Zielgröße des Fiskus lässt sogar die Frage „Wer oder was ist ein „Steuerdieb?“ auch anders beantworten. Wer unter dieser Ägide gezielt mehr „unechte“ Hinterzieher produziert, unbescholtene Bürger kriminalisiert und Belobigungen/Belohnungen an seine Beamten auch für unberechtigte Mehrergebnisse verteilt, der muss sich fragen lassen, ob er nicht selbst ein „Steuerdieb“ ist.
Schon Thomas von Aquin hat die Steuererhebung generell als „Raub“ bezeichnet, zumal sie auch noch mit dem staatlichen Gewaltmonopol daherkommt. Damit dieser Raub „ohne Sünde“ geschehen könne, habe sich der Staat strikt an ethische Regeln der Gerechtigkeit, Gleichmäßigkeit und „Fairness“ zu halten. Tut er das nicht, ist Steuererhebung eben nichts anderes als Raub. Der Anreiz zum Raub wird Prüfern und Fahndern aber mit dem Mehrergebnis als Zielgröße klar und deutlich gegeben.
2. Der seltsame und seltene „Steuerdaten-Dieb“
Die Frühstücksgazette Neschles berichtet über einen ominösen „Steuerdaten-Dieb“ bei Schweizer Banken. Seit wann aber verfügen Schweizer Banken über deutsche „Steuerdaten“. Das ist immer noch das Privileg deutscher Finanzämter. Würde ein Hacker dort Daten entwenden, so wäre er dagegen sicher ein „Steuerdaten-Dieb“.
Das, was der enttarnte Dieb hier beim Bankhaus Julius Bär gestohlen hat, waren also „Bankdaten“ und keine „Steuerdaten“. „Steuerdaten“ werden daraus erst durch den deutschen Fiskus und die Aufbereitung, Interpretation und Prüfung bei ihm.
Nicht alle dieser Bankdaten sind „steuerrelevant“. Der deutsche Fiskus verschafft sich hierdurch auch Kenntnis über die Anlage legal versteuerter Erträge. Denn die Anlage in der Schweiz muss nicht zwangsläufig auch steuerhinterziehungsmotiviert sein. Es gibt z.B. den Grund, das Währungsrisiko zu hedgen, was bei der gegenwärtigen Euro-Krise sogar Laien einleuchten könnte.
Rudolf Elmer, Geschäftsleiter der Julius-Bär-Filiale auf den Cayman Islands, hatte schon früher für ein Loch in den Bankdaten von Julius Bär gesorgt und sowohl Wikileaks als auch Neschle damit versorgt. Ehe sein Kommentar zu einem Neschle Artikel gelöscht werden konnte, hatte Herr Elmer die Neschle-Seite dazu benutzt, Bankdaten mehrerer angeblicher Steuersünder darauf zu veröffentlichen. Er hatte nicht davor zurückgeschreckt, Neschles Blog für seine Zwecke zu missbrauchen. Sein Motiv war wohl allein Rache für seine Entlassung. Er gab sich jedoch als „Robin Hood“. Unter diesem Pseudonym schrieb er seine Neschle-Kommentare, die noch heute nachzulesen sind (Aufschrei 2), bis auf die mit der Datenveröffentlichung: So viel zu den „höheren Motiven“ eines der Datendiebe und seiner Selbstdarstellung. – Erst seit dem Übergriff von Rudolf Elmer auf diesen Blog werden die Kommentare auf der Neschle-Seite von einem Administrator gefiltert.
Noch neulich erlebte Neschle ein Déjà- vu. Er las von einem deutschen Kunstsammler, der eine große Kunstsammlung, Werte in Millionenhöhe, bewusst an ein ausländisches(!) Museum verschenkt hatte. Neschle ist sich sicher, dass unter Elmers Steuerdaten ein großer Kunstsammler war, dem der Staat wohl die Fahndung auf den Hals geschickt haben dürfte.
Wenn es derselbe war, der die Kunstsammlung ins Ausland verschenkt hat (Neschle hat da so ein Bauchgefühl!!!), dann bestätigt das mal wieder, dass „Mehrergebnisse“ viel zu hoch bewertet werden, weil sie um solche Folgen nicht korrigiert werden (Aufschrei 58). Natürlich wurde als Begründung dafür, dass die wertvolle Sammlung nicht an ein deutsches Museum ging, nicht „eine späte Steuer-Rache“ genannt. Neschle sagt auch nicht, dass man diesen Kunstsammler hätte laufen lassen sollen, wenn er wirklich Steuern hinterzogen hat. Das wäre aber das Ergebnis des NRW-Finanzministers, würde er sein CD-Kalkül auch hier anwenden. Denn das hieße: Ist die Kunstsammlung wertvoller als die Steuernachzahlung und belässt er sie im Lande, sehen wir von einer Nachversteuerung ab.
So oder so: Bei der Beurteilung von Prüfern oder Fahnder wird nicht nur nach ungesetzlichen Maßstäben geurteilt, sondern auch nicht einmal der Versuch einer richtigen Rechnung gemacht. Jeder führt heute das große Wort „nachhaltig“ im Mund. Hier aber wird nur ganz unvollständig und kurzfristig gedacht und gerechnet.
3. Der staatlich gesponserte und staatlich bestrafte „Bankdaten-Dieb“
Bankdaten stiehlt, wer (berechtigt oder unberechtigt) in das Datennetz einer Bank „einsteigt“, dort Geschäfts- oder Kundendaten entwendet und weder von der Bank noch von den betroffenen Kunden autorisierten Zwecken zuführt. Die Reaktion darauf ist in Deutschland und der Schweiz fast gleich. In beiden Ländern ist das eine strafbare Handlung und wird mit Freiheitsentzug von maximal drei Jahren (Deutschland) bzw. fünf Jahren (Schweiz) bestraft.
Daher ist es auch ziemlich selbstgerecht, was hier der NRW-Finanzminister veranstaltet, wie in einer amerikanischen Wildwest-Story mit Schurkenstaaten. Man kann ansonsten kaum erklären, wie ein Staat strafbare Handlungen in einem anderen Staat sponsern kann, die auf seinem eigenen Gebiet verboten sind.
Aber im Umgang mit Daten zeigt dieser Staat ja allgemein nur wenig Feingefühl, obwohl das ein heikles Spiel ist, weil sogar Geld heute fast nur noch aus Daten besteht. In einer seiner schwärzesten Stunden beschloss der Deutsche Bundestag mit wenigen Abgeordneten „am Rande der Fußball-Europameisterschaft“ beim neuen Meldegesetz den Einstieg der deutschen Gemeinden in den Datenhandel. Davon waren sogar zwangsweise erhobene Daten betroffen. Dann wurde das Problem aber zum Glück auch schnell erkannt und fix zurückgerudert (http://www.ftd.de/politik/deutschland/:umstrittener-datenhandel-bundesregierung-beerdigt-verschaerftes-meldegesetz/70060869.html).
Das Argument des gemeinen deutschen Dummkopfs für die freie Verwendung aller Daten ist immer gleich: Wenn einer nichts zu verbergen hat, kann er doch gar nichts dagegen haben, wenn seine Daten alle und allen bekannt sind.
Bei solchen Leuten wünscht sich Neschle, dass jemand mal die von diesen verfügbaren Daten so richtig missbraucht. Sorry, sorry!!! Aber so wusste schon Lichtenberg: „Es gibt manche Leute, die nicht eher hören, bis man ihnen die Ohren abschneidet“.
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