Au … Aufschrei 36

Mit Kreativität zum (Miss-)Erfolg

Mehr Kreativität? Nein! Wiedererkennung durch Selbstkopie: Das ist es!

„Mit Kreativität zum Unternehmenserfolg“ stand beim Querdenker-Club von Xing. – Was hat diese Überschrift selbst, außer der Kreativität darin, mit „Querdenken“ zu tun? Nichts! Wer glaubt nicht, dass er seinen Erfolg seiner Kreativität zu verdanken hat? Keiner jedenfalls in den „kreativen Berufen“. Fast jeder der wenigen Erfolgreichen dort denkt, Kreativität sei seine Erfolgsquelle. Auch in der Wissenschaft und Wirtschaft denkt man meist so. Doch beinahe das Gegenteil stimmt:

In der Wirtschaft waren die Erfolgreichsten meist die Kopisten. In der Industriellen Revolution haben die Deutschen die Engländer kopiert. Das japanische und das chinesische Wirtschaftswunder beruhen auf Kopien, die intensiv und beharrlich umgesetzt wurden. Aber was bitte ist daran „kreativ“, außer die Aus- und Benutzung anderer als Ideengeber? Man verdient ja nicht an kreativen Ideen, sondern an deren konsequenter und wirtschaftlicher Umsetzung.

Die Kreativen laufen immer vor dem Mainstream her, sonst wären sie es ja gar nicht: kreativ. Sie sind da, bevor der unkreative Rest (verzeihe mir, oh großer Beuys, jeder Mensch ist ein Künstler) überhaupt in die Puschen kommt. Die Kreativen verpassen das wirtschaftliche „Window of Opportunities“, weil die Masse, der sie ihre kreativen Ideen verkaufen wollen oder müssen, noch gar nicht so weit ist, diese zu begreifen. Sie kommen zu früh für ihre Zeitgenossen. Oder sind ganz neben der Kapp! Von denen will ich aber hier nicht reden.

Weil die hier gemeinten Kreativen zu früh für den Mainstream kommen, werden sie häufig posthum bekannte „Künstler“. Aber wie ist das bei den anderen, die schon zu Lebzeiten berühmt waren? Waren Miro, Chagall oder Picasso kreativ? – Hat man ein Werk von ihnen betrachtet, kann man fast alle anderen identifizieren. Ihr ein extrem hoher Wiedererkennungsfaktor macht diese Werke und deren Erfolg aus. Oder nehmen wir doch her, wen wir wollen. Es muss ja nicht immer nur die „große“ und „hehre“ Kunst sein: Otmar Alt, Schlote oder den Tetsche aus dem Stern. Oder in der Musik: Bach, Mozart, Beethoven. Von mir aus auch die Rolling Stones, Eric Clapton, Mark Knopfler. Seine Identität immer neu beweisen, das ist es. Aber durch immer wieder neue Kreativität davon abweichen? Das ist es nicht, was den Erfolg ausmacht.

Nirgendwo lässt sich das besser beobachten als im Hundertwasser Museum in Wien. Nach vielfältigen Experimenten fand Hundertwasser seinen Stil. Als er ihn hatte, blieb er ihm in Einfalt treu und kopierte sich nur noch selbst. – Doch ist diese „Einfalt“ noch Kreativität? Oder gilt nicht eher: Als er noch kreativ war, hatte er keinen Erfolg! Dann entschied er sich, seine „Kreativität“ auf einen Stil zu beschränken und ↑↑↑.

Ich rate jedem Künstler, der wirtschaftlichen Erfolg sucht, ausdrücklich davon ab, „zu kreativ“ zu sein. „Suche Dir einen einprägsamen Stil und kopiere Dich selbst in immer neuen Variationen!“ Das ist mein Rat an ihn und das wollen die Leute. Und dann suche Dir einen guten Vermarkter und hoffe auf prominente Erstkäufer.

Diese Käufer wollen keine Künstler, die tausend gestalterische Ideen haben. Christo und andere ziehen, wenn sie die einmal gefunden haben, eine einzige Masche durch, möglichst spektakulär an unterschiedlichen Objekten. Der Besagte inszeniert z.B. den Kindergeburtstag in der Welt der Großen und in der Welt des Großen. Er wickelt große Sachen in Geschenkpapier oder stellt einen Geburtstagskuchen mit ganz vielen kleinen Kerzen auf, die schon mal aus Sonnenschirmen oder sonst was bestehen können. Aber so kleine Schirmchen hatten wir als Kinder doch auch auf unserem Geburtstagskuchen.

Wirklich kreativ wären solche Künstler erst, wenn ihnen nicht nur zig Variationen ihrer einzigen Masche einfielen, sondern auch noch zig solche Maschen, die sie auch noch realisieren. Doch dann wären sie nicht erfolgreich: Verzettelung der Kräfte in der Produktion, Verlust der „Markenerkennung“ im Absatz: Man gilt nicht als Experte bei der „Kunstproduktion“ und ist es wahrscheinlich auch nicht mehr bei allen Kreativtechniken, und man zeigt im Absatz kein verlässliches Markengesicht. Die Kunstkäufer bezahlen den hohen Preis aber nur deshalb, weil sie sich selbst gern als Experten bestätigen und von anderen darin bestätigen lassen wollen. Wenn sie das nicht mehr können, dann ist Kunst für sie ohne Wert. – Nenne mir doch einer einmal einen höchst erfolgreichen Künstler, der in und mit unterschiedlichsten Stilrichtungen und wegen ihnen erfolgreich war! Leonardo da Vinci vielleicht. Aber sonst?

Verschont also die wirtschaftlich erfolgreichen Künstler von wirklicher Kreativität! Die schadet ihrer Persönlichkeit zwar nicht, aber ihrem Erfolg. Denn ihre Stammkunden fühlen sich betrogen, weil sie nicht mehr das erhalten, was sie von „ihrem Künstler“ erwarten. Er ist nicht mehr verlässlich, nicht mehr authentisch. Und neue Stammkunden gibt es dann erst gar nicht. Oder würden Sie ihre Curry-Wurst bei einem kreativen Grill kaufen, bei dem sie täglich anders schmeckt? Da könnten Sie sich gewaltig blamieren, falls sie eine Empfehlung für diesen Grill aussprechen. Und ihre Produktbeschreibung ist immer wieder falsch. Wollen Sie das? –

Jetzt erschreckt nicht über den Vergleich von Kunst mit Curry-Wurst! Was habt Ihr denn erwartet? In der Frage der Wirkungen von Kreativität geht es um die Wurst und da kann man schon mal einen solchen Vergleich bringen. –

Künstler erhalten ihr Geld nicht dafür, dass sie kreativ sind, sondern dafür, dass sie ihren Kunden schlau wirken lassen und ihn seine Zugehörigkeit als Jünger seiner Gemeinde spüren lassen. Der „Kunde“ als Betrachter kann das Kunstwerk dem Künstler zuordnen. Toll! – Wer da als Künstler zu kreativ ist, enttäuscht den Kunden nur, weil der ihn unter seiner neuen Maske nicht erkennt. Er erzeugt Argwohn und Ärger und dafür bezahlt man kein Geld. Ihm fehlt einfach der Stil! Styles change, style doesn’t! Der Kunde vermisst „Originalität“ in dem Sinne, dass er etwas „Persönliches“ und „Authentisches“ erhält. Kreativität aber hat keinen Charakter oder ihn noch nicht gefunden. Beim Kreativen ist alles im Fluss und genau deshalb geht sein Erfolg baden. Die Leute kaufen nämlich „Charakter“. Der aber ist immer „irgendwo und irgendwie angekommen“ und nicht „auf dem Weg“ nicht „im Fluss“ wie die Kreativität.

Und bei Unternehmungen? Da gilt genau dasselbe! Wer dem Mainstream hinterherrennt hat zwar sicher keinen Erfolg. Aber auch nicht derjenige, der zu weit voranschreitet. Kreativität wird nur dann Unternehmenserfolg, wenn sie nicht zu groß ist und dem Denken er potenziellen Kunden nicht zu weit voraus. Nur so bilden sich starke Marken mit Wiedererkennung. Harley-Davidson sei es geknattert.

Gerne gönne ich jedem „unendliche Kreativität um jeden Preis“, doch wirtschaftlich erfolgreich wird er damit nicht. Dazu muss er viel näher „am Durchschnitt“ sein. Aber „kreativ“? In Maßen, in Maßen, doch nur nicht in Massen. Die Gleichung „Mit Kreativität zum Unternehmenserfolg“ geht also so nicht auf. Eher die Gegenteilige: Sei vorsichtig im Umgang mit Deiner Kreativität! Wenn Du einmal eine Masche gefunden hast, stricke nur noch diese. Der Kreative ist der großen Masse der Durchschnittsmenschen suspekt. Sie wissen nicht, was sie von ihm erwarten können und sollen.

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Eine Antwort auf „Au … Aufschrei 36“

  1. Lieber Neon Neschle,
    die Handschrift eines Künstlers wiederzuerkennen, heißt, dass er (oder sie) etwas typisches in die Werke integriert. Alleine das zu schaffen, ist kreativ. Neues zu erfinden, dass das Typische in sich hat und doch etwas ganz eigene und neue Elemente oder Aspekte hat, ist kreativ.

    Die intelligente Kopie ist kreativ.

    So denke ich zumindest .

    Grüße
    SB

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