Bi-Zieh-Kletten
Auf aut(o)istischen Abwegen
Es ist Sommer. Neschles Niederrhein am Rande des Ruhrgebiets bekommt wieder viel Besuch von Motor- und sonstigen Cyclisten. Die mit Motor stehen da in trister Einfarbigkeit, meist in Schwarz, nur noch selten martialisch aufgemotzt, mit Wehrmachthelm und Kutte oder so. Die ohne Motor sind bunt wie die Papageien in den wildesten Farben Amazoniens. Die mit Motor sind fast werbefrei, die ohne Motor sehen aus wie Litfass-Säulen: Litfass-Säue und Litfass-Eulen zusammen. Die mit Motor sind dick vermummt, die ohne Motor haben sich nackig gemacht an Beinen und Unterarmen und spielen Tour de France. – So viele Unterschiede.
Und doch haben sie viel Gemeines gemein und das ist nicht das Doping:
- Beide sind weit überwiegend männlich (Angeln ist und bleibt freilich die „männlichste“ aller Sportarten!) und machen auf „sportlich“, sind aber tatsächlich bereits in die Jahre gekommen. Die Jungen bi-zieh-klettieren offenbar nur noch ungern, weder mit Motor noch ohne. Komasaufen stattdessen?
- Beide kommen meist in Rudeln vor, im Bi-Zieh-Klettverband, der sich in langen, leicht gewundenen Fäden die Straße lang zieht und vor dem eigenen Auto hängt wie die Kletten vor der Brust.
- Und … und beide benutzen zusammen mit den Autos „ihre“ Straße. Die mit Motor meist im Überholvorgang auf der Gegenspur. Die ohne Motor auf derselben Spur. Jedoch niemals auf dem Radweg! Wenn und weil sie sich sportlich fühlen und weil sie heute statt Christopherus einen anderen Schutzpatron haben: Herrn Scharping, den alten Durchlauchterhitzer.
Das ist schon verwunderlich: Fahrräder mit allerlei Sicherausstattung, damit sich kein Verkehrsteilnehmer versieht, müssen mit ihren Radlern, Lampen und Reflektoren den Fahrradweg benutzen. Die bunten Heinis mit den Sporträdern, denen bis auf Bremsen jegliche Sicherheits-Ausrüstung fehlt[1], fahren dagegen auf Straßen mit den Autos um die Wette. Ja, bei dem Schutzpatron!
Neulich wieder: Vor Neschles Auto schleicht ein orange-grün-rot bepunktetes grelles Etwas über die Landstraße. Ein wamperter (bayrisch für „beleibt“) Zeitvertreter radelt gemütlich auf der Straße mitten auf der Fahrbahn im 3XL-Trikot irgendeines übrig gebliebenen Radsponsors und kann wegen langer Kolonnen im Gegenverkehr nicht überholt werden. Links ist aber ein Radweg. Für „teures Geld“ gebaut aus unserer aller Steuergelder und völlig leer, wirklich: völlig leer. Und der radelt auf der Straße!
Der sportlich aufgemotzte Anti-Sportler strampelt wie beim Vatertagsausflug, auch nachdem sich hinter ihm eine Schlange von etwa zwanzig Autos gebildet hat. Bei dieser Schlange ist das A … loch wirklich vorne und der Radweg nebenan immer noch leer. Neschle verflucht ihn, denn Neschle hat Zeitdruck: Diesen Typen hätte seine Mutti doch besser zum Angeln geschickt und damals hätte sie schon statt ihm den Storch behalten sollen.
Da sehnt sich Neschle zurück nach Zeiten, in denen im Radsport noch ordentlich gedopt wurde. Da wurde nämlich noch zügig gefahren und nicht im Schritttempo.
Doch dann geschieht das Unglaubliche: Da braust auf dem Radweg von hinten ein jugendlicher Radfahrer heran und überholt parallel von links flugs die Autoschlange und den sportsponsorisch aufgemotzten „Radrennfahrer“ an dessen Spitze. Auf einem ganz normalen Fahrrad, in ganz normaler Alltagskleidung. Natürlich tritt er kräftig in die Pedale und es macht ihm Spaß, es allen zu zeigen. Vor allem aber dem beleibten Tour-Isten de France. Aber auch den Autofahrern.
Da verlässt einige Autofahrer die Geduld und sie fangen an zu hupen. Etwas später reißt die Kolonne auf der Gegenseite auf und Neschle kann den Rad-Tour-Isten überholen. Wie lange der Rest der Schlange hinter diesem selbstgefühlten Rennfahrer herfuhr, kann Neschle nicht sagen. Aber so sind halt! Die ungedopten Radrennfahrer von heute: Keine Rücksicht mehr auf die Gemeinschaft der Verkehrsteilnehmer.
Schließlich heißt es ja in Paragraph 1 der Straßenverkehrsordnung: „Jeder Teilnehmer am öffentlichen Straßenverkehr hat sich stets so zu verhalten, dass er die anderen behindert, belästigt oder nach vermeidbaren Umständen gefährdet oder schädigt“. Oder heißt es „beschädigt“? Na ja, so ähnlich jedenfalls! Denken sich jedenfalls die bunten Tour-Kopisten, diese Bi-Zieh-Kletten.
[1] Das erinnert Neschle an einen alten Witz: Ein Polizist hält einen Radfahrer an. „Bei Ihnen fehlen die Rückstrahler. Das macht fünf Euro. Sie haben vorne kein Licht, macht noch einmal fünf Euro. Es fehlt zudem eine Bremse, macht insgesamt 15 Euro Bußgeld.“ Plötzlich fängt der gescholtene an zu lachen. „Junger Mann, nehmen Sie das ruhig ernst. Warum lachen sie da?“ „Herr Wachtmeister, da vorne kommt einer, der hat überhaupt kein Fahrrad.“
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