2:0 – Ja do san olle Klagen furt!
Neschle-Depeschle-Neschle-Depeschle-Neschle-Depeschle
Für den kleinen Hunger zwischendurch: Der schnelle Einwurf in den Strafraum
Wenn man ein 0:2 kassiert, dann ist ein 1:1 nicht mehr möglich.
(Aleksander Ristic, ohne Kenntnis der polnischen Niederlage)
Neschle ist in Klagenfurt. Am Freitag und Samstag vor dem Spiel Deutschland – Polen am Sonntag hatten die Deutschen da noch alles in der Hand. Vor allem die deutsche Polizei. Die ist mit 500 weiblichen und männlichen „Sicherheitskräften“ angerückt und dominiert das Straßenbild mehr als alle Fans. Die meisten Klagenfurter sind schon zu Hause geblieben.
Am Sonntag, den 8. Juni 2008, dann das Spiel Deutschland gegen Polen. Plötzlich wimmelt es überall von Polen hier. So wie in Wien von Kroaten. Als hätten die sich abgesprochen, dominieren sie die Fan-Meilen und das Stadion im Verhältnis 2:1. Doppelt so viele Polen wie Deutsche in Klagenfurt, doppelt so viele Kroaten wie Österreicher in Wien. Was ein „Heimspiel“ werden sollte, wird ein Auswärtsspiel: für die Deutschen in Klagenfurt am Wörthersee, sogar für die Österreicher in Wien, „ihrer“ Hauptstadt, die für kurze Zeit die kroatische wird. Ein Auswärtsspiel im eigenen Land. Das kann man so nicht einmal finden, wenn irgendwo in Deutschland die deutsche Nationalelf gegen die türkische spielt.
Es geht auf dem Ticket-Markt dieser Europameisterschaft offenbar zu wie beim Eurovision Song Contest: Da wird ge- und verschoben mit allen Karten, was das Zeug hält. Da fragt man sich, welch abgekartetes Spiel von der UEFA oder sogar mit der UEFA getrieben wird. Wie kann das sein? Zahlen die armen Polen plötzlich die höheren Schwarzmarktpreise? Werden die Karten-Kontingente hemmungslos zugunsten der kleinen Länder verteilt, die dann im Osten wiederum unter sich schieben und handeln. Genau wie beim europäischen Schnulzen-Wettstreit, wo kein westliches Land mehr eine Chance hat unabhängig von der Qualität der Songs (Aufschrei 5)
Hier in Klagenfurt streuen Österreicher das Gerücht, die Polen hätten ihr Kontingent für Wien an die Kroaten verkauft und die Kroaten für Klagenfurt an die Polen. Polen reisen hier aber auch mit Autos an, die ein deutsches Kennzeichen tragen. Jetzt werden alle sagen: Gerade in Deutschland geklaut und zu wenig Zeit, das Kennzeichen zu wechseln! – Aber es sieht eher danach aus, als hätten polnische Arbeiter in Deutschland auch eine Menge vom deutschen Kartenkontingent weggekauft. Denn selbst mitten im vermeintlich rein deutschen Hardcore-Fanblock sitzen viele Polen, während die rot-weiße Front der Polen keinerlei deutschen Enklaven aufweist. Die steht da wie eine Mauer ohne fremde Einschlüsse. So bilden die Schals der Polen während ihrer Nationalhymne eine einzige rot-weiße Wand.
Eine Stunde vor dem Spiel sind schon fast alle Polen im Stadion, aber nur wenige Deutsche. Da steht es noch 9 zu 1 für die Polen. Auch die polnischen Spieler sind als erste auf dem Platz und werden euphorisch empfangen. Die deutschen lassen auf sich warten. Als es losgeht, machen die Polen einen Höllenlärm. Das rhythmische Stampfen ihrer Füße lässt die Tribüne erzittern. Doch merkwürdigerweise machen sie das gerade, wenn die Deutschen im Angriff sind. Ein deutscher Spieler muss das als Unterstützung seiner eigenen Fans empfinden.
Das Scharren mit den Füßen war einst an Universitäten der Ausdruck des Unmuts über einen Vortrag. Hier aber klingt das Stampfen der Polen bei deutschen Angriffen wie eine Unterstützung der falschen Partei. Da ist die Unterstützung für die Deutschen trotz klarer Unterzahl ihrer Anhänger plötzlich eine Macht. – So unterschiedlich können kulturelle Ausdrucksformen schon innerhalb Europas sein.
Es gibt keinerlei Scharmützel zwischen den Fans. Im Gegenteil: Neschle erlebt wie eine Deutsche einen polnischen Fan auf englische Weise fotografiert: mit nacktem Oberkörper. Polnische und deutsche Fans lassen sich Arm in Arm ablichten. Als versöhnlich wird schon zur Halbzeit empfunden, dass Lukas Podolski das 1:0 geschossen hat. Das ist ja einer von ihnen. Also eigentlich führt sogar Polen 1:0, auch wenn da irgendetwas in der Geschichte falsch gelaufen ist. Das ist fast wie eine Eigentor: Schicksalhaft und nicht zu vermeiden.
In der Pause steht plötzlich jemand neben Neschle. Er selbst ist es jedenfalls nicht, denn hier im Stadion gibt es nur alkoholfreies Bier, auch wenn vor allem einige Polen den Eindruck machen, bereits gut betankt zu sein: mit bierfreiem Alkohol, also Wodka und ähnlichem Zeugs. Neben Neschle steht einer, der ruft in die unteren Ränge: „Sascha!“. Neschle, der über eine viel lautere Stimme verfügt als dieser Piepser neben ihm, sagt: „Du musst lauter rufen! So etwa: SASCHA!“ Plötzlich sieht Neschle auf dem Deutschland Trikot seines Nachbarn groß die Aufschrift „POCHER“. Der spielt doch gar nicht für Deutschland. Ist das ein Hochstapler, der sich mit Oliver Pochers Namen schmückt? Nee, das ist der Oliver wirklich selbst und in eigener Person. Plötzlich drängen sich Mädels dazwischen und posieren mit Olli Pocher als Kracher vor ihrer Billigkamera und vor dem Foto-Handy. Da macht der Pocher sogar Werbung mit seinem eigenen Namen, damit ihn wirklich jeder erkennt. Nur der Neschle ist zu doof dafür- Richtige Stars sind früher eben dezenter aufgetreten und nur deren Kopien haben sich solche Aufschriften geleistet. Aber die Zeiten ändern sich eben, nur wir manchmal nicht in ihnen.
Das Spiel geht weiter und neue polnische Hoffnung keimt. Die Polen kennen viel mehr gemeinsame Lieder als die Deutschen und zeigen mehr Aktivitäten im Fan-Block. Aber es sind Dinge, die man schon immer kennt. Übergroße Trikots werden über die Köpfe durchgereicht und übliche Fußballsongs gesungen. Einen Song stimmen sogar beide Blocks gemeinsam an, wenn auch mit unterschiedlichem Text: „Go West!“ von den Pet Shop Boys. Auf Deutsch klingt das so: „Steh auf, wenn Du ein Deutscher bist!“ Das Lied muss an diesem Abend häufiger auf Polnisch gesungen werden, was ein schlechtes Zeichen für diese Mannschaft ist.
Die Deutschen sind deutlich weniger konventionell und dennoch besser organisiert. An jedem Sitz des deutschen Fan-Blocks gibt es eine Plastikfahne. Die ist in den unteren Rängen goldgelb, in den mittleren rot und in den oberen schwarz. Werden die Fahnen gleichzeitig geschwenkt, sieht das aus wie eine einzige riesige Flagge, die vom Wind gepeitscht wird. Da fallen selbst die polnischen Fans nicht mehr auf, die sich mitten in den deutschen Block „geschummelt“ haben (Schließlich spielen Podolski und Klose ja auch für Deutschland!). Und der Song der Deutschen klingt irgendwie origineller im faden Einerlei von „Auf geht’s Deutschland schießt ein Tor!“. Und er sieht auch so aus, weil er dramatisch zwischen leise und laut wechselt. Leise wird in gebückter Haltung mit hängenden Händen wird über den Zustand der Polen gesungen, laut dann aufrecht und mit hochgereckten Händen über den der Deutschen.
Nach dem 2:0 erschlaffte der polnische Gesang und der deutsche verflachte zu „So ein Tag, so wunderschön wie heute, so ein Tag, der dürfte nie vergeh’n“. Am Ende der Partie leerten sich die polnischen Ränge dann schnell und die deutschen erwarteten den Triumphlauf der deutschen Elf. Den gab es dann auch, doch er war eher verhalten so wie Podolskis Freude nach seinen Toren. Die Spieler auf dem Rasen hatten schon vor dem Spiel Kameradschaft gezeigt, was sich allerdings nicht immer in die Zuschauerränge übertrug.
Außer der Freude über die eigene Mannschaft kam nämlich Häme über den Verlust der Polen hinzu. Mit dem üblichen blöden und hämischen „Auf Wiedersehen!“ hatten zwar eigentlich die polnischen Fans schon vor dem Spiel begonnen und sogar auf Deutsch. Aber die Deutschen freuten sich als souveräne Sieger nicht nur über den eigenen Erfolg, sondern riefen den Polen auch deren eigenes „Auf Wiedersehen!“ hinterher. Einen, der am Boden liegt, auch noch zu treten, ist nicht die Art eines fairen Umgangs.
Nach dem Spiel ging Neschle noch in Klagenfurts Innenstadt auf den Neuen Platz vor dem Rathaus (Dort traf er, wie fast überall auf dieser Welt, mitten im Gewühl der Stadt einen Studenten.). Auf dem Weg dorthin, den er wegen wirklich schlechter Logistik in Klagenfurt zu Fuß antreten musste, sah er nur an der Messe die letzten Reste einer Randale. Ein Gefängniswagen mit einigen deutschen „Fans“ fuhr ab. Später hörte Neschle, dass einige deutsche Pannemänner die armen geschlagenen Polen übel beleidigt und angegriffen hatten. Was soll so etwas?
Bei den Polen gab es das nur auf dem Niveau der Boulevardpresse. Dort werden solche Hooligans offenbar Journalisten und dürfen ihre Schmähungen öffentlich in der Presse verbreiten. In den Gefängniswagen kommen sie zu ihrem Glück nicht. Ganz im Ernst und soweit es Neschle gesehen hat: Die polnischen Fans haben sich einwandfrei verhalten, was man leider nicht von allen deutschen Fans behaupten kann. Es war also umgekehrt wie bei der Presse. Das hat die polnische übel geschmäht und die deutsche sich zurückgehalten.
Die Österreicher haben hier in Klagenfurt fast alles im Griff. Doch organisiert wird auf die letzte Minute und bei den verkehrlichen Dingen, wie Taxis oder Busse, da bekleckern sie sich nicht gerade mit Ruhm. Da gäbe es viel, sehr viel zu verbessern. Da versetzt sich keiner in die Gedanken eines Fremden. Aber das ist hier in Kärnten, wo einst Haider regierte, ohnehin nicht so üblich.
Beenhakker bring uns die Köpfe,
alte Schlachten, olle Zöpfe.
Polens Presse spielt verrückt,
die deutsche ist nicht sehr entzückt.
Hatte der Deutsche da gewonnen,
am Hooligan ist das zerronnen.
Der meint genau wie Polens Presse,
am besten ist was auf die Fresse.
Doch wenn wir uns den Sieg schon holen,
ist Strafe es genug für Polen.
Es zeigt sich dann als kleiner Geist,
wer nun die Polen auch noch beißt.
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Nachgetragen!
Manchmal ereilen Neschle Kommentare auch mündlich wie in diesem Fall. Er trägt die mal nach, ohne im Einzelfall für die Richtigkeit bürgen zu können:
1. Ein Beteiligter sagte Neschle, Leute von der Presse hätten den Konflikt in Klagenfurt geschürt, um etwas schreiben zu können!
2. Es sei lediglich zu verbalen Entgleisungen gekommen, auf deutscher wie auch auf polnischer Seite. Der Grund, warum so viel mehr Deutsche für ihre Parolen verhaftet worden seien, sei die Tatsache, dass die östereichischen Polizisten, die hier an der Messe Klagenfurt verantwortlich waren, deren Parolen verstanden hätten, die gleich schlimmen polnischen aber nicht. Die aber hätten genau so NS-Bezüge gehabt wie die der Deutschen. Resultat 140 Deutsche verhaftet, 10 Polen. Dass dabei niemand verletzt wurde, kann man auch positiv sehen.
3. Nach dem verlorenen Spiel in Portugal machten auch 200 Türken in Frankfurt Randale. Kaum etwas davon in den Medien. (Auch Neschle musste erst suchen, ehe er einen Bericht darüber fand.) Wie dem auch sei: Die Presse hat die Vorfälle in Klagenfurt hemmungslos aufgebauscht. Sie hat förmlich danach gesucht. Auch die Polizei hat hier in vielen Fällen überreagiert und das wohl recht einseitig.
Das Resultat dieses unseligen Zusammenwirkens von Polizei und Presse. Die Österreicher bleiben zuhause. In Klagenfurt war der letzte Samstag mit Abstand der umsatzschwächste. Aus der Host-Town wurde eine Ghost-Town wie die „Kleine Zeitung“ aus Klagenfurt berichtete. Mit dem deutschen Sommermärchen hat das hier gar nichts mehr zu tun. Es ist nicht einmal eine schlechte Kopie, es ist gar nichts. Zumindest mit den Österreichern hat die EM gar nichts zu tun, außer dass sie ihre Autos „verstecken“, wie Neschle hörte.
Schöne EM noch
Euer Neschle