Landwirtschaft wird sexy: Frau sucht Bauer!
Die Märkte werden besoffen gemacht, damit sie willig sind. (Neschles Bekannter)
Die Landwirtschaft zieht nach der weltweiten Preiswelle und Mengenebbe für Nahrungsmittel und Bio-Produkte das Interesse auf sich. Bio-Gas und Bio-Diesel machen landwirtschaftliche Produkte für den Energiesektor interessant. Recyclingfähige „Naturstoffe“ lösen „Kunststoffe“ ab.
Darüber wird das Trinken und Essen der (Über-)Lebensmittel fast vergessen. Denn die Milchpreise, für die Bauern gerade auf die Straße gehen, interessieren kaum jemand. Was sind schon Essen und Trinken gegen Auto fahren?!
Angela M. hat sich jüngst in Südamerika für ihre Fragen und Vorschläge zum Thema „Bio-Spritanbau“ („Spritanbau“ ist ein schönes Wort!) beschimpfen lassen. Auch Neschle hat dazu mehr Fragen als Antworten.
A. Markowitz und der Anti-Markowitz: Schweine intensiv!
Neschle geht Gassi mit der legendären Lucy, dem Podenco Ibicenco-Schäferhund-Dobermann-Mischling. Er kommt dabei an einen Bio-Hof. Der Bauer betrieb dort vor der Umstellung auf biologischen Anbau „traditionelle“ Landwirtschaft. „Traditionell“ war nicht Bio, sondern die Tierfabrik mit Fließbandfertigung von Schweinefleisch, von der Aufzucht bis zum Schlachten. „Traditionell“ war also nicht „wirklich traditionell“, weil das wiederum Bio war. Denn vor „traditionell“ war alles „Bio“. Oder eben nichts, weil man den Begriff „Bio“ weder brauchte noch kannte. Außer vielleicht in der Schule als Vorsilbe zur „Logie“.
Beim Gespräch mit dem Bio-Bauern stellt sich heraus: Der Bauer hedgt sein Ertragsrisiko mit Forwards („Futures“) und Optionen. So hat er in einer Art Erbsen-Forward seine Greenpeas (nicht „Greenpeace“) schon vor der Aussaat per Termin zum Fixpreis an eine Bio-Tiefkühlfirma verkauft. Damit ist er sein Ertragsrisiko los, die Tiefkühlfirma ihr Preis- und Lieferrisiko, sieht man mal von höheren Gewalten ab und davon, dass er „Bio-Qualität“ ohne Spritzmittel garantieren muss. Das heißt für ihn und seine Helfer: Disteln und Hederich tagelang mit Händen herausrupfen! Biologische Qualen!
Bei der vorherigen Fabrik-Bewirtschaftung seines Hofes hatte der Bauer nur Schweine. Das war schon wegen des Kernschinkens und der kernigen Gerüche sein „Kerngeschäft“, nannte sich aber „Intensivhaltung“. Andere landwirtschaftliche Aktivitäten hatte er aufgegeben und sein Land verpachtet an andere Bauern. Die betrieben ebenfalls intensiv nur Felderwirtschaft oder in anderen Gebieten auch Obstwirtschaft, etwa als Weizen-Kerngeschäft oder Kirsch-Kerngeschäft.
Zu seinen Sauzeiten mit Konzentration auf „Schweine intensiv“ war für den Bauern der externe Risikoausgleich wichtig. Der war jedoch in gewissem Maße EG-garantiert. Sonst hätte ein Preisverfall im Schweine-Zyklus Schäden angerichtet wie die Schweinepest. Preis- oder Abnahmegarantien und Agrarsubventionen waren seine Existenz(ver)sicherung. Und die war nötig. Denn die Konzentration auf ein einzelnes Sau-Geschäft brachte über Skalen- und Lerneffekte zwar Ertragszuwächse, aber den Nachteil der Abhängigkeit von einer einzigen Marktpreisentwicklung.
Der Mengeneffekt führte insgesamt zu Preissenkungen, sofern sie nicht durch Preisgarantien der EG aufgefangen wurden. In den Preissenkungen zeigte sich der Widerspruch zwischen individueller und kollektiver Logik: Was für jeden einzelnen Bauern unter den Versicherungsbedingungen der EU sinnvoll war, führte zu negativen Folgen für die Bauern, wenn es alle taten: Wenn bei einem Fußballspiel einer aufsteht, kann er eben besser sehen. Tun das alle, wären sie besser sitzen geblieben. Wenn der Bauer selbst seine Aktivitäten konzentrierte und die Mengen vervielfachte, gab das Druck für alle anderen Landwirte, ihm zu folgen. So entstanden ganze Milch- und Weinseen. Gerade ist es mal wieder das Problem der Milchbauern, nachdem es noch jüngst das Gegenteil gegeben hatte: eine Preisexplosion bei Milchprodukten.
B. Derivate in der spezialisierten Landwirtschaft
Nach der Spezialisierung hatten alle Bauern nur noch insgesamt die Aktivitäten, die früher fast schon ein Einzelner auf seinem Hof vereinigte, der sowohl Schweine- wie Rinderzucht betrieb, Weizen anbaute und Birnen erntete. Nach der Spezialisierung war für den einzelnen Bauern ein Risikoausgleich zwischen seinen Geschäftsfeldern (einige Felder im wahrsten Sinne des Wortes) nicht mehr möglich, weil er nur noch eines hatte. Aber insgesamt gab es alle Aktivitäten, wegen der spezialisierungsbedingten Lern- und Skaleneffekte sogar auf einem höheren Ertragsniveau.
Könnten sich die Bauern daher nicht über einen gegenseitigen Risikoausgleich verständigen? Dann wäre auf höherem Niveau und ohne Aufgabe der Spezialisierung erreicht, was der einzelne früher im Mikroportfolio seines Hofes bewirkte. Ein Risikoausgleich, nun sogar mit spezialisierungsbedingten Ertragsvorteilen.
Das Mittel dazu wären Derivate, also etwas, vor dem die Linke derzeit eine diffuse Angst verbreitet und nach staatlicher Aufsicht schreit. Derivate träten an die Stelle des internen Risikoausgleichs durch Produktmix auf jedem einzelnen Hof. Das alte Portfolio bestand aus Schweinezucht, Milchwirtschaft, Getreideanbau, Gemüsevermarktung,… . Im neuen Einprodukt-Portfolio, etwa der reinen Schweinezucht (Ob es eine „reine“ Schweinezucht überhaupt gibt?), würden die Sicherheitseffekte eines erweiterten Portfolios durch „externe“ Derivate ersetzt. Die holen sozusagen den Produktmix „synthetisch“ auf den spezialisierten Hof über die eigene Hofgrenze. Genauer gesagt: den Effekt eines Produktmixes für das wirtschaftliche Ergebnis ohne den Produktmix selbst. Daher tangieren sie auch nicht die Spezialisierungsvorteile.
Nun könnte der Weizenbauer bei steigenden Weizen-Preisen an der Schweinebauern zahlen, wenn dessen Schweinepreise Preise unter ein bestimmtes Niveau sinken und umgekehrt. Das alles bei freiwilliger Vereinbarung. Jedem nach seinem Gusto.
Eine solche Entwicklung privater landwirtschaftlicher Derivate hätte es durchaus schon lange geben können. Doch es gab und gibt sie ja noch: die EU. Deren Regulierungen hatten und haben zum Teil ähnliche Folgen. Daher gab und gibt es wenig Anreiz, landwirtschaftliche Derivate zu entwickeln. Die meisten Banken sind zudem im Denken meilenweit von der Landwirtschaft entfernt.
Doch vielleicht entwickelt sich mit dem Rückzug der paternalistischen EU-Politik eine Renaissance der Genossenschaften. Die könnten nämlich durch die Organisation eines „Derivate-Marktes für Landwirtschaftsprodukte“ zum Risikoausgleich über die Grenzen des einzelnen und spezialisierten Hofes beitragen. So könnte jeder Landwirt sich im Effekt in die Portfoliowirkung einkaufen
Wo aber sind die Raiffeisenkassen und Volksbanken? Die meisten davon sind noch nicht einmal in der neuen Welt der Derivate angekommen. Wie sollen sie da einen landwirtschaftlichen Derivatehandel organisieren, der den Vorteil spezialisierter Erträge mit der Risikominderung eines Portfolios kombinieren könnte?
Daher bleibt dem Bauern bei Verlust der EU-Absicherung nur ein Mittel, sein Risiko zu senken: Er muss sein internes Produkt-Portfolio wieder erweitern, um die Abhängigkeit von der Preisentwicklung eines Einzelproduktes abzumildern. Damit aber verliert er Ertrags- und Spezialisierungsvorteile und geht damit einen Schritt zurück zu den alten Produktportfolios. Man steht also wieder auf mehreren Standbeinen und verliert Spezialisierungsvorteile.
B. Der Kuhjunge und sein kerniges Kerngeschäft
Mit dem neuerlichen Wechsel zum unechten „Kerngeschäft Bio“ wird das Produktportfolio des Bauern wieder umfangreicher. Der Ökonom denkt sofort an Markowitz und den internen Risikoausgleich im eigenen Portfolio. Doch mit seinen Erbsen-Forwards hatte der Bauer zusätzlich für externen Risikoausgleich gesorgt. Das hätte er schon in der Zeit der kerngeschäftlichen Intensivwirtschaft lernen können. Doch da gab es die Absicherung der EU und die ersparte ihm das Nachdenken.
Vergleicht man die Trends in der zeitlichen Entwicklung, scheint die Landwirtschaft den Weltkonzernen voraus. Als die großen Unternehmungen in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts Markowitz und die Diversifikation entdeckten, machten sich die Landwirte gerade auf den Weg, sich davon zu verabschieden und sich dem Kerngeschäft zuzuwenden. Als dann die internationalen Konzerne das Kerngeschäft entdeckten und Diversifikation für sie nur noch Di-worse-ifikation war, beschritten mit dem Bio-Trend sogar die kerngeschäftigen Steinobstproduzenten wieder den Pfad zu mehr Diversifikation. Das Kerngeschäft ist nun zwar „Bio“, aber die Produkte werden wieder unterschiedlicher. Der Bio-Bauer erzeugt Bio-Fleisch, Bio-Weizen, Bio-Kartoffeln und ergänzt das noch durch einen eigenen Vertrieb.
Das führt in anderer Hinsicht aber wieder zu mehr Spezialisierung: Gleich neben Neschles Bio-Bauern gibt es einen Betrieb, der landwirtschaftliche Geräte vermietet. Ist es für einen in seinen Produkten spezialisierten Landwirt noch sinnvoll, sich Spezialmaschinen für Säen und Ernten entweder von Weizen oder von Kartoffeln anzuschaffen, so wird das bei produktdiversifizierten Landwirten fragwürdig. Hier wäre es günstig, wenn mehrere Landwirte gemeinsam über einen entsprechenden Maschinenpark verfügen könnten. Das war ja einst auch die Idee der Genossenschaften.
Diese Idee der Genossenschaften füllt nun der Geräte-Unternehmer mit Leben, der vor allem den wieder stärker diversifizierten Landwirten leihweise unterschiedlichste Maschinen, ohne und mit Personal (diese Aktivitäten sind ja regelmäßig Arbeitsspitzen für den einzelnen Landwirt) zu Verfügung stellt. So profitiert dieser Geräte-Spezialist nun wieder von der zunehmenden Diversifizierung des Bio-Hofes in seinen Produkten.
Aber ist diese Diversifizierung des einzelnen Hofes nicht ein falscher Schritt zurück? Lassen wir damit nicht die mühsam errungenen Spezialisierungsvorteile ohne Not hinter uns?
Die griechische Hauswirtschaft war noch völlig diversifiziert. Als „Oikos“ gab sie nicht nur der Ökonomie ihren Namen, sondern auch ultragrünen Selbstversorgern eine Steilvorlage für ein menschenscheues Autonomiekonzept jenseits von Tausch- und Marktwirtschaft. Die Erkenntnisse von Markowitz in seiner Portfolio-Theorie scheinen dieses Kon- und Rezept zu untermauern: Diversifizieren, was das Zeug hält. Das senkt bei gleichen Erträgen das Risiko und erhöht bei gleichem Risiko die Erträge. Das ist die trügerische Botschaft, denn Spezialisierung verändert Erträge und Risiko über Lerneffekte, die im Markowitz-Modell vorgegeben sind und daher gleichbleiben.
Blöd schienen daher aus der Sicht Markowitz-Oikos-Sicht die amerikanischen „Landwirte“, die sich schon seit langem als Farmer und Rinderzüchter (Cattle Raiser) kernig spezialisiert hatten und einseitig Weizen- oder Maiswirtschaft bzw. „Rindfleischwirtschaft“ betrieben. Deren vermeintliche „Blödheit“ ist so alt, dass sie schon die Cowboyfilme füllte mit dem ewigen Konflikt zwischen Kuhjungen und Landwirten, Viehzüchtern und Farmern.
Dieser Konflikt ist zu nobelpreisprämierten Ehren gekommen, weil der Brite Ronald Coase an diesem Beispiel das Problem der „sozialen Kosten“, ihrer Überwälzung und ihrer rechtlichen Regelung erklärt hat. Damit schuf er zugleich die Keimzelle für die ökonomische Analyse des Rechts, in der sich später Gary S. Becker, Richard Posner und unamerikanisch bescheiden Neschles Alter Ego austobten.
Doch damals gab es einen extremen Wachstumsmarkt für landwirtschaftliche Produkte in den USA. Die explodierenden Städte konnten kaum genug bekommen und so wuchsen etwa riesige Weizen-Felder, deren Farmer sich einzig auf dieses Geschäft spezialisiert hatten. Das Risiko einer möglicherweise stagnierenden Nachfrage gab es damals nicht, eher die Gefahr von Missernten oder Unwettern.
Zurzeit beobachten wir einen ähnlichen Boom für landwirtschaftliche Produkte, geheizt durch die weltweite Bio-Sprit Hysterie, deren Sinn Neschle nie verstanden hat. Denn hiermit wird uns doch keinerlei Ausstoß von Schadstoffen erspart. Im Gegenteil: Bei deren Produktion entsteht eher mehr Umweltmüll als bei der traditionellen Herstellung aus Erdöl. Und es wird dazu mehr wertvolle Umwelt zerstört. Oder nicht?
Sobald und solange es eine Abnahmegarantie für Bio-Produkte unter dieser Zwecksetzung gibt, fehlt auch das Risiko für den Landwirt. Diversifizierung seiner Produkte bedeutet für ihn dann nur noch Ertragsminderung und Kostenerhöhung. Und so wird gerodet und verbrannt für den Zweck, die Umwelt mit Bio-Sprit zu schonen. Wer schont da noch Neschles Verstand?
Es hatte einst ’nen Geistesblitz
der junge Forscher Markowitz,
den Aktionär würd’ es erfreuen
würd’ er die Aktien recht gut streuen.
Hohe Rendite wär’ der Lohn
echt guter Diversifikation.
Man könnte auch das Risiko senken,
würd’ man an die Gefahren denken.
Doch Markowitz nahm damals an,
das man dabei nichts „steuern“ kann.
Ertrag und Schwankung sei’n gegeben,
man müsse damit leider leben.
Doch dann entdeckte einst ein Mann,
dass man die Dinge „steuern“ kann;
man musste sich nur konzentrieren,
allein sein Kerngeschäft noch führen.
Der wahre Meister, der stets ist
in seinem Fach ein Spezialist.
Und macht er es dann richtig so,
ist’s besser als’s Portfolio.
Denn die Erträge steigen höher,
die Risiken sie sinken eher.
Und das Ergebnis von dem Qui(t)z,
das Kerngeschäft schlägt Markowitz.
Jetzt machen die Erträge froh
auch ohne ein Portfolio.
Doch bricht der Markt ein, sieht man Rot,
der Markowitz ist längst nicht tot.
Im Derivat hat Markowitz
beim Gegenwind stets seinen Sitz.
Das Portfolio, das war einstmals enge,
jetzt schlägt es über alle Stränge,
es reicht nun durch die Derivate
weit bis in and’re Reservate.
Auf diese Weise wird heut’ so,
die ganze Welt Portfolio.
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