Die Erbsünden des Liberalismus – Essay in neun Teilen und sieben Sünden
Teil 6
„Neo-Feudalismus ist Realität und reale Gefahr in liberalen Gesellschaften. In nicht-liberalen Gesellschaften ist Feudalismus ein fester Bestandteil des politischen Systems.“ (Neschle)
Die fünfte Erbsünde: (Neo-)Feudalismus statt (Neo-)Liberalismus
Die fünfte Erbsünde kann eigentlich keine Sünde aus der Genetik des Liberalismus sein. Denn es war der Liberalismus, der den Feudalismus zu Fall gebracht hat. Feudalismus zeigt sich viel stärker in Ländern, an denen Aufklärung und Liberalismus vorbeigegangen sind: etwa bei Familienclans der Regierenden in Nordkorea, in der Türkei oder in der arabischen Gesellschaft. Feudale Strukturen in liberalen Gesellschaften sind ein Grund zum Schämen und zur Selbstkritik bei den Liberalen. Doch diesen Grund gibt es mehr oder weniger in allen liberalen Gesellschaften.
Liberale haben im Kampf gegen den Feudalismus zu früh eine Kehrtwende vollzogen, gerade in Deutschland. Die National-Liberalen verbündeten sich mit den deutschen Fürsten gegen Frankreich und übten damit den Schulterschluss mit dem Feudalismus. Zwar haben bürgerliche Liberale in westlichen Demokratien die Machterhaltungsinstrumente des (Land-)Adels[1] zerstört, es blieben aber Reste feudaler Strukturen. Zudem erlaubte oder förderte der Liberalismus die Entstehung eines „Geldadels“, der zur Sicherung seiner Macht auf eine Refeudalisierung unter neuem Vorzeichen hinarbeitete: Geld ersetzte Land als Basis der Macht.
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