Evangelischer Kirchentag 2013:
Bibelfest und doch nicht bibelfest!
Neschle-Depeschle-Neschle-Depeschle-Neschle-Depeschle
Für den kleinen Hunger zwischendurch: Der schnelle Einwurf in den Strafraum
Die evangelische Kirche versteht die Bibel nicht! Was soll da Bruder Martin denken?
Gerade ist er zu Ende gegangen: der Evangelische Kirchentag 2013 mit der Losung „Soviel du brauchst“. Unter dieser Losung war auch Peer Steinbrück zu Besuch. Das sagt entweder viel darüber, wie „ernst“ der Kirchentag seine Losung nahm, oder etwas darüber, wie viel Gnade die Kirche auch gegenüber „Pharisäern“ walten lässt, die zumindest früher (wer’s glaubt?!) die eigene Gier nicht im Griff hatten.
Neschle wundert sich aber vor allem darüber, wie wenig die evangelische Kirche die Bibel als Grundlage der eigenen Moralvorstellungen kennt, von den Folgen ihrer davon verselbständigten Moral für Wirtschaft und Gesellschaft ganz zu schweigen. In aller Regel genügt unseren Moralaposteln nämlich ihre Gesinnungsethik, mit der sie sich in geläuterter Selbstzufriedenheit hinter ihrer künstlichen Ethikfassade gegen „die Gier da draußen“ verschanzen.
A. Bedarfsgerechtigkeit und Leistungsgerechtigkeit
Wer sich in der Gerechtigkeitstheorie auskennt, wird die Losung „Soviel du brauchst“ der Bedarfsgerechtigkeit zuweisen, die häufig auch als eine Spielart der „sozialen Gerechtigkeit“ betrachtet wird. Letztere wird derzeit in der politischen Diskussion gern verwendet, meint dort aber mehr als die Forderung nach einfacher Selbstbescheidung, eine Deutung, welche die Kirchentagslosung herausfordert.
Verworren wird es, wenn eine zweite auf dem Kirchentag fast genauso häufig genannte Losung hinzutritt: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, womit klarer wohl „Gleicher Lohn für gleiche Arbeitsleistung“ gemeint ist. Und da standen nicht West und Ost, Ausländer und Inländer, sondern Frauen und Männer im Vordergrund. Es ging also um gleichen geschlechtlichen Lohn für gleiche geschlechtliche Arbeit. Diese Losung kann aber als Spielart der Leistungsgerechtigkeit zu Ergebnissen führen, die im Gegensatz zur Kirchentagslosung „Soviel du brauchst“ stehen.
Das aber ging in Reden und Predigten, vor allem aber in der guten Laune des Kirchentags unter (Die Presse berichtet: die frühere Bischöfin Margot Käßmann wurde dort gefeiert wie ein Popstar). So kommt „Kirche“ (ohne „die“, so wie es die Hirnfrommen sagen) allerdings nicht an die Konflikte zwischen den Gerechtigkeitsprinzipien heran. Diese Konflikte bestimmen die soziale Realität, während die Kirche im himmlischen Wolkenkuckucksheim der harmoniebesessenen Gutmenschen schwebt. Jeder erfährt nämlich heute oft und schmerzlich, dass mit guten Absichten allein der Weg zur Hölle gepflastert ist, wenn man die Folgen seiner Losungen ignoriert. Doch die Hirnfrommen wollen das nicht merken, geschweige denn zugeben.
B. Bedarfsgerechtigkeit und Leistungsgerechtigkeit
Eines haben die Vorstellungen von Bedarfs- und Leistungsgerechtigkeit gemein: Sie beziehen sich beide auf ein Ergebnis (oder einen Endzustand), der als „gerecht“ bezeichnet wird. Um die beiden Leitsprüche „Soviel du brauchst“ und „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit(sleistung)“ durchzusetzen, benötigt man eine Person oder Institution, die bestimmt, wie viel Du brauchst, was gleicher Lohn ist und was gleiche Arbeitsleistung.
Bist Du das selbst, diese Person, ist es ein privates Lebensmotto, was im Falle von „soviel du brauchst“ wohl als Aufruf zur eigenen Bescheidenheit gemeint war. Wie das Beispiel Peer Steinbrück zeigt, war das zumindest bislang nicht das persönliche Lebensmotto aller Teilnehmer.
Die kommunistische Ideologie und die sozialistische Staatsphilosophie haben die Bedarfsgerechtigkeit aber weit über die Selbstbescheidung hinaus zum zentralen Leitprinzip des Staatshandelns erhoben und den Menschen genau das zugeteilt, was sie nach Ansicht der politischen Führung zum sozialistischen Leben benötigen. „Soviel du brauchst“ nach Maßstäben der sozialistischen „Führungselite“. Damit haben sie der persönlichen Gier des gemeinen Volkes strikte Zügel angelegt, den Zirkel der oberen Führung aber davon ausgenommen. So verstanden, wird die Vorstellung vom „gerechten Bedarf“ zur diktatorischen Ideologie, die nicht nur in Nordkorea zeigt, dass sie sogar in Hungersnot enden kann. Da wird das „Soviel du brauchst“ der sozialistischen Staatsphilosophie zur zynischen Selbstverneinung dieser Losung.
Mit dieser Verwendung seiner Losung, bei der sie zum universellen Prinzip und für alle Menschen in gleicher Weise geltenden und durchgesetzten Prinzip wird, setzt sich der Kirchentag freilich gar nicht auseinander. So weit und tief geht die Selbstreflektion nun auch nicht.
Nehmen wir daher an, die Losung des Kirchentags sei – das ist die harmlose Version von „Soviel du brauchst“ – allein als Vorschlag für ein privates Lebensmotto gedacht, als Aufruf zu mehr Bescheidenheit und Absage an die Gier, und konfrontieren dieses Lebensmotto mit dem zweiten Motto „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“.
Nun leben wir hierzulande in einer Welt der Vertragsfreiheit, wo es im Rahmen vieler Gesetze einen Freiraum für private Absprachen gibt, die noch nicht staatlich geregelt sind. (Wie wichtig die Vertragsfreiheit der Bibel ist, nimmt auf dem Bibelfest der Bibelfesten niemand zur Kenntnis, weil man sonst mit dem Motto „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ nicht daherkommen könnte. Doch dazu unter C!) Wenn sich nun Frauen, die wieder mal als die Benachteiligten genannt wurden (ich wüsste da eine Menge anderer), in Vergütungsverhandlungen weniger durchsetzen (können), mag das aber auch Gründe haben, die gern unter den Teppich gekehrt werden. Nachfolgend nur drei davon, wobei der erste im Sinne des Kirchentags sogar hochwohllöblich wäre, aber eben ein Problem für das zweite Motto ist:
– Frauen treten in Vergütungsverhandlungen im Durchschnitt bescheidener auf. Sie nehmen die Losung „Soviel du brauchst“ auch ohne Kirchentag ernster als Männer. Das allein kann zur Folge haben, dass am Ende nicht gleicher Lohn für gleiche Arbeit steht, sogar wenn auf der anderen Seite ebenfalls eine Frau sitzt, die nur das „Soviel du brauchst“ für sich selbst anders interpretiert, als der Kirchentag es gedeutet sehen möchte.
– Es kommt nicht immer darauf an, welche Arbeit gemacht wird, sondern, wer sie macht. Nirgends wir das deutlicher als in Fällen, bei denen die gleiche Arbeit, ein und dasselbe Kunstwerk, plötzlich einem anderen Künstler zugeschrieben wird. In der Folge steigt oder sinkt der „Wert“ für dieselbe Arbeit oft dramatisch. Da wird „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ zum Geschwätz bei allen, die eine solche Umwertung nachvollziehen können, weil es noch lange nicht das Gleiche ist, wenn zwei Leute das Gleiche, dieselbe Arbeit, machen.
Viele KundInnen wollen unabhängig von der Qualität der Arbeit bei bestimmten Leistungen lieber von einer Frau bedient und beraten werden, bei anderen von einem Mann, sogar aus religiösen Gründen, denn es ist nicht alles evangelisch.. Und Peer Steinbrück verdient sein Geld doch nicht für den Inhalt seiner Rede. Würde ich sie ihm schreiben und wir hielten beide dieselbe Rede, wobei ich bei mir als Verfasser sogar mehr inhaltliches Verständnis unterstelle, wer von uns beiden erhielte wohl das höhere Honorar?
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich beklage mich nicht darüber, stelle aber fest: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gilt nicht, weil es hier weder auf das „Was“ noch auf das „Wie“ der Arbeit ankommt, sondern allein auf das „Wer“. Auf das „Wer“ kommt es auch an, wenn es darum geht, wer entscheidet, ob und wann „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ verlangt werden soll. Der Kunde, der Hörer und der Leser entscheiden häufig genug dagegen, wenn und weil es ihnen gar nicht auf den Inhalt der Arbeit ankommt.
Wenn das beim Kirchentag nicht geglaubt wird, sollten Frau Käßmann und ich vielleicht mal auf dem nächsten Kirchentag dieselbe Rede halten! Selbst wenn ich nach überwiegender Meinung den Stil (das „Wie“ der Rede) besser treffen würde: ich wäre nicht Frau Käßmann. Und darauf kommt es den meisten an. Auch wenn sie tausendmal in den Ruf „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ eingestimmt hätten, würden sie sich da selbst widersprechen.
– Was ist „gleiche Arbeit“? Geht es nur darum, wenn sie getan wird? Oder auch darum, ob sie z.B. besser planbar ist. Soweit man dem zustimmt und Frauen terminlich „im Durchschnitt“(!!!) mehr berufliche Freiheiten für sich in Anspruch nehmen, weil sie mehr private oder soziale Verpflichtungen übernehmen, leisten sie selbst dann nicht dieselbe Arbeit, wenn sie diese tun, wenn sie sie tun. Ökonomisch ist hier ein „Risikoabschlag“ sinnvoll, weil sonst Männer nur den „Gleichen Lohn für verlässlichere Arbeit“ bekommen. Gewährt man den Risikoabschlag nicht, wird jeder rational denkende Unternehmer auch zugunsten seiner anderen Arbeitnehmer versuchen müssen, weniger (solcher, falls er sie unterscheiden kann) Frauen einzustellen.
Wir lassen diese Fragen mal dahingestellt, weil der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ nur dann sicher durchsetzen lässt, wenn man diktatorisch festlegt, was „gleicher Lohn“ (da machen z.B. Einmalzahlungen, Pensionen zu Lasten heutiger Vergütung Schwierigkeiten) und was „gleiche Arbeit“ ist, obwohl manchen die Arbeit als solche ganz egal ist und für sie allein das „Wer“ entscheidet.
C. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“ – Ein No-Go für das NT
Im Vergleich zum Koran für die „morgenländische Gerechtigkeitsvorstellung“ ist die Bibel in ihrer Auswirkung auf Gerechtigkeitsvorstellungen und Recht vergleichsweise unbedeutend. Kirchenväter, wie Albert Magnus oder Thomas von Aquin, waren aber häufig Rechtsgelehrte und haben früh die Ansichten der griechischen Philosophen für die „christliche Welt“ nutzbar gemacht.[1]
Das Neue Testament befasst sich an einer Stelle intensiv mit der Frage „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, kommt aber zu einem anderen Ergebnis als der Evangelische Kirchentag. Doch die Bibel las man offenbar nicht beim Bibelfest der (offenbar nicht ganz so) Bibelfesten. Die Stelle im Neuen Testament kann aber heute noch als Wegweiser durch die Gerechtigkeitsdiskussion dienen und müsste die kirchlichen Stellungnahmen eigentlich begründen (Matthäus 20, 1 –15, Einheitsübersetzung)[2]:
1“Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen sein Haus verließ, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. 2Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg. 3Um die dritte Stunde ging er wieder auf den Markt und sah andere dastehen, die keine Arbeit hatten. 4Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg! Ich werde Euch geben, was recht ist. 5Und sie gingen. Um die sechste und um die neunte Stunde ging der Gutsherr wieder auf den Markt und machte es ebenso. 6Als er um die elfte Stunde noch einmal hinging, traf er wieder einige, die dort herumstanden. Er sagte zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum? 7Sie antworteten: Niemand hat uns angeworben. Da sagte er zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg!
8Als es nun Abend geworden war, sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den letzten, bis hin zu den ersten. 9Da kamen die Männer, die er um die elfte Stunde angeworben hatte, und jeder erhielt einen Denar. 10Als dann die ersten an der Reihe waren, glaubten sie mehr zu bekommen. Aber auch sie erhielten nur einen Denar.
11Da begannen sie über den Gutsherrn zu murren 12und sagten: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt; wir aber haben den ganzen Tag über die Last der Arbeit und die Hitze ertragen. 13Da erwiderte er einem von ihnen: Mein Freund, Dir geschieht kein Unrecht. Hast Du nicht einen Denar mit mir vereinbart? 14Nimm dein Geld und geh! Ich will dem letzten ebenso viel geben wie dir. 15Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder bist Du neidisch, weil ich (zu den anderen) gütig bin?“ –
In diesem Gleichnis kommt der Hausherr (Gott?) zu Ergebnissen, die für den Evangelischen Kirchentag schlichtweg unakzeptabel sind. Das aber heißt nichts anderes, als dass der Kirchentag sich mit seiner Losung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“!“ gegen die Bibel wendet. Die für ihn unakzeptablen biblischen Grundsätze sind:
– „Gleicher Lohn für ungleiche Arbeit!“ und folglich
– „Ungleicher Lohn für gleiche Arbeit!“.
Obwohl der Kirchentag dagegen den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“ für richtig hält, passt dieser weder zum Gleichnis noch zur Vertragsfreiheit. Da gilt:
1. Jeder Vertrag über Arbeit und deren Vergütung hat eine Laufzeit. Innerhalb dieser Laufzeit ist er von allen Vertragsparteien zu befolgen.
2. Während der Laufzeit ändern sich meist die Knappheitsverhältnisse am (Arbeits-)Markt. Neue Verträge werden zu anderen Konditionen abgeschlossen. Das ist der Kern marktwirtschaftlicher Effizienz und Flexibilität.
3. Sind Verträge mit unterschiedlichen Konditionen gleichzeitig wirksam, kommt es zu „ungleichem Lohn für gleiche Arbeit“. Weil neue Verträge zu jeweils geltenden Bedingungen abgeschlossen werden, sorgen die Marktbedingungen funktionierender Märkte permanent für Ausgleich.
„Ungleicher Lohn für gleiche Arbeit“ kann durchaus Folge freiwilliger Verhandlungen sein. Dies wird ungern akzeptiert, noch seltener verstanden. Doch überträgt man das Prinzip als „Gleiche Zinsen für gleiches Geld!“, fällt das Verständnis plötzlich leicht:
Wer einen Kreditvertrag zum heutigen Zinsniveau abschließt und den Zinssatz auf fünf Jahre fixiert, kann nicht erwarten, von zwischenzeitlichen Zinssenkungen zu profitieren. Die Bank kann entsprechend keine Vorteile aus Zinserhöhungen ziehen, solange der Vertrag läuft. Doch in der Zwischenzeit werden neue Verträge zu anderen Konditionen geschlossen. Daher kann gar nicht gelten: „Gleicher Zins für gleiches Geld“. Dies zu akzeptieren, fällt offenbar weniger schwer, als auf die aus denselben Gründen unhaltbare Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ zu verzichten.
Jenseits theologisch begründeter Auslegung beschreibt der Kern des Gleichnisses bei Matthäus den Konflikt zwischen der Anerkennung von „Spielregeln“ beim freiwilligen Tausch und der inhaltlichen Anerkennung der Tausch-Ergebnisse, also zwischen der Akzeptanz des Verfahrens und seiner Resultate, zwischen Verfahrens- und Ergebnisgerechtigkeit. In der Argumentation des Gutsherrn kann man vier Grundsätze entdecken:
1. Grundsätzliche Freiheit im Umgang mit Privateigentum: „Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will?“.
2. Die Forderung nach Akzeptanz von Handlungsfreiheit: „Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will?“ – Grundsätzlich ist die Möglichkeit einzuräumen, Vergütungen durch freiwillige Verhandlungen zu vereinbaren. Jeder Beteiligte kann Konditionen zustimmen oder nicht. Lehnt er sie ab, kommt kein Vertrag zustande. Dies verlangt auch Zurückhaltung beim Versuch, Vergütungen durch staatliche Vorgabe festzulegen.
3. „Mein Freund, Dir geschieht kein Unrecht. Hast Du nicht einen Denar mit mir vereinbart?“ – Bei Verhandlungsergebnissen, die von beiden Seiten akzeptiert sind, können nachträgliche Änderungen nicht einseitig eingefordert werden; nicht einmal durch Verweis auf andere Verträge und selbst wenn erst dadurch dem Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“ entsprochen wird.
4. „Oder bist Du neidisch, weil ich (zu den anderen) gütig bin?“ – Neid oder Missgunst sind Motive, die für die „ethische“ Definition dessen, was „gerecht“ ist, keine Rolle spielen dürfen: Ein aus diesen Motiven abgeleitetes Gefühl, benachteiligt zu sein, kann keine akzeptable Grundlage für eine gesetzliche Regulierung sein.
Das von den frühen Arbeitern geforderte „leistungsgerecht unterschiedliche“ Ergebnis hätte auch erreicht werden können, hätten diese eine Kürzung für die später gekommenen gefordert. Dann wäre „Neid“ ersetzt durch „Missgunst“. Missgunst setzt nicht auf Verbesserung der eigenen Lage, um das „gerechte Ergebnis“ zu erreichen, sondern auf Verschlechterung der Lage der Vergleichsperson. Dieses Motiv wird noch verdeckter eingesetzt als Neid. Mit dem verdeckten Einsatz wird aber unausgesprochen auch die Berechtigung der gesellschaftlichen Ächtung anerkannt.
Insgesamt kommt im Gleichnis zum Ausdruck: Ergebnisse einer Verhandlung, die nach als „gerecht“ anerkannten Regeln abläuft, müssen nicht übereinstimmen mit „gerechten“ Ergebnissen nach vorgegebenen Gerechtigkeits-Kriterien. Dazu gehört in diesem Gleichnis vor allem der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“
Der Evangelische Kirchentag 2013 hätte daher besser versucht, die Genialität dieses biblischen Gleichnisses zu verstehen, als sich mit einer „ethischen Vorstellung“ zu profilieren, die im Gegensatz dazu steht.
Ein merkwürdiges Ergebnis! Denn Martin Luther verstand die Konfrontation mit der katholischen Kirche seiner Zeit ja als verstärkte Hinwendung zur Bibel. Der Evangelische Kirchentag 2013 wendet sich mit seiner Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“ davon ab. Und was für Luther wahrscheinlich am schlimmsten wäre: die meisten Teilnehmer, ohne es zu wissen. Da wäre Bruder Martin wohl doch bibelfester auf dieses Bibelfest gegangen! Der kannte seinen Matthäus.
Das hast Du, was Du brauchst!
„Soviel du brauchst“, so heißt Losung,
für viele ist sie die Liebkosung,
der eig’nen Selbstbescheidenheit,
mit der man sich von Gier befreit.
Soweit ist’s gut, gar keine Frage,
auf der Evangelen Kirchentage,
Dann fordert man im Geist der Zeit,
Lohn gleich für gleiche Arbeit.
In einem Wisch hat man geschafft,
Vertragsfreiheit und Marktwirtschaft
ganz einfach so hinwegzufegen,
allein der feschen Losung wegen.
Doch liest man bei Matthäus nun,
mit „Bibel“ hat das nichts zu tun,
die kommt, auch wenn sie keiner hört,
zu einer Folge, die verstört:
Da kriegt, weil’s so vereinbart war,
ein jeder nur einen Denar.
Doch überstieg die Arbeitszeit
der Ersten die der Letzten weit.
Statt uns mit eig’ner Ethik zu versehen,
sollte ein Kirchentag verstehen,
was Matthäus hier berichtet,
doch seine Botschaft wird vernichtet.
Ob aus Dummheit oder Ignoranz
oder aus Weltanschauungsdominanz:
Eigentlich ist das egal,
denn die Folgen sind fatal.
Hirnfromme sind mit sich im Reinen,
mit Folgen kann man sie nicht meinen.
Ihr frommer Wille fegt’s Gewissen,
auch wenn die Folgen sind beschissen.
Die Bibel ist, wenn ich’s Euch sag‘,
viel weiser als der Kirchentag.
Doch werd ich hier vergeblich schreiben,
denn wer so dumm ist, wird dumm bleiben.
[1] Beide Philosophen waren Dominikaner und zählen zu den Scholastikern.
[2] Die Bibelpassage schon bei Leon Neschle 10 (17. Woche 2007).
PDF-Datei
This post was downloaded by 811 people until now.