Leon Neschle 56 (47. Woche 2009)

Die Bologna-Blöden: Verschulung der Lehre, Leere durch Verschulung.

Es gibt einen Unterschied zwischen Bildung und Ausbildung, der nicht nur Einbildung ist. (Leon Neschle)

Mit Leon Neschle 1Bachelor und Master: Gesellen und Meister für die akademischen Zünfte“ hat dieser Blog im Februar 2007 angefangen. Das war kein Zufall! Neschle war in Sorge um die akademische Bildung in Deutschland. Mit Leon Neschle 32 „Zwei-Master, Drei-Master, Vier-Master segeln im rosaroten Bildungs-Mehr“ hat er Ende 2007 nachgelegt, um weitere Auswüchse des Mehrfach-Masterns und des Bachelorismus anzuprangern. Fast drei Jahre hat es gedauert, bis sich in Studentenprotesten vieles davon wiederfindet. Studenten und Professoren haben auszubaden, was bornierte und nun auch blamierte Bildungspolitiker ihnen auferlegt haben.

Wie sich Bologna-Blödheit auswirkt (aber auch wie man sie bekämpfen kann), konnte Neschles Alter Ego auf einem Seminar über „Managervergütung und Managerhaftung“ erfahren, das er am letzten Wochenende (Freitag bis Sonntag) mit einem Sponsor aus der Praxis an einem auswärtigen Tagungsort abhielt:

Obwohl Kost und Logis für alle Studenten frei waren und sich die Studenten auf intensive Kontakte zu Praktikern, Professor und Mitarbeitern freuen konnten, taten sie das im Vorhinein nicht. Die Motivation zur Teilnahme an dieser Sonderveranstaltung war nahe Null. Trotz Wochenende war der gefühlte Zeitdruck bei den Studierenden hoch. Einige schrieben bald wieder Klausuren, andere ließen auf dem Seminar von Daheimgebliebenen per SMS über ihre Noten bei bereits gelaufenen Klausuren unterrichten: Mitten im Semester!

Am Ende war die Resonanz zu diesem Seminar jedoch überwältigend. Überwältigend gut! Studierende versicherten, dass ihnen über das Feed-Back von Wissenschaft und Praxis so viel „Bildung“ zukam wie sonst noch nie im Bachelor-Studium. Dort hatten sie bislang von Klausur zu Klausur gelebt ohne ein echtes Feed-Back.

Das zum Teil überbordende Lob für seine Veranstaltung hat Neschle aber nicht nur geschmeichelt. Es hat ihm auch das beklemmende Gefühl vermittelt, dass er Recht hatte mit Leon Neschle 1 und 32. Heute empfinden sich dadurch die Studierenden als die Bologna-Blöden, weil sie Bologna-verblödet wurden.

Die wahren Bologna-Blöden sind jedoch die Bildungspolitiker, denn sie waren augenscheinlich schon vorher verblödet. Schon nach kurzen Protesten der Studenten versichern sie daher, die so hochgelobten Bachelor-Studiengänge sofort wieder reformieren zu wollen. Ein erster Vorschlag aus Bielefeld: Studienzeiten verlängern!

Von der gleichzeitigen Verringerung der Studiengebühren ist dagegen nicht die Rede. Dabei geben Studierende dieser Gesellschaft über unser progressives Steuerrecht schon lange zurück, was sie die einst gekostet haben, sofern das Studium ihnen „etwas gebracht hat“. So haben die Studierenden noch immer den Zwang, innerhalb der Studienzeiten bleiben zu müssen, wegen der Studiengebühren jedoch mehr hinzuverdienen zu müssen. Selbst wenn die Einhaltung der Studienzeiten und die Studiengebühren für sich genommen ihre Berechtigung hätten: Gleichzeitig eingeführt erweisen sie sich als Regulierungsfehler. Die Folgen lassen vermuten, dass dies sogar für das ganze Bachelor- und Masterstudium gilt.

A. Ganze Bildungswelten liegen zwischen Diplom- und Bachelorarbeit

Spielen wir Mäuschen und hören, was vor etwa 14 Tagen in einem Gespräch unter Professoren über die Bachelor-Arbeit gesagt wurde (oder ‚gesargt‘ wurde):

N.: „Welche Erfahrungen haben Sie mit Bachelorarbeiten gemacht, Herr Kollege? Hm, ich meine im Vergleich zu Diplomarbeiten.“

E.: „Im Durchschnitt sind sie weniger inhaltsreich. Zum ‚Ausgleich‘ (Lächeln!) haben sie mehr formale Fehler. Sie sind auch seltener eigenständig und innovativ.“

N.: „Woran liegt das Ihrer Meinung nach?“

E.: „Die Leute, die sie schreiben, sind ein bis zwei Jahre jünger. Das macht was aus.“

N.: „Aber doch nicht beim Mangel an Phantasie?!“

E.: „Das liegt an etwas anderem: Die Leute kommen vor lauter Klausurenstress nicht mehr zum eigenständigen Denken. Sie können ihre Persönlichkeit und ihr Selbstbewusstsein vor lauter Paukerei nicht mehr entwickeln.“

N.: „Aber das ist doch Wahnsinn in einer Welt, wo wir gerade selbständiges unternehmerisches Denken brauchen; wo selbst der Angestellte ‚Intrapreneur‘ sein muss.“

E.: „Ja, aber dieser Wahnsinn ist Folge eines Urteils, das im rein indiziengeführten „Bologna-Prozess“ über die deutsche Universität gefällt wurde. Die Höchststrafe: Fortführung der Schulzeit und der Methoden der Schule in der „praxisorientierten“ ‚Ausbildung zum Gesellen oder Meister‘. Die Zeiten akademischer Freiheit sind vorbei, weil sie oft genug zur akademischen Freizeit wurde.“

N. „Aber diese Freiheit war doch nicht nur Freiheit von etwas, sondern auch Freiheit zu etwas: zur selbständigen souveränen Entwicklung der Persönlichkeit. Aus Diplomarbeiten schaute diese Persönlichkeit noch heraus, in Bachelorarbeiten schaut sie nur noch hinein. Was soll denn ‚praxisorientierte Ausbildung“ mit reinem Paukwissen heißen? Sollen das unsere Führungskräfte von morgen werden?“

E.: „Sie sagen es, Herr Kollege. Aber das will keiner mehr wissen. Das Urteil ist gesprochen und wird vollstreckt. Bologna ist heute überall. Es ist wie bei der Rechtschreibreform: Wir haben uns zu spät und zu wenig heftig dagegen gewehrt. Hier wie dort hielten wir es nicht für möglich, dass ‚Experten‘ so einen Unsinn verzapfen.“

N.: „Sie taten es doch, die Experten!!! So müssen wir damit nun leben!?“

E.: „Eben! Aber wollen wir das? Wo bleibt denn unsere Motivation, wenn die der Studenten sich auf reines Pauken reduziert.“

Zwei Wochen nach diesem Gespräch blockieren Studierende das Auditorium Maximum von Neschles Universität und fordern die Abschaffung von Bachelor- und Masterabschlüssen. Vorlesungen im Audimax fallen aus.

B. Der Niedergang des sozialen Lebens in der Universität

Neschle stellt immer stärker fest, auf jedem Fest: Die Studenten bleiben aus, die Studentinnen erst recht. Noch stärker merken das nur die Studentengemeinden, die schon seit längerem unter Schrumpfung litten. Die Umstellung auf Bachelor und Master gekoppelt mit Studiengebühren sorgte geradezu für einen Einbruch bei den Besucherzahlen von Gottesdiensten und Gemeinschaftsfeiern.

Was war früher los auf den Campusfesten. Und heute? Nichts mehr! Schnöde, blöde Öde! Selbst wenn Professoren rocken, kann niemand die Studenten locken. Und der Rest vom Fest ist nur Hetze und Unruhe:

Studie: „Ich muss noch … , ich kann nicht mehr lange bleiben. Schlafen muss ich auch mal! Nächste Woche schreibe ich zwei Klausuren. Von zwölf in diesem Semester. Plus Seminar. Geht nicht anders!“

Externer: „Aber es ist doch mitten im Semester!?“

Studie: „Der Prof blockt. Er macht zwei Vorlesungen bis zur Mitte des Semesters und dann die Klausuren. Die anderen beiden bis zum Ende und nochmal die Klausuren. Das entzerrt. Die Studis und Assis wollen das so.“

Externer: „Aber das setzt permanent unter Druck. Der Mensch hat doch auch mal Zeiten, wo er in sich gehen muss, in der Hoffnung einer ist da, den er bilden kann. Die wahre Stärke kommt von innen. Wie soll man die entwickeln, wenn man ständig äußeren Zwängen genügen muss.“

Studie: „Es wollen ja alle eine gute ‚Ausbildung‘. Da ist die eigene Bildung nur noch Einbildung.“

Externer: „Aber so geht doch der soziale Kontakt baden. Die Studies werden zu asozialen Wesen, die sich ständig nur Wissensmengen in die hohle Birne schaufeln.“

Studie: „So ist es. Aber was soll ich da machen? Hinterher sagen sie dann alle: Das haben wir aber nicht gewollt.“

So spielte sich ein Gespräch zwischen einem Studenten und einem (älteren) externen Besucher ab, der nach längerer Abstinenz mal wieder ein Campusfest besuchte und sich dabei an seine eigene Studienzeit erinnerte.

Diese Arbeitsversessenheit vieler Studies kann sich heute sogar bis zur Brüskierung Außenstehender steigern. Und das geht so:

Neschles Alter Ego sorgte mal wieder dafür, dass ein Seminar (nicht das oben genannte) von einem Gönner aus der Praxis begleitet und gesponsert wurde. Bei der Bereitschaft zu einem solchen Sponsoring ist ja nicht selten eine Spur Nostalgie und Erinnerung an das eigene Studium im Spiel. Die mag den Sponsor trotz zaghafter Warnungen dazu gebracht haben, für über 40 Seminarteilnehmer am Ende des Seminars ein Fest zu veranstalten. Für reichlich Speisen und Getränke war gesorgt, die Stimmung war gut. Doch in dem zu groß geratenen Saal verloren sich weniger als die Hälfte der Seminarteilnehmer. Der Rest hatte neben dem Seminar zugleich Klausurvorbereitungen oder schützte sie vor, mitten im Semester.

So warteten die Speisen am Buffet auf den Verzehr. Doch obwohl die Anwesenden mächtig zulangten: Der Großteil des Buffets gammelte den ganzen Abend vor sich hin. Dass der Abend dennoch zum Erfolg wurde, lag an den Anwesenden.

Doch der Sponsor wird sein langes Gesicht bei der Feststellung der Ab- und Anwesenheitsquote so schnell nicht vergessen. Für derart hirnvernagelte Paukstudenten wird er wohl nichts mehr übrig haben. Und ehrlich gesagt: Neschle versteht das. Selbst Neschles Alter Ego war geschockt von der hohen Ausfallquote und peinlich berührt, zumal seine Hiwis die Lücken nur unzureichend füllen konnten. So „asozial“ gingen die Studies mit ihrem Sponsor um, die sich im Ego-Trip ihres Bachelor-Studiums verfangen hatten?!

Dabei gibt es seit Langem psychologische Begleitmusik, die auf die Zunahme asozialen Verhaltens hinweist, wie etwa die Hirnforscherin Susan Greenfield in einem Artikel der Welt von 7. März 2009. In der zweidimensionalen Welt der Flachbildschirme vermindern sich nicht nur Realitäts- und Risikobewusstsein, sondern auch die Fähigkeit zu sozialen Kontakten. Statt dem entgegenzusteuern verschärft die neue Studienform diese Tendenz zu asozialem Verhalten. Das wird langfristig wohl nur die Beschäftigung der Psychiater erhöhen. Wenn die USA schon bei Bologna das Vorbild waren, wieso nicht auch da? Und korrelieren nicht auch Pisa-Platz und Selbstmordrate in Finnland ganz augenfällig. Sind da wirklich nur die Mentalität eines „Moll-Volkes“ und die dunklen Winter verantwortlich?

C. Zusatzqualifikationen: Lasst Orchideenfächer aufblühen!

Rhetorikkurse und Präsentationstechniken haben Konjunktur. Bologna hat ihnen dazu verholfen. Sie ersetzen bei der Bologna-Blödheit die Persönlichkeitsbildung des alten Diploms. Die Studenten können nun wenigstens gut ausdrücken und präsentieren, was sie gar nicht mehr haben: Bildung. Denn alles ist gepaukt und auswendig gelernt, einschließlich der Rhetorik und der Präsentation. Hier herrscht dasselbe Missverständnis wie bei der Annahme, man sei durch bloßes Beherrschen der „Liebes-Technik“ auch ein guter Liebhaber.

Früher mussten sich die Studenten solche Zusatzqualifikationen selbst beibringen, weil Pflicht-Vorlesungen nur das Sach- und Fachwissen ihres Studiengangs enthielten. Das galt auch für Sprachen. Da musste der Student selbst aktiv werden.

Neschle tat das zum Beispiel im Laufe seines Studiums. Das hatte zur Folge, dass er neben prüfungsorientiertem Lernen auch eigenmotiviertes Lernen betrieb. Von dieser „Last“ haben die Bologna-Blöden die heutigen Studies befreit, weil sie die frühere Eigenmotivation in Prüfungsorientierung verwandelt haben. Zusätzliche Eigenmotivation ist nun weder nötig noch erwünscht!

Wie viel Motivationsporzellan allein dadurch zerschlagen wurde, ist offenbar keinem der Verantwortlichen bewusst, so dass sie sich gar nicht verantwortlich fühlen können. Allein frühere Orchideenfächer haben Auftrieb bekommen. Sie sahen mit der Verankerung ihrer Lehre in den Zusatzqualifikationen anderer Fächer die Chance, sich aus dem Dornröschenschlaf an der Uni erwecken zu lassen und ihr langfristiges Überleben sicherzustellen. Doch je nach Studienfach hat die Ingenieurs – oder Wirtschaftsferne der Orchideenfächer am Ende doch dazu geführt, dass die Fakultäten die zumeist als lästig empfundene Verpflichtung, Zusatzqualifikationen in den normalen Studiengang zu integrieren, lieber eigenen Dozenten übertrugen.

D. Workload: Die größte Farce der Bologna-Blödheit nach der Akkreditierung

Die Recheneinheit der Akademie Bolognese ist nicht die Zahl der Präsenzstunden sondern die „Workload“. Mit der Workload legen die Schöpfer eines Studiengangs fest, welche Arbeitslast sich insgesamt mit den einzelnen Fächern verbinden soll. Neben der Zahl sichtbaren, an der Universität verbrachten Stunden, müssen die Professoren sich anmaßen, die außerhalb der Universität für Vor- und Nachbereitung benötigte Stundenzahl zu schätzen.

Das ist schon deshalb schwierig, weil jeder Jeck anders ist, auch der studentische. Während die eine schnell begreift, hat der andere den Sachverhalt auch nach Stunden noch nicht gefressen. Daher eröffnet diese Schätzung einen Spielraum zu Manipulationen. Nach Wunsch fast lassen sich vergleichbaren Lehrveranstaltungen mehr oder minder große Workloads zuordnen. Gleichartigen Seminaren wird unabhängig von der tatsächlichen Belastung einfach die doppelte Workload zugeordnet, alles abgesegnet durch die Akkreditierungskommission. Denn natürlich kann man sich für jede Lehrveranstaltung beliebig lange vor- und nachbereiten.

Da sich auch die Kreditpunkte strikt nach der pauschal intendierten Workload richten (merkwürdigerweise ist ein Multiplikator von 1,5 im Spiel!?) und die Kreditpunkte die Gewichtung der Teilnote im zusammengekleisterten, meist kaum mehr strukturierten Mosaikzeugnis von Bachelor und Master bestimmen, hat die Beliebigkeit der Workload-‚Schätzungen‘ für die Studenten durchaus materielle Folgen.

Und Professoren können ihr Fach nun nach Belieben wichtiger machen, wenn sie ihm bei gleicher Lehrleistung eine höhere Workload zuweisen (lassen). Dass sich die Dünnbrettbohrer zu diesen Fächern hingezogen fühlen, dürfte dem Wissenden klar sein. Was weniger klar ist: Die Beliebigkeit der Workload-Schätzung ermöglicht auch: Zwei Studiengänge mit derselben „Workload“, aber deutlich unterschiedlichen Präsenz- und Lehrstunden an der Hochschule schließen formal mit demselben Titel ab. Der Etikettenschwindel erlebt auf diese Weise ein Hoch, dass es zu Zeiten des Diploms nie gegeben hat. Das alles mit der Kontrolle der Akkreditierung, die es früher auch nicht gegeben hat, aber auch nicht zu geben brauchte.

Auf Uni-Feten ist es öde,

es paukt nur der Bologna-Blöde.

Der stete Blick auf seine Uhr,

wird ihm zu ständigen Tortur.

Die Workload hängt im stets im Nacken,

er hat noch nicht mal Zeit zum K… .

Sozial da ist er isoliert,

damit er keine Zeit verliert.

Schließlich muss er sich nun rühren,

denn Bachelor das kost’t Gebühren.

Die müsst er eigentlich verdien’n,

doch grad sein Studium hindert ihn.

Und wenn er kurz mal in sich geht,

dann sieht er niemand, der da steht.

Anstelle der Persönlichkeit

verspürt er Leere weit und breit.

Nach außen ist er sehr versiert,

wie man die Leere präsentiert.

Man muss es der Rhetorik lassen,

er kann auch gut in Phrasen fassen.

Doch inhaltlich ist’s meistens schief,

denn er denkt viel, doch wenig tief.

So steht allein er in der Öde

des Geistes, der Bologna-Blöde.

Ein solches Studium hat als Vater,

doch ganz alleine den Psychiater.

Bologna, Pisa sind von Sinnen

und die Idole Amis, Finnen:

Der Ami ist oft kraus im Sinn,

der Finne mordet sich dahin.

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