Au … Aufschrei 57

Von der Einbildung, mit der Bachelor-Ausbildung Bildung zu machen

Erst mit Ausbildung das Aus für Bildung, jetzt mit Bildung das Aus für Ausbildung?

„Rektoren halten Bachelor als Abschluss für gescheitert“, liest Neschle staunend am 15. August 2012 beim Morgenkaffee als Schlagzeile in seiner Lokalgazette. Und weiter vom neuen „Chef“ der Hochschulrektorenkonferenz: „Eine Universität muss mehr leisten als Ausbildung, nämlich Bildung. Das tut sie mit dem Bachelor nicht“.

Für Neschle ist das nichts Neues. Er hatte vor mehr als fünf Jahren mit dem Start dieses Blogs (Leon Neschle 1) darauf hingewiesen und den Master dabei gleich eingeschlossen. Denn beide Modelle fußen auf demselben verschulten Ausbildungskonzept. Doch während es die Rektoren nun offenbar teilweise verstanden haben, feiert Bildungsministerin Schavan das Konzept immer noch als „Beispiel für eine europäische Erfolgsgeschichte“. Worin aber soll dieser Erfolg liegen im Urteil einer Bildungsministerin, die schon monatelang guttenbergt, weil peinliche Plagiatsvorwürfe zu ihrer Doktorarbeit noch ungeklärt sind[1]?

„Experten“ fordern dagegen, „Bachelor-Studenten mehr Zeit zu geben“. Mehr Zeit wofür? Bachelor-„Studenten“ wenden nach einer jüngsten Studie der Universität Hamburg ohnehin nur 26 Stunden (pro Woche, nicht pro Tag! ;-)) für ihre Ausbildung auf. Doch welche Fächer sind betroffen, welche „Studenten“ wurden befragt?

Neschle hat andere Erfahrungen und Indizien wie den schlechten Besuch von Uni-Feten. Die zeigen: In seinem Fach wird mehr Zeit aufgewandt, vor allem zum Büffeln vor permanent drohenden Klausuren.

Gerade hier liegt der Unterschied zum Diplom-Studium. Dem Bachelor fehlt Zeit, Wissen in Eigeninitiative zu erarbeiten, das sich dadurch als „Bildung“ verankern kann. Bevor sich Wissen gesetzt hat, ist es abgeprüft und kann scheinbar vergessen werden. (Um es deftig zu machen: Permanent muss der Bachelor-„Student“ halbverdaute Wissensbrocken auskotzen. Da kann keiner erwarten, dass er die wieder zu sich nimmt, damit sie ihn dauerhaft mit geistigem Nährstoff versorgen.)

Und doch gehört die deutsche Wirtschaft immer noch zu den Unterstützern des Bachelor-/Master-Modells und dessen verschulter Ausbildungskonzeption. Dass diese Vorstellung kurzsichtig ist, wird Neschle nach der Unterscheidung von Ausbildung und Bildung begründen:

1. Bei der „Ausbildung“ wird ein Auszubildender durch einen Ausbilder nach vorgegebenen Ausbildungszwecken geformt. Das Bachelor-Modell folgt diesem Ausbildungskonzept außerhalb Deutschlands unter anderem deshalb, weil die duale Ausbildung für die Berufspraxis dort unbekannt ist. Es gibt Bachelor-Ausbildung daher auch, wo in Deutschland die duale Ausbildung steht. (Schließlich heißt „Bachelor“ ja „Geselle“ und der Weg zu ihm war einst die Lehre. Den „Lehrling“ hat man durch den „Auszubildenden“ ersetzt und die „Lehre“ ist zur „Ausbildung“ geworden.)

Die duale Ausbildung hat bei Ausbildung in einem praktischen Beruf Vorzüge gegenüber einem Bachelor-„Studium“, also der akademisierten „Gesellen-Ausbildung“, auch weil Unternehmen interne Ausbildung im Eigeninteresse betreiben können. Nicht nur arbeitslose Jugendliche in Spanien wüssten dies daheim zu schätzen.

Doch worin zeigt sich das Ausbildungskonzept im Bachelor-Studium? Z.B. in der verschulten Lehre nach Ausbildungszwecken der Modulhandbücher und in der permanenten Abprüfung des aktuellen Leistungsstandes. Bei einigen Studien- oder besser Ausbildungsgängen(?!) werden die „Studierenden“ sogar mehrfach im Semester zu Prüfungen aufgefordert. Was ist dabei das Problem?

In Klausuren oder mündlichen Prüfungen müssen Studierende normalerweise zeigen, dass sie den komplexen Lehrstoff nicht nur verstanden haben, sondern in der Lage sind, ihn im Stile der Dozenten aktiv zu präsentieren. Wer den Unterschied zwischen „Englisch verstehen“ und „Englisch sprechen“ kennt, der weiß, dass man sich dazu das Verständnis des Stoffs erarbeiten muss.

Das muss der Bachelor-„Student“ doch auch! Denkt man!? Bachelor-„Studenten“ fehlt jedoch die Zeit, sich den Lehrstoff aktiv zu erarbeiten, so dass sie ihn verstehen. Der „Zuchterfolg“ wird bei ihnen permanent kontrolliert, so dass sie gar keine Muße dazu haben. Viele Bachelor-„Studenten“ büffeln daher den Stoff, bis sie ihn auswendig können und erzählen ihn in der Klausur einfach nach. Ist dieser Stoff abgeprüft, kann man ihn getrost vergessen und wird es auch können, denn er bleibt Fremdkörper, weil er vom Bachelor nicht wirklich erworben wurde.

Neschle erinnert das an eine slowenische Sängerin in Hintertux. Die hatte er zunächst für ihre Textsicherheit und ihr gutes Englisch bewundert. Doch als sie ihn für eine Performance auf die Bühne rief, sah Neschle ihre Songtexte in einer eigentümlichen Lautschrift. Ihr gutes Englisch beruhte schlicht auf Büffeln und nicht auf dem Verständnis der Songtexte oder der englischen Sprache. Sie war für ihren Auftritt perfekt ausgebildet, aber Neschle würde zögern, sie für „gebildet“ zu halten.

Was würde diese Frau sagen, wenn Neschle sie nach einem Song fragte, bei dem der Auftritt drei Jahre zurückliegt: Können Sie den Text von „Proud Mary“? – Nein, aber der steht auf Textblatt 56. – Wissen Sie, worum es da geht? – Nein, ich habe den Text ja nur gebüffelt.

Genau diese Erfahrung machte Neschle, als er einem Studenten bei der Zulassung zum Master zwei leichte Fragen stellte. „Weiß ich nicht mehr“, antwortete der Student fast empört, „das war doch im ersten oder im zweiten Semester und das steht auf Folie 36 bzw. 14“. Der Student nannte (anders als Neschle) die richtigen Nummern, ohne den Inhalt der Folien verstanden zu haben!

Hat diese Nichtkenntnis von Grundlagen nach knapp drei Jahren den Grund in der Bachelor-Ausbildung? Neschle wollte es wissen. Er entschied sich daher für eine Klausurstellung, deren Schwierigkeit sogar unterhalb der seiner Aufgaben aus Übungen/Kolloquien lag, deren Stil sich aber unterschied, so dass Lösungen nicht gebüffelt werden konnten. Die Sachverhalte mussten verstanden sein. –

Die Klausur wurde ein Desaster. Mehr als die Hälfte gab sie unbearbeitet zurück. Viele davon beschwerten sich. Sie hätten mächtig gebüffelt und die Klausur „trotzdem“ (eigentlich genau deswegen!) nicht lösen können (Leon Neschle 75 und 76). Ihnen erging es wie der slowenischen Sängerin, wenn man diese gebeten hätte, ein paar Sätze auf Englisch zu sagen. Sie hätte es nicht gekonnt, selbst wenn die Sätze einfacher gewesen wären als ihre auswendig gelernten Songtexte.

2. Man wird ausgebildet, aber man bildet sich selbst. Bildung setzt Eigeninitiative und Bildungswillen voraus. Im Unterschied zum Ausbilder gibt es nämlich keinen Bilder. Will man Bildung, muss man sich zum „Unternehmer seiner Arbeitskraft“ entwickeln und Initiative und Risiko für seine Bildung übernehmen. Der Zweck der „Bildung“ ist daher immer selbstgewählt. Er kennt mehr Offenheit und Flexibilität als der extern vorgegebene und institutionell abgestimmte Zweck einer Ausbildung.

Aufgabe von Professoren ist es, Bildungswillen, ja Bildungshunger zu wecken und wachzuhalten; Vorbild, Motor und Katalysator im Bildungsprozess zu sein. Erst für Bildungswillige erhält der Begriff „studieren“ seine Bedeutung: „sich (selbständig) bemühen“. Denn wer nach fremden Zwecken ausgebildet wird, kann nicht zugleich nach eigenen Zwecken „studieren“. Insoweit ist „Bachelor-Student“ schon ein Widerspruch in sich, ein Oxymoron wie der „zentrale Eckpfeiler.“

Der Professor wird bei der Akkreditierung von Bachelor- und(!) Masterausbildungsgängen schon mit den typischen Zweckangaben in Modulhandbüchern in die Rolle des Ausbilders gezwungen. Dem „Studenten“ wird dadurch die Notwendigkeit genommen, eigenen Bildungswillen und eigene Lernverantwortung zu entwickeln. An deren Stelle rücken studentisches Ausbildungsrecht und professorale Ausbildungspflicht. Deshalb bedeutet die Bachelor-Ausbildung auch das Aus für die Bildung.

Im Bachelor-/Mastermodell wird der „Student“ zum „Auszubildenden“. Darin klingt die Pflicht des Professors mit, ihn als Objekt der Ausbildungsaktivität zu formen statt ihm Freiraum zu eigener Initiative und selbständiger Bildungsentwicklung zu geben. „Studierende“ und Professoren sind keine selbständigen Akteure im Bildungsprozess mit eigener „unternehmerischer Verantwortung“. Sie werden beide zu Abhängigen im Ausbildungsprozess.

Formal zeigt sich das bei Professoren darin, dass sie immer stärker in Stundenplanmodelle gezwungen werden, um Überschneidungen von Veranstaltungen zu verhindern. Das ging früher dezentral und es funktionierte gut. Heute setzt die Universität das Ausbildungsrecht der Studenten mit einem Zeitfenstermodell ostentativ und zentral durch und pocht so auf die Ausbildungspflicht der Hochschullehrer.

Eine „Bildungspflicht“ der Hochschullehrer könnte es mit Blick auf Studierende gar nicht geben. Denn gegen den eigenen Willen und ohne eigene Initiative kann niemand gebildet werden. Doch seit Jahren geht es ja im Bachlor-/Master-Modell nur noch um Ausbildung: aber bei Bachelor und Master, Herr Kollege Hippel.

Das hat langfristige Folgen für die deutsche Wirtschaft. Es mag sein, dass ein eilfertig nach Vorstellungen der Wirtschaft ausgebildeter Bachelor kurzfristig einsetzbar ist. Flexibilität für den Umgang mit veränderlichen Anforderungen wird im jedoch auf Dauer fehlen. Die kann nur Bildung vermitteln. Sie ist auch Basis für lebenslanges Lernen und Verstehen, das viel besser funktioniert als lebenslanges Büffeln. –

Wie gut wäre es daher gewesen, man hätte mit breiter Brust das duale Ausbildungskonzept Deutschlands in andere Länder exportiert und die deutsche Hochschulbildung reformiert, statt sie durch importierte Ausbildungsmodelle zu ersetzen. Zehn Jahre dieser Fehlsteuerung haben die deutsche Wirtschaft und den deutschen Steuerzahler schon Milliarden gekostet.

Doch nun wollen „bildungsferne Schichten“ von Hochschulrektoren und Bildungspolitikern offenbar wieder zurück? Doch sie waren es ja, die die Ausbildungsmodelle an die Universität gebracht haben. Wie sollte Neschle ihnen da noch trauen?

Man muss auch „Bildung“ nicht nur wollen, man muss sie mit Rahmenbedingungen und Maßnahmen ermöglichen. Das ist innerhalb des Bachelor-/Master-Modells aber kaum denkbar. Dazu müsste fast alles geändert werden, was diesem Modell das Gepräge gibt, angefangen bei den Modulhandbüchern mit ihren vorgefertigten Ausbildungszielen und nicht endend bei der bildungsfeindlichen Prüfungstaktung.


[1] http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/ueberpruefung-von-annette-schavans-doktorarbeit-dauert-noch-monate-a-850222.html

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2 Antworten auf „Au … Aufschrei 57“

  1. Neschle hat sie gerade wieder hinter sich: die Zulassungsprüfungen zum Master. Die Erkenntnis bleibt: Es wird von den Bachelorn viel mehr gebüffelt und viel weniger verstanden als noch zu Zeiten des seligen Diploms. Da fehlen schon nach zwei oder drei Jahren die Grundlagen. Der Dauerprüfungsstress entzieht hier die Muße zum eigenständigen Erarbeiten dieser Grundlagen.

    Da fordern dann Jugendliche und Studenten auf der Jukon 12 von der NRW-Landesregierung mehr Zeit und die Ausdünnung ihrer Stundenpläne.

    Doch das bleibt ein Kurieren an den Symptomen. Dadurch wird nichts besser, solange unsere Jugendlichen und ihre Professoren weiter mit Ausbildungskonzepten domptiert werden. Professoren als Vermittler von Bildung: das war einmal. Wenn dieses Verständnis aber nicht wiederkommt und alle Stufen von Politik und Universität durchdringt, wird sich die Lage nicht ändern.

  2. Warum sehen andere Professoren an der UDE das nicht ähnlich? Ich beziehe mich auf die Masse an Testaten und ähnlichen Stolpersteinen, um überhaupt eine Klausurteilnahme zu erhalten. Zumindest erlaubt es doch der Bachelor und Master, dass ein Modul durch das Bestehen einer Klausur erfolgreich beendet werden kann. Dann wäre immerhin der Rhythmus, den man aus der Diplomzeit her kennt, noch intakt und kann sich am Ende der Vorlesungszeit für eine einzige Klausur vernünftig vorbereiten.
    Sehr zweifelhaft finde ich es zudem, wenn durch die Testate dann im Voraus ausgefiltert bzw. abgeschreckt wird, wodurch am Ende möglicherweise eine leicht bessere Bestehensquote auf dem Papier steht, aber diese doch nur Fake ist, weil die Abbrecher im Vorfeld (Testate etc) nicht einberechnet werden. Zumindest würde man damit einen Teil des alten Systems wiederherstellen können. Ich empfand die Testate immer als Schikane und künstliche Hürden – ein Aufzwingen einer bestimmten Lernvorbereitung, die aber durch die Masse in vielen Veranstaltungen nur kontraproduktiv wirkt.

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