Au … Aufschrei 56

Weinende Rentner und fortschreitend verkommener Fiskus

Fiskalische Anreize zu offenen Rechtsbrüchen gegen das eigene Volk

Einer der größten Fehler des deutschen Steuerrechts ist es, alle(!) Rentner dem Erhebungsverfahren zu unterwerfen. Das bringt dem Fiskus kaum lohnende Mehrarbeit und trägt Staatsbürokratie in den Ruhestand der Rentner. Deren Überforderung endet nach unbescholtenem Leben selbst im neunzigsten Lebensjahr immer öfter in der Kriminalisierung als Steuerstraftäter. Durch meinen(?) Staat!

Das Thema „Rentnerbesteuerung“ wird von keiner politischen Partei aufgegriffen, obwohl die Rentner-Wählerschaft dank demographischen Wandels stetig wächst. Welch ein Wahlkampfthema wird da ausgelassen! Die FDP, die sich noch am entschiedensten gegen die Staatsbürokratie stellt, hat sogar entscheidende Fehler gemacht. Statt mit dem Abbau der Bürokratie zu beginnen, um Spielraum für Steuersenkungen zu schaffen, hat sie zuerst Steuersenkungen propagiert. –

Da sitzt er vor mir, mein 94-jähriger Vater mit Tränen in den Augen und seinem Steuerbescheid in der Hand: Anders als Millionen Rentner (Welche Katastrophe für unser Steuerrecht!) hatte er seine Erklärung ordnungsgemäß abgegeben. Zum zweiten Mal hatte ihm die Steuerverwaltung staatliche Zuschüsse zu seiner Krankenversicherung noch einmal vom Aufwand abgezogen, obwohl er die Beiträge schon netto, ohne die Zuschüsse, angegeben hatte.

Mein Vater ist genervt und verzweifelt, fühlt sich machtlos gegenüber einer staatlichen Bürokratie, die selbst nach Aufklärung permanent dieselben Fehler macht. Er will seine Ruhe im Ruhestand. Schließlich ist er alt genug geworden und will seine restliche Zeit nicht im Streit mit der Steuerverwaltung verbringen.

Schon beim ersten Mal hatte er Einspruch eingelegt oder besser: ich für ihn. Als die Finanzverwaltung den Einspruch aber (fälschlich!) ablehnte, hatte er aufgrund einer Krankheit nicht die Kraft, auch dagegen noch vorzugehen und ließ die Sache im Sande verlaufen.

Doch er hatte nicht mit der Hartnäckigkeit des Fiskus gerechnet: Ein anderes Jahr, derselbe Fehler! Seine Nettoangaben wurden wieder als Bruttoangaben angesehen und zum zweiten Mal um die Zuschüsse gekürzt. Dabei ging der Sachverhalt aus den Unterlagen eindeutig hervor. Ich hatte auf Anweisung meines Vaters bei der Steuererklärung sogar besonders darauf geachtet. Also wieder Einspruch! Dieses Mal stattgegeben, aber der falsche Bescheid vom letzten Jahr ist rechtskräftig und der Fiskus profitiert aus Sicht meines Vaters ungeniert von dessen Krankheit und Schwäche, sackt ungerechtfertigte Steuern ein, obwohl der Fehler bei ihm selbst lag.

Zum Trost erzähle ich ihm eine Geschichte, die ich von einem Steuerberater erfahren habe: Eine 80-jährige Rentnerin wurde von einem Bekannten darauf aufmerksam gemacht, dass sie wegen geringfügiger(!) Nebeneinkünfte eine Steuererklärung abgeben müsse. Fast achtzig Jahre hatte sie keinen Steuerberater gebraucht und auch jetzt machte sie ihre Erklärung nur mit Hilfe dieses Bekannten.

Doch welcher Albtraum: Nicht nur eine Steuernachzahlung für dieses Jahr war fällig, sondern Nachzahlungen für viele Jahre zuvor und gleichzeitig eine Steuervorauszahlung. Und die Finanzverwaltung schickte ihr einen quittegelben Brief, „damit“ jeder im Haus es sehen konnte. Der arglosen Rentnerin tat man darin kund, dass gegen sie ein Steuerstrafverfahren eröffnet war. Sie reagierte mit einem Herzinfarkt.

Zu all dem stellte sich heraus, dass die Finanzverwaltung über Kontrollmitteilungen schon lange im Besitz der steuerrelevanten Daten war. Aber bei einer bislang unbescholtenen Dame von achtzig Jahren einfach mal nachfragen? Nicht der deutsche Fiskus: die Information bunkern zu dem einzigen Zweck, die alte Dame einer Straftat zu überführen, sie gegen Ende ihres Lebens zu kriminalisieren. Sieht man, wofür auch diese Frau mit Geld und Gesundheit geradestehen musste, kann man da sogar das Kotzen griechen.

Dabei scheint der deutsche Fiskus die eigene Verkommenheit nicht mal zu ahnen: Die Förderung von Straftaten seiner Beamten auf Schweizer Territorium (nach dem dort geltenden Recht unbestreitbar) wurde in Neschle 77 erörtert. Es gibt aber auch subtilere Verstöße der Finanzverwaltung gegen das eigene Recht:

Offen weist etwa das Finanzministerium NRW auf die besonders hohen Mehrergebnisse seiner Steuerprüfung und –fahndung hin. Vor Jahren hatte die Finanzverwaltung diesen Anreiz für ihre Beamten noch schamhaft versteckt und geleugnet. Heute bekennt sich das Ministerium sogar auf seiner Webseite ganz offen dazu (http://www.nrw.de/landesregierung/steuerfahndung-in-nrw-ueberdurchschnittlich-erfolgreich-11362/).

Mehrergebnisse als Anreize bringen aber die Finanzbehörden dazu, sich allein als Gegner der Steuerpflichtigen zu sehen und diese möglichst stark zu schröpfen. Doch die sind meist Bürger dieses Staates und machen ihn letzthin sogar aus. Daher richten sich diese Anreize gegen das eigene Volk. Damit verstoßen die Behörden zudem gegen das Gesetz, das den Prüfern einen neutralen Prüfauftrag gibt. Dieser verpflichtet an erster Stelle auch zur Prüfung zugunsten des Steuerpflichtigen:

„Der Außenprüfer hat die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Steuerpflicht und für die Bemessung der Steuer maßgebend sind (Besteuerungsgrundlagen), zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen zu prüfen.“ (§ 199 AO, Abs.1, Hervorhebung von Neschle)

Berater, die aus der Steuerverwaltung kommen, reden aus eigener Erfahrung von gezielten Rechtsverstößen mit dem Auge auf das Mehrergebnis, etwa der Nichtbeachtung des Auskunftsverweigerungsrechts bei Straftatrelevanz. Mutige sagen es offen (http://www.stb-zimmermann.de/fileadmin/internetordner/pdf/026betriebsp.pdf).

Dabei hat die Prüfung zugunsten des Steuerpflichtigen zusätzlich den Sinn, den Steuerpflichtigen gegen schlechte Berater zu schützen. Das Gesetz ist dem Finanzministerium in NRW aber offenbar egal, solange man beim Mehrergebnis nur vorne liegt. Denn es brüstet sich trotz des Anreizes zum Gesetzesverstoß mit besonders hohen Mehrergebnissen. – Und das geschieht in unserem(?) Staat.

Folgte der Steuerbeamte durch faire und unparteiliche Behandlung des Steuerpflichtigen dem durchaus weisen gesetzlichen Auftrag des § 199 AO, würde er häufig gegen das nun ministeriell offen propagierte Leistungs-Ziel „Mehrergebnis“ verstoßen müssen. Der gesetzestreue Beamte verfehlte so aber auch sein Beförderungsziel. Denn jedes Ergebnis zugunsten des Steuerpflichtigen kürzt sein „Mehrergebnis“, das (es ist nun ein offenes Geheimnis!) für seine Beurteilung herangezogen wird. Es wundert Neschle daher nicht, wenn aus solchen Vorgaben Taten folgen, die schwere Kollateralschäden einschließen, wie im Fall der alten Dame.

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