Sprichst Du nur noch Power Point?
Das lange Sterben des ganzen Satzes
Gänze Sätze? War mal. Ist nicht. Nicht mehr. Heute: Power Point! – Was Power Point? – Ist in! Und Power Point ist, wenn schon hinter einzelne Wörter oder halbe Sätze ein kraftvoller Punkt. – Pardon: gesetzt wird. Oder ganz ohne Punkte. Ein Stakkato hinter Spiegelstrichen.
Es ist wie „Pochern“[1] auf seriös getrimmt. So wie Oliver Pocher spricht, nur schöner aufgemacht. Fast immer aber schlecht geordnet, miserabel gegliedert, ungewichtet und in einfache Schemen gepresst. Gut lesbar? Ja sicher. Absolut! Schöner Ausdruck mit sehr bildlichem Eindruck. Das ist das Wichtigste! Dazu amerikanisierter Sprachstil. Im Vortrag dann sowieso.
Wenigstens sagt keiner mehr „öööh“ oder „äääh“ oder kratzt sich an der Nase beim Sprechen. Man hat ja vorher „Präsentationstechniken“ gelernt. Heute in Messer-und-Gabel-Kursen im Bachlor- und Master-Studium. Musste man sich früher noch selbst beibringen. Ging auch! Meist sogar gut. Jetzt lernt man diese „Techniken“ anstelle von Inhalten seines Fachs. Eine fade Vorstellung, man könne dadurch gut präsentieren! So wie die, durch Beherrschung von „Techniken“ sei man bereits ein guter Liebhaber. Persönlichkeit lernt man nicht. Man wird es. Doch nicht auf diese Weise.
So „technisch“ ist er eben, der „professionelle“ Bachelor/Master. Zum Teil gemacht statt Berufsschule, die Angelsachsen ja nicht kennen. Das schaut man sich was ab von den Amis. Von denen, die Power Point können und (sich) damit präsentieren.
Statt „öööh“ und „äääh“ oder Nasekratzen benutzen deutsche Vortrags-Profis heute lange Füllwörter. Ein Sprach-Favorit ist „dementsprechend“ (andere bitte per Leserbrief!). Neschle hat es neulich bei einem Vortrag eines Power Point Profis gezählt. Mehr als vierundfünfzig Mal. Fast jede Minute einmal „dementsprechend“. „Dementsprechend“ genervt war Neschle „am Ende des Tages“. „Am Ende des Tages“: das war die zweite Lieblingsfloskel des Präsentationskünstlers. Mit der wollte er seine Zielorientierung unterstreichen. Mindestens zwanzigmal. In gesteigerter Form so: „Schließlich kommen wir am Ende des Tages zu dem Ergebnis, dass ….“. Statt „am Ende des Tages“ hätte er auch „furzknallbumm“ sagen können, so sinnentleert war seine Verwendung dieser Floskel. – Oder Klo-skel?
„Dementsprechend“ war bei diesem Vortrag entscheidend, was „am Ende des Tages“ hinten herauskam. Mehr als zehnmal sprach er davon, was „Sinn macht“. Aber das „Sinn machen“ hat sich hierzulande so weit einbürgert, dass es „sinnvoll ist“, darin einen Amerikaner mit deutscher Staatsangehörigkeit zu sehen. Mithin kann man es mit hin machen, das „Sinn machen“. –
Ein anderer Redner schockierte dagegen neulich eine Versammlung von Wissenschaftlern dagegen damit, dass er mit einem Stück Kreide an die Tafel ging und ganz schlicht, völlig ohne Spickzettel, aber wohlgeordnet und durch Tafelskizzen unterstützt seinen tiefgründigen wissenschaftlichen Vortrag hielt. Ganz ohne Power Point!
Für manche „moderne“ Zuhörer war das nun kein richtiger Vortrag mehr und schon gar kein wissenschaftlicher. Es fehlten die Power Point Folien! Andere rieben sich erstaunt die Augen und dachten: „So etwas kann doch heute eigentlich niemand mehr! Jedenfalls nicht auf diesem Niveau.“ „Woran soll man sich festhalten, wenn nicht an seinen Folien?“ „Was der da macht, ist wie ein Seiltanz ohne Netz und doppelten Boden!“ „Traut sich heute keiner mehr!“ „Geht doch nur noch mit Power Point!“
Wie nun aber Power Point Darstellungen in die Irre führen, konnte Neschle jüngst bei einem Vortrag über die Subprime Krise sehen. Da waren für alle überhaupt Betroffenen gleich große Kästchen reserviert. Optisch wurde damit auf dieselbe Ebene gehoben, was sich im Gewicht extrem unterschied. So als wären bei der Beschreibung der Inhaltsstoffe von Mineralwasser gleich große Kästchen reserviert für Calcium oder Natrium wie für H2O. Genau das täuscht den Zuschauer – „Leser“ wäre hier viel zu viel gesagt! –optisch über die Größenverhältnisse hinweg. Die Dimensionen verwischen sich im Einerlei der immer gleichen Power Point Kästchen. Es ist wie bei einem schlechten Film von einem guten Roman. Die bildlich vorgesetzte Präsentation wirkt anders als beim gesprochenen Wort als Phantasie- und Denk-Ersatz.
Andere Folgen des Power-Pointens sind abzusehen. Business-Leute setzen immer mehr Hilfsdienste ein, wenn es darum geht, Texte mit ganzen Sätzen zu formulieren. Wer kann denn heute noch ganze Sätze? Mit SPO: Subjekt, Prädikat und Objekt. Oder HTH: Hauptwort, Tuwort, Hauptwort. Sagt man jemandem mit akademischer Verbildung: „Mach’ mal ’ne Power Point Präsentation!“, geht das ratz-fatz. Will man eine Seite Text, dauert es Stunden.
Der Text erfordert mehr Konkretisierung und Tiefsinn, während man bei der Power Point Präsentation im Grobgalaktischen bleiben und schleimigen Flachsinn anschwemmen kann. Nicht anders ist das bei Unternehmungen: „Wollen Sie etwas von unserer Firma verstehen? Ich geb’ Ihnen da mal ’ne Power Point Präsentation.“ Schon dieser Satz gibt ein zuweilen Verständnis dieser Firma und der Tatsache, dass das Denken in Zusammenhängen dort irgendwie abhanden kam. Wohl dem, der es früh genug merkt!
Statt „Power Point Präsentationstechniken“ und ihrer Verankerung im Curriculum der Hochschulen brauchen die meisten Leute Ganze-Satz-Schreibtechniken. Power Point Sprechen lernt man schon im alltäglichen Stakkato der privaten Fernsehsender und ihrer „Reality Shows“. Doch pochern wir nicht alle? Sprechen wir nicht alle schon Power Point?
[1] Ja richtig. Olli P. hat beim „Pochern“ Pate gestanden. Oliver Pocher zeigt wie gepochert wird.
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Diesem Inhalt kann ich nur aus tiefster Seele zustimmen.
Da kommt jemand mit seiner Präsentation in den Besprechungsraum (quatsch – zum Meeting), baut umständlich sein Notebook auf, um dann dahingeklatschte Power-Point-Seiten wahlweise zu laut oder nuschelnd vorzulesen. Diesen Erguss, den man nun optisch und akustisch verfolgen muss, erhält man anschließend oder manchmal auch vorab als „Handout“ in Papierform. Ach ja, und drumherum gibt es erst seitenweise völlig uninteressante Fakten zur Geschichte des jeweiligen Unternehmens, eine Selbstbeweihräucherung sondersgleichen, und abschließend die zwei Standard-Seiten „Noch Fragen?“ und „Herzlichen Dank…“.
Nachdem man nun den schwachen Inhalt in diesen drei Versionen parallel ertragen hat, kommt einen Tag später per E-Mail noch einmal eine leicht überarbeitete PPS/PPT-Datei, in der die bei der Präsentation gefundenen Fehler bereinigt wurden.