Peinlich pendelnde Politiker!
Stupor stimuliert Steuerstress!
A tax loophole benefits the other guy. If it benefits you, it’s a tax reform. (Russell B. Long)
Neschle hatte dieses wöchentliche Essay im Vorrat für eine spätere Veröffentlichung. Dann kommt am 27. März 2007 ein Urteil vom Finanzgericht des Saarlandes zur Pendlerpauschale, das Wasser auf Neschles Mühlen ist. So wird dieses Wochenessay nun fast zum Depeschle und vorgezogen.
Neschle hatte dieses Essay zur Steuerpolitik schon im Wahlkampf 2005 geschrieben. Jetzt ist sein zweiter Teil zur Pendlerpauschale wieder hochaktuell. Im Wahlkampf spielte der nur die zweite Geige, nach den Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen. Beide Themen sind jedoch nur in Wahlkämpfen wirklich wichtig, weil es da auf die politische Bedeutung für die Wählermassen ankommt, nicht auf die wirtschaftliche:
Bei den Schwarz-Roten Koalitionsverhandlungen 2005 war das erste Thema (und das peinlichste Ergebnis): „Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge bleiben steuerfrei“. Der Stellenwert dieser Frage mutet an wie ein Witz angesichts der Probleme des Landes und ungleich gewichtigerer Themen wie der Mehrwertsteuererhöhung. Er ist allein kommunikationspolitisch begründbar: „Die SPD hält ihr Wahlversprechen“. Diese Partei hatte sich auf die Fahnen geschrieben, diese Unsystematik im Steuersystem aus Gründen der „sozialen Gerechtigkeit“ beizubehalten. Der Stellenwert dieser Frage in diesem Essay erklärt sich allein durch die Funktion der Antwort als Musterbeispiel für Wählerveräpfelung[1].
Noch verfehlter ist die Neuregelung der Pendlerpauschale. Die ist nun an zwei Finanzgerichten in Hannover und Saarbrücken gescheitert. Das hat Neschle den Glauben an die Vernunft der Steuerjuristen wiedergegeben. Denn die „Werkstorthese“ ist ein Werk von Toren. Neschle kann nur hoffen, dass der BFH und die Verfassungsrichter diese Toren nicht stützen, sondern ihre Richterkollegen an den Finanzgerichten. – Doch jetzt kommt erst, wie im Wahlkampf: die Krankenschwester:
A. Krankenschwester, Pförtner, Barfrau: Gerechtigkeits-Lücke oder Gerechtigkeits-Lüge?
Im Wahlkampf 2005 war Steuerfreiheit der Sonn- und Feiertagszuschläge mit Abstand das beliebteste Thema. Einen Berufsstand stellte die SPD so häufig vor, dass man den Eindruck hatte, das deutsche Volk bestehe zu mindestens fünfzig Prozent aus steuerlich ungerecht behandelten Krankenschwestern, die alle sonn- und feiertags arbeiten. Ihre harte Arbeit zur Unzeit sollte daher von allen anderen Steuerzahlern finanziell unterstützt werden.
Sozialpolitisch lässt sich das nicht begründen, steuersystematisch auch nicht: Was würde eine Barfrau verdienen, die sich weigerte, nachts, sonn- und feiertags zu arbeiten? Nichts! Ihr Entgelt besteht also nur aus Unzeit-Zuschlägen. Es müsste insgesamt steuerfrei sein. – Weit gefehlt! Weil sie keinen Grundlohn zur normalen Zeit hat, werden sämtliche Einkünfte voll versteuert. Das nennt man mit Fug „echten Unfug“. Und Recht hat man auch dabei!
Zu viel Arbeit zur Unzeit darf es nicht sein. Man entblödet sich dennoch nicht, die Steuerfreiheit von Krankenschwester oder Pförtner damit zu begründen, dass Arbeit zur Unzeit besonders belastet. Doch wo ist die besondere Belastung beim Pförtner, der am Wochenende mangels Beschäftigung vor den Sexprogrammen privater Fernsehsender dahindöst. Genau zu der Zeit, wo die Leute, die ihn alltags in Bewegung halten, sich von der steuerunfrei rackernden Barfrau rauchzart verwöhnen lassen.
Extrem belastend ist das Arbeiten am 1. Mai. Am Tag der (Nicht-)Arbeit sind deshalb neben den Weihnachtstagen die höchsten Zuschläge steuerfrei. Schall-Mai, Schall-Mai, ick hör’ Dir trapsen! Da versteht jeder, woher die Musik kommt. Daher gibt es keine Rücksicht auf sonn- und feiertags arbeitende Unternehmer, Professoren oder Sportler, obwohl clevere Steuerberater die Regelung für Fußballmillionäre lange nutzten. Da dies nicht mehr als sozial durchging, wurde das Gesetz um eine weitere unsystematische Bedingung ergänzt, die Fußballmillionäre einfach nicht erfüllen wollen: Steuerfreiheit verlangt nun ein immer noch ordentliches Höchsteinkommen, das aber Peanuts ist für unsere Fußballsöldner. Und damit lassen die sich nicht abspeisen. Eine Unsystematik zieht die nächste nach. Patchwork-Legislation! Flickregelei!
Diese Steuerfreiheit der Unzeit-Zuschläge hat Entscheidungswirkungen: Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten gestalten anreizgemäß das normale Gehalt niedriger, die steuerfreien Zuschläge aber üppiger. Da verliert die Gesamtheit der Steuerzahler zusätzlich und der Gesetzgeber wäscht die Reizwäsche dazu.
Als Werkstudent hat Neschle selbst an einer solchen Verschwörung der Werktätigen teilgenommen, die sowohl Fiskus als auch Arbeitgeber schädigte. Durch langsames Arbeiten vor Feiertagen machten wir Sonn- und Feiertagsarbeit notwendig. Der Arbeitgeber zahlte Zuschläge, wir erfreuten uns der Steuerfreiheit, zumal wir die Restarbeit an den Feier-Tagen locker bewältigten. Ich war nicht geschafft. Es schaffte aber die Unternehmung und ihre Arbeitsplätze. Die Unternehmung, ein Glasproduzent, existiert heute nicht mehr. Ob das mit Schaffung von Arbeitsplätzen gemeint ist? So könnte man es langsam schaffen und dann wären sie geschafft.
Neschle weiß: Der Dienst der Krankenschwester an Sonn- und Feiertagen lässt sich nicht auf diese Weise beeinflussen. Gerade das macht es jedoch perfide, ihren Dienst als typisch für alle Formen steuerbegünstigter Sonn- und Feiertagsarbeit hinzustellen, macht es zur döspaddeligen Täuschung des Wählers.
Ich gönne jeder Krankenschwester ein ordentliches Gehalt für ihren harten Dienst, viel, viel mehr als sie jetzt verdient. Doch das Gehalt sollte ihr Arbeitgeber zahlen. Zahlt der für ungeliebte Arbeit zu wenig, wird er durch die Reaktion von Beschäftigten und Patienten gezwungen, die Zuschläge anzuheben. Insider wissen jedoch, dass es Krankenschwestern geben soll, die sogar nach Sonn- und Feiertagsdiensten drängen. Steuerfreiheit der Zuschläge hat dann nur einen Mitnahmeeffekt zu Lasten der Gemeinschaft der Steuerzahler. Sie macht Beliebtes noch beliebter.
Und wo ist das Soziale dieser Steuerfreiheit, das von linken Parteien beschworen wurde? Wo ist soziale Gerechtigkeit, wenn jemand mit 50.000 Euro Jahresgehalt ebenso Anrecht darauf hat wie der mit 10.000? Warum erhält ein Selbständiger keine Steuerfreiheit, selbst wenn er weniger verdient als die Krankenschwester? Die schlichte Sozialgleichung: Unternehmer = reich, Arbeitnehmer = arm hat längst keine Geltung mehr, bei Unternehmensgründern ebenso wenig wie bei Luxus-Arbeitnehmern im Vorstand von DAX-Unternehmen. Steuerfreie Sonn- und Feiertagszuschläge haben in einem systematischen Steuerrecht einfach nichts zu suchen.
Will man die Schweiz des kleinen Mannes auf deutschem Boden schaffen, soll man das sagen. Die Verbrämung einer Steuervergünstigung als Maßnahme der sozialen Gerechtigkeit passt nicht zu einer Partei, die Ehrlichkeit und Offenheit vor sich herträgt. Sind steuerfreie Sonn- und Feiertagszuschläge Teil der sozialen Gerechtigkeit, darf man gespannt sein, was alles steckt in der Wundertüte Soziale Gerechtigkeit. In der Büchse der Pandora blieb ehedem die Hoffnung übrig, nachdem alle Übel dieser Welt herausgeflogen waren. Hier kommt wahrscheinlich nur Übel ohne Hoffnung.
Es gibt sicher gewichtigere unsystematische Begünstigungen, die von Besserverdienenden genutzt werden. Sie gehören ebenso abgeschafft. Doch das ist kein Grund, das Kind mit dem Bade auszuschütten und auch gerechtfertigte Abzüge abzuschaffen. Das aber war der Tenor beim erstaunlicherweise zweitwichtigsten Steuerthema im Wahlkampf und dem wichtigsten hier. Unberechtigte Vorzüge belassen, berechtigte Abzüge zusammenstreichen, die Zeit der Doppelfehler bei geistiger Windstille.
B. Mal zu Stimmen, mal zum Geld: Das Steuer-Pendel schwingt.
Alle Jahre wieder, immer dasselbe. Bei der vom Fahrkostenabzug der Arbeitnehmer übrig gebliebenen Pendlerpauschale verbreiten Politiker jedweder Richtung seit Jahren die Auffassung, es handele sich um eine Subvention. Sie brauchen halt Geld und bei den Autofahrern hat man es schon immer geholt. Daher sollte diese „Subvention“ – semper idem – zur Gegenfinanzierung einer Steuersenkung abgeschafft werden, zusammen mit der Eigenheimzulage.
Nun ist die Eigenheimzulage zweifellos eine Subvention und die wurde – man staunt ja nur noch! – sogar konsequenterweise abgeschafft. Aber ist auch die Pendlerpauschale eine Subvention? Sie soll erneut eingeschränkt werden, nicht abgeschafft. Ist hier also noch eine Subvention geblieben?
Zwei populäre Argumente hört man dafür und zugunsten ihrer völligen Abschaffung:
1. Die Arbeit fängt am Werkstor an.
2. Wir wollen nicht den Umzug ins Grüne subventionieren.
Fängt die Arbeit der Politiker erst im Bundestag an? Man muss dies vermuten, wenn diese der These vom Werkstor zustimmen. Jede Vergünstigung für weiter entfernt wohnende Abgeordnete wäre mit der Pendlerpauschale zu streichen. Und wie ist die Realität? Wundert den Leser hier noch etwas?
Die Arbeit fängt am Werkstor an ist falsch für alle Arbeitnehmer, die sich engagieren: Wer von ihnen durchdenkt und regelt nicht berufliche Probleme zu Hause oder auf dem Weg zur Arbeit? Ein Professor jedenfalls! Würde man beim Installateur argumentieren wie beim Pendler, müsste man ihm den Abzug seiner Fahrtkosten zum Einsatzort streichen. Für Selbständige steht aber der Fahrtkostenabzug außer Frage.
Steuer- und wirtschaftlich trennen wir Konsum und Investition und nicht Heim und Arbeitsplatz. Konsumausgaben (und Sparen) müssen aus versteuertem Einkommen getätigt werden, nicht jedoch Investitionen in den Einkommenserwerb. Diese Investitionen werden bei Selbständigen als Betriebsausgaben, bei Arbeitnehmern als Werbungskosten bezeichnet. Beide kürzen das zu versteuernde Einkommen.
Um die Streichung der Pendlerpauschale so zu begründen, müsste man Fahrtaufwendungen zur Arbeitsstätte wie Urlaubsfahrten als Konsumausgaben betrachten[2]. Man müsste sogar behaupten: Solche Fahrtkosten sind Konsumausgaben ausschließlich bei unselbständig Beschäftigten. In einer Zeitungsredaktion wäre dem fest angestellten Redakteur die Pendlerpauschale zu streichen, dem freiberuflich tätigen Redakteur wären die Fahrtkosten zur Redaktion voll anzuerkennen. Beginnt der fest angestellte seine Arbeit erst in der Redaktion, der freiberufliche vorher? Wohl kaum! Wie ist dann der Un-Sinnspruch Die Arbeit fängt am Werkstor an! damit vereinbar?
Da kann man dem fest angestellten Redakteur die doppelte Haushaltsführung empfehlen. Sie gilt mit höchstrichterlichen Segen in vollem Umfang als Investition in seinen Einkommenserwerb, damit als Werbungskosten. – Passt das zusammen mit der Streichung der Pendlerpauschale? Nur im Gehirn deutscher Politiker!
Machen wir es extremer! Ein in Bochum lebender Hochschullehrer der Universität Leipzig lehre selbständig an einem Tag der Woche in Bochum. Wohnt er in Bochum, kann er die Fahrtkosten nach Leipzig nicht abziehen. Selbst die ohnehin zu niedrige Pendlerpauschale würde ihm gestrichen. Zieht er nach Leipzig, kann er die vollen Fahrtkosten nach Bochum abziehen. Denn in Bochum arbeitet er als Selbständiger.
Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zur Einführung der Pendlerpauschale ist jeder Fahrtkostenabzug (nur) bei Arbeitnehmern(!) eine verdeckte Subvention. Danach bevorzugen „Kilometer-Pauschbeträge das Verkehrsmittel Kraftfahrzeug, wenn die Kosten für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel niedriger sind.“
Das Argument ist mit Verlaub: dumm, dreist oder perfide. Leute, die das behaupten, sollten die Wüste begrünen[3], nicht unsere Politik! Erst macht die Regierung Auto fahren durch Öko- und andere Steuern teuer. Dann behauptet sie: Weil es so teuer ist, führt der Abzug von Fahrtkosten zur „Begünstigung“(!?) der Autofahrer. Wo soll die Begünstigung sein, wenn Autofahrer aus eigener Tasche mehr zahlen als Bahnfahrer und der größte Anteil an laufenden Kosten für ihr Auto aus Abgaben an den Staat besteht? Ein Arbeitnehmer mit 30% Grenzsteuersatz hätte selbst bei vollem Fahrtkostenabzug 70% seiner öko-fiskalisch überhöhten Fahrtkosten selbst zu tragen. Er zahlte auch bei vollem steuerlichem Abzug deutlich mehr als ein Bahnbenutzer. Kann man da von „Bevorzugung“ sprechen?
Dann muss man auch den Zahnarzt für bevorzugt halten, der für eine teure Zange mehr absetzt als sein Kollege oder als ein Klempner, die eine billigere verwenden. Wo ist seine Bevorzugung? Er hat den höheren Selbstbehalt und der andere könnte genauso handeln. Warum soll das anderes sein bei dem, der für die Fahrt zu seiner Arbeitsstätte sein Auto statt öffentlicher Verkehrsmittel verwendet?
Von der Pendlerpauschale werden ganz andere subventioniert: Diejenigen, die durch Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel höhere Kosten geltend machen als ihnen entstanden sind. Das hatte doch die grün-rote Regierung durch die verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale doch erreichen wollen! In der Pendlerpauschale, nicht im Fahrtkostenabzug liegt daher die Subvention: der Bahnfahrer, nicht der Autofahrer. Wer diese Subvention vermeiden will, muss zurück zum echten Fahrtkostenabzug.
Das Steuerrecht erkennt Wahlfreiheit an. Warum soll das beim Verkehrsmittel des Arbeitnehmers oder seinem Wohnort anders sein? Der steuerlichen Anerkennung der Wahlfreiheit werden freilich Grenzen gesetzt. Ob der Gemüsehändler den Golf mit Anhänger oder den Mercedes-Kombi nutzt: Der Fiskus akzeptiert beides. Den „Ferrari mit Anhängerkupplung“ würde er als unangemessen zurückweisen.
Eine Übertragung dieser Regelung auf Fahrtkosten bedeutet: Über eine angemessene Entfernung zum Arbeitsplatz hinaus (z.B. mehr als 100 oder 150 Kilometer) erlaubt der Fiskus keinen Abzug. Das ist etwas anderes als die generelle Versagung des Fahrtkostenabzugs oder die Streichung der Pendlerpauschale. Oder ist jede PKW-Benutzung bei Arbeitnehmern wirtschaftlich unangemessen? So arm sind wir noch nicht, bei solchen Argumenten aber auf dem Wege zur geistigen Verarmung.
Und warum will man nur Arbeitnehmer zur Ballung am Werkstor zwingen? Das Werkstor soll doch allein für ihn der steuerliche Bezugspunkt sein. Er soll zur Arbeitsstätte ziehen. Bei jedem Arbeitsplatzwechsel! Von ihm wird verlangt: „Lebe, um zu arbeiten“. „Arbeite, um zu leben“, bietet die Politik dem Selbständigen. Sein Bezugspunkt ist die eigene Haustür. So steckt hinter der Streichung der Pendlerpauschale sogar eine zynische Grundhaltung gegenüber Arbeitnehmern, vor der selbst die SPD nicht zurückschreckt. Doch es gibt da ja noch ein Lenkungsargument:
2. „Wir wollen nicht den Umzug ins Grüne subventionieren!“ Wenn die Pendlerpauschale das täte, könnte man sich für ihre Abschaffung aussprechen.
Die grundgesetzlich geschützte freie Wahl des Wohnortes gilt als private Konsumentscheidung; ebenso damit verbundene Miet- oder Hypothekenzinszahlungen. Nur in Ausnahmefällen erkennt der Fiskus eine investive Absicht an und erlaubt den steuerlichen Abzug: bei Umzugskosten, wenn der Arbeitnehmer näher zum Arbeitsort zieht, in beamtenkleinlichem Umfang. Bei Umzügen weg vom Arbeitsort gelten Umzugskosten als Konsumausgaben und dürfen nicht abgezogen werden. Richtig so! Aber fördert der Fiskus hier den Umzug ins Grüne? Er fördert den Umzug ins Graue! Zur Arbeitsstätte hin[4]. Von „Förderung“ kann man hier eigentlich nicht sprechen, da diese Kosten beruflich bedingt sind und den Abzug von Fahrtkosten vermindern.
Wer ins Grüne zieht, verzichtet auf diese „Steuervorteile“. Er nimmt Zeitverluste, weite Fahrtwege und Mehrkosten in Kauf, die selbst bei voller steuerlicher Abzugsfähigkeit zum größeren Teil zu seinen Lasten gehen. Er investiert diese Kosten, um seine Arbeit zu be- und erhalten. Selbst wenn ein Autohersteller aus Bayern die Freude am Fahren anpreist: Die Fahrt zur Arbeitsstätte wird niemand Konsum nennen. Dann aber ist sie Investition und es ist die volle Abzugsfähigkeit der Fahrtkosten zu fordern. Wäre die Pendlerpauschale eine Subvention für den Umzug ins Grüne: Warum sind von ihrer Streichung auch die betroffen, die schon immer im Grünen gewohnt haben? Was ist mit der heute geforderten und erzwungenen beruflichen Flexibilität?
Von sozialen Wirkungen dieser Streichung ganz zu schweigen: Bei Berufswechsel dürfte es dem Single leicht fallen, ans Werkstor zu ziehen und der Steuerstrafe zu entgehen. Für in Partnerschaft lebende oder Alleinstehende mit Kindern ist das schwieriger. Bei (ehelichen oder nichtehelichen) Partnerschaften können Fälle vorkommen, wo der eine näher zum Werkstor zieht, während der andere sich um dieselbe Strecke davon wegbewegt.
Und Eltern mit Kindern: Sie müssen Rücksicht auf schulpflichtige Kinder oder berufstätige Partner nehmen. Folglich sind vor allem Familien mit Kindern von der Streichung der Pendlerpauschale betroffen. Kinderfeindlichkeit durch die Hintertür, von der man sich laut tönend durch die Vordertür verabschieden will. Denken von Zwölf bis Mittag! Oder schlimmer noch: politischer Zynismus, der so stark ist, dass man bei jeder Blume, den diese Politik erblühen lässt, nach dem Sarg sucht, der danebensteht.
Wollen unsere Politiker abhängig Beschäftigte stärker belasten als Selbständige und Familien stärker als Singles? Dann tun sie mit der Erhöhung der Fahrtkosten für Pendler das Richtige. Doch macht es wirklich Sinn, Familien stärker zu belasten und gleichzeitig mit Elterngeld daherzukommen? Dieser Politik muss man nicht widersprechen. Sie tut es selbst[5]!
Zudem sind diese Fahrtkosten wirtschaftlich Teil der Arbeitsnebenkosten und die sollten am Standort Deutschland doch gesenkt werden. Ökonomisch ist es auf einigermaßen effizienten Arbeitsmärkten ziemlich gleichgültig, ob Unternehmungen oder Arbeitnehmer diese Kosten zahlen.
Einige Politiker bringen hilfsweise ein weiteres Lenkungsargument: Verhinderung der Zersiedlung. Positiv ausgedrückt fordern sie Förderung der Ballung. Doch die ist kriminalitätsfördernd und sicherheitsmindernd. Ist das (noch) erwünscht?
Wie man es dreht und wendet: Die Streichung der Pendlerpauschale ist sowohl aus der Sicht steuerlicher Gleichbehandlung von Selbständigen und Nichtselbständigen als auch aus gesellschaftlichen Gründen eine Fehlentscheidung. Die Pendlerpauschale ist keine Subvention. Sie ist bereits jetzt eine Steuerstrafe für alle Arbeitnehmer, weil die Fahrtkosten nicht in voller Höhe abgezogen werden können. Ihre Streichung erhöht nur das Strafmaß für die abhängige Beschäftigung.
Da seien hoffentlich die Verfassungsrichter vor, und davor schon die Finanzgerichte und der BFH. Sie haben schon die von der Regierung Kohl verstümmelte doppelte Haushaltführung gerettet. Deren Anerkennung steht nun aber ebenfalls im Widerspruch zu einer Streichung der Pendlerpauschale.
Irgendwie ist das wohl bei den Koalitionsverhandlungen 2005 durchgedrungen. Man hat sich geeinigt, die Pendlerpauschale nicht ganz zu streichen, sondern nur zu kürzen. Mit einer kruden und noch abwegigeren Lösung. Die schlägt alles bisher Dagewesene, sozusagen in „einmaliger Niedagewesenheit“: Seit Anfang 2007 soll die Pendlerpauschale unter 20 Kilometer Entfernung nicht mehr angesetzt werden. Vermutlich weil ein durchschnittlicher Marathonläufer diese Strecke locker in unter 2 Stunden laufen kann, um nicht völlig verschwitzt am Werkstor anzukommen!
Eine bessere Begründung kann kaum dafür herhalten. Warum nicht 12,315 Kilometer oder die Marathonstrecke von 42,195 Kilometer? Was außer Willkür und rein fiskalischer Motivation kann die Begründung für diese Regelung sein? Vielleicht fehlten ja genau 4,979 Milliarden Euro und ein eifriger Ministerialbeamter hat ausgerechnet (Es sollen ja etwa 5 Milliarden sein!), dass man dazu 19,37 km Arbeitsweg steuerlich nicht anerkennen dürfe. Bei 20 km hätte man noch etwas Reserve, falls der eine oder andere arbeitslos werden sollte. Heiliger Thomas von Aquin rette uns! Vor solch staatlicher Sünde und vor gesetzlich legitimiertem Raub[6]!
Selbst die Erhöhung der Werbungskostenpauschale taugt als Begründung dafür nicht. Hätte ein Arbeitnehmer allein oder vor allem Fahrtkosten, ginge es noch. Dann wäre nur eine Vereinfachung der Steuererhebung. Die sollten wir in unsrem bürokratistisch verseuchten Leben und in der tiefen urdeutschen Bürokraterei begrüßen! Dafür kann selbst mancher Deutsche kleinere Ungenauigkeiten in Kauf nehmen[7], der sonst eher denkt: Lieber genau falsch als ungefähr richtig! Doch die jetzige Lösung belegt ein weiteres Mal die fehlende Systematik im deutschen Steuerrecht. Die geht mit Regelungswillkür einher, die viel besser zum Despotismus passt als zu einem demokratischen Rechtsstaat.
Schämt Euch! Noch einmal: Diese „Werkstorthese“ ist das Werk von Toren! Peinlich für alle, die auf solche Schlagworte hereinfallen! Das ist geistiges Handtuchauflegen. Man beansprucht da, wie faktisch bei der Strandliege, etwas für sich, was man gar nicht sein eigen nennen kann: Denken! Und das bevor man damit anfangen will! Neschle bleibt da nur „Fremdschämen für dieses Werk von Toren“!
Krankenschwester eins, zwei, drei,
Dein Zuschlag der ist steuerfrei!
Autofahrer vier, fünf, sechs,
Dir machen wir ’ne Zusatztax.
Sieben, acht und neun, Ihr Leute,
Geld und Stimmen, fette Beute!
(Verlängerung zur Pendlerpauschale aus aktuellem Grund! Der Sachverhalt:)
Nur für Malocher sieht man vor,
die Arbeit, die beginnt am Tor.
Doch wenn wir’s Denken mal erlauben,
statt dieser These schlicht zu glauben:
Bei Steuern wird auf diese Weise,
die Arbeitsfahrt zur Urlaubsreise.
(Das Urteil der Finanzgerichte:)
Doch aus Hannover und Saarbrücken
komm’ Richtersprüche, die entzücken.
Ein Lob dem Steuerrichterstand,
denn diese Richter hab’n erkannt,
beim Pendeln wird die „Gleichheit“ jetzt,
grob vom Gesetzgeber verletzt.
(Revision? Die Unabhängigkeit des Höchstrichters, die er zwanghaft beweist:)
Doch oft genug der BFH,
im Nachhinein es anders sah,
damit uns allen wird bekannt,
sein überlegner Rechtsverstand.
Oh, lieber Gott, lass ihn verstehen,
diesmal darf er nicht so weit gehen!
[1] Neschle glaubt diese Veräpfelung hat etwas zu tun mit Evas Paradiesapfel, also auch mit Wählerverführung.
[2] Das ist gediegen! Die Fahrt zur Arbeit wie eine Urlaubsfahrt behandeln! Da kommt ja der große Sigmund Freud mit seiner eigenen Fehlleistung auf und zeigt uns, welche Arbeitsauffassung bei dieser Fehlleistung wohl insgeheim in der Politik herrscht.
[3] Dahin muss man sie natürlich erst einmal schicken. – Nach dem Willen von Politkern sollen arbeitslose Manager ja neuerdings auch Spargel stechen. Warum nicht auch Politiker?
[4] Manchmal liebt es die Steuerpolitik wirklich witzig und verwegen. Seit Anfang 2006 will sie haushaltsnahe Dienstleistungen fördern und damit auch jeden Umzug. Jetzt kann man auch vom Werkstor wegziehen und erhält steuerliche Abzugsfähigkeit. – Tätärääh! Dagegen hilft nur noch der nächste Karnevalsumzug.
[5] In der deutschen Grammatik ist Politik die Politik, also weiblich! Der Macho würde sagen: Bei solchen Widersprüchen ist das konsequent. Neschle aber würde das niemals behaupten. Er will doch keinen Ärger mit der Frauenbeauftragten!
[6] Thomas von Aquin hat die Steuer unter der Überschrift behandelt: „Kann Raub geschehen ohne Sünde?“. Um den Staat hierbei von Sünde zu befreien, verlangte er systematisches und gerechtes Handeln. Davon ist die deutsche Politik in beiden Fällen weit entfernt. Sünde ist das, heiliger Thomas!
[7] Da ist vor Jahrzehnten einmal die Sofortabschreibung für Anlagegegenstände unter 800 DM eingeführt worden. Nach der Kaufkraft von heute dürften dem mehrere tausend Euro entsprechen. Wo liegt diese Pauschalabschreibung heute? Immer noch da, wo sie früher lag! So als hätten unsere Altvorderen den Wert damals bei 150 DM festgelegt. Dass unserem Fiskus diese Pfennigfuchserei nicht einmal peinlich ist! Darüber ist bei Neschle Fremdschämen angesagt, viel mehr als wenn Thomas Gottschalk Jennifer Lopez in den Ausschnitt schaut oder der Deutsche sich auf Malle einen ballert. Mann!
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