Leon Neschle 9 (16. Woche 2007)

Hurenhochzeit und Friedhofsgärtner-
prinzip.

There are only two classes in society: those who get more than they earn, and those, who earn more than they get. (Holbrook Jackson)

Die Scheidung von Daimler und Chrysler liegt in der Luft. Dadurch ist ein Essay wieder aktuell geworden, das Neschle schon in der warmen Sonne des Spätjuli 2005 schrieb. Da deutete schon alles auf eine Ehekrise hin. Viel schlimmer noch: Die beiden hätten aus Neschles Sicht nie heiraten dürfen! Neschle hat das schon bei Verkündung der Hochzeit in seinen Vorlesungen gesagt. Aber auf ihn hört ja keiner! Er bekommt ja nicht viel Geld dafür. Schauen wir mal, was Neschle damals schrieb:

„Wenn große Männer gehen, melden sich die Kleingeister“. So kommentierte Ulrich Wickert in den Tagesthemen der ARD kritische Stimmen zu Jürgen E. Schrempp bei dessen Abdankung als Chef von DaimlerChrysler am 28. Juli 2005.

War Jürgen Schrempp der Mann, für den Wickert ihn und für den er sich selbst ausgab? War er die Führungs-Konifere unter den Holzköpfen? Oder ein überschätzter ‚Halbleiter’ mit dem Selbstbewusstsein des Alpha Plus-Tiers?

Meldeten sich die erbärmlichen Kleingeister erst beim Sturz? Oder hatte der ‚große Mann’ Schrempp nur die Konsequenzen aus ihren Dauermeldungen gezogen? – So war es doch! Unpassender als Wickert kann man daher kaum kommentieren.

A. Wie Daimler den Chrysler fraß. Oder umgekehrt.

Doktor Jürgen Schrempp, Weltmann von Daimler, wollte noch größer werden. Er kaufte Chrysler. Es versuchte ihn und er sich auch über Mitsubishi auf dem asiatischen Markt. Nun war Daimler Qualitätsführer in Deutschland, vor dem Schrempp-Test, und Chrysler hatte die Silberne Rostbeule und das Schmutzige Schlusslicht für schlechte Qualität in den USA errungen. Und Mitsubshi? Da gab es in Asien auch andere Verdächtige für Qualitätsführerschaft.

Qualitätsführer und Schlusslicht fusionieren!? Da fühlen sich die Jüngeren an Pretty Woman erinnert, die Älteren an My Fair Lady. Da kommt ein Mädchen vom Strich oder aus der Gosse und soll ein vorzeigbares Geschöpf in der „Gesellschaft“ werden. Beides sind Märchen, so wie es sie schon früher gab, wo der gestiefelte Kater seinen Trampel-Müllersohn zum Grafen machte. Märchen beschreiben das Unglaubliche, das Wunderbare. Pretty Woman und die Fair Lady rühren das Publikum, weil es trotz vieler Hindernisse gelingt, die Mädel zu ‚exquisitieren’. Doch was hat das mit Realität zu tun? So viel wie eine Zeitungsente. Fast nichts, aber man hört es gern!

Für den normal Begabten gilt: Ein Mann von Welt sollte nicht versuchen, eine Prostituierte zu heiraten und in seine Welt zu entführen, erst recht keine vom Straßenstrich. Doch jede ist Verallgemeinerung falsch, selbst diese. Um das mit der neuen Welt des Straßenmädels hinzukriegen, muss man aber ein ganz Großer sein oder sich als ein solcher erweisen. Aus gutem Grund heiratet der Mittelmäßige immer in seinen Kreisen.

Das lernt man in der dritten Anfängerstunde im strategischen Marketing. Ausnahmen gibt es nur für das Genie und den Künstler in einer Person, für den die normalen Regeln oder Regeln überhaupt niemals gelten. Der bringt selbst solche Fusionen zum Erfolg. Der Simple sieht den Einzelfall, der Mittelmäßige die Regel und das Genie die Ausnahmen. Ausnahmetalent Schrempp?

Die Fusion wird zum Misserfolg. Chrysler ist immer noch hinten in der Qualitätsstatistik und Daimler strebte diese Position in Deutschland und weltweit offensichtlich an, mit dem smarten Smart im Schrempptau. Als dann Schrempp nur noch Fehler machte, nannte man das seinen Stil.

Was lernen wir daraus? Schrempp ist kein Genie, hielt sich aber vermutlich für eines. Er hat im Marketing-Unterricht nicht aufgepasst, was für Mittelmäßige gilt, weil er es nicht auf sich bezog. Selber nicht aufpassen und dann die Ausbildung deutscher Universitäten schremppen? Wie heißt es schon in der Bibel: Du siehst eher den Scheibenwischer in den Augen des anderen als die Stoßstange vor Deinem eigenen[1].

Als Unternehmer wäre der Schrempp jetzt ein armer Mann. Als er am 28. Juli 2005 das Handtuch warf, stieg der Börsenwert seines Konzerns innerhalb eines Tages um 3,7 Milliarden Euro. So viel plus die Zinsen, hatte die Börse erwartet, würde er seinen Konzern noch kosten, wenn er im Amt bliebe. Was er den Konzern schon vorher gekostet hat, geht daraus nicht hervor. Über ausgelassene Kurssteigerungen bei anderer Konzernpolitik kann man nur spekulieren. –

Und die Moral von der Geschicht? Wer beabsichtigt, den Staat oder die Unternehmungen ungestraft um Milliardenbeträge zu schädigen, sollte keinen Bankraub begehen, sondern Vorstandsvorsitzender einer AG oder Politiker werden. Unternehmer dagegen nicht, denn da haftet er! ‚Managerhaftung’ oder ‚politische Haftung’ dürften dagegen nur in Anführungszeichen geschrieben werden, denn ‚anführen’ will man damit das blöde Volk.

Ein Unternehmer hätte dies als persönlichen Verlust zu tragen, Schrempp hat dagegen für seine Fehler, so viel Geld bekommen, dass er unterm Strich sehr viel reicher geworden ist. Das ärgert viele und Neschle kann sie gut verstehen. Doch nicht in einem Punkt:

Viele schreiben diesen Mangel der Marktwirtschaft zu. Zu Unrecht! Für die unverschämten Gehälter der Vorstände, vor allem aber für deren mangelnde Erfolgsabhängigkeit, schreibt nicht die Marktwirtschaft verantwortlich, sondern die Aushebelung ihrer Wirkungsmechanismen. Die Marktwirtschaft lebt seit Jahren damit, dass sie für diese Mängel verantwortlich gemacht wird. Sie hat das geduldig ertragen und sogar überlebt. Das ist Stärke, nicht Schwäche!

Schrempp war kein Unternehmer. Er war Manager, der mit dem Geld anderer arbeitete. So wie Münteferings ‚Heuschrecken’, nur anders. Manche ‚Heuschrecken’ machen kranke Unternehmungen gesund, um sie zu verkaufen. Manager wie Schrempp machen gesunde krank, so dass ‚Heuschrecken’ etwas haben, das sie kaufen und gesund machen können. Das nennt sich moderner Wirtschaftskreislauf.

Einer der bedeutendsten Kreisläufer war der Jürgen. Er hatte einen Freund, den Hilmar. Kopper hieß der. Im Aufsichtsrat (dem von Jürgen und Hilmar) war der Hilmar Chef. Aktionäre klagten da schon lange (an)[2]: „Der Laden stinkt vom Kopp her und den Jürgen könnt ich würgen!“ –

Daimler brauchte vermeintlich an seinen Autos nicht mehr viel zu tun. Vor allem die E-Klasse war eh klasse. Dachten die! Aber das gilt heute selbst für Taxifahrer nicht mehr. Die mögen Daimler immer weniger. Und Kulanz bei Daimler? Bis vor einiger Zeit Fehlanzeige! Ein Daimler geht ja nicht kaputt. War früher auch so! Aber heute? Ja, wenn der Bonze Daimler die Nutte Chrysler heiratet: Wie sollen da die Kinder ungeschoren bleiben?

B. Friedhofsgärtnerprinzip: Wer mehr unter sich hat, verdient mehr.

Deutsche Unternehmungen und der deutsche Fiskus halten es für normal, dass Manager großer Unternehmungen mehr verdienen als die kleiner. Sie haben die größere Verantwortung. Das ist dasselbe Prinzip wie in der öffentlichen Verwaltung, wo die Leiter größerer Dienststellen in höhere Besoldungsgruppen einsortiert sind als die kleinerer. So kommt es, dass ein Manager einer Großunternehmung trotz Gewinnver- oder Verlusterwirtschaftung mit einem Millionengehalt nach Hause geht, während wesentlich niedrigere Beträge bei einer hochprofitablen GmbH als unangemessenes Gehalt angesehen werden, um sie dann nachträglich dem Gewinn zuzurechnen und Gewerbe- und Körperschaftsteuer zu unterwerfen.

Machen wir ein kleines, aber feines Beispiel mit realem Hintergrund: Ein fesches Garagentrio hatte das Leben im Untergrund satt und beschloss, zur Verwertung einer Computerspielidee mit 25.000 Euro eine GmbH zu gründen. Ein Büro wurde gemietet, eine Sekretärin halbtags eingestellt. Alle drei wurden Geschäftsführer, also gab es nur Häuptlinge und keine Indianer. Sie genehmigten sich nur ein bescheidenes Gehalt von 20.000 Euro pro Jahr. Der Gesamtaufwand lag noch unter einer Million. Das Spiel wurde so erfolgreich, dass die kleine Häuptlingsschar am Jahresende auf sieben Millionen Euro Gewinn schauen durfte. Bei dieser Sachlage stockte sie das Geschäftsführergehalt auf zwei Millionen Euro pro Jahr auf, so dass der GmbH ein Gewinn von einer Million Euro verblieb.

Nun kam die Sache vor einen neunmal schlauen Steuerbeamten, der das deshalb geworden ist, weil er wirtschaftliche Sachverhalte nicht versteht und dann auch nicht besser verstehen lernt, weil ihn seine steuer- und verwaltungsjuristische Vor- und Verbildung daran hindert. Für den war die Sache klar: Zwei Millionen für jeden Geschäftsführer einer Dreieinhalb-Mann-GmbH mit nicht acht Millionen Umsatz: das ergibt ein Gehalt, wie es unangemessener nicht sein kann. Ein Gehalt von zwei Millionen hätte er abgehakt, wäre es dem Manager einer großen DAX-Unternehmung zugesprochen worden, selbst wenn die Verlust machte. Das kennt er ja von seiner Behörde, je größer die ist, umso mehr verdient der Leiter unabhängig davon, welche Leistung sie und er erbringen. Das ökonomische Prinzip sagt freilich genau das Gegenteil: Wer mit geringen Mitteln große Leistungen erbringt, der entspricht ihm. Nicht aber derjenige, der einen Berg kreisen lässt für die Geburt eines Mäusleins.

Würde man aber in Deutschland eine Umfrage starten, teilen vermutlich die meisten die Gedanken des Steuerbeamten. (Was merkwürdigerweise auch bedeutet, sie wären „nicht geteilter Meinung“). Doch betrachten wir die Sache ökonomisch nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip, so wäre das präzise falsch.

Schauen wir nun auf den Manager eines Daxes. Der hat zwei Millionen kassiert, obwohl er lausig gewirtschaftet hat. Wäre er Unternehmer, er hätte den Verlust zu tragen. Jetzt tragen ihn geschremppte Aktionäre.

Die drei GmbH-Gesellschafter haben dagegen aus dem Nichts riesige Marktwerte geschaffen. Für diese Leistung wird ihnen die Anerkennung versagt, ihr Gehalt als unangemessen hingestellt. Nach ellenlangen Diskussionen lässt sich der Steuerbeamte auf Fünfhunderttausend für jeden ein. Viereinhalbmillionen werden zurücküberwiesen auf das GmbH-Konto und erhöhen deren Gewinn auf 5,5 Millionen.

Die elementare ökonomische Weisheit sagt nun aber, dass ein Faktorentgelt für einen Produktionsfaktor geleistet wird. Neben dem Geschäftsführergehalt für Arbeit und der Miete für Boden bleibt da nur der Gewinn als „Verzinsung“ des Eigenkapitals. Das hat sich nach der Korrektur verzweihundertzwanzigfacht. Dies entspricht einer Jahres-Rendite von einundzwanzigtausendneunhundert Prozent. Schon bei einer Million nach Abzug der ursprünglichen Geschäftsführergehälter von 6 Millionen wären es dreitausendneunhundert Prozent gewesen. Heraus käme schon so eine ‚unangemessene Verzinsung’.

Sehen wir es von der Seite der Kapitalverzinsung, wäre die Verzinsung von dreihundert Prozent außergewöhnlich hoch. Um „nur“ darauf zu kommen, müssten die Gehälter der Geschäftsführer sogar aufgestockt (!) werden auf jeweils Zweimilliondreihunderttausend. Der Finanzbeamte hat sie aber gekürzt! Weil die Unternehmung so klein ist, hat sie jetzt eine exorbitante Kapitalverzinsung: in Zahlen 21.900 Prozent. Das bekommt die Theorie aber nicht einmal beim stärksten Risikozuschlag hin. Außer vielleicht bei dem Risiko, einer solchen Steuerverwaltung zu unterliegen.

Wer hat jetzt so viel verdient, die Arbeit oder das Gewusst-Wo und Gewusst-Wie des Kapitaleinsatzes. Haben die Geschäftsführer ihr Wissen aus der Garagenzeit in diese Gesellschaft eingebracht, liegt die Antwort auf der Hand: Natürlich hat unser Schlauberger als Geschäftführer und Träger des Hirns diese Leistung erbracht, nicht der Gesellschafter als Kapitalgeber, der er ja in Personalunion auch ist.

Unser Staat aber schert sich einen Dreck um derartige ökonomische Überlegungen und beurteilt die Angemessenheit von Gehältern in der Hauptsache nach der Größe der Unternehmung. Es regiert das Friedhofsgärtnerprinzip: Wer mehr Leute unter sich hat, verdient mehr. Wer aber nach dem Friedhofsgärtnerprinzip bezahlt, sollte sich dann aber auch nicht wundern, wenn den Führenden keiner mehr zuhört!

Der Markt gibt freilich ein entsprechendes Signal, indem er bei großen Unternehmungen höhere Gehälter bietet. Vermeintlich fähigere Manager sind nur durch ein höheres Gehalt anzulocken. Das Problem ist jedoch: Wegen Unfähigkeit wird dieses Gehalt später nicht gesenkt. Ein Unternehmer würde mit Verlusten gestraft. Konsequente Marktwirtschaftler haben daher die Aktiengesellschaft geschmäht und sich für die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) ausgesprochen, bei der die leitenden Geschäftsführer vollhaftende Komplementäre sind und daher bei Verlust ‚leidende’ Geschäftsführer sind. Diese Marktwirtschaftler haben sich nie durchgesetzt!

So wird der Friedhofsgärtner weiterhin Pate stehen für die Managerentlohnung. Wer mehr Leute unter sich hat, soll auch mehr verdienen! Unabhängig von seiner Leistung. Das ist Verwaltungswirtschaft gewürzt mit ökonomischer Unvernunft! Marktwirtschaft herrscht hier gerade nicht! Das sieht man am deutlichsten darin, dass trotz angeblich 80 prozentiger Erfolgsabhängigkeit bei Misserfolgen die Gehälter der Top-Manager nicht entsprechend sinken und manchmal sogar steigen, etwa bei einer sehr großen deutschen Telefongesellschaft in der neben anderen Verwirrungen auch die Sprachverwirrung ihre Heimat fand.

Das Friedhofsgärtnerprinzip reizt zu Fusionen, auch da, wo sie sich für die Aktionäre nicht lohnen. Das ist – dann nicht mehr überraschend – die Mehrzahl der Fälle. Verbleibende Manager haben sich nie darüber beschwert! Ihr Gehalt steigt und ihre Altersversorgung verbessert sich. Der Rest wird gut abgefunden. Das ist der Grund, warum viele Fusionen überhaupt nur stattfinden und in Konfusionen bei der Hauptversammlung enden.

Apropos enden! Schluss jetzt! Einfach Schluss! Oder doch noch ein Osterei? Ein Zitat von Georg Christoph Lichtenberg, das auch heute noch gilt, macht man nur aus den Talern Euros und hängt ein paar Nullen dran:

„Ich bin aus vielfältiger Erfahrung überzeugt, dass die wichtigsten und schwersten Geschäfte in der Welt, die der Gesellschaft den meisten Vorteil bringen , durch die sie lebt und sich erhält, von Leuten getan werden, die zwischen 300 und 800 oder 1000 Taler Besoldung genießen. Zu den meisten Stellen, mit denen 20, 30, 50, 100 Taler oder 2000, 3000, 4000, 5000 Taler verbunden sind, könnte man nach halbjährigem Unterricht jeden Gassenjungen tüchtig machen, und sollte der Versuch nicht gelingen, so suche man die Schuld nicht im Mangel an Kenntnissen, sondern in der Ungeschicklichkeit, diesen Mangel mit dem gehörigen Gesicht zu verbergen.“

Verluste man sehr gut verkraftet,

wenn man als Manager nicht haftet.

Besonders Daxe soll’n sich lohnen,

denn trotz Verlust gibt’s da Millionen.

Doch Unternehmer (Aktionär oh) wehe Dir!

Du armes Schwein, du haftest hier.

(Kleine Fortsetzung:)

Des Friedhofsgärtners Grundprinzip

ist Top-Managern besonders lieb.

Hab’n sie da viele unter sich,

verdienen sie sich duselig.

Dann sollte es sie auch nicht stören,

wenn ihre Leute sie nicht hören.


[1] Moderne Fassung. Früher war alles noch aus Holz. Auch die Köpfe. Da hieß es Splitter und Balken.

[2] Das meiste in diesem Kapitel hatte Neschle schon vor dem Abschied von Doktor Jürgen Schrempp geschrieben. Daher musste ich einige Teile von der Gegenwart in die Vergangenheit transformieren.

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