Werksverein gegen Vereinswerk
Steigt Hoffenheim ab, werde ich wieder Bayern-Fan. (Ein Anhängsel)
Was heißt „S 04 ein Leben lang“? Auf dem Friedhof geht‘s weiter! (Ein Gläubiger)
Sie hatten sich kürzlich „anne Köppe“: Der Holzhäuser und der Watzke, Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund. Wegen Kießling und Dortmunds Appetit auf ihn, auch wegen eines alten Zwists in der Bundesliga zwischen Werks- und Traditionsvereinen.
Holzhäuser warf dem „ach so traditionsbewussten Dortmunder“ Watzke vor, er wolle seinen „Retortenklub“ durch Abwerbeversuche schwächen. Und extremen Populismus; denn Watzke hatte vor mehr „Werksklubs“ in der Bundesliga gewarnt: Noch drei Mannschaften, die vor nur 25.000 Zuschauern spielen und auswärts mit nur 500 Fans ankommen, würde die Liga nicht verkraften.
A. Von Kunden, Zuschauern, Anhängern, Fans und Gläubigen
Unternehmungen wären begeistert, könnten sie ihre Kunden zu Fans ihrer Produkte machen. Einst warfen Fans des Bundesligisten Borussia Dortmund jedoch den Verantwortlichen ihres Vereins vor, mit der Kommerzialisierung durch den Börsengang wollten sie die Fans des BVB zu Kunden zu machen. Sie befürchteten, die sportlich-emotionale Seite des Vereins werde durch wirtschaftliche Interessen dominiert. Der Verein werde seine Seele verlieren und mit ihr die Leidenschaft seiner Fans. Zum Glück kam es anders: Bloße „Zuschauer“ haben mehrheitlich andere Vereine, einschließlich der Bayern.
Doch damals warnten Borussen-Fans davor, aus dem Traditionsverein Borussia Dortmund würde zwar kein Werksverein, aber ein Wirtschaftsunternehmen, ein „Vereinswerk“, das sich in der Produktion von Unterhaltung für Fußballkunden betätigt. Ein „Vereinswerk Borussia Dortmund“ wäre jedoch nicht so viel anders als ein „Werksverein Bayer Leverkusen“, weil es die gewachsene Bindung zu seinen Fans aufs Spiel setzt, die sich ein Werksverein ohnehin nur mühsam erspielen kann.
Nur wenigen Wirtschaftsunternehmungen gelingt es nämlich, Kunden zu Fans ihrer Leistungen zu machen: Harley Davidson, vielleicht noch Apple. Und selbst wenn die Deutsche Bank mit „Leistung aus Leidenschaft“ wirbt, dürfte sich dieses Gefühl auf die Werbung und die Seite der Bank beschränken. Kunden der Bank werden sich bezüglich der Bankleistungen kaum diese Leidenschaft zuschreiben. Dasselbe gilt bei fast allen Unternehmen. Mit Ausnahme eben der professionellen Sportanbieter!
Professionelle Sportanbieter können zum Teil auf Fans zurückgreifen, deren Einstellung und Verhalten sich von Kunden gewöhnlicher Unternehmungen fundamental unterscheidet. Im professionellen Fußballsport findet sich unverhohlene Leidenschaft, eine extreme Identifikation von Fans mit ihrer Mannschaft quer durch alle Altersgruppen. Das geht weit hinaus über den „interessierten Zuschauer“ und sogar über den „begeisterten Anhänger“
Doch womit identifizieren sich die Fans? – Mit der Vereinsleitung? Mit den Spielern? Oder ist es Identität oder Image, für die Vereinsfarben, Logo und Vereinsgeschichte stehen? Ein Gedankenexperiment bietet Aufklärung:
Man stelle sich vor, alle Spieler und der Vereinsvorstand seines Lieblingsvereins wechselten zum Ligakonkurrenten und umgekehrt. Würde der Fan mit ihnen die Fahne wechseln? – Wohl kaum! Oder deutlicher: Auf keinen Fall!!!
Ein Fan steht zu seinem Verein unabhängig von der personellen Zusammensetzung, zum Verein als Substrat von dessen Geschichte(n), seiner Symbolik, seiner Riten (z.B. Interaktion der Fans mit dem Stadionsprecher), seiner sagenumwobenen Orte, die realistischer Betrachtung meist nicht standhalten (z.B. Schalker Markt, Borsigplatz, Säbener Straße, Glückauf-Kampfbahn, Kampfbahn Rote Erde, Olympia-Stadion). Das hat seine Wohnung eher im Unterbewusstsein des Fans eingerichtet als in seinem Bewusstsein.
Ein Vereinsgläubiger geht sogar weiter. Ihn kann nichts in seiner Treue zum Verein erschüttern. Einen Schalke-Gläubigen kann man daher nicht damit ärgern, dass sein Verein seit 55 Jahren ohne Meistertitel ist. Bei einem Fan mag das noch gelingen, aber bei einem Gläubigen? Der wartet wie andere Gläubige notfalls mehr als 2.000 Jahre und über Generationen auf die Wiederkunft der Meisterschaft, ohne schwankend zu werden in seinem Glauben. Darin ficht ihn der gefühlt immer „zeitweilige“ Misserfolg nicht an. Wie lange es auch dauern mag: Er glaubt, dass sein Verein und er am Ende triumphieren, selbst wenn er es nicht mehr erlebt. Wichtiger noch als die Deutsche Meisterschaft ist dem Schalke-Gläubigen ohnehin der Derby-Sieg über den Liga-Rivalen: Der BVB ist Meister? – Ja und? Was ist das im Vergleich zu uns? Wir haben zweimal das Derby gewonnen.
Zuschauer, bloße Anhänger und Erfolgsfans dürften zumindest bei den Traditionsvereinen in der Minderheit sein. Kein Fußball-Manager glaubt daher, der (sportlichen) Konkurrenz über Erfolg und Leistung Fans abjagen zu können. Mehr als fünfzig Jahre nicht Deutscher Meister ist für einen „Gläubigen der Schalke-Religion“ eben kein Grund, sich den „Lüdenscheidern“ zuzuwenden, auch und gerade wenn und weil die Fans von Borussia Dortmund mit sichtbaren Erfolgen protzen können. Das führt bei Schalke-Gläubigen eher zu einer noch stärkeren Identifikation mit seinem Verein.
Daher kann es im Wettbewerb der Vereine nicht darum gehen, Kunden von anderen Vereinen auf sich zu ziehen, so wie jemand von Mercedes zu BMW oder Audi überwechselt. Die „Kunden eines Traditions-Clubs“ sind eben (meist) Fans oder sogar Gläubige. Eher verliert so ein Fan das Interesse am Fußball, als dass er „Verrat“ an seinem Verein begeht, indem etwa aus einem Schalker ein Dortmunder oder Bayer würde. Im sportlichen Wettbewerb geht es allein darum, Nachwuchsfans zu generieren und die eigenen Fans zu mobilisieren. Das hat Ähnlichkeit mit der Mobilisierung der Anhänger zu einer politischen Wahl. Doch auch politische Anhänger unterscheiden sich von Fans, weil sie im Durchschnitt deutlich leichter ihr Lager wechseln.
Was aber verschafft den Fans eine solche Bindung? Ist es das, was die Wirtschaftsunternehmen mit ihren Kunden in ihrer oder durch ihre Marke repräsentiert sehen: Corporate Identity und Corporate Image? Oder zumindest etwas Ähnliches?
Taucht man bei der Suche nach einer Antwort in die Geschichte der Vereine ein, findet man trotz aller Unterschiede Gemeinsamkeiten am Beginn ihrer Existenz. Dabei unterscheiden sich Traditions-Vereine mit einer „natürlichen Geburt“ (Bayern, Dortmund, Kaiserslautern, Köln, Schalke, St. Pauli) von den „Kaiserschnittgeburten“ der Werkselfs (Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg) und der in Deutschland neueren Erscheinung des „Retortenvereins“ (TSG 1899 Hoffenheim).
B. Die Markenbildung bei den Traditionsvereinen
Bei den bodenständigen Traditionsvereinen wählten die Gründer Farben und Logo zunächst vor allem zur inneren Identifikation der neuen Vereinsmitglieder, also eher für die Corporate Identity als für das Corporate Image. Natürlich wurde das, was zunächst nach innen einte, später auch ein Signal nach außen, das von der sportlichen Konkurrenz abhob. Dieser äußere Aspekt wurde mit steigender Größe und Popularität des Vereins wichtiger und erhielt als Alleinstellungsmerkmal (Unique Selling Proposition) seine heutige ökonomische Dimension im Merchandising.
Vom Bewusstsein, „eine Marke zu führen“, ist man in den Anfängen der Vereinsgeschichte allerdings noch weit entfernt. Exemplarisch dafür ist Dortmunds Namenszusatz „Borussia“, bei dem ein am Borsigplatz ausgeschenktes Bier Pate gestanden haben soll. Man nahm einfach eine Anleihe bei einer Brauerei in der Nähe, ohne jede systematische Markenarbeit.
Bei identitätsbewusster Markenführung hätten sich die Vereinsgründer damals wohl kaum den Namen der protestantischen Preußen auf ihr Banner geheftet, trotz eines Disputs mit ihrer Geistlichkeit, weil die Fußballspiele meist zu Zeiten der sonntäglichen Gottesdienste ausgetragen wurden. Denn die Vereinsgründung des BVB fand 1909 mitten im protestantischen Dortmund in der Enklave einer katholischen Gemeinde statt.
Die „Marke“ eines Traditions-Vereins bildet sich und wächst also zunächst eher „unbewusst“ (das ist natürlich ein wichtiger Unterschied zum Werksverein), wird geprägt durch die Geschichte von Erfolgen und Misserfolgen und die Geschichten um „unerhörte“ Ereignisse, die sich mit den Vereinsfarben und dem Vereinslogo verbinden und die durch diese Symbole repräsentiert werden (siehe etwa das Jubiläumsbuch: 100 Schalker Jahre – 100 Schalker Geschichten).
Dazu gehört auch, dass man mit anderen Vereinen aus der Region fusioniert hat, dass man sein Logo oder die Vereinsfarbe geändert oder sogar gewechselt hat (Bayern München z.B. von blau-weiß zu rot-weiß, Schalke 04 von rot-gelb zu blau-weiß, Borussia Dortmund trug im ersten regulären Spiel ein blau-weißes Hemd mit schwarzer Hose und roter Schärpe) oder dass man „peinliche“ Episoden aus seiner Vereinsgeschichte eher verschweigt (Bayern München z.B. die maßgebliche Gründung durch Nicht-Bayern, Schalke 04 den Bestechungsskandal in der Bundesliga).
Für die Fans von Fußballvereinen gilt dabei etwas anderes als für die Kunden von Unternehmungen: Das Image des FC Bayern wandelt sich extrem je nach Betrachter. Es ist für seine eigenen Fans ein anderes als z.B. für Fans des FC Schalke 04. Was für den Bayern-Fan „selbstbewusst“ oder „Erfolg“ ist, ist für den Schalker „überheblich“ oder „Bayern-Dusel“. Es gibt nicht das Markenimage eines FC Bayern oder eines anderen Vereins, sondern je nach Betrachter zum Teil völlig unterschiedliche Images.
Auch „Unfälle“ der Vereinsgeschichte prägen das Image eines Vereins, mit deutlich höherer Bedeutung für Außenstehende als für die Fans und Vereinsmitglieder. Diese „Unfälle“ werden von der Ligakonkurrenz zuweilen sogar genüsslich ausgegraben. Die Wahrnehmung der Fans ist dabei selektiv. Sie meidet kognitive Dissonanzen und unterscheidet sich beträchtlich von der Wahrnehmung der Fans anderer Vereine. Das hat Einfluss auf die Erscheinungsbilder der Marke, von der Vereinsgründung bis zum Verschwinden mancher Marken in die ökonomische Bedeutungslosigkeit (z.B. Waldhof Mannheim, Wormatia Worms, Bayer Uerdingen oder Schwarz-Weiß Essen).
Was häufig verkannt wird: Die Vereinsmarken der Traditionsvereine sind nicht durch die Vereinsleitung erschaffen. Am Erscheinungsbild der Marke haben die Fans von Anfang an mitgewirkt. Ein wichtiger Unterschied zu einer „normalen“ Unternehmung: Dieses Image war den echten Fans immer schon viel zu wichtig, um es allein dem Vereinsvorstand zu überlassen. So realisieren Schalke-Fans derzeit die Idee eines Fanfriedhofs, der nicht ohne Auswirkung auf das Identität der Marke sein wird, nicht nur „ein Leben lang S04“, sondern „Schalker über den Tod hinaus[1]. Die Fans des 1. FC Köln verbinden mit ihrem Verein eine besondere „Liebe zur Stadt Köln“, wie man das in dieser Form bei keinem anderen Verein findet. Gesteuert durch den Vorstand? Wohl kaum! Dessen Einfluss auf die Marke dürfte deutlich geringer sein als bei einer „normalen“ Unternehmung. Es wäre daher ein tiefes Missverständnis, die Fans dabei zu ignorieren oder deren Willen, sich aktiv einzubringen, nicht zu nutzen.
In der gewachsenen Identifikation der Fans mit ihrem Verein unterscheiden sich die Traditionsvereine von den Werksklubs und dem Retortenverein Hoffenheim. Diese Identifikation zeigt sich vor allem in Zeiten der sportlichen (und finanziellen) Krise, in der sich die Fans von Schalke und Nürnberg sogar gegenseitig gestützt haben. Die spezielle Fanfreundschaft zwischen Schalke und Nürnberg hat sicher auch damit zu tun, dass ihre Fans alle(!) anderen Clubs für weniger traditionsreich halten, sozusagen für „neureiche Angeber“. Das schließt Bayern München, Borussia Dortmund, Werder Bremen und sogar den HSV ein. Doch während für Schalke-Fans Bestechlichkeit nicht zur Tradition ihres Vereins gehört, tut sie das wohl für Fans anderer Mannschaften. Die Tradition eines Vereins hat daher nicht generell, sondern eigentlich nur für die eigenen Fans einen positiven Einfluss auf sein Image.
C. Sportlicher Erfolg oder wirtschaftlicher Erfolg: Die Priorität
Profi-Sportvereine sind Unternehmungen, die das marxistische Weltbild auf den Kopf stellen. Hier beutet nicht das Kapital die Arbeit aus, sondern die Arbeit das Kapital. Die Spieler als Wanderarbeiter und Söldner des Fußballs haben es unter tätiger Mithilfe ihrer Berater geschafft, einige Vereine in den Ruin zu treiben und viele auf der Suche nach sportlichem Erfolg an dessen Rand. Denn ob man will oder nicht, Geld schießt doch Tore, wie die Erfahrung und wissenschaftliche Untersuchungen lehren, selbst man Ausnahmen diese Regel manchmal „bestätigen“.
Manche Fans sehen jedoch einen Konflikt zwischen wirtschaftlichem und sportlichem Erfolg. Was aber soll man als Konflikt verstehen, wenn der sportliche Erfolg den wirtschaftlichen zur Folge hat? Auch dass man in sportlichen Erfolg investieren und dabei ein wirtschaftliches Tal durchlaufen muss, taugt kaum als Konfliktursache. Hier geht es um weniger wirtschaftlichen Erfolg heute für mehr sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg morgen. Das ist nur das Problem jeder Investition wo auch immer. –
Als der FC Schalke 04 sein „neues Leitbild“ suchte, stellte ein Vorentwurf den wirtschaftlichen Erfolg noch vor den sportlichen Erfolg. Heute heißt es dagegen im Leitbild: „Unser gemeinschaftliches Ziel ist der sportliche Erfolg.Auch dafür darf aber niemand die Existenz unseres Vereinsgefährden oder die in diesem Leitbild formulierten Werteverletzen“.
Da hat das Schalker Vereinsmanagement gerade noch mal die Kurve gekriegt. Denn es ist ein fundamentaler Fehler den wirtschaftlichen Erfolg vor den sportlichen zu stellen. Der wirtschaftliche Erfolg ist Nebenbedingung und Folgephänomen des sportlichen Erfolgs. Boris Becker hätte wohl nie so viel Geld verdient, wenn er das von Anfang an im Sinn gehabt hätte. Er wollte der beste Tennisspieler der Welt sein und sein wirtschaftlicher Erfolg hat sich genau deshalb nachhaltig eingestellt, weil er dieses sportliche Ziel erreicht hat. Wer daher der reichste Fußballverein der Welt sein will, scheitert dagegen auf Dauer wirtschaftlich wie sportlich.
Hier unterscheidet sich der Profi-Sport im Übrigen kaum von der Wirtschaft. Solange Nokia die „geilsten Handys der Welt“ bauen wollte, war das Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich. Als Nokia anfing, dieses Ziel aus den Augen zu verlieren und auch aus diesem Grund sein Werk in Bochum zu schließen, begann der wirtschaftliche Abstieg. Heute läuft Nokia den geilsten Handys der Welt hinterher.
Fußballostern
Ob Schalke, Dortmund oder Bayern,
Ostern feiert man mit Eiern,
die man in Gegners Nest gelegt
als man ihn vom Platz gefegt.
Man findet nun zum Osterfest
auch and‘re Eier in dem Nest,
die sehen aus auf alle Fälle
so ähnlich wie die Rugby-Bälle.
Am Ende sind die nicht dasselbe,
denn Rugby-Bällen fehlt das Gelbe,
das bringt die wahre Osterwonne
und wärmt das Herz wie Ostersonne.
Denn fühlt man Kälte wie in Frostern,
dann feiert niemand gerne Ostern.
Mit heißen Hasen auf den Eiern,
mag jedermann (jeder Mann?) auch Ostern feiern.***
*** Eindeutig zweideutiger Inhalt! Brüderle, ist das sexistisch!!!
[1] Vgl. dazu http://www.derwesten.de/region/rhein_ruhr/gelsenkirchener-fan-friedhof-fuer-schalker-wird-aussehen-wie-ein-stadion-id6923640.html
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