Verantwortungslos und ohne Haftung
You can’t escape the responsibility of tomorrow by evading it today. (Abraham Lincoln)
„This is a story about four people: Everybody, Somebody, Anybody and Nobody. There was an important job to be done and Everybody was asked to do it. Everybody was shure that Somebody would do it. Anybody could have done it, but Nobody did it. Somebody was angry about that because it was Everybody’s job. Everybody thought Anybody could do it, but Nobody realized that Everybody wouldn’t do it. It ended up that Everybody blamed Somebody when actually Nobody asked Anybody.”
So sieht es bei Josef Wandeler mit der Verantwortungsdiffusion aus, bevor eine Aufgabe übernommen wird. Doch wie sieht es danach aus? Wer trägt dann die Verantwortung? Wer haftet? Immer mehr Leute beeinflussen eine Entscheidung, ohne für diese Entscheidung und die Folgen ihres Tuns die Verantwortung zu tragen und dafür persönlich zu haften. Jeder will mitwirken, keiner die Folgen tragen.
A. Entscheidungsbefugnis, Verantwortung und Haftung
Die Väter der sozialen Marktwirtschaft Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard mochten die Aktiengesellschaft nicht. Zwar erkannten sie, dass große Unternehmungen ohne die „beschränkte Haftung“ nicht finanzierbar sind. Doch wollten sie zumindest die Unternehmensleitung zusätzlich in die Pflicht nehmen: „Wer entscheiden will, der soll auch persönlich haften!“ Das war ihr Plädoyer.
Wer entscheiden darf, ohne dafür zu haften, wird schnell verantwortungslos. Er verliert die Bodenhaftung und kann seine Verantwortung auf andere abschieben. Weil das fast alle so machen, verteilt sich die Rest-„Verantwortung“ irgendwo im Orkus des Verwaltungs-Apparates. Man kann sie an niemand mehr persönlich festmachen. Sie haftet an keinem mehr, weil keiner mehr haftet.
Müller-Armack plädierte für die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), bei der die Unternehmensleitung noch persönlich haftet. Aus seiner Sicht sollte keine Rechtsform ohne eine persönlich haftende Unternehmensleitung sein. Die persönliche Haftung mit dem Privatvermögen war sogar die einzige Form, die ihm überhaupt das Etikett „Haftung“ wert war. Eine auf den Kapitaleinsatz „beschränkte Haftung“: Das war für ihn so etwas wie ein Freibrief für ein „Lotto für Reiche“, ohne echte persönliche Verantwortung, ein reines Spiel mit Gewinnaussichten bei beliebig eingeschränkter Verlustmöglichkeit. Verantwortungsvolles Wirtschaften hielt er auf diese Weise nicht für möglich.
Unternehmerische Verantwortung und persönliche Haftung waren für die Gründerväter der Sozialen Marktwirtschaft untrennbar miteinander verbunden. Heute erleben wir das Gegenteil: Entscheidungsbefugnis, Verantwortung und Haftung werden immer stärker voneinander getrennt. Das hat schon in der Staatswirtschaft gravierende Folgen für das Handeln der von persönlicher Haftung faktisch freigestellten Staatsdiener. In der Wirtschaft werden Top-Manager wie Schrempp trotz auffälliger Schadensverursachung mit goldenem Handschlag verabschiedet und übernehmen keinerlei persönliche Haftung für ihre Fehlentscheidungen. Ganz anders als der Unternehmer, mit dem solche Top-Manager oft zu Unrecht identifiziert werden.
Einst hat die Abkehr vom Grundsatz „Noblesse oblige“ („Adel verpflichtet“)[1] das Ende der Adelsherrschaft beschleunigt. Solange sich die Privilegien des Adels mit selbst auferlegter Verantwortung verbanden, erhielt sich die Adelsherrschaft in den Augen der meisten Menschen damals noch ihre moralische Legitimität. Als die meisten Adeligen nur noch ihre Privilegien sahen, war es damit vorbei.
Haben wir heute ein vergleichbares Problem in der Sozialen Marktwirtschaft? Die jüngsten Gehaltsentwicklungen in Deutschland und die fehlende persönliche Haftung des Top-Managements für kapitale Fehler lassen das vermuten. Die Vorstände von IKB und West LB werden persönlich beinahe ungeschoren davonkommen. Für das Versenken von Steuer-Milliarden. Wehe aber dem, der nur 10.000 Euro an Steuern nicht abführt. Der wird zur persönlichen Verantwortung gezogen. Dem droht sogar Freiheitsentzug! Welch ein Wahnsinn!
B. Unternehmer und Manager: Welch ein Unterschied!
Der teuerste Dax-Manager Deutschlands, Herr Ackermann von der Deutschen Bank, ruft in der gegenwärtigen Finanzkrise nach der (Bei-)Hilfe des Staates, so als könne der die Banken-Krankheit heilen. Obwohl man ansonsten in Bankenkreisen eher dezent miteinander umgeht, hat er damit zahlreiche Kritiker gegen sich aufgebracht, einschließlich des Bundesbankpräsidenten Axel Weber.
Verantwortung zu tragen und für die Folgen des Handelns persönlich einzustehen, das ist offenbar nicht die Sache von Herrn Ackermann. Und das ist wohl auch nicht (mehr) die Philosophie der Deutschen Bank. Denn trotz solcher und anderer Entgleisungen („Victory“) und massiver eigener Verwicklung in die Subprime-Krise führt Herr Ackermann nicht nur die Deutsche Bank, sondern auch immer noch die Gehaltsliste deutscher Manager an, mit gut 14 Millionen Euro und einer Erhöhung von mehr als 5 Prozent im letzten Jahr. Wofür, fragt sich der gebeutelte Staatsbürger da.
Nach einer Fülle verchryslerter und verkorkster Entscheidungen geht Herr Schrempp vom Bord bei Daimler. Die Börse atmet auf, macht einen Luftsprung. Der Irr-Lotse geht von Bord, nimmt seine Aktien mit und die machen natürlich ebenfalls den Sprung nach oben mit, der durch seinen Weggang verursacht wurde. Er selbst profitiert von seinem Weggang von Kurssteigerungen nach seinem Weggang infolge seines Weggangs, der durch seine Fehlentscheidungen provoziert wurde. Wenn das die Logik dieses Entlohnungssystems ist, dann sollte dieses System auf den Prüfstand.
Wie anders ergeht es da nämlich dem Unternehmer im deutschen Mittelstand. Wenn der sich dermaßen verkalkuliert, muss er nicht nur seinen Hut nehmen, sondern auch seine Firma verkaufen. Mit allen ihren Mängeln, die er ihr zugefügt hat oder die ihr unter seiner Leitung und Verantwortung zugefügt wurden. Er ist gezwungen, seine Unternehmung zu einem entsprechend niedrigeren Preis zu verkaufen. Er zahlt damit für seine Fehler. Und er verdient nicht (mehr) an den Vorteilen des neuen Managements. Damit steht er, anders als der gemeine Vorstand deutscher Aktiengesellschaften, finanziell und persönlich für seine Fehlentscheidungen ein. Trägt die Verantwortung dafür, weil er persönlich dafür haftet.
Herrn Schrempp hat dagegen niemand gezwungen, seine Aktien vor seinem Weggang zu verkaufen. Dann hätte er nämlich nicht von Wertsteigerungen durch seinen Weggang profitieren können. Wäre er wenigstens von sich überzeugt, hätte er das allerdings freiwillig getan, weil er Kurssenkungen erwartet hätte, nachdem er als großer Zampano von Bord gegangen wäre. Hat er das aber nicht getan, war ihm seine Rolle als Schadensverursacher vermutlich bewusst und er hat gezielt davon profitiert.
Müller-Armack hielt diese fehlende persönliche Haftung der Vorstände von Aktiengesellschaften für einen grundlegenden Konstruktionsfehler dieser Rechtsform. Das passte aus seiner Sicht nicht zu den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft.
Wir sollten darüber nachdenken, ob er nicht Recht hat. Man wird kaum Verständnis erwarten dürfen, wenn der verantwortliche Entscheidungsträger letztlich weniger haftet als betroffene Arbeitnehmer und Anteilseigner. Die Moral der Flotte ginge baden, wenn der Kapitän bei einer Havarie unbeschadet von Bord ginge und der Schaden allein bei Besatzung und Reederei bliebe.
C. Die mangelnde Haftung der Staatsdiener
Einen Beamten oder einen Politiker in die Haftung zu nehmen, ist wie einen Fisch mit den Händen fangen. Immer wieder gleitet er einem durch die Finger. Seine persönliche Verantwortung verliert sich im Staats-Apparat. Das gilt vor allem für Polizei, Steuerverwaltung und Staatsanwaltschaft, also überall dort, wo der Staat disziplinierend Gewalt ausübt. Hier schützt der Staat seine Diener stärker als unberechtigt betroffene Bürger. Wenn es da mal den Falschen erwischt, haftet beim Staat niemand persönlich für den Kollateralschaden, ja der Staat weist meist sogar die Kollektivhaftung von sich (Vgl. etwa Neschledepeschle 16, Kap.2). Dann heißt es lapidar: „Wir machen doch nur unsere Arbeit“. Aber wie denn? Wie?
Der Staats-Apparat produziert aus sich selbst heraus Jobs, in denen zwar kräftig mitentschieden werden darf, in denen aber keinerlei echte Verantwortung getragen wird. Das gilt – so leid sich Neschle dabei selber tut – auch für den Job der Frauenbeauftragten.
Die Entscheidung des Vorgesetzten kann durch sie beeinflusst, erschwert und verzögert werden, wenn es um die Einstellung männlicher Kandidaten geht. Um das zu vermeiden, verzichten einige Vorgesetzte auf die Einstellung von Männern selbst dann, wenn diese im Leistungsvorteil sind. Bestehen sie nämlich auf deren Einstellung, verzögert sich die Prozedur und sie geraten unter internen Druck, weil die Arbeit in ihrer Dienststelle liegen bleibt und weil sie sich mit einem Amt anlegen, dass höchste politische Unterstützung geniest. Wegen der hohen Transaktionskosten bei der Einstellung von Männern führt die Funktion der Frauenbeauftragten im Öffentlichen Dienst längst dazu, dass Frauen bevorzugt werden, manchmal auch bei schlechteren Leistungsvoraussetzungen.
Doch der Dienstvorgesetzte und nicht die Frauenbeauftragte muss jahrelang mit der Personalentscheidung leben und dafür Verantwortung tragen, die er gar nicht souverän treffen konnte. Kein Wunder, dass auch er diese Verantwortung mit einem gewissen Recht abwälzen will und kann, falls sich die Entscheidung als falsch erweist.
Wenn immer mehr Leute bei allen möglichen Entscheidungen mitreden, ohne die Folgen dafür zu tragen, werden diese Entscheidungen immer verantwortungsloser. Auf diese Weise setzt sich ein „Recht“ durch, Verantwortung und Haftung für Entscheidungen auf den anonymen Apparat abwälzen zu dürfen.
Man muss sich halt entscheiden: Wer im Vorhinein alle Entscheidungen beeinflussen will, kann im Nachhinein keine klare persönliche Verantwortung des „Entscheidungsträgers“ mehr einfordern. Denn dieser ist dann ja gar kein Entscheidungsträger mehr, sondern er fällt unverantwortlich träge Entscheidungen. Eine demokratische Kontrolle ex post bei echter persönlicher Verantwortung und Haftung dürfte vielfach effizienter sein als die Erzeugung von Unverantwortungsbrei durch ex ante Mitspracheregelungen. Es ist also nicht ganz ohne Bedeutung, wo man mit der demokratischen Kontrolle ansetzt. Allerdings wird diese Frage viel zu wenig diskutiert. Für die meisten scheint es ausgemacht, dass der ex ante Mit-Entscheidung immer der Vorrang gebührt. Damit aber beschreiten wir den Weg hinaus aus der persönlichen Verantwortung und Haftung, hinein in die Verantwortungsdiffusion und die persönliche Verantwortungslosigkeit.
Die Kontrolle der Unternehmungen durch den Markt ist eine solche ex post-Kontrolle. Sie wird jedoch durch die Antizipation in der Planung zur ex ante-Kontrolle, verstärkt durch die persönliche Haftung.
D. Der haftungslose Be-Rater bei haltlosen Be-Ratings
Die weltweite Krise des Banken-Systems kennt eine weitere Ursache, die mit mangelnder Verantwortung und Haftung zu tun hat: Die „internationalen“ US-amerikanischen Rating-Agenturen haben sich massig „ver-ratet“. Sie haben das Risiko der US-Immobilienfinanzierung massiv unterschätzt. Das kostet sie erhebliche Reputationsverluste, aber direkte Haftung für ihre schweren Fehlurteile übernehmen sie nicht. Das haben „Rater“ und Be-Rater gemeinsam. –
Einige Zeit nach der Wende beklagte sich ein ostdeutscher Möbelhändler per Postwurfsendung bei Haushalten in Halle (Saale), er sei „aufgrund falscher westlicher Beratungen“ gezwungen, sein Möbelhaus zu schließen. Damit sollte die unternehmerische Verantwortung auf den „westlichen“ Berater verschoben werden. Aber der will die Verantwortung ebenso wenig haben wie die Haftung. Das aber macht Beratung für den beratenen Unternehmer zu einem „gefährlichen“ Geschäft, wenn er seine eigene unternehmerische Verantwortung nicht begreift. Nach der Wende hat es da bei einigen Neu-Unternehmern ein wenig gedauert.
Leute gibt’s, die richten Schaden
an und geh’n nie baden.
Was immer Schlimmes sie auch schafften,
sie profitier’n anstatt zu haften.
Und sie kassieren ohne Schonung
selbst bei Desastern ’ne Belohnung.
Weil alle fleißig mitentscheiden,
könn’n sie die Haftung stets vermeiden.
Die Verantwortung die sind sie los
und die Leute sagen bloß:
Ja, das kann man nicht vermeiden,
wenn wir alle mitentscheiden.
[1] So war es selbstverständlich, dass gerade der Adel seinen Nachwuchs an die gefährlichsten Stellen einer Schlacht beorderte. Das merkt man heute noch bei der Bundeswehr. Da sind die (Panzer-) Aufklärer noch fest in der Hand adeliger Offiziere. Ihre Aufgabe ist es, sogar hinter den feindlichen Linien Aufklärung zu betreiben. Mehr Voraus-Trupp kann kein Voraus-Trupp sein. Gefährlicher für das eigene Leben ist kaum eine andere Mission. Hier hat der Adel die Opfer für seine Privilegien gebracht. Und solange das für einen Großteil seiner Mitglieder galt, konnte er seine Herrschaft auch sichern.
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