Leon Neschle 34 (7. Woche 2008)

Eine kleine Philosophie der Haus-, Seminar-, Fach-, (Fall)Studien-, Bachelor-, Master-, Diplom- und Doktorarbeit

The problem is all inside your head she said to me, the answer is easy if you take it logically (Paul Simon)

Jährlich wandern etliche Haus-, Seminar-, Bachelor-, Master-, Diplom- und Doktorarbeiten über den Schreibtisch von Neschles Alter Ego. Dazu jede Menge Fallstudien, „Case Studies“ wie die Wichtigtuer der Jetztzeit sagen. Über die Jahre hat sich bei ihm daher neben Lachen von Weinen und zwischen Lachen und Weinen darüber ein umfassendes Wissen angesammelt. Nicht nur über die darin abgehandelten Inhalte, sondern auch über die Themenwahl, stilistische Fragen und darüber, was die „Philosophie“ solcher Arbeiten ist.

A. Die filigrane „Philosophie“ der Themenwahl

Bekommt man sein Thema vorgegeben, scheint dieses Kapitel ohne Bedeutung. – Ist es aber nicht! Es kann wichtig sein zu wissen, was der Vorgebende (zumal wenn er der Beurteiler ist!) mit dem Thema beabsichtigt, was ihn also bei seiner Themenwahl getrieben hat. Das bestimmt seine Erwartungen an und in die Arbeit. Enttäuschte Erwartungen enden aber in schlechten Beurteilungen (Wie war ich Schatz?!).

Also: Auch hier ist die Frage nach der Themenwahl und ihrer Begründung wichtig! Da muss man sich den Kopf des Dozenten machen! Nachfragen, wenn man glaubt, das nicht zu schaffen! Welcher Student kann sich schon in das jahrelang angekränkelte Gehirn eines Professors versetzen? Manchmal kann der das nicht mal selber, weswegen zwei Professoren auch mindestens drei Meinungen haben.

Kann der Student sein Thema selbst wählen, ist dieses Kapitel allerdings ungleich wichtiger. Dabei gibt es zwei Grundansätze:

  1. Auswahl nach vorhandenem Potential unter der Prämisse, dass eines da ist, ein Potenzial, oder dass man jemanden findet, der eines hat. Ziel: Schwierigkeiten oder Fehler vermeiden.
  2. Auswahl nach angestrebtem Potential, was immer geht, selbst wenn man noch keines hat, ein Potenzial, aber was eben das Streben voraussetzt. Ziel: Herausforderungen suchen, Mängel in Kauf nehmen.

Folgt ein Kandidat dem Verhaltensmuster 1, „(Current) Resource Based View“, stützt er seine Arbeit schon auf vorhandene (Kern-)Kompetenzen bei sich oder anderen. Er betrachtet die Arbeit nicht als Herausforderung (,) an sich selbst (,) durch die Auseinandersetzung mit der Thematik neue Kompetenzen zu entwickeln.

Im Extremfall läuft das auf das Abkupfern fremder Quellen hinaus. Dadurch wird diese ressourcenbasierte „Sicherheitsstrategie“ allerdings zum Vabanquespiel. Stellt der Prüfer den Ideenklau fest, zwingt ihn das zum Urteil „mangelhaft“. Bei nachträglicher Feststellung wird selbst bei einem „sehr gut“ der schon „verliehene“ Titel wieder entzogen, von weitergehenden Maßnahmen ganz abgesehen.

Nicht geächtet – doch kaum geachtet – ist dagegen folgendes Vorgehen: Man wählt ein Problem, über das es aktuell ein umfangreiche Diskussion in einem wissenschaftlichen Themenheft gibt, bei dem vielleicht sogar „Stimmen aus der Praxis“ ergänzt sind. Dadurch hat man eine solide Grundlage für seine Arbeit. Wenn man auf dem Gebiet schon eine solide Vorkenntnis hat, lässt sich gut und sicher darauf bauen. Ambitiös und bumforzinös („toll“ für Nicht-Ruhrgebietler) ist diese Themenwahl nicht. Dazu ist sie zu stark rückwärts orientiert an dem, was bereits da ist. Der engagierte Blick in die Glaskugel der eigenen glorreichen Zukunft fehlt. –

Die konträre Philosophie bei der Themenwahl begreift die Arbeit als Maßnahme der eigenen Qualifizierung mit Blick auf eine angestrebte Fähigkeit. Die Arbeit wird nicht in die bestehende Welt gedrückt, sondern man lässt sich von und mit seiner Arbeit in eine neue Zukunfts-Welt ziehen, betritt Neuland, wie es in den üblichen Gutachterfloskeln heißt. Welches Land das ist, hängt davon ab, wie stark der einzelne außen- oder marktgesteuert ist. Bei einer reinen Marktsteuerung wählt der Student ein Thema, das etwa beim von ihm gerade durchgeführten Praktikum, en vogue ist, unabhängig davon, ob er selbst dieses Thema innerlich trägt und ob es ihm Potential für die Zukunft gibt. Dieser „(Current) Market Based View“ ist einer nachhaltigen Entwicklung von Persönlichkeit und Fähigkeiten ebenfalls nicht zuträglich.

Da wäre es besser, man begibt sich mit seiner Arbeit auf ein Gebiet, das Synergien mit einer künftig angestrebten Tätigkeit aufweist. Bei der Themenwahl sollten sowohl die künftige Nachfrage nach der Thematik leitend sein als auch die eigene Freude und Begeisterung daran. So verbindet man die Entwicklung des persönlichen Potentials mit der Entwicklung des künftigen (Arbeitsmarkt-)Potentials und versöhnt „(Emerging) Market Based View“ und „(Developing) Resource Based View“.

Die „reinen“ Vertreter von Market- und Resource Based View haben sich weidlich mit Wortwatscheln beworfen. Die einen standen auf dem Standpunkt, ich mache immer, was der Kunde will, egal ob ich es kann. Die anderen meinten eher, ich tue immer, was ich kann, und kann auch, was ich tue; der Kunde wird es irgendwann mögen wollen können müssen. Nach der einen Methode lässt man sich ins ungeliebte Dschungel-Camp verziehen hat aber 7 Millionen (!?) Zuschauer, nach der anderen Methode spricht man Theater und Hörsäle leer. Angesichts dieser Alternativen ist die Versöhnung beider Ansätze doch mal ein positiver Versuch!

B. Die eigenständige Themenwahl

Da kommen die Kandidaten an mit ihrem Thema. Das geht ungefähr so: „Ich will was über „Rating“ schreiben!“ Statt „Rating“ kann man auch „Rückstellungen“, „Balanced Scorecard“ oder sonst etwas einsetzen. Der gemeine Student hält das schon für ein „Thema“. – Es ist aber keines! Jedenfalls keines für solche Arbeiten. Die verlangen keine Auszüge aus Lehrbüchern und reine Darstellungen über „Rating“ oder sonst etwas. Es sind keine Übersichtsartikel, sondern Arbeiten, die ein Problem unter der Anwendung von Theorie behandeln sollen.

Um es am Beispiel zu demonstrieren. „Köln“ ist kein Thema für solche Arbeiten, sondern eine Stadt oder der Gegenstand einer Betrachtung im Rahmen eines Themas. Themen aber könnten sein: „Rheinüberflutungen im Stadtgebiet von Köln – Ursachen und Folgen“ oder „Erfahrungen eines schwulen Leichtmatrosen auf dem Christopher sein Straßentag in Köln“.

Warum ist „Köln“ ebenso wie „Rating“ kein Thema? – Weil die Problemperspektive fehlt! Hieße das Thema „Köln“ könnte man genau so schreiben: „Alles, was man über Köln wissen können sollte!“ Das finge mit der Flöns (Blutwurst) an und endete noch nicht beim Klüngel, der kölsch-mafiösen Ausprägung von „Manus manum lavat“ („Eine Hand wäscht die andere.“), gerade wenn es dabei auch mal um Abfall geht.

Jedes Thema besteht also aus Betrachtungsobjekt und Betrachtungsweise. Letztere definiert den Problemfokus, den Scheinwerfer in dessen Licht man das Objekt oder den Gegenstand betrachtet. Damit wird zugleich festgelegt, was man ausblendet, wovon man abstrahiert.

Das lässt sich gut am Beispiel der Landkarte sehen, die Neschle schon mal als Metapher für die verbesserte Orientierung durch eine Theorie herangezogen hat (Leon Neschle 21). „Köln“ würde hier nur den Betrachtungsgegenstand, den Kartenausschnitt, bestimmen. Der Orientierungszweck würde erst durch die Art der Karte vorgegeben: „Historische Stätten“, „Restaurantführer“, „Radwanderkarte“, „Park and Ride“, „Besitzverhältnisse“, „Hundespaziergänge“, „Routen der Schul- und Veedels-Karnevalszüge“ etc. .

Also liebe Studies: Kommt Ihr künftig mit einem „Thema“ zu Neschles Alter Ego, dann achtet darauf, dass es eines ist. „Rating“ ist keines! Aber „Der Vergleich von externen und internen Ratings bei mittelständischen Unternehmungen“ ist ebenso eines wie „Die Prognosequalität externer Ratings bei Insolvenzen multinationaler Unternehmungen“, etc., etc., etc. Zum angeblichen Thema „Rating“ gibt es also durch die spezifische Betrachtungsweise beliebig viele echte „Themen“, die alle denselben Gegenstand behandeln, aber jeweils andere Fragen stellen und andere Aspekte hervorheben. Sonst könnte auch niemand die x-te Dissertation über „Unternehmensbewertung“ schreiben.

Hier sei an die Philosophie der Themenwahl erinnert: Ein ideales Thema ist das nur, wenn sich der Studierende damit zugleich auf einem Feld fit macht, das er für ertragreich hält (wie immer er die Erträge für sich selbst definiert!) und das er künftig zu beackern denkt. Nur dann lohnt es sich, in ein solches Thema zu investieren. Denn eine solche Arbeit verlangt die Investition von Zeit und Mühe. Dafür sollte man seinen eigenen Business-Plan für seine Persönlichkeitsentwicklung schon im Kopf haben.

C. Oh mein Gott! Die Gliederung!? Formales, Anfang und Ende!

Was unter „Gliederung“ gemeinerweise geboten wird, ist im ersten Anlauf meist eine Katastrophe. Das fängt im Formalen an, und (ver-)endet in der Struktur. Zum Formalen nur drei Bemerkungen:

  1. Die Logik gebietet es: Auf einen Gliederungspunkt „1.“ muss mindestens ein Punkt „2.“ folgen. Jede zweite Gliederung, die man Neschles Alter Ego anbietet oder antut, hat aber einen Obergliederungspunkt, unter dem nur ein einziger „Untergliederungspunkt“ vorkommt, der genau deshalb keiner ist. Denn er untergliedert ja gar nicht. Warum da nicht eine der Überschriften sparen?
  2. Die Ästhetik gebietet es: Bei allen Gliederungspunkten ist zumindest auf einer Gliederungsstufe der Stil beizubehalten! Verwendet man den „Fragenstil“ für die Untergliederung, dann bei allen Unterpunkten dieser Stufe. Der wilde Wechsel zwischen Fragen, Sätzen und einzelnen Wörtern, Verwendung von bestimmten oder unbestimmten Artikeln oder eben nicht kommt bei Kulturmenschen nicht gut! Hier ein böses Beispiel, obwohl es inhaltlich durchaus gut ist, weil es sich an ein Modell (der Boston Consulting Group) anlehnt – ein empfehlenswertes Vorgehen gerade für niedrige Gliederungsstufen:1.1.1 In der Einführungsphase („Question Marks“)1.1.2 Die Rising Stars (stark wachsender Absatz)1.1.3 Können die „Cash Cows“ (Melkkühe) Nachfolgeprodukte finanzieren?1.1.4 Poor Dogs – Produkte, die man vom Markt nehmen sollte!?

    Das ist geschmacklich grundgräuslich und olmgrottenoberfaul! Doch so tief gleiten Studies manchmal bei der Gliederung!

  3. Ein Punkt 3.1.2.4.5.2.1.3.3.2 macht es schwer, die Gliederungsstufe wiederzufinden: „Was behandeln Sie unter Punkt Dreimilliardenhundertvierundzwan­zigmillionenfünfhunderteinundzwanzigtausenddreihundertzweiunddreißig?“, ist man da geneigt zu fragen.Gliederungspunkte, die nur eine Viertelseite einnehmen, sollte man vermeiden. Der Text sollte ohnehin in sich gegliedert sein. Bei langen Arbeiten kann man der Übersichtlichkeit halber auch zwei Gliederungen vorschalten, Grob- und Feingliederung. Man kann die Hauptteile unabhängig von der weiteren Untergliederung mit „Teil A“ etc. überschreiben. Man erspart sich und dem Leser dadurch schon eine Ziffernlänge. –

Damit zum Aufbau! Der „klassische“ Aufbau einer solchen Arbeit besteht aus einem Anfangsteil, einem Hauptteil und einem Schlussteil:

  1. Der Anfangsteil ist meist mit „Einleitung“, „Einführung“ oder „Problemstellung“ überschrieben. Diese Überschriften sagen nichts über den Inhalt, sondern nur über die Funktion dieses Teils. So ist das auch beim Schlussteil, der mit „Ergebnis“ („Fazit“), „Zusammenfassung“ oder „Ausblick“ bezeichnet wird, oder mit einer Kombination „Ergebnis und Ausblick“ bzw. „Zusammenfassung und Ausblick“. Aus diesen „Funktionsüberschriften“ erfährt der Leser nichts über den spezifischen Inhalt. Diese Überschriften finden sich so in fast jeder Arbeit.Überschriebe man die Kapitel des Hauptteils in vergleichbarer Weise, würden die Überschriften z.B. lauten: „Ausgangslage“, „Möglichkeiten der Veränderung“, „Auswahl einer Maßnahme“, „Wirkungen und Nebenwirkungen der gewählten Maßnahme“. Hier sind solche Überschriften allerdings strikt verpönt. Die Überschriften sollen hier deutlich machen, mit welchen Inhalten sich die Kapitel beschäftigen. Das gilt auch für die beliebten „Theoretische(n) Grundlagen“ oder „Definitionen“, selbst wenn weltlich abgedrehte Akadämliche das anders empfehlen: So überschriebene Kapitel gehören nicht in den Hauptteil.Warum ist das so? Was ist der Unterschied zu Anfangs- und Schlussteil? – Der Hauptteil befasst sich mit dem gestellten Problem, Anfang und Schluss mit der Arbeit. Im Hauptteil geht es darum, dass der Hund vier Beine hat, bei Anfang und Schluss darum, dass der „Hund“ vier Buchstaben hat. Der Hauptteil handelt von der Realität, Anfang und Schluss reden vom eigenen Geschreibsel darüber. Daher gehört auch nichts in den Anfangsteil, was zur eigentlichen Sachanalyse gehört und der Schlussteil sollte (vom „Ausblick“ abgesehen) keine neue Analyse zur Sache liefern, sondern über das bereits Geschriebene referieren. Nicht nur, um ältere Gutachter mit nachlassenden Kurzzeitgedächtnis daran zu erinnern, was sie gerade noch gelesen haben.
  2. Im Zeitalter des Information-Overload gibt es „Mangel im Überfluss“. Wir werden zugeschüttet mit Informationen und empfinden trotzdem oder gerade deshalb einen Mangel an geeigneten Informationen. Trash und Spam überfluten die Welt. Daher kommt Anfang und Schluss einer Arbeit eine hohe Bedeutung zu. Beim Krimi ist es der Klappentext, der ihn Bestseller oder Ladenhüter werden lässt. Es sind die ersten Sätze, die entscheiden, ob man weiterliest.Da jedoch immer mehr Leute mit dem Lesen am Ende der Arbeit beginnen, ehe sie sich auf Hintergründe oder schwierige Ableitungen einlassen, hat man bei Zeitschriftenaufsätzen und Business-Plänen die „klassische“ Reihenfolge verändert und die „Summary“ an den Anfang gestellt. Doch noch verwendet man dieses Muster nicht für die anderen Arbeiten.Aufgrund des Leseverhaltens empfiehlt es sich, Anfangs- und Schluss-Teil besondere „literarische“ Aufmerksamkeit zu widmen. Geht man mit einer solchen Arbeit an die Öffentlichkeit, ist hier mindestens der doppelte Formulierungsaufwand nötig wie im Hauptteil. Denn nur darüber bekommt man beim Leser den „Fuß in die Tür“. Ohne diesen „Fuß“ bringt man ihn gar nicht bis zum Hauptteil, falls der Leser nicht bedauernswerter- und zwangsweise zum Lesen verdonnert ist, wie Neschles Alter Ego, dem sein „Arbeitsleid“ dafür über sein Professorengehalt manchmal nur dürftig entgolten wird[1].
  3. Der „klassische“ Anfang enthält drei Bestandteile:
    1. Das Problem, mit dem sich die Arbeit befasst. Damit wird der Leser „angefüttert“: Wirf alles weg, was Du bis heute gelesen hast, und befasse Dich nur mit einem: Mit dieser (tollen) Arbeit! – Hier sagt der Verfasser, dass sein Thema wichtig, aktuell und spannend ist, seine Lösung umwerfend innovativ und schlüssig. In aller Bescheidenheit natürlich und „zwischen den Zeilen“. Niemals ausdrücklich und aufdringlich! „Neugier auf etwas Gutes wecken!“, das ist hier die Devise.
    2. Das Ziel, mit dem der Verfasser seine Untersuchung durchführt. Ohne diese Zielangabe ist der Leser orientierungslos, hat falsche Erwartungen oder macht sich unerfüllbare Hoffnungen. Er muss und wird sich dann sein Ziel selber basteln. Das ist nicht zwingend dasselbe Ziel, das der Verfasser im Auge hatte. „Ziel verfehlt“ heißt aber für den Leser im Extremfall „mangelhaft“, auch wenn es nicht das Ziel des Verfassers war. Doch wie soll der Leser das wissen, wenn der Verfasser über sein Ziel romanhaft schweigt und mit dem Zielen darauf einfach loslegt.Doch eine solche Arbeit ist häufig eine Reise ins Ungewisse, deren tatsächliches Ziel der Schreiber erst am Ende der Reise kennt. Wer sein Reiseziel schon zu Beginn nennt, sollte daher am Ende seine „Einleitung“ oder „Problemstellung“ noch einmal auf das „tatsächlich erreichte Ziel“ nachjustieren. Nur so werden Irritationen beim Leser vermieden: Ich plante zwar zunächst, ich wolle nach Rom, bin aber (leider) in Leipzig angekommen. Das sage ich dem Leser aber nicht. Da unterscheide ich Forschungs- und Darstellungsweise. Ich korrigiere am Ende meinen Plan und sage dem Leser: Ich will mit dieser Arbei nach Leipzig. Leipzig ist soooo reizvoll.Das Ziel ist immer das Sachziel der Arbeit. Persönliche Ziele und Motive, der eigene Antrieb für die Wahl des Themas haben in der Einleitung nichts zu suchen, so wenig wie das „Making of“ beim eigentlichen Film. Da mag man allenfalls ein „Vorwort“ hinzufügen, was allerdings bei „hausinternen“ wissenschaftlichen Arbeiten ungebräuchlich ist. Und da manche Beurteiler sich von Gebäuchen nur schwer trennen mögen, ist eher davon abzuraten: Persönliche Ziele und Motive behält man also für sich. Schweigen ist da Gold!
    3. Hat man das Ziel genannt, sollte man dem Leser auch mitteilen, auf welchem Weg man dieses Ziel zu erreichen gedenkt. Meistens wird das als „Gang der Untersuchung“ bezeichnet. Das ist nichts anderes als eine (hoffentlich schlüssige) Beschreibung der Grobgliederung. Hierbei gibt es kaum Stolperfallen, es sei denn die Gliederung des Hauptteils ist nicht stimmig, die „Story“ nicht rund.
  4. Der kürzeste Schluss ist das „Fazit“, „Ergebnis(se)“ oder „Result(s)“. Je kürzer die Arbeit, umso eher empfiehlt sich dieser kurze und auch für den Leser schmerzlose Schluss. Beendet man bereits den Hauptteil mit dem Ergebnis, sollte man es allerdings nicht sofort danach wiederholen. Dann hilft ein „Ausblick“: „Hinterm Horizont geht’s weiter“, sang einst Udo Lindenberg. „Ergebnis und Ausblick“ lassen sich auch zu einem längeren Schlusskapitel verbinden.Koppelt man eine „Zusammenfassung“ oder ein „Resümee“ mit einem „Ausblick“, hat man die längste Form für einen Schluss. Die ist gewöhnlich nur für sehr lange Arbeiten nicht ungewöhnlich. Eine „Zusammenfassung“ resümiert nicht nur das „Ergebnis“, sondern auch den Weg dorthin, insbesondere die dabei angewandten Methoden. Damit sollte man bei kurzen Arbeiten das Kurzzeitgedächtnis des Lesers jedoch nicht beleidigen.

D. Hauptsache „Hauptteil“: Hier wird das Grauen vielfach Realität!

Wie es bei Büchern Hörbücher oder Filme gibt, so hat man bei schriftlichen Arbeiten Vorträge, die in ihrer Struktur der Arbeit entsprechen. Neschle beginnt daher mal, didaktisch miserabel, mit Vorträgen, die didaktisch miserabel sind: Die grausigsten Beispiele für Vorträge er- und überlebte Neschle bei Kurzvorträgen als Prüfer im Rahmen der Prüfung zum Wirtschaftsprüfer. Diese Vorträge gehen immer so:

Egal, wie das Thema lautet: Der Vortragende beginnt mit Definitionen der Begriffe im Titel. Dann bedauert er mit großer persönlicher Verwunderung: „Es gibt leider keine allgemeine und einheitliche Definition des Begriffes!“ Wie auch, wenn nicht einmal unter „Mann“ oder „Frau“ immer dasselbe verstanden wird, und selbst da, wo kalte Klarheit zu herrschen schien, „gefühlte Kälte“ mit Wind und Feuchtigkeit der gemessenen Temperatur hinzugefügt wird.

Begriffe sind – das ist so schwer nicht zu begreifen – Werkzeuge. Man stelle sich die überraschte Diagnose vor: Für Schmiede-, Maurer- und Bastelarbeiten hat sich leider kein Einheitshammer durchgesetzt. Erstaunlich dass die Kniereflexe nicht einem Vorschlaghammer getestet werden und das Hämmerchen des Arztes nicht für Abbrucharbeiten benutzt wird.

Fängt jemand mit Begriffen an, ist es also, als stelle jemand zunächst seine Werkzeuge vor, ehe es klar ist, mit welcher Frage er sich befasst. Dennoch ist dieses Gebaren kotzbeliebt. Fängt man dagegen mit seinem Problem an, so wird auch verständlich, warum man dem gerade mit dieser Begriffsfassung zu Leibe rückt, warum sich ein Werkzeug in dieser Form für die Problemlösung eignet.

Lautet der „Rückstellungen für Entsorgung von Atommüll“, werden immer erst „Rückstellungen“, „Entsorgung“ und „Atommüll“ der Reihe nach definiert. Das ist, so scheint es, ein „schöner“ Anfang; damit ist man auf der sicheren Seite!? Ob die Zuhörer tausende Male gehört haben, was eine „Rückstellung“ ist: darauf nehmen die Vortragenden freilich keine Rücksicht.

Warum und wann das Problem wichtig ist, was Ziel der Ausführungen sein soll: das verschweigen sie dagegen sogar bis zum Ende ihres müden Referates. So kommt während des ganzen Referates nicht zum Ausdruck, was das Besondere gerade an diesen Rückstellungen sein könnte. Der Prüfer fragt sich dann verzweifelt, warum er dieses Thema überhaupt gestellt hat. Das geht ihm so bei allen Themen. Der Einheitscocktail der anfänglichen Definitis, den augenscheinlich die Repetitoren den Prüflingen verabreicht haben, deckt alles Spannende mit fadem scheinakademischem Definitionsgrau(ens)schleier zu. – Aber Definitionen müssen sein! Ja, klar! Doch warum muss man sie zu Beginn alle auf einen großen Haufen werfen, um einige davon erst im letzten dritten Drittel zu verwenden? Warum sie bringen, ehe überhaupt klar ist, was der Witz des Themas und des Vortrags dazu ist? Da kann noch niemand abschätzen, ob und wie die Begriffe für das Problem taugen!

Beginnen wir die Geschichte mal von vorn. Und – dieses Mal ist es kein Witz –nehmen wir uns ein Beispiel an: „Kommt ein Mann zum Arzt …“.

Kommt ein Mann zum Arzt, weiß der Arzt, dass sein Patient ein Problem hat. Daher wird er zunächst versuchen, dieses Problem in seinen Symptomen zu erkennen und danach dessen Ursachen zu analysieren. Dann wird er zwischen Heilmitteln wählen und sich für eines entscheiden, dessen Wirkung beim Patienten er nachhaltig beobachtet. Bevor der Arzt den Patienten gründlich untersucht hat, wird er, falls er keinen Sprung in der Schüssel hat, zwei Dinge niemals tun:

  1. Er wird seinem Patienten nicht zunächst alle seine Instrumente und Mittel zeigen und erklären, die er bei der Untersuchung benutzen will oder die er zur Heilung verwenden will, falls er überhaupt schon ohne genaue Untersuchung eine Vorstellung von der Krankheit haben kann. Nur die Dinge, die er gerade für die erste Untersuchung vorbereitet, wird er dem Patienten darlegen.
  2. Er wird nicht vor der Diagnose die Heilverfahren erläutern, weil weder er noch der Patient deren Sinn verstehen können vor einer sorgfältigen Diagnose.

Und was machen meine akadämlichen Schreiberlinge?

  1. Sie zeigen mir gleich am Anfang mit einem Sammelkapitel „Definitionen“ ihre sämtlichen Mittel und Instrumente.
  2. Sie diskutieren gleich zu Beginn des Hauptteils im Sammel-Kapitel „Theoretische Grundlagen“ über die Heilverfahren, noch bevor ich überhaupt die Besonderheit der zu behandelnden Krankheit begreifen konnte.

Wahrscheinlich gilt dieses Vorgehen bei manchen Leuten deshalb als ausgefeilt „akademisch“, weil es so gar nicht praktisch und verständlich ist. Es ist einfach (und) schlecht, ob eingebildet akademisch oder nicht! – Aber was ist nun praktisch, was verständlich? Klassischerweise ist es das folgende Vorgehen für mehr als 90 Prozent aller Arbeiten, in denen theoretische Modelle zur Lösung praktischer Probleme eingesetzt werden (vom Rest schweigt Neschle in diesem Essay):

  1. Das erste Kapitel des Hauptteils liefert eine vertiefte Diagnose des Problems, untersucht das Problem nach Symptomen und Ursachen, spitzt es zu und hinterfragt die Hintergründe. Auch hier kann das Vorgehen des Arztes als Metapher gelten:
    1. Die erste Möglichkeit dazu ist die Anamnese: Was ist die Geschichte des Problems? Wie ist es zu diesem Problem gekommen? Hierin können erste Ansätze für eine Lösung entdeckt werden.
    2. Die zweite Möglichkeit ist die Analyse der Problemstruktur: Der Arzt macht dazu ein Blutbild oder eine Ultraschall-Untersuchung. Der Student „entdeckt“ die unerwünschten Problemsymptome und macht sich Gedanken über die Ursachen.

    Damit endet auch schon das erste Kapitel.

  2. Das zweite Kapitel des Hauptteils widmet sich den Heilmethoden, den Problemlösungsvarianten, die grundsätzlich in Frage kommen, diskutiert und vergleicht sie nach Wirkungen und Nebenwirkungen, wägt ab, sortiert vor, so wie der Arzt zwischen verschiedenen Möglichkeiten der „konservativen“ Behandlung oder der Operationen entscheiden muss.Im Ausnahmefall wird er Methoden einschließen müssen, die am Symptom zu kurieren. Schließlich gibt es Symptome, die einen Patienten umbringen können: Fieber z.B. den menschlichen, Illiquidität den Unternehmenspatienten.Für eine (wissenschaftlich) begründete Abwägung ist es erforderlich, die Kriterien und die Wertung im Lichte offengelegter Kriterien zu begründen. Ist das dabei verwendete Entscheidungsmodell komplex und umfangreich, ist dafür auch ein eigenes drittes Kapitel denkbar.
  3. Das dritte (vierte) Kapitel des Hauptteils analysiert schließlich die favorisierte Heilmethode, wendet sie auf das Problem an und zeigt deren Wirkungen (und Nebenwirkungen) im Einzelnen auf. Am Ende steht die Feststellung, inwieweit das aufgezeigte Problem durch die angewandte Methode gelöst wird oder nicht. Der Arzt beobachtet hier also die Wirkung des ausgesuchten Medikaments und stellt im besten Falle die komplette Heilung fest.

In allen Kapiteln sind auch Definitionen und methodische Erläuterungen angebracht, immer kurz bevor ein Begriff oder eine Methode angewandt wird. Auch hier hilft wieder die Metapher der ärztlichen Behandlung. Der gute Arzt erklärt seine Instrumente und erläutert seine Methoden kurz bevor er sie auf den Patienten anwendet und immer mit Bezug zu dieser Anwendung.

Solche Problemarbeiten lassen sich mit diesem „klassischen“ Ablauf zuverlässig bearbeiten. Das Problem und dessen Lösung sind hier Anfang und Ende der „Story“. Wie immer im Leben gelten solche Regeln jedoch nicht für „große Künstler“. Bei denen heißt es „Break the Rules!“. Die können auch mit dem Ergebnis beginnen und von da aus dessen Zustandekommen nachzeichnen. Aber die Zahl derjenigen, die sich für große Künstler halten, ist mehrfach so groß, wie die derjenigen, die große Künstler sind. Bei der großen Zahl ist man froh, wenn sie sich nicht den scheinakademischen Infekt der Definitis und Theoritis praecox holen.

Das in akadämlich verbildeten Arbeiten übliche massive Instrumentenzeigen vor der eigentlichen Behandlung gibt es nämlich sonst nur bei der mittelalterlichen Folter. Einer solchen Folter unterziehen die Autoren den Leser mit ihrer Begriffs- und Methodenhuberei in den Anfangskapiteln der Hauptteile ihrer Arbeiten unter den Überschriften „Definitionen“ und „Theoretische Grundlagen“ lange bevor das Problem und der Anwendungsfall geklärt sind. Da weiß der Leser noch gar nicht, was er damit anfangen soll, und wird schon mit sublimen Schlauheiten des Verfassers überfallen. So etwas strapaziert seine Geduld und gehört abgeschafft wie die Folter.

Neschles Beitrag könnte folglich der Anfang sein einer neuen Amnesty academical! Doch seine Erfahrungen lassen eher Amnesie erwarten. Denn häufig genug hat er es schon gepredigt. Und immer immer wieder geht doch nicht die Sonne auf!

Arbeiten, die gibt es viele

in der Universitätstretmühle.

Die bereiten viel Verdruss,

weil man sie bestehen muss.

Zu Beginn der Arbeitsqual

ist da erst die Themenwahl:

Mancher setzt da ganz legal

auf sein großes Potenzial,

schreibt runter ohne Ambition,

was er kennt seit langem schon.

Den and’ren treibt der Ehrgeiz an,

dass man damit was lernen kann.

Bei ihm sollen die Ambitionen

sich am Ende richtig lohnen.

Als Arbeit ist das angesagt,

was auch am Markte sehr gefragt.

Doch sollt’ der Stoff dem Autor liegen,

er sollt’ sich dabei nicht verbiegen.

Ist eine gute Wahl erreicht,

dann ist der Rest doch furchtbar leicht.

Nur nicht künstlich akadämeln

auf den harten Arbeitsschemeln!

Ist die Methode konsequent,

das Argument von selber rennt.

Handfest das Fazit und der Stil,

dann bringt meist auch der Inhalt viel.


[1] Mit Abstand die meiste Arbeit machen und den meisten Frust erzeugen dabei die Marginalkommilitonen. Glatte „Einser“ sind sehr willkommen, glatte „Fünfer“ zwar unangenehm, aber fix „erledigt“.

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2 Antworten auf „Leon Neschle 34 (7. Woche 2008)“

  1. Wenn Texte eines Akademikers von Nichtakademikern leicht gelesen werden können, dann ist dies der Beweis für die wirkliche Intelligenz und das Wissen einer Fachautorität.

    Wenn hierbei noch nicht einmal „eingebildet akademisch“ parliert wird und das mit Witz und Humor, dann handelt es sich ganz bestimmt um jemanden, der auch außerhalb aller Normen und akademischen Trampelpfade selbstbewußt seinen Weg geht.

    Einfach erfrischend Ihre Zeilen zu lesen!

    Herzliche Grüsse
    Dieter Krogmann

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