Wi(e)der das bessere Wissen
Unperfekte Camouflage: Nachlässigkeit türkischer Medien und Politiker als deutscher Rassismus?!
Gestern in der Uni entschied Neschle: Für die Anmeldung zum Seminar soll das Prinzip gelten „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!“ – Natürlich diskriminiert dieses Prinzip: Alle, die sich zu spät anmelden. Um Diskriminierung kommt niemand herum, wenn die Nachfrage höher ist als das Angebot. Die Marktwirtschaft erledigt das über den Preis. Doch dieses Kriterium gilt nicht an einer staatlichen Universität. Und nicht bei einem deutschen Gericht.
Muss sich Neschle nach jüngsten Erfahrungen darauf gefasst machen, dass Studierende, die es nicht geschafft haben, auf den Seminarzug aufzuspringen, ihn der Diskriminierung bezichtigen? Obwohl sein Auswahlprinzip nur nach der Reihenfolge diskriminiert, kann es am Ende sein, dass relativ weniger Frauen, Hellhäutige oder Deutschstämmige Zugang gefunden haben.
Letzteres ist auch das Malheur beim NSU-Prozess, nur sind türkische Medien und Politiker betroffen. Da wählt das Gericht ein Zugangsprinzip, das nicht rassistisch ist, und muss sich nun, wo ex-post das Ergebnis feststeht, ex-ante „Rassismus“ vorwerfen lassen, unter anderem von einem Organ, das seit mehr als sechzig Jahren mit dem Untertitel aufmacht „Türkiye Türklerindir“ („Die Türkei gehört den Türken“)[1]. I
Interessant ist die Begründung eines Vertreters türkischer Interessen in Deutschland für die Notwendigkeit der Gegenwart türkischer Medien und Politiker: Nur die Anwesenheit türkischer Medien und Politiker könne garantieren, dass es einen fairen NSU-Prozess gibt. (Da bleibt Neschle die Spucke weg.)
Wie hoch müsste denn die Quote für interessierte türkische Medien und Politiker sein, damit die zufrieden wären? Denn ohne Zweifel könnten sie sämtliche Plätze ausfüllen: „Eines der zehn NSU-Opfer war griechischer Staatsangehöriger, sechs hatten einen türkischen Pass, zwei weitere Wurzeln in der Türkei.“[2] Und dann wäre da ja noch die deutsche Polizistin, die sogar unsere Medien vergessen haben, ganz zu schweigen von den türkischen.
Also 60 Prozent für türkische Medien oder 70 Prozent, wenn man die mit „türkischen Wurzeln“ zur Hälfte anrechnet. 10 Prozent noch für die Griechen und 20 Prozent für die Deutschen. Und was, wenn demnächst in der Türkei ein Türke angeklagt wird, der einen Deutschen ermordet haben soll? Werden die Deutschen auf 100 Prozent Quote pochen können und auf reservierte Plätze für deutsche Politiker?
Aber doch nicht in der Türkei: Die hat ein unabhängiges Rechtssystem! Da kann kein türkischer Politiker eine Quote garantieren. – Oder ist es dort ein wenig weniger unabhängig, und türkische Presse und Politiker verlangen nun vom deutschen Gericht, mit der Quotierung auf türkische Verhältnisse umzuschalten?
Immerhin ist es sehr, sehr unglücklich, dass das Ergebnis ist, wie es ist. Neschle wäre auch unglücklich, wenn in seinem Seminar am Ende entweder nur Männer oder Frauen, nur Deutschstämmige oder Türkischstämmige, nur Hell- oder Dunkelhäutige säßen. Aber wo ist Neschles Sexismus, Nationalismus oder Rassismus, wenn sein Kriterium schlicht die zeitliche Reihenfolge der Anmeldung war?
Hätte er dagegen Quoten eingeführt, hätte ihm jemand vorwerfen können, zu viele Türkischstämmige zuzulassen, wenn z.B. die mit deutschem Pass auch die Quote der Deutschen ausschöpften. Fast jede Redaktion eines deutschen Pressemediums hat heute türkischstämmige Redakteure. Die kann die deutsche Redaktion natürlich zum Prozess schicken. Täte sie dies und würden zugleich türkischen Medien und Politikern Plätze reserviert, wären wir bei Neschles Überquotierung.
Doch kommen wir zur unterschwelligen Diskriminierung, zum „gesömmerten Höhenfleckvieh“[3]. Die Reihenfolge der Anmeldung ist zwar auf den ersten Blick nicht „rassistisch“, auf den zweiten Blick aber vielleicht schon, wenn die Ersten immer Deutsche sind, weil nur sie mit den Usancen ihrer Gerichte hinreichend vertraut sind.
Liebe Türken: Bei jedem Gastspiel einer türkischen Fußballmannschaft schafft Ihr es, so viele Karten zu organisieren, dass man als Deutscher den Eindruck hat, das Spiel finde in der Türkei statt. Da werden die Karten nach demselben Prinzip vergeben wie bei Gericht und niemand beschwert sich über Rassismus, auch die deutsche Minderheit nicht. So wäre es gewesen, hätten Eure Medien im Fall der NSU-Prozesse einen ähnlichen Ehrgeiz gehabt wie Ihr selbst beim Fußball. Die hätten da auch ein Heimspiel gehabt wie beim Fußball: Eine Deutschenquote gab es beim Gericht nicht und daher hätten Eure Medien und Politiker sogar in der Mehrheit sein können.
Doch deren verdammter Stolz lässt es wohl nicht zu, sich selbst für die eigene Nachlässigkeit oder Dummheit schämen und sich dafür bei Ihren Lesern, Zuhörern, Zuschauern und Wählern entschuldigen. Sie hätten allen Grund dazu!
Wider besseres Wissen geben sie wieder besseres Wissen vor. Denn sie versuchen den Mangel an Scham mit Unverschämtheit wettzumachen. Und sie beschuldigen das deutsche Gericht des Rassismus, indem sie „rassistische Quoten“ einfordern. Eure Medien und Politiker hätten aber jeden Grund, bescheiden zu sein. Also: Lasst Euch von denen bloß nicht vorführen!
Nur im Ergebnis stimmt Neschle zu: Das Ganze ist verdammt unglücklich und Neschle hätte Euren Medien und Politikern einen ähnlichen Ehrgeiz gewünscht, wie Ihr selbst ihn bei den Fußballkarten oft genug bewiesen habt. Und glaubt nicht, für einen einfachen Fußballfan sei es leichter, an Fußballkarten zu kommen als für Medien- und Politprofis an Gerichtszulassungen. Aber man muss sich kümmern!
Eines aber soll hier klar sein: Neschle will auf keinen Fall, dass der NSU-Prozess für die Angeklagten nur deshalb besser ausgeht, weil das deutsche Gericht von türkischen Medien und Politikern gezwungen wird, Formfehler zu machen. Das wollt Ihr doch auch nicht!
Jetzt, wo die türkischen Medien und Politiker es selbst verbockt haben, ohne es selbst einsehen zu wollen, bleibt nur noch eines: Deutsche Medien, die einen Zugang zum Prozess haben, sollten bevorzugt türkischstämmige Redakteure als Prozessbeobachter losschicken. Und da dürfte es mittlerweile genügend geben! Zum Glück. Aber vergesst mir darüber die Griechen und die Deutschen nicht. Wenn Ihr schon die Menschen quotiert, dann auch konsequent! Besser wäre, wir kämen ohne die Quote aus. Und das geht auch, wenn sich jeder kümmert!
[1] Ja, Neschle weiß, dass dies einst beim Staatsgründer auch eine andere Bedeutung hatte. Doch aus gutem Grund macht die Bildzeitung nicht mit dem Spruch auf „Deutschland gehört den Deutschen“.
[2] Wolf Schmidt, NSU-Prozess: Dresche für das Münchner Gericht. taz-online vom 27. März 2013, URL: http://www.taz.de/!113630/.
[3] Wer Spaß hat, kann dazu ja den kurzen Wikipedia-Artikel „Gesömmertes Höhenfleckvieh“ lesen!
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Sehr geehrter Herr Elschen,
seit einigen Monaten lese ich nun ihre Artikel und freue mich über jeden neuen Beitrag von ihnen, vor allem, da ihre Ansichten oftmals mit meinen eigenen zu großen Teilen übereinstimmen (, mit denen der meisten deutschen Medien jedoch leider nicht). So war es auch bei diesem Artikel.
Natürlich ist es nachvollziehbar, dass bei einem Prozess, bei dem es um Morde an überwiegend türkisch(stämmig)en Personen geht, auch Vertreter türkischer Medien anwesend sein wollen. Die Möglichkeit dazu war diesen auch gegeben; dass deren Nichtberücksichtigung jedoch nicht die Schuld des Gerichts, sondern die Schuld der Vertreter der türkischen Medien war, wurde jedoch selbst in den deutschen Medien kaum erwähnt, die Kritik richtete sich alleine gegen das Oberlandesgericht München.
Kritik am OLG München von Seiten der türkischen Presse und türkischen Regierung hat mich nicht sonderlich überrascht, verwundert war ich jedoch über die Kritik deutscher Politiker aller im Bundestag vertretener Parteien! Unsere deutschen Politiker kritisieren ein deutsches Gericht, aber weswegen? Weil es sich an Vorschriften gehalten hat? Meiner Meinung nach kann man vielen Beteiligten etwas vorwerfen; den türkischen Medien, die sich nicht rechtzeitig darum gekümmert haben, einen Platz im Gerichtssaal zu erhalten, unseren Politikern, die mit ihren Forderungen versucht haben, Einfluss auf ein deutsches Gericht zu nehmen (wobei doch gerade die Unabhängigkeit der deutschen Justiz für mich ein wesentliches Element unseres demokratischen Staates ist!), nicht jedoch dem OLG München, das die wohl beste Möglichkeit der Platzvergabe gewählt hat, bei welcher jedem Medienvertreter, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religionszugehörigkeit, etc., die Möglichkeit gegeben war, am Prozess teilzunehmen.
Daher war es für mich geradezu unverständlich, wieso die türkische Zeitung „Sabah“ beim Bundesverfassungsgericht gegen die Platzvergabe Beschwerde einrichte mit der Begründung, sie sei „benachteiligt worden“. Worin genau diese Benachteiligung gelegen haben sollte, ist mir bis heute unklar. Folglich war ich der festen Überzeugung, dass das BVerfG der Beschwerde nicht stattgeben würde.
Da habe ich mich aber gewaltig geirrt! Sprachlos war ich, als ich erfuhr, dass das BVerfG anordnete, dass das OLG München nun zusätzlich Plätze an mindestens drei Vertreter ausländischer Medien vergeben müsse. Hätte das Gericht die Platzvergabe so gestaltet, dass deutsche Medien bevorzugt behandelt worden wären, dann wäre die Entscheidung für mich nachvollziehbar gewesen, unter diesen Umständen jedoch nicht! Das Gericht hat eins von zwei möglichen Verfahren zur Platzvergabe angewandt, die Wahl des Verfahrens ist dem Gericht überlassen, und nun entscheidet das BVerfG, dass die Entscheidung des OLG Münchens, sich an die „Regeln“ zu halten, falsch war?!
Jetzt muss das OLG also ein Verfahren anwenden, welches anfangs eigentlich gar nicht zur Auswahl stand, nämlich die (teilweise) Platzvergabe nach Herkunft der Medienvertreter. Eine meiner Meinung nach seltsame Entscheidung, da die Aufgabe des BVerfG doch die Lieferung verbindlicher Interpretationen der Verfassung (Quelle: Wikipedia) ist, jedoch gleich am Anfang des Grundgesetzes, unserer Verfassung, steht: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ (Art. 3 III GG). Nun werden die ausländischen Medienvertreter aber wegen ihrer Herkunft bevorzugt, was ursprünglich nicht der Fall gewesen wäre (sie wären jedoch auch nicht benachteiligt gewesen!). Hat dies nun zur Folge, dass die Bevorzugung/Benachteiligung wegen der Herkunft aufgrund der Entscheidung des BVerfG erlaubt ist? Ich hoffe nicht!
Unerklärlich sind mir auch die Reaktionen auf die Anordnung des BVerfG. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sah die Entscheidung natürlich positiv, fügte aber zu seiner Stellungnahme noch hinzu, das OLG München habe „fehlerhaft“ gehandelt (Quelle: rp-online.de). Dass ich dem nicht zustimmen kann, habe ich bereits zum Ausdruck gebracht. Aber auch die Reaktion von Renate Künast, der Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Grünen, halte ich für äußerst fragwürdig („Sie korrigiert eine offensichtliche Fehleinschätzung der Münchner Richter.“, rp-online.de). Ähnliche Aussagen machten jedoch Vertreter fast aller Parteien, kritische Äußerungen konnte ich nicht finden.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass meine Kritik sich natürlich nicht an die Anwesenheit türkischer Medienvertreter beim Prozess an sich richtet, sondern an die Art, wie die Einbeziehung dieser letztendlich zustande kam. (Ich gehe zwar davon aus, dass ich mich derart ausgedrückt habe, dass man meinen Kommentar gar nicht anders verstehen konnte, man könnte ihn jedoch falsch verstehen wollen, siehe Aufschrei 63).
Zum Schluss stellen sich mir jedoch noch folgende Fragen: Wie hätte die deutsche Öffentlichkeit reagiert, wenn nach dem ursprünglichen Vergabeverfahren alle Plätze an Vertreter türkischer Medien gegangen wären? Hätte die deutsche Politik dann die Vergabe von Plätzen an deutsche Medienvertreter gefordert? Hätten deutsche Medien auch Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht? Und wie hätte das BVerfG in diesem Fall reagiert?
Über eine Stellungnahme ihrerseits zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen,
JvB