Neschle-Depeschle 12

Machma datt Mäh ei!

Neschle-Depeschle-Neschle-Depeschle-Neschle-Depeschle
Für den kleinen Hunger zwischendurch: Der schnelle Einwurf in den Strafraum

Slang is a poor man’s poetry. (John Moore)

„Machma datt Mäh ei!“ Diesen „Titelsatz der Liebe“ sagte eine Mutter im Ruhrgebiet zu ihrer kleinen Tochter am Tag der Loveparade in Essen. Die hochdeutsche Übersetzung lautet: „Streichle bitte mal das Schaf!“.

In diesem Essay geht es um Sprache und die Liebe dazu, genauer um die im Ruhrgebiet und die Liebe dazu, zur Sprache und zum Ruhrgebiet natürlich. –

Was hat das mit der Loveparade zu tun? – Neschle muss einen groben Fehler gestehen. Er hatte der Love Parade in Essen keine Chance eingeräumt. Er hatte sie als „Entsorgungsfall“ betrachtet (Neschle 23). Er und seine Trend-Scouts haben sich getäuscht. Er wurde durch 1,2 Millionen Besucher widerlegt. Liebesparaden und Liebesparodien sind offenbar immer ‚in’. „All you need is love!“ wussten die Beatles. Und die Sache mit der Parade wurde schon 1932 geklärt. Da hieß es in einem Song:

„I love a parade, the tramping of feet,

I love every beat I hear of a drum.

I love a parade, when I hear a band

I just want to stand and cheer as they come.

That rat-a tat-tat, the blare of a horn.

That rat-a tat-tat …”.

Hier galt allerdings die Liebe der Parade und nicht die Parade der Liebe. Das ist anders bei der Dream Academy. Die widerlegt die Skepsis von Neschle direkt:

„Oh the love parade is on

Even against all odds.

It’ll go on forever

The love parade”.

Also kurz und schlecht: Neschle lag falsch! Gegen seine Vorhersage und „against all odds“ geht die „Parade der Liebe“ weiter. Daher schreibt Neschle als Sühne noch eine Hommage an das Ruhrgebiet, genauer an die Sprache des Ruhrgebiets, bevor er sich für acht Wochen vom „Geschäft“ zurückziehen muss. Neschle weekly gibt es so lange nicht, vielleicht aber mal ein Depeschle oder einen Aufschrei.

1. Kalamitäten-Kasuistik – Die Sache mitten eahsten bis vieahten Fall!

Der gemeine Ruhrgebietler kommt „auss’m Pott“. Er heißt daher Pottie und kennt auf alle Fälle andere grammatikalische Fälle als der Hoch(nasen)deutsche. Kommen wir zunächst zu dem, was fehlt, um danach das Bereichernde deutlicher hervorzuheben.

Der zweite Fall, der Genitiv, „is anne Ruhr voll unbekannt“[1]. Dafür „gibbet“ zwei alternative Ausdrucksmöglichkeiten. Aus „meines Vaters Auto“ wird „mein Vatter sein Auto“ oder „datt Auto von mein Vatter“. Hier ist auf jeden Fall „von mein Vatter“ zu sagen. Denn „von“ regiert den vierten, nicht den dritten Fall. Würde jemand „von meinem Vater“ oder auch nur „von meim Vatter“ sagen, gälte er als hochnäsiger Fatzke. Oder er wäre „Weltmeister“ oder „Experte“, beides für besessene Besserwisser reserviert. Solche Leute machen viel Wind „mit ihr kurzett Hämd“, nicht „mit ihrem“.

Das bringt Neschle ganz zwanglos zum dritten Fall, den es in der Ruhrgebietsgrammatik ebenfalls nicht gibt, jedenfalls nicht so wie im Hochdeutschen. Selbst hinter „mit“ steht der vierte Fall. Im Ergebnis gibt es also nur zwei Fälle, den ersten und den vierten. Das erklärt sich mit einer Geschichte „auss’m Pütt“ (aus dem Bergwerk):

Der Steiger erhält unter Tage einen Kontrollbesuch vom Bergassessor. Da hört der Bergassessor wie der Steiger zum Hauer sagt: „Du Eggon, wenne komms, komm mitti (mit die) Wagens!“ (Ein alter Witz! Heute heißt der Hauer anders!)

Akadämlich wie der Bergassessor ist, sagt er zum Steiger: „Ich bin es ja schon gewohnt, dass sich hier alle Leute duzen, doch warum sprechen Sie mit Ihrem Hauer denn falsches Deutsch.“ „Mein lieber Herr Bergassessor, datt is ganz einfach. Wenn ich dem sage ‚komm mit den Wagen’, dann kommt der nur mit einem!“

Besonderheiten gibt es für einige Verhältniswörter. Das belegt ein anderer Klassiker der Reviersprache: „Und ich sach noch für die Frau: ‚Gipp datt Kind kein Fisch!’. Und watt macht die Frau? Gippt datt Kind Fisch! Und watt hattatt Kind? … Schuppen!“

Im Hochdeutschen sagt man etwas „(zu) der Frau“, im Ruhrgebiet „(für) die Frau“. Dabei ist „die Frau“ immer die eigene Ehefrau, die hier im Akkusativ „das eigene Kind“ den Fisch verabreicht. Eine x-beliebige Frau wäre etwa „eine Olle“, was keinesfalls mit „(m)eine Alte“ übersetzt wird, ebenso nicht die „Alsche“.

Es sieht also auf den ersten Blick so aus, als würden wir auf der Suche nach dem dritten Fall an der Ruhr nicht fündig. Der Dativ scheint daher den Hilfeschrei „Rettet den Dativ!“ wert. Doch weit gefehlt! Wir müssen nur woanders suchen:

Es spricht für das Zielbewusstsein des Potties, dass er den dritten Fall sozusagen als „Edel-Fall“ exklusiv für Aussagen verwendet, bei denen es auf den Endpunkt einer Handlung ankommt, wenn etwa eine Freveltat verübt wird, z.B. „Nich am Auto packen!“ „Denkse am Dativ, denkse also immer am Ergebnis! Leida auchma am negativen.“ Man klopft also nie „an die Tür“, sondern immer „an der Tür“, was übrigens auch im Hochdeutschen geht, aber da wird in der Regel das „Klopfen an die Tür“ vorgezogen. Im Pott fällt man nur „mitti (mit die) Tür im Schloss“. Denn in dem Schloss hat der Riegel sein Ziel, seine endgültige Bestimmung gefunden.

Der Pottie legt dabei seine Ziele deutlicher offen, als nötig und in anderen Teilen der Republik üblich. Im Supermarkt sagt man im Rest der Republik „Darf ich bitte mal vorbei?“ oder „Können Sie mich bitte durchlassen!“. Für das Ruhrgebiet wäre das zu ungenau. Hier wird selbst Wildfremden das eigene Ziel mitgeteilt, etwa so: „Daaf ichma am Zucker?“ oder „Kannich ma ebent anne Kondome?“ Apropos Kondome:

Bei Aussagen wie „Komm Du im Bett!“ kann man streiten, ob dies der Endpunkt der Handlung sein muss. Denn diese Aufforderung beschreibt im Pott allenfalls den Anfang einer Handlung, die im Hochdeutschen mit anderer Bedeutung im selben Satz gipfelt: „Komm Du im Bett!“, üblicherweise gut fünf Minuten später.

Neschle verzichtet hier auf tiefergehende Explikationen unterhalb der Gürtellinie. Auch den Warnhinweis „Nich am Bäah (Bär) packen!“ wird er nicht erläutern.

Tja, und dann die Frage: „Quo vadis?“ – „Wat heißt datt?“ – „Wo gehße?“ – Natürlich muss auch die zielorientierte Frage „im Dativ“. „Wohin?“ ist schlicht unbekannt, kommt im reinen Dialekt nicht vor. Doch auch dieser Dialekt gerät unter Einfluss der Globalisierung in Gefahr. Das zeigt ein Beispiel, das nach einem „Ruhrpottogramm“ von Kurt Küther gestaltet wurde:

„Eggon, wo gehße? – Ich geh’ auf Schalke. – Eggon, et heißt nicht „auf Schalke“, et heißt „nach Schalke“! – Else, nach Schalke geh noch auf ein Biaaken (Bierchen) bei den Heinz inne Kneipe „Datt Betreute Trinken“. – Eggon, et heißt nicht „bei den Heinz“, et heißt „nach den Heinz“! – Nee, nach den Heinz setz ich mich im Auto und fahr zu Haus nach Bottrop.“

Aus dieser Unterredung erkennt man, dass Potties von ihrer Außenwelt mittlerweile ‚globalsprachlich’ verunsichert werden. Zudem werden manche Verhältniswörter nach subjektivem Empfinden eingesetzt, sagen also etwas über den Seelenzustand. Sagt jemand „Ich geh’ nach die Tante Matta!“, fühlt er sich örtlich oder seelisch weit von Tante Martha entfernt. Geht er dagegen „bei die Tante Matta“, so wähnt er sich ihr örtlich oder seelisch sehr nah.

So snobisch reserviert wie der dritte Fall ist der vierte Fall nicht. Über die beschriebenen Fälle hinaus wird der vierte Fall nämlich als Anredefall verwendet, als Vokativ: „Hallo, lieben Kollege!“, hier allerdings ohne das „n“ beim Substantiv, was ihn als echten Vokativ ausweist. Auch bei Aussagen wie „Bissen aamen Junge“ (Du bist ein armer Junge.) wird das deutlich.

Doch was geschieht, wenn das Adjektiv fehlt? Wenn Du „einen Kenner wärs“, wüsstest Du es. – „Na, Du Naseweisen! Hasset geschnallt? – Ich glaubet nich!“

Über den ersten Fall gibt es nicht viel zu sagen, außer dass er in der Anrede durch den Vokativ, „ein verstümmelten Akkusativ“, ersetzt wird, manchmal auch darüber hinaus. „Den wichtigsten is also den vierten Fall, den mit den Akku.“ Doktor Stratmann, der Kabarettist aus Bottrop/Essen, (be)treibt gerade diese Sprachfigur [bis] zum Exzess. Den folgenden Klassiker findet man aber sowohl „in äasten“ (ersten) als auch „in vieaten“ (vierten) Fall: „Wen hört datt Fahrrad vor Tür? (Wem gehört das Fahrrad vor der Tür?)– Mich!“ Oder: „Wer hört der Fahrrad vor Tür? – Ich!“ „Dialektisch korrekt“ ist nur das erste.

2. Leztet Jaa im Herbst, wo allet am reifen fing …

Die Verlaufsform des Ruhrgebiets hat sich über das Revier hinaus im Hochdeutschen verlaufen. Heute ist sie sogar in der Tagesschau oder beim Wetterbericht möglich, wo es schon mal den ganzen Tag „am regnen“ ist.

Meist wird sie mit der englischen „-ing“-Form verglichen, aber auch in anderen Sprachen findet man betonte Verläufe. Italien kennt sogar unterschiedliche Substantive für den Abend (sera) und dessen Verlauf (serata). Doch ehe wir uns außerhalb des Reviers verlaufen, „fangen wir mit Karacho am rückkehren im Revier“ (Man beachte den zielgerichteten Dativ!).

In solchen Extremformen ist die Verlaufsform nach wie vor eine Spezialität des Reviers, vor allem wenn man etwas anfängt, was längere Übung werden soll: „Kumma gezz fängt der Köttel am laufen!“ (Schau bitte mal, das kleine Kind beginnt zu laufen!). „Ja, da fang ich abba am staunen!“ (Ja, da beginne ich zu staunen!) Oder: „Wollterse nich mäah am ühm bringen!“ (Wollt Ihr sie nicht veranlassen, mehr zu üben?). Da findet man auch verschraubte Konstrukte: „Den Heinz, den bringt jede Uaa widda am richtig gehen.“ (Der Heinz bringt jede Uhr wieder dazu, richtig zu gehen.)

Die Verlaufsform hat ihre Domäne freilich da, wenn man schon an einer Sache dran ist und gedenkt, sie fortzuführen: „Watt is, bisse schon dran am schreim?“ (Was ist los? Bist Du schon beim Schreiben?). Oder: „Ich bin mich schonn die ganze Zeit am übbalegen, ob iah datt wiahklich am denken seid“. (Ich überlege mir schon die ganze Zeit, ob Ihr das wirklich denkt.)

In „hyänischen“ (hygienischen) Zusammenhängen liest sich das so: „Hömma, wennze da die ganze Zeit am baan biss, hassedo bloß ’n Kniest vonne Quanten als Ring ummen Hals. (Hör mal, wenn Du dort die ganze Zeit badest, hast Du doch nur den Schmutz von den Füßen als Ring um den Hals.) Und muss jemand eine vielköpfige Familie durchfüttern, heißt es: „Den Eahnst, datt issen Aamen. Der muss vier Blagens am kacken halten.“ (Ernst ist zu bedauern. Er muss vier Kinder versorgen).

Doch selbst der Start ins Aufhören wird als Verlauf begriffen: „Willze gezz schonn am aufhören fangen?“ (Willst Du jetzt schon anfangen aufzuhören?). „Ja samma, will den Neschle datt au machen? Wie willer denn dann die Leute allet am verstehen bringen vonne Sprache in Pott?“ Keine Sorge, Neschle schreibt noch ein wenig weiter. Aber ein Ruhrgebietssprachprofi kann man natürlich nach so kurzen Artikeln nicht werden.

3. Hauptsachen und Hauptsätze

Aus Diplom- und Doktorarbeiten ist Neschle akademischen Sprachhorror größter Ungüte gewohnt. Eine der schwersten Stilkrankheiten ist darin die künstliche Schaffung von Nebensätzen, um auf diese Weise die Bedeutung der eigenen Aussage unfreiwillig herabzusenken: „An dieser Stelle ist noch zu bemerken, dass diese Instrumente kombiniert eingesetzt werden müssen.“ Statt einfach zu schreiben „Diese Instrumente sind kombiniert einzusetzen.“, geht es offenbar nur mit dem Vorsatz „An dieser Stelle ist noch zu bemerken!“. Der sagt uns nun das Hauptsächliche:

Das Wichtigste ist nun: Der Verfasser spürt einen Zwang zur geistigen Entsorgung. Der bringt ihn dazu, den im Nebensatz folgenden Gedanken gerade hier abzusondern. – Doch, so fragt sich der Leser besorgt: Warum ist das denn auch „noch zu bemerken“? Woher kommt der Zwang dazu? Und warum gerade an dieser Stelle? Warum ihn der Zwang an dieser Stelle befällt, sagt der Verfasser nämlich nicht.

Solche und ähnliche Fälle gibt es in akademischen Arbeiten zu Dutzenden. Dabei geht die Aufmerksamkeit für den Inhalt verloren. Warum wird die Sache nicht einfach erwähnt, ohne dem Leser ausdrücklich mitzuteilen, dass der Verfasser meint, sie genau an dieser Stelle mitteilen zu müssen? Das weiß der Leser nämlich schon dadurch, dass der Verfasser die Sache an dieser Stelle tatsächlich erwähnt.

Solche Nebensatzkreationen stehen im krassen Gegensatz zum revierdeutschen. Sprachgebrauch, der strikt „hauptsatzfixiert“ ist und jedes „Gesülze“ unterlässt. Der Pottie schafft es sogar umgekehrt aus Nebensätzen Hauptsätze zu machen. Vor allen „weil“ und „denn“ meidet er wie der Säufer alkoholfreies Bier (Der trinkt lieber „bierfreien Alkohol“.) Das funktioniert durch das Wörtchen „ja“ im folgenden Hauptsatz (Kurz gesprochen, nicht „jaaa“!). Also:

„Ich habe die beste Arbeit geschrieben, denn ich war am besten vorbereitet und hatte die meisten Punkte.“ – Pottisch: „Ich happ die beste Aabeit. Ich war ja am besten voahbereitet und hatte (ja) die meisten Punkte.“ Oder:

„Derjenige, der ihr das gesagt hat, lag falsch, weil er vom Thema wenig verstand.“ – Anne Ruah: „Deah (Der) die dat gesacht hat, waa falsch. Hatte ja keine Ahnung.“

Auf diese Weise in (zum Teil verstümmelte) Hauptsätze verwandelt, erfahren Begründungen sprachliche Bedeutungsanhebung. Das wäre was für die Wissenschaft.

4. Sprachliche Feinkost: Kleine Spezialitäten als Resteessen.

1. Kommen wir als erstes zur Aussprache. Ein vorangestelltes „r“ wie in „Sprache“ wird auch wie ein „r“ gesprochen, doch nicht ein nachgestelltes. Die Unterschiede zum Hochdeutschen erlebte Neschle schon in der Schule, als einer seiner Mitschüler sich beim Lehrer mit „Kiahsch“ vorstellte. Der sagte: „Du heißt nicht ‚Kiaaahsch’, Du heißt „Kürrsch“. Das hielt der Lehrer offenbar für dialektisch überlegen, aber der Schüler hieß wirklich „Kirsch“. Dem kleinen Neschle machte das damals deutlich, dass andere Dialekte auch nicht besser sind.

Die Sache mit dem „r“ kann problematisch werden, wenn wir etwa das „Mäh“ aus dem Titel in Erwachsenensprache übersetzen. Da heißt es „Schaaf“, aber „scharf“ heißt auch „schaaf“. Bezeichnet man also jemanden als „schaafsinnig“, kommt es auf sein Selbstbewusstsein an, wie die Botschaft bei ihm ankommt.

2. Der gemeine Pottie betont einige Dinge überdeutlich, vor allem Mehrzahl und Vergangenheit. Die Mehrzahl wird vor allem bei Endungens mit „n“ oder „r“ durch ein angehängtes „s“ unzweideutig markiert: „Schülers, Wagens, Nagers, Scheibens, …“ sind Beispiele dafür.

Um die Abgeschlossenheit einer Sache klar zu dokumentieren, greift der Pottie gern in die tiefste Vergangenheitskiste: „Ich waado eemt noch bei Kaastadt gewesen.“ (Ich war gerade noch bei Karstadt.). Oder: „Voa zwei Minutten hatte ich den Schlüssel noch gehappt.“ (Vor zwei Minuten hatte ich den Schlüssel noch!)

3. „Einmal“ wird zu „ma“ verkürzt und heißt „eintlich manchma nur sowatt wie ‚bitte’“. Vor allem bei „Hömma, komma, kumma, mamma und samma“ also bei „Höre -, komm -, schau -, mach – und sage bitte“. „Bitte“ schwingt automatisch im „ma“ mit. Das wird im folgenden Beispiel klar, in dem „ma“ gleich doppelt eingesetzt wird:

„Komma schomma bei die Omma!“ Die Übersetzung lautet: „Komm bitte einmal zu Deiner Großmutter“, und nicht „Komm einmal schon einmal zu Deiner Großmutter.“ Das wäre ja doppelt gemaat, wie bei der Dame, die erst ihren MA (Master of Arts) machte, dann den zweiten draufsetzte und dadurch MAMA wurde.

Im Ruhrgebiet ist „Mama“ durch einen Klassiker berühmt, durch den Satz mit „Mama“ und „Papa“: „Mamma die Tüah auf, pah Pakete kommen!“ (Mache bitte die Tür auf, es kommen ein paar Pakete!). Aber auch „Sperma“ oder „Speahma“ kann im Pott zur Verwirrung führen, wie in dem Satz mit „Bumsen“, „Sperma“ und „Vorhaut“: „Ich glaup et hatt gebumst. Speahma die Tüah auf un’ kuckma, wer da vorhaut!“ (Ich glaube es hat geklopft. Sperre bitte die Tür auf und schau nach, wer geklopft hat!)

Der Leser mag nun fragen, warum es oben „bei die Omma“ in der Übersetzung immer „Deiner Großmutter“ hieß, wo das Wort „Deine“ im Original gar nicht fällt. Wie weiß Neschle also, dass es nicht irgendeine Großmutter ist, die da spricht?

Die Erklärung ist einfach und der Profi müsste „da schomma drauf kommen“. Wäre es nämlich irgendeine Großmutter hätte sie gesagt „Komma schomma nach die Omma!“. Es geht übrigens auch „nach der Omma“, wenn man die Zielbestimmung deutlicher machen will. Und irgendein Mann würde dann sagen „Kumma! Kannze nichma naachem Onkel kommen?“ (Sieh bitte her! Kannst Du mal zu mir nettem Herrn kommen?). Der wirkliche Onkel sagt dagegen: „Hömma, watt sollze? Du sollz ma beim Onkel kommen!“ (Höre bitte, was Du sollst! Du sollst bitte zu Deinem Onkel kommen!)

Ein Satz ohne „bitte“ enthält kein „ma“, etwa „Mach fettich!“ (Mach Schluß!) statt „Machma fettich!“. Es sind jedoch Zwischentöne möglich, etwa indem der Pottie ein betontes „doch“ in seiner „Schrumpfform“ einschiebt: „Mach domma fettich!“ Im Hochdeutschen wird im Falle solch halbhöflicher Ungeduld dagegen das „bitte“ betont, also: „Komm bitte zu Schluss!“ – Ja gleich! Ich hab noch was:

Tja und dann gab es den „Eggon“, der eine Nachricht auf dem Küchentisch fand und „soffort“ wusste, was zu tun war. Da stand „Eggon , inne 4x!“, was „Eggon“ gleich richtig „übersetzte“ in: „Eggon komma inne Fiahma!“ (Egon komm bitte einmal in den Betrieb!). „Un’ wech warer auf Maloche“. (Und schon war er bei der Arbeit).

4. Viele Bildwörter bevölkern die Ruhrgebietssprache: „Kartoffelkoma“ (korrekt „Kaatoffelkoma“; Müdigkeit nach dem Mittagessen), „Zwiebelporsche“ (Einkaufswagen), „Eierfeile“ (Sportwagen mit sehr tiefgelegtem Fahrwerk), „Spiegeleierbauch“ (dicker Männerbauch, bei dem der Besitzer einen Spiegel braucht, um das zu sehen, was auch der Eierfeile den Namen gab) und „Türkenkalender“ (für Adventskalender, weil man da Türchen oder ‚Türken’ öffnen muss) sind nur einige Beispiele vom überreichlich gedeckten Sprachtisch.

5. Mit dem Duzen und der korrekten Ansprache soll diese kleine Einführung enden. Üblicherweise wird jeder und jede überall und sofort geduzt. Aber es ist ein anderes „Du“ als im Hochdeutschen. Der Besuch im Ruhrgebietskaufhaus offenbart das sofort. Auch Verkäuferinnen, die sich jahrelang kennen, rufen sich etwa so: „Frau Koslowski komma [Du] her!“ Entscheidend ist allein, ob das „Du“ mit dem Vornamen oder dem Nachnamen geführt wird.

Wer das verwunderlich findet, sehe auf manche amerikanische Firma hierzulande. Die macht es nur umgekehrt: „Ben, kommen Sie mal her!“ Denn „You“ ist ja nicht nur „Du“, sondern auch „Ihr“. Karl May hat es in seinen Wildwest-Geschichten noch so verstanden: „Sam Hawkins Ihr seid ein wirklich lustiger Geselle“.

Es gibt allerdings noch eine Zwischenform zwischen „Du“ und „Sie“. Die sieht so aus: „Wo willer denn schon widda hin? Hatter schon widda watt vahgessen?“ So spricht man, falls das übliche „Du“ zu vertraut klingt, man aber nicht ins hochdeutsche „Sie“ verfallen will. Doch so spricht nur eine Frau! Männer würden immer „willze“ (willst Du) zu ihren Geschlechtsgenossen sagen. Sprechen Männer allerdings Frauen an, so heißt es entsprechend „Watt willse [will sie] denn heute?“[2] Bei vertrauterem Sprechen hieße das „Watt willze [Du] denn heute?“ und wenn man es mit Leuten von außerhalb des Potts zu tun hat oder bewusst auf Distanz bleiben will: „Watt wollnse [wollen Sie] denn heute?“

Neschle hat diesen Dialekt (die Poesie der armen Leute) immer geliebt und er könnte noch weit mehr Besonderheiten darüber erzählen. Doch er verweist hier mal ausnahmsweise auf ein Buch: „Claus Sprick, Hömma! Sprache im Ruhrgebiet“. Das hat er früher schon inspirierend gefunden. Und sein Alter Ego hatte in seiner Zeit an der Universität Duisburg den Spitznamen „Der Hömma!“.

Willze den Pottslang heute noch höahn, musse anne Bude. An eine der noch übrig gebliebenen Trinkhallen (multifunktionale soziokulturelle Sprachzentren), in deren Geschäft sich vor allem die Tankstellenshops breitgemacht haben. Dort hört man den Slang noch, gesprochen nicht nur von „adipösen Adilettenträgern“ (übergewichtigen Adidassandalenträgern). Und natürlich aum Spielplatz un’ in Streichelzoo.

Abba gezz machtma alle die Mäh ei und geht im Bett! Also streichelt die Schafe! Neschle machtatt auch! Er geht pennen!

Und eima musset auch genuch sein mitti Buße. Neschle glaubt künftig an die Loveparade. Versprochen! Also nicht „versprochen“, sondern „in echt“ so gemeint!

Wenn man irrt, dann ist es schade,

wie Neschle bei der Love-Parade.

Denn er dacht’, sie würd’ in Essen

Schon begraben und vergessen.

Doch der Neschle war ein Narr

Denn Liebe lebet immerdar!

Buße muss den (der, s.o.) Neschle tun,

darum schreibt der Arme nun,

ein Lob der Sprache im Revier

und liefert flugs ein Sprach-Brevier

vonne Spraache anne Ruah

die is datt Heaaz vonne Kultuah.


[1] Auch im Hochdeutschen ist der Genitiv auf dem Rückzug. Bastian Sick hat das so beschrieben: „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ und dann „Wir gedenken dem Genitiv“. Schon nehmen sich viele Leute „dem Thema an“ und es wird nicht mehr lange dauern, da wird jemand statt „des Mordes“ „dem Mord angeklagt“. Auf diese Weise entledigt man sich dann „dem Genitiv“. „Dem“ sollten wir uns schämen. (Der Ruhrgebietler schämt sich immer „dafür“ und nie „dessen“!)

[2] Die Sache ist eigentlich noch vielschichtiger, weil das auch die Ansprache für Kinder ist. Bei Erwachsenen ist das häufig mit einem bedauernden Tonfall verknüpft. Oder es ist mit einem inneren Wunsch verbunden. Ich würde Dich gern duzen, weiß aber nicht, ob Dir das recht ist. Nachher sagst Du noch zu mir: „Für Dich immer noch Sie!“

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2 Antworten auf „Neschle-Depeschle 12“

  1. Hi iah Schicksen un‘ Macker!

    Neschle ist schwerhörig oder gar schwer hörig. Und zwar seinen eigenen Spracheindrücken. Nachdem er in Gesprächen mehrfach für seinen Titel getadelt wurde, gibt er zu: Ja, es kann auch heißen „Tuma datt Mäh ei!“ . Ja, das ist auch schöner als „Machma datt Mäh ei!“ Kann ich ja immer ändern, wenn ichma Lust drauf happ.
    Und es gibt auch viele Sprachfiguren, die Neschle nicht erläutert hat, etwa die Spreizung von Wörtern „davon hast Du nichts“ zu „da hassenix von“ oder das Ersetzen von „damit“ bzw. „ob“ durch „datt“ wie in „Gipp ihn ma watt zu futtern, datter watt wiad“ oder „Bisse sicha, dattse kommt?“ Kamman allett machen. Bei ein nächstet Mal vielleicht.
    Abba warum sacht iah datt den Neschle denn imma un‘ schreibt ihn nich?

    Glüchauf!
    Euern Neschle

  2. Dat is ein wiääklich gudda Aatiekl! Aber, hömma!

    Es gibt noch andere verbale Entgleisungen, wie die von einigen Chefstrategen in großen Firmen. Hier beschreiben sie in klein-klein, wie ihre Firma aufgebaut ist und was denn „den zentralen Eckpfeiler“ der Firma ausmacht.
    Seit wann sind denn Eckpfeiler zentral? Ist es nicht die Aufgabe solcher Chefstrategen solche verbalen Entgleisungen zu unterbinden?
    Ecken sind niemals in der Mitte eines Raumes, zumindest nicht bei mir.
    Also nicht nur die „Potties“ leisten sich verbale, unverständliche Ausdrücke, die besser in einer Schublade gelagert werden müssten. An die darf auch keiner ran.
    Sonst heißt es bald: Aiin Hohch auffe doidsche Schbrache. Is klaa?
    Lieber nicht, es wäre das Ende der deutschen Sprache.

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