Unwort „Humankapital“
Untat nicht nur des Jahres 2004 (III)
Es gibt manche Leute, die nicht eher hören, bis man ihnen die Ohren abschneidet. (Georg Christoph Lichtenberg)
Wenn die Unwort-Jury 2005 als Reaktion auf die Kritik aus der Wirtschaftswissenschaft die Verwendung des Begriffs „Humankapital“ durch die Experten angreift, zeigt sie auch ihr eklatantes Unverständnis für die Arbeit einer Realwissenschaft. Das ist bei weitem das traurigste Zeugnis, das ein Wissenschaftler ihr und ihren Mitgliedern ausstellen muss.
A. (Humankapital-) Theorie als abstrakte Orientierungshilfe.
In seinem Wissenschaftsverständnis meinte der Faust noch, den „göttlichen Plan“ aufdecken zu können und damit zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Damit warf er sich dem Teufel direkt in die Arme. Göttliches Streben mit mephistophelischem Ergebnis. Wie später der „Übermensch“ im „Untermenschen“ endete!
Einstein dachte da pragmatischer: Wissenschaft dient nicht dazu, diese Welt besser zu verstehen, sondern nur dazu, sich in ihr besser zurechtzufinden. Aus dieser Sicht bieten Theorien nur Orientierungshilfen, keine Wesenserkenntnis.
Wenn und soweit Theorien der Orientierung dienen, kann man sie mit Landkarten vergleichen. Wie Landkarten betrachten Theorien nur einen Ausschnitt der Welt. Sie beleuchten z.B. den Menschen als Mitwirkenden in Unternehmungen, nicht jedoch als Mitglied des Heimatvereins oder Kirchenchors. Schon dadurch werden Welt und Mensch nicht „in ihrer Gesamtheit“ gesehen, wie das die Jury so gern und durchgängig von den Wirtschaftswissenschaftlern fordert. Jeder „Wissenschaftler“ weiß das oder muss das wissen, nicht nur der Ökonom.
Bei der ohnehin schon „ausgeschnittenen“ Landkarte bestimmt zudem die Kartenart, aus welcher Sicht man die Welt betrachtet und was man dabei ausklammert. Diese Sicht wird vom „Orientierungszweck“ bestimmt, fokussiert sich auf diesen und lässt all das weg, was diesem Zweck nicht dient. Es ist gerade diese Abstraktion, die uns die bessere Orientierung ermöglicht.
Eine „realistische Karte“, die ein „vollständiges Bild“ der Realität gibt, wäre indes informationsüberladen und zur besseren Orientierung so untauglich wie die vorgegebene Realität selbst.
Eine Wanderkarte bildet daher das ausgewählte Gebiet nicht als Ganzes oder in seiner Gesamtheit ab, sondern allein die für Wanderer wichtigen Details. Andere lässt sie weg. Vergleichbares gilt für geologische Karten, Katasterblätter oder Autokarten. Sie alle stellen die Welt abstrakt dar, lassen „Realität“ weg.
Ihre Verbindung zur Realität suchen sie über die Zeichenerklärung oder Legende. Der Kreis mit einem Kreuz darauf stellt eine Kirche dar, das rote Rechteck ein Haus. Niemand wäre aber so verwegen zu behaupten, diese Zeichen gäben auch nur den leisesten Eindruck von der realen Kirche und dem realen Haus oder sollten das tun.
Ebenso abwegig ist die blanke Forderung nach „Realismus“ bei einer Theorie und ihrer Begriffe. Dennoch sind Diplomarbeiten und Dissertationen voll von Klagen über „unrealistische Prämissen“ und „fehlende Realitätsnähe“. Als ob wir nicht genau diesen abstraktionsgeladenen „Unrealismus“ bräuchten für eine Theorie, die uns bessere Orientierung in einer komplexen Welt gibt.
Theorien brauchen gar keine „Realitätsnähe“, sondern einen „Realitätsbezug“, wenn und soweit sie Orientierungshilfe sind. Den Bezug zur Realität stellt bei der Karte die Legende oder Zeichenerklärung her, bei Theorien ist es die Definition ihrer Schlüsselbegriffe. Die Definition verknüpft die Theorie mit dem in der Realität Gemeinten.
Begriffe wie „Humankapital“ sind nichts anderes als Zeichen, vergleichbar dem Zeichen für ein Haus auf einer Landkarte. Sie stellen nicht die Realität dar, sondern machen das Gemeinte in der Welt identifizierbar. Und weil viele etwas anderes meinen, gibt es nicht eine, sondern einige Definitionen und Begriffsbestimmungen von „Humankapital“.
Befinden Betriebswirtschaftlehre, Soziologie oder Anthropologie über den „Wert“ von Menschen, tun sie das in anderen Zusammenhängen (der Mensch als Mitglied einer Unternehmung, sozialen Klasse oder ethnischen Gruppe) und sie tun es aus anderer Sichtweise (unter dem Aspekt der Einkommenserzielung, aus Sicht seines Rollenverhaltens, aus seiner ethnischen Tradition). Keine dieser Sichtweisen ist besser oder schlechter, ebenso wenig wie eine Wanderkarte schlechter ist als eine Autokarte, nur weil sie Wanderkarte ist. Aber all diese Theorien oder Karten erheben nicht den kühnen Anspruch der Jury, Mensch oder Welt in ihrer Ganzheit zu betrachten, den „ganzen Menschen“ darzustellen oder zu erklären.
Genau das kritisiert aber die Jury. Der Mensch werde durch das Unwort Humankapital zu einer „nur noch ökonomisch interessanten Größe“, sagt sie. Dann wird er auch durch den Begriff der „Rolle“ zu einer nur noch soziologisch interessanten Größe oder durch den Begriff des „Unbewussten“ zu einer nur noch psychologisch interessanten Größe. Warum um Himmelswillen sollte das so sein? Oder wie mein indischer Hausarzt zu sagen pflegte: „Lassma Rasma: Watt soll den Quatsch?“
In Analogie hieße das: Falls man eine Wanderkarte (ökonomische Theorie) betrachtet, worin ein Haus als rotes Rechteck ein Haus darstellt (Humankapital), hat das zur Folge, dass sich allen Menschen diese Wanderkarte aufdrängt wird und sie Häuser in der Realität nur als noch Rotes Rechtecke wahrnehmen. Das wäre in der Tat bedauerlich und daher käme „Rotes Rechteck“ auf den Index.
Niemand würde nämlich noch die reale Welt außerhalb der Wanderkarte sehen, gäbe es nicht ein Häufchen aufrechter Unwörtler die das Unheil abwenden. Auch wenn sie es selbst nicht können, fordern sie von anderen, eine Landkarte zu schaffen, die diese Welt und in ihr die Häuser bis in die letzten Facetten ganzheitlich und realistisch darstellt. – Aber geht das denn? Und wem würde das helfen?
Der letzte Satz der Kurzgeschichte von Umberto Eco „Die Karte des Reiches im Maßstab 1:1“ belegt das Ergebnis: „Jede Karte des Reiches im Maßstab 1:1 besiegelt das Ende des Reiches als solches und wäre mithin die Karte eines Territoriums, das kein Reich mehr ist“. Und was belegt die Jury? Wissenschaftliche Inkompetenz und einen gesicherten Platz im ökonomischen Laientheater!
Die Jury hat sich in ihrer Ideenwelt verfangen und glaubt mittlerweile wohl selbst ihren Verfälschungen. An diesem Punkt kann sie nur noch Wahrheiten verbreiten, wenn sie lügt. Doch eine Lüge traut Neschle diesen Gutmenschen nicht zu. So gibt es leider auch keine Wahrheit von dieser Jury.
Sie wird niemals zugeben, sie habe mit der Unwort-Wahl „Humankapital“ einen kapitalen Bock geschossen. Das lässt sich aus der Reaktion auf die Kritik der Fachwissenschaftler ablesen. Danach hat sie nämlich den noch kapitaleren Bock erlegt, indem sie sogar den Gebrauch dieses Begriffes in der Fachsprache angriff.
Doch nicht der Ethik-Rat oder der Ethi-Krat, der seine eigene Humanität laut trommelnd vor sich herträgt, schafft dafür am meisten. Oder wer diejenigen anficht, die ökonomisches Denken pflegen, weil sie darin die Lebensgrundlage der Staatsbürger sehen. Bert Brecht wusste noch: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“.
Moralisch schwätzen kann man erst, wenn man (schon oder noch) eine ökonomische Grundlage hat. Ob nicht der Jury und ihren Mitgliedern die ökonomische Basis entzogen wäre, dächten alle so über Humankapital wie sie? Der kategorische Imperativ Kants[1] verböte dann eine derart antiökonomisch motivierte Unwörtelei. Die Gleichung der Jury, ökonomisch = inhuman, geht nämlich nicht auf. Hätten die Jurymitglieder ein wenig Kenntnis von der Geschichte der Ökonomie, würden sie wissen, welche enge Verzahnung sie mit Moralität und Humanität hat. –
Für die Humanität hat die Jury zweifellos etwas getan, als sie den Begriff ethnische Säuberung anprangerte. Neschle wäre nicht gegen die Jury zu Feld gezogen, wäre sie auf diesem Niveau geblieben. Dann hätte 2005 jedoch Ehrenmord sicher vor Entlassungsproduktivität den obszönen Sieg davontragen müssen oder doch wenigstens Heuschrecken.
Es ist bislang ohne Beispiel, dass ein Begriff aus der Fachsprache einer Wissenschaft zum Unwort erklärt wurde. Es war sicher nicht zufällig die Ökonomie und es geschah nicht zufällig in Deutschland. Hätte eine übergeordnete Jury allerdings über das unwortigste Unwort des Jahrzehnts zu entscheiden, „Humankapital“ hätte größte Chancen gewählt zu werden. Doch es gab in demselben Jahr einen weiteren Fehlgriff, der den ökonomischen Unverstand der Jury noch direkter zeigt und dazu ihren bemerkenswerten Mangel an Allgemeinwissen offenlegt. Und siehe: Sie waren nackt!
B. Waffen- und Drogenhandel sind unbedenklich, weil sie gesetzlich geregelt sind!? Luftverschmutzung ist es nun auch!
Auf Platz drei im Unwort-Rang landete für 2004 bei derselben Wahl „Luftverschmutzungsrechte“. „Luftverschmutzungsrechte“ wurden dabei vom ökonomischen Laientheater der Jury in eseliger Anmaßung nicht nur der Sache nach als „ökologisches Unding“ verdammt. Vielmehr trage das Wort dazu bei, „’Treibhausgasemissionen’ für unbedenklich zu halten, weil ihr Handel rechtlich geregelt wird“. Das muss man wiederholen: Die Leute sollen Treibhausgase für unbedenklich halten, „weil ihr Handel rechtlich geregelt wird“.
Stellen wir dazu Stichfragen, die das Argument der Jury gleich mehrfach umbringen:
Sollen wir ab morgen anfangen, Vergewaltigung und Mord für unbedenklich zu halten, weil sie rechtlich geregelt sind? Oder den Handel mit Waffen oder Drogen? Oder irgendetwas anderes, das rechtlich geregelt ist? Ist es nicht genau umgekehrt? Wird nicht etwas rechtlich geregelt, weil man es für bedenklich hält?
Warum sollte ein nicht zum Schrumpfkopf neigender Bundesbürger der entflohenen Jury folgen und hier das Gegenteil denken? Wie verquer und verquarzt muss man urteilen, um solchen Quatsch zu behaupten?
Mit der Bezeichnung von „Luftverschmutzungsrechten“ als „ökologisches Unding“ und seiner Wahl zum „Unwort“ beweisen die Meister des Wortes, dass sie es auch hier nicht in der Sache sind. Das hindert sie keineswegs daran, ihr Unwissen im Zusammenhang mit der Unwortwahl moralapostelisch in die Welt zu blöken.
„Die Natur spielt verrückt und der Mensch ist ein Teil davon“, ist das Motto derart untätlicher Unwort-Wahlen. Muss man da nicht ausrufen: Der Herr sei Dein Hirte, denn Dein Hirn ist die Härte? Das ist Öko-Komik, keine Öko-Nomik oder Öko-Logik. Herr, schmeiß Hirn vom Himmel! –
Warum denn nur „Rechte für Luftverschmutzung“? Genau deshalb, weil Treibhausgasemissionen entgegen der Jury eben nicht (mehr) für unbedenklich gehalten werden. Denn bislang war die Lage doch so:
Luftverschmutzungsrechte waren undefiniert. Jeder hat sie genutzt und keiner machte davon Aufhebens. Die Tragik der Allmende! Jeder, der es wollte, konnte sich der frischen Luft bedienen. Denn was nicht verboten ist, ist erlaubt, jedenfalls in einem Staat, der (zum Glück!) auch solche Jurys und deren verwegene Urteile gestattet. Die Luft war und ist für die meisten – doch jetzt nicht mehr für alle! – weiterhin ein freies Gut: Für die Kuh, die ihre bombastischen Methanblasen in unsere Atmosphäre furzt, oder den Menschen, der mit seinen Atemaktivitäten zwanghaft die Luft verpestet. Verbannen wir alle diese Atmungsschädlinge[2] von der Erde, wird es endlich die gute Luft geben, die keiner mehr braucht.
Summum jus summa injuria, heißt dieses Prinzip in der Rechtwissenschaft. Höchstes Recht ist höchstes Unrecht. In ein vergleichbares Desaster führt radikale Umweltpolitik. Sie entzieht der eigenen Begründung den Boden. Vollständige Beseitigung der Inanspruchnahme unserer Luft kann folglich keine Alternative sein. Die Alternative heißt Beschränkung, weil sich die freie Nutzung in Industrie- und Schwellenländern für die Welt zum Problem ausgewachsen hat. Es geht darum, die Einleitung von Schadstoffen zu kontingentieren. Und zwar zunächst dort, wo es am einfachsten und effektivsten ist: bei der Industrie. Beim Engpass ansetzen: Das ist eine ökonomische Grundregel!
Will man das tun, muss man reduzierte Verschmutzungskontingente definieren und zuweisen. Das sind die kritisierten „Luftverschmutzungsrechte“. Sie sind daher fest mit der Reduzierung der Luftbelastung verknüpft. Sie haben nichts, aber überhaupt nichts damit zu tun, dass es neuerdings das Recht gibt, die Luft stärker zu belasten. Es sind einschränkende Rechte, wie das Eigentumsrecht, mit dem ich andere zwar von der „Nutzung“ meines Schlafzimmers, aber – wegen ihrer humankapitalen Selbstbestimmung – nicht von der „Nutzung“ meiner Ehefrau ausschließen kann. In unserem Rechtskreis ist das Schlafzimmer mein Eigentum, meine Frau jedoch nicht. Das Missverständnis dieser Tatsache hat in der Geschichte der Menschheit allerdings schon viel Ärger bereitet. In einigen Kulturkreisen ist das aber selbst heute noch nicht einmal ein Missverständnis.
Ein einschränkendes Recht kann man auch verschenken oder verkaufen, wenn es einen Markt dafür gibt, der zugleich Informationen über Knappheiten innerhalb des Beschränkungsrahmens liefert. Solange aber Luft ein freies Gut ist, ist niemand am Kauf solcher Rechte interessiert. Niemand muss die Nutzung der Luft bezahlen. Das geht erst an mit ihrer Beschränkung und damit verbessertem Umweltschutz. Warum will dem die Jury im Wege stehen, wenn auch nur mit lächerlichem Verbalgeklingel?
Die Alternative dazu wäre eine staatliche Zuweisung von Kontingenten ohne die Flexibilität der Marktlösung, nachdem wir, siehe oben, eine strikte Verbotslösung für alle Atmungsschädlinge mit unserem Leben bezahlen müssten. Dann spricht gegen veräußerbare Luftverschmutzungsrechte nur eine marktwirtschaftsfeindliche Haltung, die von konzentrierter Politmacht mehr Segen erwartet als von dekonzentrierter Marktmacht, von regulierten Preisen mehr Effizienz als von Marktpreisen.
Da kann sich die Jury noch so oft verbal distanzieren von der marxistischen Ecke. Sie stellt sich mit ihrer Wahl und Begründung voll hinein. Es gibt hier nur eine Antwort: Ja oder Nein zur Marktwirtschaft[3]. Warum aber sollte Marktwirtschaft nicht wirkungsvoll im Umweltschutz eingesetzt werden, wenn sie sich anderwärts als das wirksamste System gezeigt hat? Die Rahmenbedingungen und Kontingente dafür muss allerdings der Staat setzen.
Gegen Luftverschmutzungsrechte zu sein, bedeutet gerade nicht, sich für die Umwelt stark zu machen. Das behaupten jedoch die aufgeblasen-ahnungslosen Philologen. Verlassen solche Idealisten ihren Elfenbeinturm, laufen sie geradewegs in die Gosse. Nach der ökonomischen jetzt auch in die ökologische und juristische. Den Begriff „Luftverschmutzungsrechte“ zu ächten, heißt den Bannstrahl „ökologisches Unding“ gegen ein Instrument zu richten, das der Verminderung der Umweltbelastung dient, ganz gleich, ob man es für das beste Instrument hält oder nicht.
Zudem gerät die Jury hier wie beim „Humankapital“ von der Sprachkritik direkt in die Sachkritik und vermengt beides. Doch in der Welt der Sprache hat der Hund vier Buchstaben, nur in der dinglichen Welt hat er vier Beine. Das ist eine ganz andere Welt und da setzt er sich höchstens auf seine „vier Buchstaben“.
So bedarf es schon der Unbedarftheit eines Hans im Glück, den Goldklumpen Luftverschmutzungsrechte gegen dieses Philologengeschwätz einzutauschen. Das bewirkt das Gegenteil von dem, was es für sich in Anspruch nimmt. Falls es jemand ernst nähme, stiftete es mit seiner scheinbar arglosen Unwörtelei nicht nur ökonomisches Unheil beim „Humankapital“, sondern auch ökologisches bei den „Luftverschmutzungsrechten“.
Mit Emotionen gegen Emissionen, das reicht nicht! Sinnvolle Äußerungen zur Emissionskontrolle verlangen auch Emotionskontrolle. Reine Gesinnungsethik lullt nur einen selbst ein. Sie ist moralische Selbstbefriedigung mit dem einzigen Ziel, sich selbst zu beweisen, wie schön moralisch man ist. Nie war man sich so wertvoll wie heute. Klostermanns Gewissensgeist!
Kommt der positive Vergleich hinzu, ist man beim Pharisäer: Wie gut, dass ich nicht bin wie jene Sünder dort! Doch das Leben da draußen spielt sich außerhalb des eigenen Kopfes ab. Und da macht es schon Sinn, ab und zu über die Folgen seiner moralinsauren Einläufe nachzudenken, die man anderen verpasst und sich damit nicht in satter Selbstzufriedenheit über die eigene Moralität zum Täter oder gar zum Töter zu machen.
Die Jury sollte Lichtenbergs Weisheit hören: „Es ist gewiss besser, eine Sache gar nicht studiert zu haben als oberflächlich. Denn der bloße gesunde Menschenverstand, wenn er eine Sache beurteilen will, schießt nicht so sehr fehl als die halbe Gelehrsamkeit.“ Manchmal macht schon die halbe Gelehrsamkeit das Maß voll. Doch man kann jede Dummheit noch steigern. Einstein war zwar von der Endlichkeit des Weltraums überzeugt, aber nicht von der Endlichkeit menschlicher Dummheit.
Vielleicht kommt daher „Geld“ bald auf den Unwort-Index, weil es der „Rechenhaftigkeit aller Lebensverhältnisse“ Vorschub leistet. Doch schon die Beatles mussten feststellen: „Money can’t buy me love“. Michael Jackson, der über einen Großteil der Beatles-Rechte verfügt, hat dies dann sogar gerichtsaktenkundig bewiesen.
Spätestens von den Beatles wissen wir also, dass man nicht alles monetärer Kalkulation unterwerfen kann. Dennoch versuchen es die bösen Ökonomen nach der Vorstellung der Unwort-Jury immer wieder. Diese philologischen Wortbegatter werden wohl nicht ruhen, bis es alle ökonomischen Begriffe auf ihrem Index geschafft haben. Erst dann leben wir wohl aus ihrer Sicht in voller Humanität. Dann wird man ihnen das Gehalt streichen, denn wir werden sie nicht mehr brauchen!
Aber Hand aufs Herz: Brauchen wir sie noch? – Neschle sagt eindeutig: Ja! – Überrascht? – Die hat Jury mit „Humankapital“ einen Kapitalfehler gemacht, ebenso mit „Luftverschmutzungsrechten“. Doch sonst achtet sie darauf, dass „Sprachverschmutzungsrechte“, die eigentlich jedem Bürger zustehen, nicht zu ungestüm genutzt werden. Da kann es schon mal geschehen, dass Sprachwertstoffe verkannterweise in einem Zuge mit entmüllt werden[4]. Schließlich ist kein Mensch unfehlbar. Nicht einmal Neschle! In aller hier noch möglichen Bescheidenheit, Ihr Leon Neschle!
Keine Theorie der Welt
erklärt, was die zusammenhält.
Denn dient sie nicht böser Verführung,
so gibt sie uns nur Orientierung.
Bei allen, die sich mehr versprechen,
wird sich’s durch Dogmatismus rächen.
(Und zur Unwortwahl „Luftverschmutzungsrechte“)
Wenn für das Luftverschmutzungsrecht
die Industrie heut’ kräftig blecht,
dann glauben unsere Philologen,
sie wird dadurch dazu erzogen,
uns mehr und ohne viel Bedenken
mit Treibhausgasen zu „beschenken“.
Nun liegt es deutlich auf der Hand,
es fehlt Ökonomieverstand:
Warum grad sollt man sich gewöhnen
an Dreck, für den man satt muss löhnen.
Es ist hier so wie bei der Steuer,
da bleibt man sauber, sonst wird’s teuer.
[1] Er lautet: Handle so, dass die Maxime Deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.
[2] Das wäre ein schönes Unwort als Fachbegriff der Ultras unter den Umweltschützern.
[3] Genau genommen sind es ja zwei Antworten, aber Neschle will nur die erste hören! Wie wir wissen, lässt sich ohnehin nicht jede Frage problemlos mit „ja oder nein“ beantworten. Was will man antworten auf die Frage: „Hast Du aufgehört, Deine Frau zu schlagen?“
[4] Das eigentlich Perfide an der Jury sind nicht diese Fehler, aber die Unfähigkeit und der Unwille. Sie einzusehen.
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